Dass Österreich in Wien noch nicht zu Ende ist, war vielen Österreichern jahrelang nicht klar. Inzwischen wissen sie: Es geht hinter Wien noch ein paar Kilometer weiter, im Norden bis an die Grenze Tschechiens, im Osten bis zur Slowakei beziehungsweise bis nach Ungarn. Früher war da der Eiserne Vorhang. Aber der ist gefallen. Seitdem existieren das Burgenland, das Weinviertel und Carnuntum auf der Landkarte Österreichs. Besser: auf der Weinkarte.
Carnuntum zum Beispiel: eine halbe Autostunde vom Wiener Stephansplatz entfernt mit sehr guten, manchmal auch herausragenden Weinen, die den Vorteil haben bezahlbar zu sein. Seit kurzem hat Cdas kleine Anbaugebiet sogar eine eigene DAC, und 20 Betriebe sind auf einen Schlag Mitglieder bei den Österreichischen Traditionsweingütern geworden, dem Pendant zum deutschen VDP.
Ich habe vier Weingüter besucht, von denen man in Zukunft noch etwas hören wird. Alle haben schon jetzt einen guten Ruf. Und bei allen hat vor nicht allzu langer Zeit taffe junge Frauen die Regie übernommen haben.
Stefanie Böheim (25), Weingut Böheim in Arbesthal
„Ich bin seit sechs Jahren im Betrieb. Meinem Vater war immer wichtig, auf meine Schwester und mich da keinen Druck auszuüben. Denn er musste es einst machen, das wollte er bei uns vermeiden. Meine Schwester ist zwei Jahre jünger als ich und trinkt nicht mal Wein. Die Weine meines Vaters sind sehr klassisch, er ist nicht sehr risikofreudig. Ich bin das Gegenteil, Naturwein und Orange finde ich klasse, bei mir muss es nicht immer Schema F sein. Grundsätzlich mag ich Weine, die in Erinnerung bleiben, die Struktur haben und langlebig sind.“
Stephanie Böheim gibt mir einen Weißburgunder mit. Sie hat ihn in zwei Barriques ausgebaut, eins neu und eins alt. „Mein Papa steht auf Grünen Veltliner und ist dafür bekannt. Wir haben gleich vier davon im Portfolio. Sie wollte etwas machen, womit sie nicht mit ihm konkurriet. Also nahm sie den Weißburgunder, der bislang immer in einer halbtrockenen Cuvée verschwand. Sehr angetan war ihr Vater zunächst davon nicht. Böheim aber blieb hartnäckig und schickte den Wein heimlich zu einem Wettbewerb. Als er gewann, machte das ihren Vater sehr stolz.
Ich habe den Jahrgang 2016 im Glas. Das Holz hat sich in der Nase bereits sehr schön eingebunden. Der Wein charmiert eher mit Würze als mit Frucht. Das setzt sich am Gaumen fort. Herb und frisch zugleich rollt er über die Zunge, Aromen von Weinbergspfirsich (wenig) und Kräutern (viel) werden ergänzt von etwas, das an nasse Kieselsteine erinnert. Gefällt mir!
2016 Weißer Burgunder „Ried Stixbergen“ (derzeit nicht erhältlich)
Bezugsquellen für andere Weine in Deutschland: Zum Weingut
Victoria Gottschuly (27), Weingut Gottschuly-Grassl in Höflein bei Bruck a.d.Leitha
„Meine Mutter hat das Weingut von ihrem Vater übernommen – sie war irgendwie der Bursche unter drei Mädels. Vor 15 Jahren hat sie die Schweine- und Rinderzucht aufgegeben und sich ganz auf den Wein konzentriert. Ich wusste von Kindesbeinen an, dass ich es machen will wie meine Mutter. Mitgeholfen habe ich schon immer, nach dem Abi habe ich aber erstmal eine Tourismusausbildung gemacht, weil ich die Arbeit mit Menschen und die Gastronomie liebe. Als ich 20 war, haben wir dann entschieden, dass ich den Betrieb übernehme. Drei Mal im Jahr haben wir einen Buschenschank, da hole ich mir dann die Gastro ins Haus. Darauf freue ich mich immer sehr, das ist total meins. Mit meinen Eltern verstehe ich mich super. Mein Vater wurde früher gezwungen, Landwirt zu werden. Deshalb ist er mir gegenüber sehr offen und wird nie Nein sagen, wenn ich eine neue Idee habe.“
Victoria Gottschuly gibt mir einen reinsortigen Merlot mit. Seit ein paar Jahren ist das eine ihrer Lieblingsrebsorten. Sie versucht, diesen Wein rund, weich und samtig zu keltern. Danach lässt sie ihn in Holzfässern aus heimischer Eiche reifen. In der Nase ist dieser Wein sofort als Merlot zu erkennen. Die Beerigkeit, sanft eingefangen von dezenter Holzwürze lässt keinen Zweifel. Am Gaumen ist der Wein weich und schmeichlerisch, dunkle Beeren werden hier ergänzt vom Aroma dunkler Brotrinde. Ein gelungener Wein der sicher vielen gefällt, weil er einfach gefällig ist.
2016 „Rotundo“ Merlot
Bezug: Ab Weingut
Karo Taferner (30), Weingut Taferner in Göttlesbrunn-Arbesthal
„Als ich jung war, habe ich bei meinen Eltern schon mitbekommen, wie viel Arbeit so ein Winzerleben mit sich bringt. Deshalb habe ich erstmal Psychologie und Publizistik studiert und nebenbei bei Australian Airlines gejobbt. Als ich meine Bachelorarbeit schrieb, saß ich eines Tages mit Schreibblockade vor meinem Laptop und sah dabei eine Anzeige für ein Casting von Emirates. Ich bin halt mal hin – und wurde genommen! 350 Bewerberinnen waren es und sechs wurden ausgewählt. Erst habe ich gesagt, ich mache das mal für zwei Monate, reise ein bisschen um die Welt. Dann bin ich aber doch dabei geblieben und habe das Studium abgebrochen. Es war eine tolle Zeit. Ich lebte in Dubai, reiste viel und habe auf der ganzen Welt Wein probiert. Aber Dubai ist auch eine extrem künstliche Stadt. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich es gut hatte, wo ich herkomme. Dort, in dieser seltsamen Wüstenstadt, habe ich begriffen, was mich glücklich macht: mein 800-Einwohner-Dorf am Ende der Welt. Als ich zuhause erzählt habe, dass ich zurückkomme, haben sich meine Eltern sehr gefreut. Meine Großeltern haben sogar geweint.
2015 war dann meine erste Lese zuhause. Danach bin ich nach Neuseeland gegangen, um Praktika zu machen. 2017 war das extremste Jahr, da habe ich drei Weinlesen mitgemacht: Erst in Australien, dann in Tasmanien und schließlich in Österreich. In Australien habe ich gelernt, was ich nicht machen möchte, da kam viel Chemie zum Einsatz. Tasmanien war dann das genaue Gegenteil, das fand ich faszinierend. Aktuell studiere ich nebenbei noch an der Boko in Wien [Anm. d. Red.: Universität für Bodenkultur], ein paar Prüfungen fehlen noch. Ich probiere gerne neue Sachen aus, aber nicht immer klappt alles. Zu meinem Orange-Wine zum Beispiel sagte mein Opa, da müsse ich die Leute bezahlen, dass die ihn trinken.“
Karo Taferner erlebte bei ihrem Auslandsaufenthalt in Tasmanien, was mit einem Pinot Noir geschieht, der nach der Methode der Maceration Carbonique gekeltert wird. Frische und Frucht gefielen ihr so gut, dass sie dasselbe mit einem Zweigelt probierte. Nach 12 Tagen ohne Sauerstoff im Stahltank wurden die Beeren mit den Füßen gestampft. Es folgte die alkoholische Gärung und dann ging es für vier Monate in ein gebrauchtes Barrique. Ohne Schönung und mit nur ganz wenig Schwefel kam der Wein in die Flasche. „Ignore the rules and drink what you like“ steht auf dem Etikett. Und ich mag den Wein sehr. Frisch und fruchtig, dabei mit Grip und Struktur, leicht zu trinken und doch weit weg von easy-drinking: das muss man erst mal hinbekommen.
2017 Zweigelt Macération Carbonique (derzeit nicht erhältlich)
Bezugsquelle für andere Weine in Deutschland : weinfurore.de
Christina Netzl, 34 Jahre, Weingut Franz & Christine Netzl
„Unser Betrieb hat eine lange Tradition, 1860 wurde hier wohl erstmals Wein gemacht. Bis meine Eltern übernahmen, hatten wir die klassische gemischte Landwirtschaft mit vier Hektar Wein und vor allem einer Schweinezucht. Ich erinnere mich noch daran, wie ich zusammen mit meiner Oma die Ferkel von den Muttersauen getrennt habe. Aber seit den 1990er Jahren hatten wir dann nur noch Wein, heute sind wir bei 30 Hektar. Meine Eltern haben immer gesagt, ich soll etwas anderes machen. Weinbau ist viel Arbeit und bringt wenig Geld. Aber ich habe schon als Kind immer „Weinbäuerin“ als Berufswunsch in Freundesbücher geschrieben. Und so war ich eigentlich immer Teil der Betriebes, auch während meiner Ausbildung. Das war damals gar nicht so leicht, denn die ganzen Weinbauschulen waren Internate – aber nur für Jungs! Es gab dort keine Mädchenzimmer.
Sehr prägend war für mich ein Praktikum, das ich bei unserem Importeur in London gemacht habe. Dort habe ich viel probiert und mich danach gefragt, ob die Stilfindung zuhause schon abgeschlossen ist. Mein Vater hatte schon viel verändert im Vergleich zu früher. Aber es waren die Nullerjahre, da kam überall viel Holz zum Einsatz. Da war die Frage, ob wir das wirklich wollen. Zusammen mit meinem Vater habe ich einiges behutsam geändert, alles immer Schritt für Schritt. 2013 habe ich das Weingut dann komplett übernommen. Wir sind kein superkleines Weingut und meine Eltern hatten auch schon einen guten Namen, bevor ich dazu kam. Deshalb wollte ich die Stilistik nicht in etwas total Wildes verändern. Mein Vater arbeitet heute immer noch viel in den Weinbergen und mein Mann, der selber ein 40-Hektar-Weingut hat, kümmert sich um die Traktorenbewirtschaftung. Wohin die Reise in der Zukunft gehen wird? Da bin ich mir noch nicht sicher…“
Christina Netzl macht neben der normalen Produktion ihre „Spielweine“. Mir gab sie einen Chardonnay mit dem schönen Namen „Wilde Liebe“ mit. Er lag vier Monate auf der Maische, dann zwei Jahre im Keller: eines in einem 500 Liter fassenden alten Holzfass, eines im Stahltank. Dann kam er in die Flasche, versehen mit ein klein wenig Schwefel. In der Nase ist der Wein zunächst sehr verschlossen. Nach ein paar Stunden an der Luft verströmt er einen feinen Duft von Haselnüssen, winterlichen Gewürzen und etwas Orangenschale. Auch im Mund gibt dieser Wein nicht vorschnell seine Reize preis. Kurz: ein fordernder Wein für Leute, die schon alles andere getrunken haben und etwas Neues ausprobieren wollen. Da sind Aromen von Nüssen und Dörrobst, etwas Feige und Dattel, dazu Rosmarin, Lavendel und etwas Wildes, Ungestümes. Nach ein paar Stunden an der Luft kommen zarte Zitrusnoten hinzu. Es lohnt sich auf jeden Fall, diesen Wein über ein paar Tage hinweg zu probieren, da er immer wieder ein neues Gesicht zeigt. Mehr als ein Glas trinke ich allerdings nicht davon. Denn trotz aller Faszination fehlt diesem Wein der Zug, die Straffheit, das Verlangen nach dem nächsten Schluck.
2015 Wilde Liebe, Weingut Franz & Christine Netzl
Preis: 24 Euro
Bezug: Ab Weingut
ein paar vielversprechende Tröpfchen feinen Weins von den Jungwinzerinnen, Bravo!