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Histamin – der Stoff, der den Kopfschmerz macht

Wein ist eigentlich ein wohlschmeckendes, bekömmliches Genussmittel. Solange man nicht zu viel von ihm trinkt, verursacht er keine Beschwerden. Doch plötzlich passiert es: Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrasen, spürbar ansteigender Blutdruck, manchmal auch Hautrötungen. Und das, obwohl der Wein subjektiv gut schmeckt und maßvoll genossen wird. Stimmt etwas mit der Flasche nicht? Enthält ihr Inhalt irgendwelche unerlaubten chemischen Zusätze? Ist er überschwefelt?

Beides ist höchst unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die meisten Beschwerden durch Histamin verursacht werden. Diese Substanz kommt vielen eiweißhaltigen Lebensmitteln als natürlicher Inhaltsstoff vor: sehr häufig bei Käse, aber auch bei Fisch, Fleisch, Gemüse, Früchten, Milch und eben auch bei Wein. Histamin gehört zur Gruppe der biogenen Amine. Sie wirken auf das Nervensystem, auf den Blutdruck, auf die Muskulatur.

Wein ganz ohne Histamin gibt es nicht

Histamin ist das am besten erforschte biogene Amin und dasjenige, das die meisten Beschwerden beim Menschen verursacht. Zwar ist es nicht per se eine Problemsubstanz. Denn Weine ohne Histamin gibt es nicht. Wenn Wein (oder andere aminhaltige Lebensmittel) zum Beispiel nur wenig Histamin enthält, ist seine Bekömmlichkeit nicht in Frage gestellt. Deshalb kann der allergrößte Teil der Verbraucher Wein auch völlig bedenkenlos konsumieren. Allerdings kann sich Histamin auch bei der Vinfizierung und Reifung des Weins bilden. Steigt der Histamingehalt dadurch überproportional an, wehrt sich der Körper und reagiert allergisch.

Wie biogene Amine in den Wein kommen

Es wird noch komplizierter. Die genannten Amine sind in ihrer Vorläuferstufe kettenförmig, aromatisch ringförmig oder heterozyklisch ringförmig. Zu den kettenförmigen Aminen zählen Putrescin, Cadaverin und Spermidin. Tyramin und Phenylethylamin sind dagegen aromatisch ringförmig und Histamin und Tryptamin heterozyklisch ringförmig. Es sind also Moleküle mit einem niedrigen Molekulargewicht.

Histamin in Obst und Gemüse

Im Gegensatz zu den ringförmigen Molekülen haben die kettenförmigen Amine nur eine indirekte Wirkung auf den Menschen. Aber: Kettenförmige Amine können die Wirkung ringförmiger Amine verstärken. Das heterozyklisch ringförmige Histamin intensiviert also die Wirkungen der kettenförmigen Amine auf den Organismus. Deshalb kann Histamin seine schädlichen Wirkungen entfachen.

 

Ein Glas Wein ist zu wenig, um eine allergische Reaktion hervorzurufen

Es gibt Personengruppen, die biogene Amine auch in geringer Menge nur schwer vertragen. Hierzu zählen Menschen, die Medikamente einnehmen müssen, sowie Menschen, die aufgrund ihrer Genetik Amine nicht oder nur schwer abbauen können.

 

Bauchschmerz durch Histamin
Bauchschmerz durch Histamin

Wenn diese Personengruppen histaminhaltige Lebensmittel mit den biogenen Aminen Putrescin und Cadaverin verzehren, ist es möglich, dass allergische Reaktionen wie Kopf-, Hals- und Bauchschmerzen, Hautrötungen, Bluthochdruck, Ekelgefühle, Reizungen der Nasenschleimhaut bis hin zu Durchfall und Erbrechen auftreten. Allerdings reicht ein Glas Wein normalerweise nicht aus, um derartige allergische Reaktionen hervorzurufen. Wenn zum Wein jedoch zusätzlich Käse und andere aminhaltige Lebensmittel konsumiert werden, kann es jedoch Probleme geben. Käse und Wein sollten deshalb nur mit Vorsicht zusammen genossen werden.

Schon in der Weintraube sind biogene Amine

Biogene Amine sind übrigens auch schon in Weintrauben enthalten – unabhängig vom Anbauort der Trauben. Die Amingehalte der Trauben können dann bei der Alkoholgärung zu- oder abnehmen. Beeinflusst wird der Amingehalt unter anderem durch den Sekundärstoffwechsel der verwendeten Hefe.

Faule Trauben besitzen zum Beispiel mehr biogene Amine als gesunde Trauben. Werden Weine aus edelfaulen Trauben produziert, weisen sie einen höheren Gehalt an biogenen Aminen auf. Bakterien siedeln sich besonders gerne auf diesen Trauben an, da sie sich dort ungehindert vermehren können. Besonders aktiv sind die Bakterien bei der Maischegärung, wie sie bei Rotweinen praktiziert wird, vor allem wenn die Maische einen hohen pH-Wert aufweist oder bei hohen Temperaturen vergoren wird.

Rotweine haben mehr Histamin als Weißweine

Besonders die spontane malolaktische Gärung, auch biologischer Säureabbau genannt (BSA), fördert die Entstehung von biogenen Aminen – ein Nachteil von Rotweinen, die aus biologischer Kellerwirtschaft stammen. Wilde Michsäurebakterien wie Pediococcus damnosus und diverse Lactobacillus-Stämme verwandeln Aminosäuren durch eine Decarboxylierung relativ leicht in biogene Amine. Bei selektionierten Starterkulturen, wie sie in den meisten Keller zur Einleitung des BSA benutzt werden, entsteht dagegen nur weniger als 1 Milligramm Histamin pro Liter Wein.

Rotweine weisen generell einen erhöhten Amingehalt auf als Weißweine. Bei unfiltrierten Rotweinen (viele hochklassige, teure Rotweine werden nicht filtriert) ist die Menge der biogenen Amine noch höher. Durch eine Schönung mit Bentonit, wie sie bei den meisten Rotweinen praktiziert wird, um späteren Trübungen vorzubeugen, werden die vorhandenen Amine drastisch gesenkt. Unfiltrierte Rotweine können zusätzlich biogene Amine bilden, wenn sie zu warm gelagert werden.


Hinweis: Der Autor Martin Kušej ist Inhaber der Weinhandlung Histavino (www.histavino.com) im österreichischen St. Michael ob Bleiburg. Er hat sich auf Weine mit geringem Histamingehalt spezialisiert. Jeder Wein wird, bevor er in sein Sortiment aufgenommen wird, auf seinen Histamingehalt geprüft.


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