Lidl bietet derzeit einen roten Hermitage für 19,90 Euro an – ein „unmöglicher“ Preis für einen der opulentesten, langlebigsten, größten Rotweine Frankreichs. Jens Priewe hat sich sofort eine Flasche gekauft.
Alle Discounter investieren derzeit massiv in feine Weine – am stärksten Lidl. Ende des letzten Jahres wurde das größte Edelwein-Angebot aller Zeiten gelauncht. Chateau Montrose, Château Figeac, Château Gruaud-Larose und Château Lascombes – alles was das Herz von Bordeauxtrinkern höher schlagen lässt, wurde in den schmucklosen Flachbau-Filialen angeboten. Nicht etwa als „Abverkauf“ von der Palette. Die Flaschen wurden und werden stilvoll in Holzkisten präsentiert.
Preiswunder gibt es nicht
Sogar einen Master of Wine leistet sich der schwäbische Discounter seit einiger Zeit. Dieser bewertet jeden Lidl-Wein auf der 100-Punkte-Skala. Und Richard Bramfield, so heißt der Mann, ist normalerweise keiner, der mit Punkten um sich schmeißt, nur weil er auf der Payroll der Schwaben steht. Was die Lidl-Preise angeht: Einige liegen unter denen des Fachhandels, andere darüber. Wunder sind bei Weinen mit bekanntem Namen nicht zu erwarten, auch nicht beim Discounter.
„Unmöglicher“ Preis für einen Hermitage
Nur bei einem Wein, da musste ich mir die Augen reiben, als ich im Lidl-Prospekt blätterte: ein Hermitage. Er kommt zwar nicht aus Bordeaux, sondern von der Nördlichen Rhône, und er wird aus Syrah-Trauben statt aus Cabernet Sauvignon oder Merlot gekeltert. Aber er gilt als einer der opulentesten, langlebigsten Rotweine Frankreichs. 19,90 Euro kostet dieser Rotwein bei Lidl – ein echtes Schnäppchen, vergleicht man die Preise, die Hermitage-Weine normalerweise am Markt erzielen.
Bis zu 3.000 Euro kostet ein großer Hermitage
Ich rede hier nicht von Chapoutiers Ermitage „Le Pavillon“, der über 200 Euro pro Flasche kostet. Erst recht nicht von J. L. Chaves „Cuvée Cathelin“ für 3.000 Euro. Ich beziehe mich auf die klassischen Hermitage von Guigal, Marc Sorrel, Bernard Faurie, Delas Frères und anderen, die für ungefähr 60 Euro zu haben sind.
Und jetzt für nur 19,90? Ich googelte heraus, wo die nächste Lidl-Filiale ist, fuhr hin, kaufte eine Flasche und probierte: ein sauberer, gut gemachter Wein mit weichem, kaum spürbaren Tannin und milder Säure, anfangs etwas reduktiv in der Nase (wie viele Syrah), später jedoch glatter und ruhiger mit viel Pflaume und erdiger Würze in der Nase, am Ende leicht und locker über den Gaumen laufend. Ein Wein ohne Fehl und Tadel. Aber ein Hermitage?
Ein Wein ohne Fehl und Tadel – aber ein Hermitage?
Mit dem, wofür der Name Hermitage steht, hat der Lidl-Tropfen null zu tun. Ihm fehlt jegliche Tiefe, jegliche Fülle, jegliche Länge. Von der eigenwilligen Terroir-Prägung, die von dem Granit-Boden des Hermitage-Weinbergs ausgeht, ist nichts zu spüren. Kein Leder. Keine Rauchnote. Kein Mokka. Keine Süßlakritz. Geschweige denn die raffiniert-dekadenten Konfitüre- und Bleistiftnoten, die ein großer Hermitage oft mitbringt.
90 Punkte hat Lidls Master of Wine ihm zugestanden. Das ist, pardon, für so einen Wein, der von einer Handelskellerei abgefüllt wurde, die Rest- und Überschussmengen aufkauft, ein fast unverständlich generöses Urteil. Ich hätte den Wein wegen Etikettenschwindels ganz aus der Wertung genommen. Wer die S-Klasse verspricht und die A-Klasse liefert, führt seine Kunden an der Nase herum – auch wenn der Wein eine AC-Kontrollnummer trägt und damit rechtmäßig als Hermitage im Handel sein darf.
Eine Luftnummer
Dieser Hermitage ist eine Luftnummer. Er entspricht einem einfachen Crozes-Hermitage. Diese Weine werden zwischen 8 und 12 Euro gehandelt. Kann man den Lidl-Einkäufern vorwerfen, dass sie einen derart hochstaplerischen Wein ins Sortiment genommen haben? Ja und nein. Nein, weil Lidl nichts Unrechtes getan hat. Man hat ausgenutzt, dass die französische Weinkontrolle offenbar sehr lax beim Verkosten ist. Ja, weil einer, der mit Wein handelt, wissen sollte, wie ein richtiger Hermitage schmeckt. Bei guten Fachhändlern würde so ein Wein sofort durchs Raster fallen.
Übrigens: Man hätte eigentlich schon am Etikett erkennen können, dass es sich um einen Hermitage light handelt: die 12,5 Vol.% Alkohol, die auf dem Etikett stehen, verheißen Magerkost. Hermitage-Weine, die ihrem Namen Ehre machen, haben 14 Vol.%. Mindestens. Die brauchen sie.