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Internationales Riesling Symposium: Kampf den Alkoholbomben

Eine gute Rioja Reserva hat fast immer 13,5 Vol.% Alkohol. Ein Gran Vin aus Pomerol nähert sich in den meisten Jahren der 14 Vol.%-Grenze. Barolos haben, wenn sie richtig große Weine sind, mindestens 14 Vol.% Alokohol. Die weißen Montrachets aus dem Burgund liegen durchweg bei 14,5 Vol.%. Und bei den besten Kalifornieren sind – egal ob rot oder weiß – 15 Vol.% schon fast die Regel.

11,5 Vol.% Alkohol – mittlerweile eine Rarität

Doch immer mehr Weintrinker wollen sich mit den hohen Alkoholgehalten nicht abfinden. Sie möchten Weine, die 12 Vol.% Alkohol oder weniger aufweisen. Sie verstehen nicht, weshalb Wein nicht überall auf der Welt so schön leicht und unbeschwert sein kann wie zum Beispiel an der Mosel, wo der Alkoholgehalt eines Riesling Kabinett bei 11,5 Vol.%-Weine oder darunter liegt.

Internationales Riesling Symposium 2014Weinhändler stoßen in das gleiche Horn und fordern: runter mit den Alkoholgehalten. Karstadt, Kaufhof, Katalogversender – sie alle überschlagen sich mit Leichtweinangeboten, egal ob die Weine aus Deutschland, Spanien, Südafrika oder sonstwo kommen. Auch beim Internationalen Riesling Symposium, das am 26. und 27. Mai 2014 im Schloss Reinhartshausen im Rheingau stattfand, war der Alkohol ein wichtiges Thema. Denn auch in Deutschland steigen die Alkoholgehalte. Zwar gibt es sie noch, die guten, alten Kabinett-Rieslinge mit 11,5 Vol.% – aber immer seltener. Bessere Rieslinge haben 12,5 Vol.%. Ein Großes Gewächs aus der Pfalz erreicht locker 13,5 Vol.%. Die Mär vom leichten deutschen Wein ist Vergangenheit.

Geheimnis der meisten leichten Weine: die Restsüße

Soviel zur Klärung vorweg: Niedrige Alkoholgehalte waren (und sind) typisch für restsüße Weine. Der unvergorene Restzucker ist nichts anderes als „potenzieller Alkohol“, wie es in der Fachsprache heißt. Wären all die halbtrockenen, feinherben, fruchtigen Weine durchgegoren, hätten auch sie über 12 Vol.% Alkohol. Mit dem Vordringen trockener Weine steigen nämlich automatisch auch die Alkoholgehalte.

Vollreife Rieslingtrauben | Foto: ©DWIUnd noch eine Klarstellung: Man könnte die Alkoholgehalte eines Weins leicht drücken, indem man die Trauben früher liest. Früher, das heißt: unreif. Der Zuckergehalt in den Trauben wäre niedriger, die Oechsle geringer. Sauvignon blanc ist so eine Sorte, die in vielen Teilen der Welt, besonders in überseeischen Ländern, unreif gelesen wird. Man möchte die Säure und die Paprika-Noten erhalten. Wer solche schotigen, „grünen“ Weine mit 12 Vol.% mag, soll mit ihnen glücklich werden. Auch beim Riesling ist jener Teil der Trauben, die vorgelesen werden (etwa ab 20. September), an der Grenze zur Reife. Für einfache QbAs, die dann zwischen 11 und 12 Vol.% aufweisen, mag solche Traubenqualität reichen. Für höhere Ansprüche müssen die Trauben länger hängen. Die Folge: mehr Zucker und später mehr Alkohol.

Vorgezogene Lese ist ein “No Go”

Bei Rotweinen wäre eine vorgezogene Lese geradezu verheerend. Sie hätten dann zwar nur 12 Vol.%, würden aber grasig und nach grünem Pfeffer schmecken. Die phenolischen Bestandteile, vor allem das Tannin, wären nicht reif, der Wein kein Genuss. In Bordeaux waren solche Leichtweine bis 1970 gang und gäbe. Heute hat niemand mehr Sehnsucht nach ihnen.

Trotzdem beschäftigt die steigenden Alkoholgehalte die Menschen. Die Belesenen machen die globale Klimaerwärmung für sie verantwortlich, schlichtere Gemüter die Winzer, die ihrer Meinung nach ignorieren, was Konsumenten wollen. Doch was wollen sie? Genau genommen wollen sie, dass die Weine weniger Alkohol haben, aber genauso schmecken wie Weine mit höherem Alkoholgehalt. Genau da wird es schwierig.

Unreife Weine passen nicht ins Geschmacksprofil

Manfred Stoll, Universität Geisenheim„Frühere Lese ist ein no go“, machte einer profiliertesten deutschen Rebenforscher auf dem Riesling Symposium im Rheingau unmissverständlich klar: Manfred Stoll, Leiter des Fachbereichs für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Universität Geisenheim. Die Trauben wären unreif, und unreife Weine passen nicht zu den Geschmacksvorlieben heutiger Konsumenten. Auch restsüße Weine mag der größte Teil der Weintrinker nicht. Was also tun, um Spitzenqualitäten ohne Alkoholexzesse zu produzieren?

Die brutalste Methode bestände darin, den Wasserschlauch in das Weinfass zu halten und den Wein zu verdünnen: kinderleicht, effektiv, aber barbarisch und überdies verboten. Dem Wein durch Vakuum-Destillation den Alkohol zu entziehen, wäre hingegen erlaubt und auch technisch möglich. Eine solche Prozedur ist aber wirtschaftlich unvertretbar: einfach zu teuer. Und ob der Wein hinterher genauso gut schmeckt wie vorher, ist ebenfalls ungewiss.

Wie kann man Zuckerproduktion bremsen?

So bleibt nur, im Weinberg nach Möglichkeiten zu suchen, die Zuckerproduktion in den Trauben zu bremsen. Die größte Verführung ist, die Traubenerträge zu erhöhen. Manch Winzer würde sich die Hände reiben. Die Zuckerkonzentration in den Beeren würde abnehmen, die Oechsle-Werte sinken, die Zahl der Flaschen steigen, die er aus seinem Weinberg holt. Heraus käme ein Wein mit moderatem Alkoholgehalt, wie die Konsumenten ihn sich wünschen. Doch ob er ihren Gaumen befriedigt, ist fraglich. Stoll: „Angesichts der gesetzlichen Rahmenbedingungen, die auf Qualitätssteigerung durch Ertragsreduktion zielen, ist dieser Weg wahrscheinlich keine Option.“

Wer dagegen die Qualität erhalten werden will, muss darüber nachdenken, wie der schnelle Zuckeranstieg in den Beeren gebremst werden kann. Schließlich ist er die Ursache für die hohen Alkoholgehalte. Bis die Trauben ihre physiologische Reife erreicht haben und gelesen werden können, sind die Oechsle-Werte nämlich schon viel zu hoch gestiegen. Stoll formuliert das so: „Die Zuckerreife und die Biosynthese der sekundären Inhaltsstoffe wie Aromen, Anthocyane, Tannine verlaufen nicht mehr synchron.“

Klimaerwärmung indirekt beteiligt

Rieslinglese | Foto: ©DWINatürlich taucht hier die Frage auf: Warum driften Zuckerreife und die Reife der sekundären Inhaltsstoffe überhaupt so weit auseinander? An diesem Punkt kommt die Klimaerwärmung ins Spiel. Sie hat – neben vielen anderen Phänomenen – dazu geführt, dass die Winter immer milder ausfallen und die Sommer immer früher einsetzen. Das Resultat: Die Reben treiben früher aus, blühen früher, treten früher in die Reifephase ein. Anders ausgedrückt: Die Zuckerkonzentrationen steigen in einem Tempo an, mit dem die sekundären Inhaltsstoffe nicht mithalten können. Ein Riesling braucht 120 bis 130 Tage (ab Beginn der Reifephase), bis seine Geschmackskomponenten alle so ausgebildet sind, dass der Winzer lesen kann. Also physiologisch reif sind. Die Trauben haben dann möglicherweise schon Spätlese- oder Auslese-Qualität.

Blätter-Striptease könnte helfen

Stoll schlägt deshalb vor, einen Teil der Laubwand gleich nach Eintritt in die Reifephase zu entblättern. Eine Art Srtriptease also. Dadurch kann der Zuckeranstieg verlangsamt werden. Blätter spielen für die Zuckerbildung nämlich eine entscheidende Rolle. Sie sind der „Assimilisationsapparat“, der für die Photosynthese aller Pflanzen verantwortlich ist (für die Umwandlung von Licht in Kohlehydrate). Weniger Blätter bedeuten: weniger Assimilisationsleistung, weniger Zucker. Der Reifeprozess der sekundären Inhaltsstoffe wird durch die geringere Assimilationsleistung dagegen nicht berührt. Wenn es Oktober ist und sie endlich reif sind, hängt vielleicht ein Kabinett am Stock mit potenziellen 12 Vol.% Alkohol statt einer Spätlese mit 13 Vol.%.

Fazit: Die Winzer können an der globalen Klimaerwärmung nichts ändern. Aber sie können ihr ein Schnippchen schlagen. Oder anders gesagt: Weißweine mit über 13,5 Vol.% müssen nicht sein.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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