Jim Clendenen war einer der legendärsten kalifornischen Weinmacher – und einer der umstrittensten. In seinem 1982 gegründeten Weingut Au Bon Climat in Santa Barbara County erzeugte er Chardonnays und Pinot Noirs, die konträr zu dem Blockbuster-Stil waren, für den kalifornische Weine damals berühmt und berüchtigt waren. Sein Weinverständnis war stark europäisch geprägt, vor allem burgundisch. Clendenen sprach fließend Französisch und hat unzählige Reisen ins Burgund unternommen, um die finessereichen Weiß- und Rotweine von der Côte d’Or kennen zu lernen. Sie waren sein Vorbild. Nicht allen in Amerika gefiel das. Vor allem mit Weinkritikern lag er immer wieder im Clinch. Am Ende aber hat er dazu beigetragen, dass sich die Sichtweise auch der Amerikaner änderte und Eleganz ein wesentliches Merkmal kalifornischer Weine wurde. Am 15. Mai 2021 ist er im Alter von 68 Jahren gestorben.
Gavin Chanin, 45, war von 2004 bis 2012 Assistant Winemaker bei Au Bon Climat und hat eng mit Jim Clendenen zusammen gearbeitet. Er gilt als einer seiner bekanntesten Schüler. In Gavins eigener Winery Chanin Wines in Lompdoc erzeugt er feine, hoch bewertete cool climate-Chardonnays und Pinot Noirs, die auch in Deutschland gut vertreten sind. Jens Priewe hat sich mit ihm über Zoom unterhalten.
weinkenner.de Wann haben Sie Jim das erste Mal kennengelernt?
Gavin Chanin Wahrscheinlich schon mit zwei oder drei Jahren. Mein Vater war Traktorfahrer auf der Zaca Mesa Ranch, auf der auch Jim damals gearbeitet hatte. Aber daran erinnere ich mich natürlich nicht mehr. Meine Familie zog dann nach Los Angeles, weil mein Vater dort beruflich mehr Möglichkeiten hatte. Nach der High School wollte ich unbedingt im Wein arbeiten. Ich war 18 und habe dann ein berufsbegleitendes Kunststudium an der University of Los Angeles begonnen, das es mir ermöglichte, sechs Monate im Jahr bei Au Bon Climat zu arbeiten.
weinkenner.de Wie war die Arbeit mit Jim?
Gavin Chanin Intensiv, aber faszinierend. Jim arbeitete 16 Stunden am Tag, und ich war immer dabei. Wenn er Trauben von benachbarten Farmern kaufte, wenn er die Weinberge inspizierte, wenn er verkostete oder wenn er mittags Lunch für seine ganze Mannschaft zubereitete. Jim war ein Gourmet und konnte sehr gut kochen. Schon als 21-Jähriger war er in die Santa Barbara Food & Wine Society aufgenommen worden, wo er seine Kochkünste unter Beweis stellen musste. Das gemeinsame Essen war für ihn eine Gelegenheit, die Meinungen seiner Mitarbeiter zu hören und zu diskutieren, in welche Richtung man arbeiten wollte. Die Mannschaft war seine Familie, und ich lebte praktisch mit der Familie.
weinkenner.de War er ein Verrückter?
Gavin Chanin Verrückt war die Leidenschaft und Intensität, mit der im Wein arbeitete. Aber er hatte klare Ideen und wusste genau, was er tat. Überall in Kalifornien herrschte damals Aufbruchstimmung. Amerika war stolz auf seine Winemaker, und Jim bekannt wie ein bunter Hund, auch wenn er nicht zum Mainstream gehörte.
weinkenner.de Jim hatte sich von Anfang an auf Chardonnay und Pinot Noir spezialisiert.
Gavin Chanin Die Welt schaute damals nach Kalifornien wegen Cabernet Sauvignon und Merlot. Das waren die Weine, die beim berühmten Paris Tasting 1976 die europäischen Weine geschlagen hatten. Aber Santa Barbara County ist ein kühles Anbaugebiet. Cabernet Sauvignon wird dort nicht reif und infolgedessen auch nicht angebaut. Und Pinot Noir stand damals im Schatten der großen Rotweine aus dem Napa Valley. Und auch unter Chardonnay stellten sich die Amerikaner Blockbuster vor. Jim wollte keine Blockbuster.
weinkenner.de War Jim ein Enfant terrible?
Gavin Chanin Eigentlich nicht. Aber seine Weine waren am Anfang kontrovers. Die Konsumenten und viele Kritiker hatten ihre Probleme mit ihnen. Und da Jim seine Überzeugung offensiv vertrat, hatten manche auch Probleme mit seiner Person. Aber durch seine regelmäßigen Reisen nach Europa, vor allem ins Burgund, war er seiner Zeit voraus. Ihm war klar, dass man Pinot Noir nicht wie Cabernet Sauvignon behandeln darf, was in Kalifornien aber durchaus üblich war…
weinkenner.de Sondern wie?
Gavin Chanin Er gab sich bei der Lese mit niedrigeren Zuckergehalten zufrieden als allgemein üblich, versuchte Überreife zu verhindern, achtete mehr auf die Säure.
weinkenner.de Und er vinfizierte anders?
Gavin Chanin Klar: Ganztraubenpressung, oben-offen-Fermenter, Unterstoßen des Tresters von Hand, weniger Umpumpen, Gravity Flow – das waren für Jim wichtige Parameter. So entstanden komplexe, aber schlanke Pinot Noirs, die ganz anders schmeckten als die sonnenverwöhnten Weine anderer Produzenten. Heute arbeiten nahezu alle kalifornischen Pinot Noir-Erzeuger so. Aber damals war das noch kein Standard.
weinkenner.de Waren die Amerikaner damals auch gegenüber Jims Chardonnays so skeptisch? Schließlich hatte beim Paris Tasting 1976 der Chardonnay von Grgich Hills aus dem Napa Valley die gesamte europäische Konkurrenz hinter sich gelassen, was die Amerikaner unheimlich stolz gemacht und sie bestärkt hatte, dass dieser Stil der richtige für kalifornische Chardonnays ist.
Gavin Chanin Jims Chardonnays waren komplett anders als die holzlastigen Napa Chardonnays. Er versuchte nie, den Napa-Stil zu imitieren. Das wäre auch nicht gegangen. Dazu ist es im Santa Maria Valley, wo seine Reben stehen, viel zu kühl. Er strebte auch beim Chardonnay den eleganten Stil an: die kühle Frucht, die knackige Säure, eine gute Textur und Balance.
weinkenner.de Immerhin landete der Chardonnay von Au Bon Climat bei einer Blindprobe 1986 in der Schweiz auf Platz 7 von insgesamt 500 Weinen.
Gavin Chanin Jims Chardonnays waren stilistisch eher europäisch. Amerika war noch auf mächtige, potente Weine fixiert.
weinkenner.de Wann kam der Durchbruch?
Gavin Chanin Die ersten zehn Jahre waren für Jim hart. Dank einiger internationaler Sommeliers, die er bei seinen Reisen kennengelernt hatte und die seine Philosophie verstanden, verkaufte er anfangs mehr Wein in London und Tokio als in Kalifornien. Das wiederum machte viele Amerikaner neugierig. Sie wollten wissen, wie ein wine guy, der buchstäblich bei Null angefangen war, es schaffte, seine Weine erfolgreich in Europa und in Asien zu platzieren. Sie besuchten seine Winery im Santa Maria Valley, sprachen mit ihm, ließen sich zeigen, wie er arbeitete. Robert Parker begann ab 1988 begeisterte Artikel über Jims Weine zu schreiben. Bald landete Au Bon Climat unter seinen Top 10 der besten Weingüter der Welt. Wenig später wurde Jim selbst vom Wine Advocate, Parkers Publikation, zum Winemaker of the Year gekürt.
weinkenner.de Aber schon 1994 ließ Parker Au Bon Climat wieder fallen und verlangte unter dem Eindruck der stark gehypten Sonoma Coast-Chardonnays und Pinot Noirs Weine aus reiferen Trauben.
Gavin Chanin Grosse Pinot Noirs und Chardonnays gibt es ja nicht nur in Santa Barbara County. Russian River, Carneros, Monterey und die gesamte Sonoma Coast sind wichtige Anbaugebiete. Jede AVA (Anm.: American Viticultural Area) bringt ihre eigenen Weine hervor. Jim ist seinem Stil treu geblieben, bis zum letzten Tag. Er hat zeitlebens die Trommel für die ausbalancierten, nicht-überladenen Weine gerührt. Inzwischen haben seine Weine ihre eigene Fangemeinde.
weinkenner.de Hat Jim mit seinen Weinen jemals Geld verdient?
Gavin Chanin Spätestens seit 1989. Aber es ging bei ihm immer auf und ab. 2001 nach dem 9/11-Desaster ging es massiv abwärts. Der Film Sideways, der 2004 in die Kinos kam und in dem er mehrere Male erwähnt wird, hat ihm wiederum viel geholfen. Der nächste Tiefschlag war die Lehman-Krise, die unglücklicherweise in die mengenmäßig reichen Jahrgänge 2008 und 2009 fiel. Jim war gezwungen, zusätzliches Equipment zu kaufen, um alle Trauben verarbeiten zu können, bei sinkender Nachfrage. Während viele andere Winerys in der nachfolgenden Rezession über die Klinge sprangen, hat Jim die Kurve gekriegt. Sein Ruf war zu diesem Zeitpunkt schon sehr gefestigt. Zuletzt produzierte er rund 60 000 Kisten im Jahr, was über 700 000 Flaschen sind. Das ist für einen Ex-Hippie, der er war, eine ganze Menge.
weinkenner.de Eine typisch amerikanische Karriere…
Gavin Chanin Sie meinen, vom Tellerwäscher zum Millionär? Das sehe ich nicht so. Geldvermehrung war nie Jims Ziel. Dazu war er zu emotional, zu feinsinnig vielleicht auch zu sprunghaft. Wenn er von einer Reise nach Europa oder Neuseeland zurückkam, oder auch von der Prowein in Düsseldorf, die er regelmäßig besuchte, hatte er den Kopf voller neuer Ideen. Wenn man sein Weinportfolio der letzten Jahre anschaut, stellt man fest, dass er keineswegs nur auf Chardonnay und Pinot Noir fixiert war, seine Umsatzbringer. Er hatte auch Aligoté, Viognier, Grenache Gris, Mondeuse, Tocai Friulano, Teroldego, Syrah, Petit Verdot, Gewürztraminer, Nebbiolo gepflanzt. Die Weine vermarktete er unter dem Label Clendenen Family Vineyard. Ich glaube, mit diesem Label war und ist er nicht sehr erfolgreich. Aber er war fest überzeugt, dass Kalifornien auch aus diesen crazy varieties gute, ja große Weine erzeugen kann.
weinkenner.de Welches Vermächtnis hinterlässt Jim Clendenen?
Gavin Chanin Auch wenn sich nicht alle seine Visionen erfüllt haben, so war er doch ein Visionär, der gezeigt hat, dass in Kalifornien Anderes geht als nur der Mainstream. Kalifornien ist ein großes, kreatives Labor, in dem unendlich viel experimentiert wird. Es gibt hier rund 10 000 wineries. Große Weine erzeugen nur etwa zwei Prozent. Aber für den Spirit, der hier herrscht, sind die anderen 98 Prozent unheimlich wichtig. Am meisten verdanken ihm die 400 wineries in Santa Barbara County. Für sie war Jim derjenige, der den Weg gewiesen hat. Sie alle profitieren von seiner Arbeit und seinem Einsatz.
weinkenner.de Wie geht es mit Au Bon Climat weiter?
Gavin Chanin Ich denke, dass Isabelle und Knox Alexander, seine beiden erwachsenen Kinder, die Arbeit fortsetzen. Aber Genaues weiß ich nicht. Jims Tod ist noch zu frisch. Ich weiß nur, dass er auch seinem langjährigen Staff Anteile an Au Bon Climat vermacht hat.
Die Weine von Au Bon Climat sind erhältlich bei:
Die Weine von Gavin Chanin gibt es bei:
www.schreiblehner.com, www.rohstoff-wein.de