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Jasmine Hirsch: „Kalifornischer Wein ist anders, als die Welt denkt.“

Kalifornien ist mehr als Napa Valley. Der Sunny State, wie er sich nennt, zählt insgesamt 142 AVAs (American Viticultural Area = Ursprungsgebiete). Sie reichen von Eureka im Norden bis nach San Diego an der Grenze zu Mexiko. Insgesamt 4200 Wineries finden sich verteilt auf den ganzen Bundesstaat, die meisten kleine Betriebe mit ein paar Hektar Reben, aber beseelten Winzern, die mit großer Leidenschaft daran arbeiten, authentische, terroirgetreue Wein zu erzeugen.

Chardonnay und Pinot Noir

Eine dieser Wineries ist Hirsch Vineyards. 1978 von dem Textilindustriellen David Hirsch gegründet, verfügt sie heute über rund 30 Hektar Rebfläche, die auf 62 Parzellen verteilt auf den ridges liegen, wie die steilen, felsigen Hügel in Sonoma Coast genannt werden, dem kühlsten Landstrich Kaliforniens entlang der nördlichen Pazifikküste. Pinot Noir und Chardonnay sind die beiden Rebsorten, die die meisten Winzer dort anbauen, unter anderem Peter Michael, Helen Turley (Marcassin), Martinelli. Auch David Hirsch und seine Tochter Jasmine, 42, arbeiten mit diesen Sorten. Bis zu acht verschiedene Pinot Noirs produzieren sie je nach Jahrgang – und haben es in den letzten zehn Jahren mit ihnen zu beträchtlichem Ruhm gebracht.

Jasmine Hirsch. © Hirsch Vineyards

Weinkenner Bei vielen Konsumenten, gerade auch in Europa, herrscht die Vorstellung, dass kalifornische Weine immer big sind, Blockbuster. Für eure Weine gilt das nicht.

Jasmine Hirsch Unsere Pinot Noirs und unser Chardonnay sind nicht das, was viele Leute sich unter kalifornischem Wein vorstellen. Sie sind das Gegenteil: eher puristisch als üppig, hell in der Farbe, statt Körper und Alkohol bieten sie Frische und Leichtigkeit.

Weinkenner Ist das der neue California Style?

Jasmine Hirsch Neu ist, dass solche Weine von Weinkritikern anerkannt und vom Markt akzeptiert werden. Das war nicht immer so. Ich respektiere selbstverständlich Konsumenten, die lieber üppige, schwere Weine trinken. Kalifornien ist groß, und die klimatischen Bedingungen sind in den verschiedenen Landesteilen ganz unterschiedlich. Es gibt sehr warme Anbaugebiete wie Dry Creek Valley oder Paso Robles, und es gibt kühle wie Sonoma Coast, wo wir sind. Auch ich trinke bisweilen gern kräftige Cabernet Sauvignons, Merlots oder Zinfandels, wobei man hinzufügen muss, dass viele Weine aus diesen Sorten in den letzten Jahren eleganter geworden sind. Gute Weinmacher lassen die Trauben nicht bis zum letzten Tag hängen, um möglichst dicke Weine zu bekommen.

Weinkenner Sonoma Coast ist der kühlste Landstrich in Kalifornien.

Jasmine Hirsch Unsere Weinberge liegen nur vier Kilometer vom kalten Pazifik entfernt. Die AVA, die wir 2012 bekommen haben, heißt bezeichnenderweise Fort Ross-Seaview. Dass dort andere Weine wachsen als im Napa Valley, liegt auf der Hand. Cabernet Sauvignon und Zinfandel würden in Sonoma Coast nicht reif. Auch in den wärmsten Lagen erreichen wir bei unseren Pinot Noirs nur wenig mehr als 13 Vol.%. Aber die Weine besitzen Tiefe und Komplexität.

 

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Weinkenner  Pinot Noir von Hirsch Vineyards ist inzwischen ein Aushängeschild für Sonoma Coast. Im Wine Spectator, der größten Weinfachzeitschrift in den USA, hat es euer Wein im letzten Jahr in die Top 100 geschafft.

Jasmine Hirsch Das macht mich stolz. Tatsächlich haben wir eine ständig wachsende Fangemeinde, nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada, in Asien und bei euch in Deutschland.

Weinkenner Als dein Vater Hirsch Vineyards gründete, warst du noch gar nicht geboren. Wann wurde dir klar, dass du in seine Fußstapfen treten würdest?

Jasmine Hirsch Ich hatte nie vor, im Weingut meines Vaters zu landen. Ich bin zwar hier aufgewachsen, aber nach dem College gleich nach Prag gegangen und habe dort für längere Zeit einen Job in der Gastronomie gemacht. Anschließend habe ich bei J. P. Morgan in New York als Financial Analyst gearbeitet, fand den Job aber todlangweilig. Erst danach bin ich wieder nach Kalifornien zurückgegangen und nach langem Zögern 2008 bei meinem Vater eingestiegen.

Weinkenner Seit 2019 bist du verantwortliche Weinmacherin. Wo hast du dein Wissen her?

Jasmine Hirsch Vor allem von unseren vorherigen Weinmachern und von meinem Vater. Das meiste aber habe ich mir selbst beigebracht, learning by doing. Ich liebe es, in den Weinbergen zu sein und genau zu beobachten, was dort passiert, um gemeinsam mit dem Team zu überlegen, wie man darauf reagiert.

Weinkenner Wie wirkt sich der Klimawandel in Sonoma Coast aus? Als dein Vater das Weingut gründete, hatte er einen „200 Jahre Plan“ für sich und seine Nachkommen aufgestellt, der alle möglichen Szenarien enthielt, positive und negative. Hatte er mit den aktuellen Klimaveränderungen gerechnet?

Jasmine Hirsch Er hatte mit Klimaschwankungen gerechnet, aber nicht mit einem derart hohen Temperaturanstieg, wie wir ihn derzeit in Kalifornien erleben. Dieser Temperaturanstieg verbunden mit Trockenheit und verheerenden Buschfeuern wirbelt unseren damaligen Businessplan ziemlich durcheinander.

Weinberge von Hirsch im Sonoma Coastal County. © Hirsch Vineyards

Weinkenner Kannst Du das konkretisieren?

Jasmine Hirsch Anderthalb mal in zehn Jahren ernten wir beim Pinot Noir in Sonoma Coast nicht mehr als 1000 Kilogramm Trauben pro Hektar – ein Desaster für die Ökonomie der Weingüter. Unser Durchschnittsertrag liegt statistisch bei gerade mal 2500 Kilogramm. Das ist extrem wenig. So sind wir gezwungen, nur High End-Weine zu erzeugen, die es uns ermöglichen, das Land zu bewirtschaften und vom Weinbau zu leben. Aber wir hatten, ehrlich gesagt, auch nie ein anderes Ziel als Topweine zu produzieren.

Weinkenner Euer Weingut liegt tief versunken in den grünen Hügeln weitab jeder Zivilisation. Dieses Zoom-Interview können wir nur führen, weil du dich gerade im 150 Kilometer entfernten Oakland aufhältst, wo du einen Teil der Woche mit deinem Lebensgefährten verbringst. Auf dem Land fehlt ein schnelles Internet. Sonoma Coast ist in jeder Hinsicht ein extremes Anbaugebiet, oder?

Jasmine Hirsch Weinberge brauchen kein Internet und keine ausgebaute Verkehrsinfrastruktur. Mein Vater ist in diese abgelegene Gegend gezogen, weil er der Großstadt entfliehen wollte. Dafür nahm er in Kauf, dass es keine asphaltierten Straßen und keine Elektrizität gibt. Als wir 2003 unsere Winery errichteten, hat mein Vater erstmal eine 13 Kilometer lange Leitung legen lassen, um überhaupt ans Stromnetz angeschlossen zu werden. Aber es stimmt natürlich: Sonoma Coast ist extrem. Das ist auch der Grund, weshalb hier so besondere Weine wachsen, wie man sie in anderen Gegenden Kaliforniens nicht findet.

Weinkenner Wo genau liegen eure Weinberge?

Jasmine Hirsch Unsere Weinberge liegen etwa 25 Kilometer nördlich der Stadt Jenner, wo der Russian River in den Pazifik mündet. Sie liegen morgens regelmäßig im Nebel, der tagsüber durch die Sonne weggebrannt wird. Der Himmel ist dann blau, aber es ist kühl – ideal für elegante Pinot Noirs, wie wir sie uns vorstellen. Die hohe Lichtmenge sorgt für den Geschmacksreichtum, die gebremste Hitze macht, dass die Weine nicht zu alkoholreich werden. So zumindest die Theorie. Tatsächlich haben wir in Sonoma Coast in den letzten Jahren immer weniger Nebel gehabt, und die Hitze wird drückender. 2017 war beispielsweise ein furchtbares Hitzejahr. Im Sommer müssen wir jetzt unsere Reben Tröpfchen-beregnen. Aber Wasser ist knapp. Dabei verzeichnet Sonoma Coast übers Jahr gerechnet 2000 Millimeter Niederschläge. Das Dumme ist nur, dass der allergrößte Teil im Winter und im Frühjahr fallen. In den Sommermonaten herrscht oft eine beängstigende Trockenheit. Eine solche Situation kam in unserem „200-Jahre-Plan“ nicht vor. Mit den Hitzewellen, von denen wir im Sommer regelmäßig überrollt werden, droht den Trauben Überreife.

Weinkenner Eine Gefahr für den eleganten Stil?

Jasmine Hirsch In der Tat. Statt Frische und Leichtigkeit drohen uns Körper und Alkohol. Statt Säure steigt die Extraktsüße. Auf Textur legen wir zwar großen Wert, aber das heißt nicht, dass  unsere Weine immer weich und rund über den Gaumen laufen sollen. Unsere Pinot Noirs sind Bergweine. Sie haben traditionell ein kräftiges, spürbares Tannin. Wir möchten, dass das so bleibt.

 

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Weinkenner Rührt das kräftige Tannin euer Weine nicht auch von den Böden her, auf denen die Reben wachsen?

Jasmine Hirsch Unsere Weinberge liegen durchschnittlich 500 Meter hoch und genau auf dem San Andreas Fault, wo die Nordamerikanische Platte an der Pazifischen Platte vorbeidriftet. Nach dem schweren Erdbeben von 1906, als San Francisco zerstört wurde, sind auch die uralten Redwood-Wälder, mit denen Sonoma Coast bedeckt war, samt des Erdreichs zu Tal gerutscht, so dass auf der Spitze der Hügel, wo wir unsere Reben gepflanzt haben, praktisch blanker Fels ist. Weine, die auf solch steinigen Böden wachsen, sind nicht samtig-weich. Trotzdem hat das Klima natürlich auch einen großen Einfluss auf den Charakter unserer Weine, und wenn sich das ändert, ändert sich auch der Wein.

Weinkenner Ihr habt 2011 komplett auf biodynamischen Weinbau umgestellt. Werden eure Reben dadurch besser mit dem Klimawandel fertig?

Jasmine Hirsch Sie sind robuster gegen Mehltau geworden, der in dem feuchten Klima von Sonoma Coast ein echtes Problem ist. Kupfer- und Schwefelspritzungen reichen aus. Ansonsten nehmen wir Mindererträge in Kauf. Außerdem haben wir unser Weinbergsmanagement geändert. Wir verkleinern die Laubwand und entlauben, aber nur auf der Rückseite der Rebzeilen. Die Blätter auf der Sonnenseite lassen wir stehen, sie beschatten die Trauben und schützen diese vor übergrosser Sonneneinstrahlung.

Weinkenner Was sind heute die größten Risiken für den Weinbau in Kalifornien?

Jasmine Hirsch Trockenheit und Hitze sind zusammen mit dem Wassermangel eine große Gefahr. Aber das größte Risiko sind die Buschbrände, wie es sie 2020 und 2017 gegeben hat. Wir selbst sind zwar von den Feuern verschont geblieben. Aber wir fürchten, dass der Rauch unsere Weine geschmacklich verderben könnte. Davor haben wir Angst.

Mehr Informationen gibt es unter: www.hirschvineyards.com

In Deutschland sind die Weine erhältlich bei www.weinhalle.de

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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