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Herbert Zillinger: „elementare Naturgewalt“ mit 11,5 Vol.% Alkohol

Dem Österreicher Herbert Zillinger aus dem Weinviertel ist etwas Unmögliches gelungen: einen physiologisch hochreifen Grünen Veltliner zu keltern, der nur 11,5 Vol.% Alkohol hat. Machen deutsche Winzer etwas falsch, wenn ihre besten trockenen Weine immer 13 Vol.% und mehr haben?

2014 Grüner Veltliner „elementar“
2014 Grüner Veltliner „elementar“

Sicher, einem Wein mit 11,5 Vol.% fehlt der Druck. Also das, was ihn am Gaumen haften lässt. Was ihm Länge verleiht. Herbert Zillllingers Grüner Veltliner aus seiner Z-Linie (dem Top-Segment) ist eher kurz. Es fehlt der Alkohol, der die Aromen verstärkt und transportiert. Dafür ist er intensiv, und Intensität der Aromen kann auch Nachhall erzeugen.

„Elementare Naturgewalt“

Wer Üppigkeit sucht, kommt bei diesem Grünen Veltliner wahrscheinlich nicht auf seine Kosten. Er wäre mit einem Smaragd aus der Wachau, mit einer Reserve aus Krems, dem Kamptal oder dem Weinviertel besser bedient. Zillingers Spitzen-Grüner Veltliner kommt zwar auch aus dem Weinviertel und kostet so viel wie ein hochklassiger Smaragd, ist aber wesentlich karger. Oder besser: puristischer. Er selbst nennt die Weine seiner Z-Linie „radikal“, „profund“, „indiskret“ und jetzt eben  „elementar“.  „Elementare Naturgewalt“ steht auf dem Rücketikett – was immer das bei einem Wein bedeutet. In der deutschen Qualitätsweinhierarchie wäre er jedenfalls ein einfacher QbA, läge also auf der untersten Qualitätsweinstufe. Zugegeben, das deutsche System ist in puncto Qualität nicht aussagekräftig. Aber einen Spitzenwein mit derart wenig Alkohol – das gibt es praktisch nirgendwo auf der Welt.

Spätlese-Aromen bei niedrigem Alkohol

Herbert Zillinger im Keller
Herbert Zillinger im Keller

Das Besondere am Grünen Veltliner „Elementar“ ist, dass er von der Aromatik her reif schmeckt wie eine Spätlese: also wenig grüner, dafür viel reifer Apfel und viel Pfirsicharoma. Trockene Spätlesen aus der Pfalz oder aus Rheinhessen mit diesem Aromenprofil weisen normalerweise 13 Vol.% Alkohol auf, manchmal auch mehr.

Umgekehrt haben trockene Kabinette von Mosel oder Nahe zwar einen ähnlich niedrigen Alkoholgehalt wie Zillingers Wein, aber es mangelt ihnen an dessen geschmacklicher Fülle. Niedriger Alkoholgehalt und voller Geschmack – das schließt sich eigentlich aus.

Nicht bei Zillinger (dessen einfache Weine ebenfalls alkoholmäßig extrem niedrig liegen). Technische Verfahren der Alkoholreduzierung sind für ihn selbstverständlich tabu: Er ist Weinbauer, nicht Weiningenieur. Früh zu lesen, um den Zuckerbildung in den Trauben zu begrenzen, kommt ihm ebenfalls nicht in den Sinn. Überhaupt will er nicht im Trend liegen, auf keiner Welle mitschwimmen, auch nicht der der alkoholarmen Weine, die der Markt seit geraumer Zeit fordert. Sein Ziel ist es allein, die Reben zu verstehen und sie alles allein regeln zu lassen. Zillinger ist nämlich überzeugt, dass der Rebstock nicht blind Zucker in den Trauben ansammelt, solange diese am Stock hängen. Allerdings muss der Weinbauer seine Weinberge in besonderer Weise bearbeiten. Aber wie?

„Auf die Spitze getrieben“

Anruf bei Herbert Zillinger in Ebenthal im Weinviertel (das Dorf liegt nur wenige Kilometer von der ungarisch-tschechischen Grenze entfernt).
Frage: Herr Zillinger, wie schaffen Sie es, einen Spitzenwein mit nur 11,5 Vol.% zu bekommen?
Zillinger: Ich wollte es mit dem Grünen Veltliner „Elementar“  auf die Spitze treiben. Ich habe die Trauben mit dem geringsten Zuckergehalt und der höchsten physiologischen Reife aussortiert und daraus diesen Wein gekeltert.
Frage: Wie hoch war der Zuckergehalt der Trauben?
Zillinger: Knapp 17° Klosterneuburger Mostgewichtswaage (Anm.: entspricht etwa 80° Oechsle).
Frage: Das ist nicht viel. Haben Sie früh gelesen?
Zillinger: Im Gegenteil. Die Lese fand Ende Oktober statt.
Frage: Ende Oktober? Da müssten doch Spätlese-Trauben an den Rebstöcken hängen.
Zillinger: Ja, aber ich habe eine andere Philosophie. Ich versuche, die Rebe zu verstehen, und ich glaube, sie will von sich aus gar nicht so viel Zucker in die Beeren einlagern. Sie will etwas anderes.
Frage: Was?
Zillinger: Fortpflanzung. Das ist ein Gesetz der Natur, dass die Pflanzen nur eines im Sinn haben: sich fortzupflanzen. Ihre ganze Kraft in die Trauben zu stecken, speziell in die Kerne. Die Kerne sind der Samen des Rebstocks. Mit ihnen pflanzt er sich fort. Als Weinbauer unterstütze ich dieses Ziel, auch wenn ich dem Rebstock am Ende die Trauben wegnehmen muss. Wenn die Kerne braun, also reif sind, ist auch die Traube reif. Und ich will ja reife Trauben. Sie sind es, die den intensiven, vollen Geschmack geben.

Herbert Zillinger im Verkostungsraum
Herbert Zillinger im Verkostungsraum

Frage: Steigt mit der physiologischen Reife nicht auch parallel der Zuckergehalt an, und damit auch der potenzielle Alkoholgehalt?
Zillinger: Als Weinbauer kann man etwas gegen den schnellen Anstieg des Zuckers tun. Man muss das vegetative Wachstum bremsen, um das generative Wachstum zu fördern, also den Reifeprozess der Trauben und der Traubenkerne.
Frage: Klingt akademisch.
Zillinger: Als erstes reduzieren wir die Laubwand. Damit wird die Photosynthese-Aktivität reduziert – die Produktion von Zucker. Dann begrünen wir die Rebzeilen mit einer bestimmten Gras- und Kräutermischung. Diese Grünsaat nimmt den Rebstöcken Kraft für das vegetative Wachstum weg. So wird die Energie nicht ins Holz und in die Blätter gesteckt, sondern in die Trauben. Außerdem ist der Kalksandstein, den wir in der Lage Vogelsang haben (aus dem der Grüne Veltliner „Elementar“ kommt), so karg, dass die Reben schon dadurch in ihrem Wachstum begrenzt werden.
Frage: Ist der kühle, verregnete Jahrgang 2014 nicht auch verantwortlich für den geringen Alkoholgehalt?
Zillinger: In wärmeren Jahren hat der Wein vielleicht 12 Vol.% Alkohol, aber nicht mehr.
Frage: Wie reagiert der Markt auf so einen Wein, der immerhin knapp 40 Euro pro Flasche kostet?
Zillinger: Interessiert mich nicht. Ich höre nicht auf den Markt, sondern auf meine Reben. Immerhin kann ich Ihnen versichern, dass wir bis jetzt immer noch alle Flaschen unserer Top-Linie verkauft haben.

Ein „Grenzgänger“-Wein

Übrigens ist der Wein nach einer Maischestandzeit von 12 bis 48 Stunden im großen Akazienholzfass spontan vergoren worden (ein kleiner Teil auch maischevergoren). Nach einer mehrmonatigen Lagerung auf der Hefe wurde er ungefiltert und nur minimal geschwefelt auf die Flasche gefüllt. Ein „Grenzgänger“, wie Zillinger von diesem Wein sagt. Man mag ihn oder lehnt ihn ab. Er schmeckt natürlich nicht nur brav nach reifem Kern- und Steinobst, sondern hat ein breiteres Spektrum, das Aromen von frischer Hefe, Salzmandeln, weißem Pfeffer und einem Hauch Naphtalin einschließt. Kenner werden ihn ein paar Jahre reifen lassen und dann trinken.


2014 Grüner Veltliner „elementar“ | Weingut Herbert Zillinger
Preis: 39,50 Euro
Bezug: www.weinfurore.de


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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