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Internet vs. Print: Ist Wein 2.0 erfolgreicher als Weinzeitschriften?

In den letzten Monaten bohrten ein paar Weinblogger wieder genüsslich in der offenen Wunde der Printmedien: den sinkenden Auflagenzahlen. Nicht die der Tageszeitungen oder Illustrierten, sondern der Wein- und Gourmetpresse. Abzustreiten, dass die Printmedien Probleme haben, wäre töricht. Natürlich verlieren Zeitschriften wie VINUM, Weinwelt, Selection schon lange Leser, und zwar sowohl im Abo als auch am Kiosk. Jeder, der journalistisch arbeitet, weiß das. Und wer es nicht weiß, kann es jederzeit im Internet nachlesen. Die Statistiken der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern – kurz IVW genannt – sind öffentlich und können von jedermann eingesehen werden.

Wissen die Menschen schon alles über Wein?

Auch der FEINSCHMECKER, die bedeutendste Publikation, schwebt nicht auf Wolke Sieben durch die Pressekrise, obwohl Wein für das Gourmetmagazin nicht das Hauptthema ist. Leider sagen die IVW-Daten nicht, woran der langsame, aber stetige Rückgang der Verkäufe liegt. Kochen die Menschen nicht mehr? Haben sie die Sterne-Gastronomie satt? Wissen sie über Wein schon alles? Oder liegt es daran, dass der FEINSCHMECKER weder eine redaktionelle Website hat noch im Bereich Social Media aktiv ist, wie die Weinblogger schadenfroh unterstellen?

Vielleicht sind neue Publikationen wie Falstaff und Fine die Stars der Zukunft. Doch derzeit sind ihre Verkäufe noch so gering, dass sie nicht von der IVW erfasst werden. Der WeinWisser hat sich gezielt auf eine Mini-Zielgruppe beschränkt, die er entsprechend zur Kasse bittet. Allein die Monatszeitschrift essen & trinken, in der Wein zwar nur ein Nebenthema, aber ein regelmäßiges ist, liegt auflagenmäßig wieder stabil im Markt.

Mehr tägliche Website-Besucher als monatliche Auflage

Eine gewisse Häme der Weinblogger ist also verständlich. Allein, es bleibt die Frage, wo sich Weinliebhaber informieren sollen, wenn die Printmedien patzen. Natürlich im Internet, sagen die digitalen Piraten. Und sie haben gute Argumente: Die Besten unter den Web-Logs, Wein-Websites und Foren ziehen täglich mehr Besucher auf ihre Seiten als die Kleinen unter den Weinzeitschriften monatlich an Lesern haben. Die Zahl ihrer monatlichen Zugriffe übersteigt nicht selten die Auflage der großen Gourmetzeitschriften. Das sind Fakten, die zählen.

In puncto Quantität ist das Internet dem gedruckten Wort also haushoch überlegen. Komisch nur, dass der SPIEGEL angesichts der Zugriffszahlen auf SPIEGEL-online seine Printausgabe noch nicht eingestellt hat. Eigentlich eine reine Papierverschwendung, oder? In Wirklichkeit ist das gar nicht komisch. Mit seiner Print-Ausgabe verdient der SPIEGEL viel Geld, mit der Online-Ausgabe wenig bis gar nichts. Logisch: Der gedruckte SPIEGEL – Auflage 927.000 Exemplare – kostet 4 Euro, die Online-Ausgabe ist gratis, und wo es etwas umsonst gibt, dahin kommen die Menschen in Massen. Im Januar 2012 waren es 180 Millionen Seitenbesuche. Mit Freibier kriegt man jedes Restaurant voll.

Das Geld wird immer noch im Print verdient

Das gilt auch für Wein-Publikationen. Selbst die Kleinen unter den gedruckten Weinzeitschriften verdienen mit ihren Mini-Auflagen mehr Geld als große Wein-Websites mit ihren eindrucksvollen Klickraten. Die sich sonst so trendy gebende Werbewirtschaft tut sich mit dem Internet extrem schwer. Bannerwerbung ist vielen Werbetreibenden immer noch unheimlich. Wer schon Geld für Werbung ausgibt, möchte etwas „zum Anfassen“ bekommen: nichts Virtuelles. Nichts, das schwer materialisierbar ist und sich verzieht wie Rauch in der Luft.

Betriebswirtschaftlich ist Print den digitalen Medien immer noch haushoch überlegen. Sicher, das würde sich ändern, wenn man die Online-Angebote kostenpflichtig machen könnte. Doch mit paid content sind fast alle Internet-Publikationen auf die Nase gefallen. Die Klickraten stürzen ab, kaum dass sich das Bezahlfenster öffnet. Jene Wein-Piraten, die sich so süffisant über die Krise der Printmedien auslassen und die Überlegenheit des Internets bejubeln, bitten nicht selten unten auf ihrer Website um eine Spende. Ihr Geld verdienen sie anderswo, nicht selten im Printbereich (wie auch der Verfasser dieser Zeilen).

Wein 2.0 immer noch eine karitative Veranstaltung

Doch Weinjournalismus, auch der im Internet, kann man nicht als karitative Veranstaltung aufziehen. Wer über Wein so professionell berichten will wie über Politik, die Bundesliga oder die Börse, muss sich refinanzieren. Winzer und Weinhandel müssen begreifen, dass man auf Dauer ihr Geschäft nicht gratis besorgen kann.

Die Betonung liegt auf dem Wort „professionell“. So erfrischend und witzig der eine oder andere Weinblog ist, so wenig ersetzen sie alle zusammen das, was die Aufgabe einer Weinfachzeitschrift wäre – egal ob digital oder Print. Die einen kommen über deutschen Wein nicht hinaus, die anderen kauen Pressemitteilungen nach oder bieten Content, der einfach nur zum Gähnen ist. Bei vielen hat man den Eindruck, sie stellen nur ihr Ego aus.

Sehr professionell ist das nicht. Deutschland wäre kaum das wichtigste Weinimportland der Welt geworden, wenn es hierzulande nicht genügend Weinliebhaber gäbe, die ein umfassendes Informationsangebot wünschen. Internet ist toll, Web 2.0 super. Aber es ist wie mit Beton: Es kommt darauf an, was man daraus macht.

Im zweiten Teil beschäftigt sich der Autor in der kommenden Woche mit dem Internetweinhandel und der Qualität des Weinjournalismus im Web 2.0.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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