Der Gasthof, in dem Hedi Klinger ihr Leben lang am Herd stand, befindet sich in Gaspoltshofen. So heißt eine kleine Marktgemeinde in den Weiten Oberösterreichs, versunken zwischen braunen Äckern, Rapsfeldern, Streuobstwiesen, kleinen Feldgehölzen, irgendwo hinter Vöcklabruck und vor Wels. Aber diese Orte kennt ja auch niemand.
Thomas Bernhard hat Gaspoltshofen auf die Landkarte gesetzt
Einem größeren Personenkreis bekannt wurde Gaspoltshofen durch mehrfache Erwähnung in Thomas Bernhards Stück „Der Theatermacher“. Da reist ein Staatsschauspieler namens Bruscon durch die österreichische Provinz und beklagt, wie schlecht die Frittatensuppe überall sei: „Immer diese Fettaugen…“ Nur in Gaspoltshofen nicht, was an Hedi Klinger liegt und daran, dass Bernhard nicht weit entfernt am Traunsee wohnte und Stammgast im Gasthof Klinger war. Hedis Frittatensuppe liebte er sehr. Zum Dank lässt der Dichter seinen Bruscon den größten Erfolg mit seinem Tourneetheater in Gaspolshofen haben.
Es entwickelte sich ein regelrechter Frittatentourismus
Danach entwickelte sich, wie Hedis Sohn Willi berichtet, ein regelrechter Frittatensuppen-Tourismus. „Andauernd kamen Literaturwissenschaftler und Feuilletonredakteure in unser Gasthaus und wollten etwas über Thomas Bernhard und die Frittatensuppe erfahren. Meine Mutter fand das ziemlich übertrieben, zumal Bernhards Lieblingsgericht immer noch der Schweinsbraten war.“
Bernhard starb 1989, und Hedi Klinger ist heute 81. Bis 2004 hat sie täglich im Gasthof gekocht, danach noch tageweise. Seit sechs Jahren hat sie den Kochlöffel offiziell aus der Hand gelegt. Ihr zweitältester Sohn Wolfgang führt den Gasthof seitdem weiter, am Herd stehen jetzt Hedi Klingers ehemalige Sous-Chefs Eva Sterrer und Ursula Heftberger. Die Gerichte, die sie kochen, sind die selben Klassiker wie damals: Vogerlsalat mit Speck, Erdäpfel-Steckerl, Blunzengröstl, Hechtnockerl, das Original Klingergulasch, Backhendl, Serviettenknödl, gefüllte Kalbsbrust und natürlich die Frittatensuppe. Nichts Besonderes also, aber das so gut, dass man versteht, weshalb Thomas Bernhard von seinem Vierkanthof in Gmunden am Traunsee so häufig die 32 Kilometer nach Gaspoltshofen zum Essen fuhr. Übrigens hat sich vor einigen Jahren auch die ganze Mannschaft des Münchener Restaurants Tantris auf den Weg in das Dorf am Hausruck gemacht, um Frittatensuppe und Wiener Schnitzel zu probieren.
Hedi Klinger hat nie die große Bühne gesucht
Willi und Hedi Klinger | © Manfred KlimekWilli, der älteste Sohn Hedis und heutiger Geschäftsführer der Österreichischen Weinmarketing Gesellschaft, hat seine Mutter überredet, ihre alten Rezepte aufzuschreiben, um ein Buch daraus zu machen. Es gelang, aber nicht ohne Schwierigkeiten. Erstens hat Hedi Klinger nie die große Bühne gesucht. Zweitens hatte sie keine Mengenangaben im Kopf. Butter, Salz und Sahne hatte sie immer nach Gefühl dosiert, und wenn ein Ei besonders klein war, hat sie zwei zum Mehl dazu gegeben statt nur eines.
Sie und ihre Küchen-Mitarbeiterinnen mussten also alle Gerichte nachkochen und dabei die Zutaten genau auswiegen. Bei den Angaben, wie viel Eier zu den Nockerln oder Kardinalschnitten benötigt werden, fehlt daher nicht der Hinweis: „Eier in Größe M“.
Ein Kochbuch der anderen Art
Hedi Klingers FamilienkücheHerausgekommen ist am Ende ein Kochbuch der anderen Art, das zwar mehr oder minder bekannte österreichischen Klassiker enthält, aber zugleich ein Dokument darstellt, wie nobel die einfache, ländliche Küche sein kann, wenn sie gut ausgeführt und mit Leidenschaft praktiziert wird. Und auch, mit wie wenig Ego-Kreationen man auskommt, wenn einer (oder eine) gut abschmecken kann. Kurz: wie man aus einem Standardgericht einen feinen Gang machen kann.
Das Wiener Schnitzel zum Beispiel. Hedi hat es nicht neu erfunden. Aber es bruzzelt bei ihr nicht in heißem Öl, sondern in Schweineschmalz. Ihre phänomenale Sauce Tartare bereitet sie stets ohne Kapern und Sardellenfilets zu, aber mit einer Mayonnaise, die aus frischem Eigelb und nicht aus hart gekochten Eiern gemacht wird. Das wichtigste an ihrem Palatschinken, dem Dessertklassiker im Gasthof Klinger, war, dass er hauchdünn sein musste, was nur durch vorsichtiges Kippen der Pfanne gelingt, damit der Teig in ihr gleichmäßig verläuft. Für die Frittatensuppe, die der Dichter Bernhard so liebte, ist spaghettifein-geschnittener Palatschinken essentiell.
Ohne Wein ist ein feines Gericht nichts
Wein kommt in dem Buch natürlich auch vor. Denn im Gasthof Klinger wurde und wird zwar gern auch Pils getrunken. Aber für die meisten Gerichte ist Wein die erste Wahl. Da erfährt man zum Beispiel, welche Weine der Österreicher zu seinen Traditionsgerichten trinkt. Zum Backhendl etwa einen Neuburger, zu Spinatnocken einen fassgereifter Weißburgunder, zum Wiener Schnitzel selbstverständlich einen Grünen Veltliner, zu Eierschwammerln einen Pinot Noir.
Wiener Schnitzel | © Manfred KlimekDie Weinvorschläge stammen übrigens von Thomas Klinger, Hedis jüngstem Sohn. Er ist der rechte Arm des Kamptaler Spitzenwinzers Willi Bründlmayer und weiß, was passt und nicht passt. Nicht-Österreicher können sich auf seine Weinvorschläge einlassen, die übrigens auch italienische und französische Weine einschließen.
Und wer Hedis Rezepten nicht traut, kann dem Gaspoltshofen einen Besuch abstatten. Die Mannschaft des Münchener Restaurants Tantris hat es vor einigen Jahren getan, um zu prüfen, wie gut Hedis Frittatensuppe und ihr Wiener Schnitzel ist. Sie hat die Prüfung bestanden.
Willi Klinger: Hedi Klingers Familienküche. Klassiker aus Österreich
208 Seiten mit Fotos von Manfred Klimek und Josef Neumayr.
Christian Brandstätter Verlag, 29,90 Euro.