Mittwoch, Dezember 11, 2024
0.9 C
München
spot_img

Ist der knackig — Vinho Verde aus Portugal

Vinho Verde gilt als spritziger Erfrischungswein für heiße Sommertage. Dabei trumpft das portugiesische Anbaugebiet auch mit ganzjährig kompatiblen Weiß- und Rotweinen auf. Thomas Götz berichtet von einem Ortsbesuch.

Blau ist die Farbe des Atlantiks, der im Norden Portugals gegen die Costa Verde, die sogenannte Grüne Küste peitscht. Grün ist auch das regenreiche Hinterland. Und wie die Landschaft, so der Wein: Vinho Verde übersetzt sich als „Grüner Wein“. Niemand kann genau sagen, ob sich der Name schlicht auf die dominierende Farbe der Region bezieht oder auf die in früheren Zeiten unreif „grün“ daherkommenden Weine.

Wie auch immer. Heute ist Vinho Verde für spritzige Frische, einen geringen Alkoholgehalt und eine mal mehr, mal weniger dezente Restsüße bekannt. Ein Großteil der beliebten Weine wird mit Kohlensäure versetzt. Ursprünglich geschah die Karbonisierung jedoch, wenn die Winzer den Wein so schnell abfüllten, dass die Gärung in der Flasche endete. Ein solcher, im alten Stil gekelterter Vinho Verde kommt von Starwinzer Dirk Niepoort. Sein trockener, leicht perlender Nat’ Cool Drink Me Branco 2021 ist ein klassischer Blend aus den Weißweinsorten Arinto, Avesso, Azal, Loureiro und Trajadura. Über 250 einheimische Trauben kann Portugal aufweisen. Von der „weltweit höchsten Dichte autochthoner Rebsorten“ spricht der nationale Weinverband ViniPortugal.

Bei Nat’ Cool handelt es sich um ein von Dirk und Daniel Niepoort initiiertes Projekt, dem sich über dreißig Erzeuger angeschlossen haben, etwa Rainer Schnaitmann und Kai Schätzel in Deutschland. Die Marke steht für „Naturally Cool“ — für biologischen und biodynamischen Anbau, für eine Weinbereitung mit wenigen Additiven und eine Stilistik, die Frische und Trinkbarkeit im Blick hat. „Ein Nat’ Cool sollte lässig, leicht und süffig sein“, erklärt Dirk Niepoort. „Er sollte darüber hinaus nicht zu viel Holz, nicht zu viel Alkohol und auch nicht zu viel Sulfite haben.“ Wie alle Nat’ Cools ist sein Vinho Verde in der Literflasche abgefüllt. Praktischerweise, denn er zieht sich gefährlich leicht weg.

Vater Dirk und Sohn Daniel Niepoort: „Ein Nat’ Cool sollte lässig, leicht und süffig sein.“ (© Niepoort Vinhos)

Vinho Verde – eine Region mit diversen Weinstilen

Wohl die meisten Weinfreunde assoziieren mit Vinho Verde ein leicht moussierendes Low-Alk-Getränk. Doch tatsächlich ist Vinho Verde ein 24.400 Hektar großes DOC-Anbaugebiet mit einer beachtlichen Nord-Süd-Ausdehnung von 130 Kilometern. Im Norden grenzt die hügelige Region an das spanische Galicien, und sie erstreckt sich bis südlich von Porto. Das Klima ist vom Atlantik bestimmt. Der durchschnittliche jährliche Niederschlag liegt bei 1200 mm, das sind fünfzig Prozent mehr als etwa in Hamburg. Mit Südeuropa verbindet man so viel Regen gemeinhin nicht.

Ein derart großes Anbaugebiet hat freilich mehr als einen Weinstil zu bieten: Immer mehr Winzer erzeugen rebsortenreine Gewächse, die voll durchgegoren sind, ohne Kohlensäure auskommen und bei den Alkoholgraden mit 12 bis 14 Prozent höher liegen. Sie setzen auf knackige Säure und Mineralität, ein Ausdruck, den die vorherrschenden Granitsandböden in der Region unterstützen. Ein Paradebeispiel für diese Stilrichtung ist der Weißwein Granit Mineral Selection 2021 vom Weingut Soalheiro. Dieser reinsortige Alvarinho übertrifft so manches hochgelobte Gewächs im benachbarten Galicien, wo die Traube unter dem Namen Albariño seit Jahren einen fulminanten Aufstieg erlebt.

Weinparzellen von Soalheiro, nahe der portugiesisch-galicischen Grenze, Subzone Monção & Melgaço (© Quinta de Soalheiro)

Alvarinho entwickelt sich zum Star der Region

Luís Cerdeira betreibt das Familienweingut in zweiter Generation. Sein Vater pflanzte 1974 einen ersten Weinberg, den er Soalheiro („sonnig“) nannte. Zu neunzig Prozent hat das Weingut die Alvarinho im Anbau. Wegen des Klimawandels legte er bereits einen zwei Hektar großen Testweinberg auf 1.100 Metern Höhe am Rande des Nationalparks Peneda-Gerês an, erzählt Luís Cerdeira. In zwei, drei Jahren hofft er auf die erste Lese. Noch erfüllen die jetzigen Lagen auf 100 bis 500 Metern ihren Zweck: Ein strukturierter und mundfüllender Alvarinho ist der von Kräuternoten dominierte Terramatter 2020. Luís baut ihn in einer Kombination aus Edelstahl, Betonei und Kastanienfass aus und füllt ihn unfiltriert ab. Ebenfalls klasse ist der Schaumwein Espumante Bruto Alvarinho, den das Weingut in traditioneller Methode herstellt. 12 Monate Hefelager sind nicht allzu lang, dafür zeigt der Schäumer eine schöne Balance aus frischer Säure und Fruchtintensität.

Soalheiro befindet sich in Monção & Melgaço, eine von neun Subzonen der DOC Vinho Verde. Sie grenzt unmittelbar an Galicien und steht im Ruf die besten Alvarinhos der gesamten Appellation hervorzubringen. „Alvarinho zählt zu den großen Weißweintrauben der Welt, und Monção & Melgaço ist der perfekte Ort für die Sorte“, sagt Luís Cerdeira. In der Tat ist sein Weingut nicht der einzige Top-Erzeuger in der Subzone. Mitunter fabelhaft vielschichtige Alvarinhos kommen von der Winzerin Joana Santiago von Quinta de Santiago und vom Weingut Regueiro.

Luís Cerdeira von Quinta de Soalheiro (© Thomas Götz)

By the way: Alvarinho (bzw. Albariño auf Spanisch) übersetzt sich als „Der Weiße vom Rhein“. Man ging lange davon aus, dass die Rebsorte mit dem Riesling verwandt ist und über den Jakobsweg nach Galicien und Nordportugal gelangte. Obwohl DNA-Analysen eine genetische Verwandtschaft zum Riesling und zu anderen mitteleuropäischen Sorten inzwischen eindeutig widerlegt haben, hält es bis heute einige Fachmedien nicht davon ab, diesen Unfug weiter zu verbreiten.

Im Geschmacksprofil ist eine Ähnlichkeit zwischen Alvarinho und Riesling dagegen nicht von der Hand zu weisen. Wer Riesling mag, wird die Alvarinhos von Weingütern wie Soalheiro, Regueiro und Santiago ebenfalls mögen. Säure, Mineralität, Griffigkeit und cremige Textur (bei entsprechendem Ausbau auf der Feinhefe) gehören zum Markenkern der Sorte. Das aromatische Profil hängt unter anderem vom Lesezeitpunkt ab: Bei einer früheren Ernte dominieren weiße Blüten und Zitrustöne. Bei einer späteren Lese treten Steinobst wie Pfirsich und selbst tropische Früchte wie Ananas in Erscheinung.

Quinta da Aveleda – groß und gut

Das bekannteste Weingut ist die 1870 gegründete Quinta da Aveleda. Allein dieser Erzeuger hält bei den Exporten der DOC Vinho Verde einen Anteil von 35 Prozent. Zu Aveleda gehört etwa die Marke Casal Garcia. Der gleichnamige frisch-fruchtige Weißwein ist leicht sprudelnd, hat spürbare Restsüße und 9,5 Prozent Alkoholgehalt — sozusagen der allseits bekannte wie kommerziell erfolgreiche Vinho-Verde-Stil. Jährlich 14 Millionen Flaschen kommen von diesem Wein auf den Markt. Eine gleichbleibend gute Qualität dieser Größenordnung zu produzieren, ist auch eine Kunst.

Für den Weinkenner interessanter, sind aber doch die Aveleda-Weinlinien mit niedrigerer Auflage. Über achtzig Prozent der Böden im Vinho Verde sind granitgeprägt. Aus Lagen mit Schieferböden kommen die Alvarinho-Trauben für den trocken ausgebauten Aveleda Solos de Xisto 2020. Der vollmundige und aromatisch reife Weißwein hat einen guten Säurezug und eignet sich hervorragend als Speisebegleiter, was im Norden Portugals zumeist Stockfisch in allen erdenklichen Zubereitungsarten ist.

Der historische Teil des Weinguts Aveleda (© Wines of Portugal)

Ein schlanker Rotwein von „Mister Alvarinho“

Das Vinho Verde hat sogar einen „Mister Alvarinho“, so taufte ein portugiesisches Magazin den Winzer Anselmo Mendes in den 2000er-Jahren. Dieser hievt auch andere Trauben aus dem Schattendasein, etwa die Weißweinrebe Loureiro. Die meist kultivierte Sorte der Region wird überwiegend für Verschnitte genutzt. Mendes sah früh ein Potenzial für den sortenreinen Ausbau, und der animierende Muros Antigos Loureiro 2021 bestätigt ihn. Der feine Weißwein duftet nach Orangenblüte, ist zitrisch, erdig-mineralisch, überzeugt mit Gripp und Länge. Man kann sich das schwungvolle Gewächs wunderbar zu Austern vorstellen. Dass es weniger als acht Euro kostet, ist schwer zu glauben. „Loureiro verfügt über großartiges Reifepotenzial“, sagt Anselmo Mendes. „Neulich verkosteten wir diesen Wein bis Jahrgang 2009 zurück. Er schmeckt wundervoll.“

Eine vergessene Rotweinsorte ist Arvelhão (in Galicien heißt sie Brancellao). Anselmo Mendes kultiviert die Traube auf sechs Hektar. Sein Pardusco Private 2017 ist ein atlantisch kühler Rotwein — elegant und schlank, mit erfrischender Säure, seidigem Tannin und moderatem Alkoholgehalt von 12,5 Prozent. Bei einer Blindprobe würde man wohl eher auf Burgund als iberische Halbinsel tippen. Offensichtlich kann das Vinho Verde nicht nur singuläre Weiß-, sondern auch eigenständige Rotweine hervorbringen. Dieses Gebiet im Süden Europas, dem der Atlantik seinen Stempel aufdrückt, hat ohne Frage mehr als Spritz zu bieten: neun Subzonen, ein Schatz autochthoner Rebsorten und diverse Weinstile zeugen von einer Vielfalt, die sich zu entdecken lohnt.

Anselmo „Mr. Alvarinho“ Mendes kann auch Rotwein. (© Hugo Pinheiro)

Im Report vorgestellte Erzeuger und Weine:

Niepoort – Nat’ Cool Drink Me Branco, 2021. Leicht moussierender Naturwein in der Literflasche. Gefährlich leicht zu trinken. Ein klassischer Vinho Verde, und irgendwie doch ganz anders. Um 14 Euro. Bezug: weinkombinat.com

Soalheiro – Granit Mineral Selection, 2021. Alvarinho aus Hanglagen mit kargen Granitböden. Knackig mineralisch, superfrisch und schnörkellos. Klasse Trinkfluss. Ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis. Um 13 Euro. Bezug: weinamlimit.de

Soalheiro – Terramatter, 2020. Biologisch zertifizierter Alvarinho, was im feuchten Klima des Vinho Verde keine Selbstverständlichkeit ist. Von Kräutern dominiertes Aromaprofil. Mit Körper und tiptop Spannung. Um 19 Euro. Bezug (2019er-Jg.): weinamlimit.de

Soalheiro – Espumante Bruto Alvarinho. Schaumwein nach traditioneller Methode. 12 Monate Hefelager. Mit sechs Gramm Restzucker im unteren Brut-Bereich. Prima Zusammenspiel aus vibrierender Säure und Frucht. Um 19 Euro. Bezug: weinamlimit.de

Quinta de Santiago – Sou Alvarinho, 2020. Vielschichtig, druckvoll und ohne Make-up. Langer pikanter Abgang. Insgesamt klasse. Um 32 Euro. Bezug: wein-kreis.de

Regueiro – Alvarinho Reserva 2021. Fruchtig, vollmundig, trinkanimierend. PS: Anders als in Spanien verweist die Angabe „Reserva“ nicht auf den Ausbau im Barriquefass, sondern auf Weine, die der Kontrollrat des DOC Vinho Verde als überdurchschnittlich einstuft. Um 12 Euro. Bezug: videli.de

Aveleda – Casal Garcia Branco, 2021. Der typische Vinho-Verde-Sommerwein: wenig Alkohol, etwas Kohlensäure und Restsüße. Um 5 Euro. Bezug: edeka24.de

Aveleda – Alvarinho Solos de Xisto, 2020. Steinfrucht, Mineralität und geschmeidige Textur. Um 11 Euro. Bezug (2018er-Jg.): feinesverpackt.com

Anselmo Mendes – Muros Antigos Loureiro, 2021. Floral, lebhaft frisch und fein. Griffige Textur und nachhallend. Top Preis-Leistungsverhältnis. Um 8 Euro. Bezug: vicampo.de

Anselmo Mendes – Pardusco Private, 2017. Atlantisch kühler Rotwein aus der Arvelhão-Traube. Schlank und elegant. Um 20 Euro. Ohne Import in Deutschland.

Spannender Rotwein aus der Rebsorte Arvelhão (Foto: © Thomas Götz)
- Anzeige -spot_img
- Anzeige -spot_img

Autor

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img