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Hansjörg Rebholz über Rieslinge, die plötzlich in ein Loch fallen

Priewe: Ihr 2007er Riesling ‚Vom Rotliegenden’ wurde von der Presse als einer besten Weine des Jahrgangs gefeiert. Wenn man heute eine Flasche dieses Weins aufmacht, glaubt man, er sei schon am Ende: erschreckend tieffarbig, in der Nase fast unfrisch und insgesamt viel zu weit entwickelt. Wie Ist das möglich?
Rebholz: Ich lasse im Moment die 2007er aus Proben raus. Sie befinden sich gerade in einem schwierigen Stadium, so was wie Pubertät. Aber sie werden wiederkommen. Garantiert.
Priewe: Was macht Sie so sicher?
Rebholz: Der Riesling ist ein langlebiger Wein. Nach zwei, drei Jahren fällt er regelmäßig in ein Loch. Dort verharrt er eine Zeitlang, meldet sich richtiggehend ab. Doch wenn es ein guter Riesling ist, kommt er wieder zurück.
Etikett 2007 Riesling "Vom Rotliegenden"Priewe:
Beruht Ihre Aussage auf persönlichen Erfahrungswerten?
Rebholz:
Nicht nur auf meinen. Andere Kollegen machen die gleichen Erfahrungen. Neulich haben wir einen 30 Jahre alten Kabinettwein getrunken. Er schmeckte, als sei er höchstens zehn Jahre alt. Auch er war mal abgetaucht, ist aber offensichtlich glanzvoll auferstanden. Ich empfehle Ihnen deshalb, die 2007er – sollten Sie noch etwas davon im Keller haben – ein paar Jahre zu vergessen. Oder schicken Sie sie mir zurück, wenn Sie nicht warten wollen. Ich tausche sie gegen die entsprechenden jüngeren Jahrgänge.
Priewe:
Was geht in den Weinen vor, dass sie nach ein paar Jahren in so ein Loch fallen?
Rebholz: Am Anfang zeigt ein Riesling vor allem seine Primäraromen: Apfel, Pfirsich, Grapefruit und so weiter. Wir sagen ‚Obstsalat’ dazu. Der Biochemiker würde Ester sagen. Ester machen den jungen Wein attraktiv. Im Laufe der Zeit werden die Ester jedoch langsam wegoxydiert. Der Wein verliert an Frucht und Frische – der normale Alterungsprozess. Dann müssen neue Verbindungen deren Part übernehmen, etwa die Terpene.

Rotliegendes in der Lage Kastanienbusch
Rotliegendes in der Lage Kastanienbusch

Priewe: Was sind Terpene?
Rebholz: Eine andere Klasse von aromabildenden Kohlenwasserstoff-Verbindungen, die sich im Wein befinden. Sie stammen vor allem aus der Schale der Rieslingbeere.
Priewe: Für welche Aromen stehen die Terpene?
Rebholz: Mineralstoffe sind zum Beispiel typische Terpen-Aromen. In meinem Weingut wird der Gärung stets eine Kaltmazeration vorgeschaltet. Das heißt: Die Schalen ruhen bei niedrigen Temperaturen im frisch gepressten Most. Nach sechs Stunden beginnen die im Most befindlichen Enzyme, die Terpene aus den Schalen zu lösen. Nach 24 Stunden sind sie vollkommen extrahiert – so lange dauert bei uns die Kaltmazeration.

 

Die Weine von Hansjörg Rebholz
Die Weine von Hansjörg Rebholz

Priewe: Die Terpene sind also von Anfang an im Wein?
Rebholz: Sie sind da, aber man riecht und schmeckt sie nicht so intensiv wie die Ester. Sie machen sich erst nach ein paar Jahren bemerkbar…
Priewe: …wenn der ‚Obstsalat’ weg ist?
Rebholz: Noch später. Terpene brauchen etwa fünf Jahre, um sich zu entwickeln. Das heißt: Die Frische- und Fruchtphase ist bereits vorbei, aber die Terpene sind noch nicht richtig entwickelt. Das ist die Phase, in der Wein abtaucht, in ein Loch fällt. Der Rieslingfreund ist irritiert. Er hat das Gefühl, der Wein sei plötzlich stark gealtert. Doch wenn sich die Terpen-Aromen erst einmal entfaltet haben, kommt der Wein wieder aus seinem Tief heraus. Man muss nur Geduld haben.
Priewe: Haben Ihre 2005er Rieslinge inzwischen die Pubertät hinter sich?
Rebholz: 2005 wird zwar als großer Riesling-Jahrgang beschrieben. Ich finde jedoch, er wird völlig überschätzt. Den Weinen fehlt einfach die Säure. Ich ziehe deshalb den 2004er Jahrgang vor.

Das Weingut Ökonomierat Rebholz
Das Weingut Ökonomierat Rebholz

Priewe: 2004 gilt als eher kleiner Jahrgang…
Rebholz: Falsch! Diese Weine sind jetzt toll zu trinken. Die Terpene haben sich entwickelt. Die Weine besitzen Rasse und nicht selten einen feinen Petrolton.
Priewe: Petrol ist nicht gerade das, was der Rieslingliebhaber im Wein sucht.
Rebholz: Ein Petrolton kann sogar eklig sein. Es kommt auf die Stärke an. In Australien entsteht er schon in den Trauben am Stock. Aber Petrol riecht nicht immer gleich. Zu Beginn ist der Petrolton oft plump, mit den Jahren wird er feiner. Petrol kann sogar die Größe eines gereiften Riesling ausmachen.
Priewe: Welche Jahrgänge empfehlen Sie?
Rebholz: Der Jahrgang 2008 ist zum Beispiel richtig verschrien. Zu Unrecht. Die 2008er sind besser als die 2007er und 2009er. Vor allem die 2009er werden schneller reifen und früher ins Loch fallen als die 2008er. Überhaupt glaube ich, dass die sogenannten kleinen Jahre oft die interessanteren Weine bringen. Das gilt nicht nur für die Pfalz, sondern auch für andere Riesling-Anbaugebiete.
Priewe: Und was ist mit den 2010ern?
Rebholz: Es kommt auf die Säure an. Sie muss reif sein. Zwar fehlen uns für solch extreme Jahrgänge die Erfahrungswerte – ich gehe jedoch davon aus, dass die gelungenen 2010er in 20 Jahren große Weine sein werden.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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