Günther Hölzl, 42, ist Gesellschafter und Leiter des Meraner Weinhauses, einer der größten und bestsortiertesten Vinotheken Südtirols. Seit 1992 verfolgt der gelernte Sommelier die Weinszene Südtirols, zu der er inzwischen selbst gehört, etwa als Mitveranstalter des Vernatsch Cups, bei dem einmal im Jahr die besten Vernatsch-Weine in den verschiedenen Kategorien prämiert werden (siehe Shortnews). Seit Kurzem hat er sein Tätigkeitsfeld auch auf Lebensmittel ausgeweitet und den Genussmarkt PUR Südtirol mit Geschäften in Meran und Bruneck gegründet. Jens Priewe sprach Ende Mai mit ihm.
weinkenner.de: Gibt es eine Renaissance des Vernatsch in Südtirol?
Günther Hölzl: Kann man fast schon sagen. St. Magdalener, Kalterersee, Meraner und der ganze Südtiroler Vernatsch werden neu entdeckt. Die Leute trinken ihn wieder gern.
weinkenner.de: Welche Leute? Einheimische?
Günther Hölzl: Eine Untersuchung der Freien Universität Bozen hat herausgefunden, dass der typische Vernatschtrinker in Südtirol männlichen Geschlechts und durchschnittlich 50 Jahre alt ist. Nach unseren Erfahrungen greift er schon ab Mitte 40 wieder gern zu einer Flasche Vernatsch. Wir verkaufen aber auch viel Vernatsch an deutsche Gäste. Der Wein verspricht unbeschwertes Trinkvergnügen.
weinkenner.de: Unbeschwertes Trinkvergnügen? Das klingt nach einem ziemlich harmlosen, süffigen Wein.
Günther Hölzl: Es ist ganz deutlich zu beobachten, dass das neu erwachte Interesse am Vernatsch sich auf Premium-Qualitäten bezieht. Leicht und süffig war früher. Da war ein Großteil der Weine dünn, dumpf, mandeltönig, besaß kaum Frucht. Das hat sich geändert. Die neuen Vernatsch-Konsumenten wollen Weine mit Frucht, Charakter, Gaumengefühl.
weinkenner.de: …und solche Weine schießen jetzt plötzlich überall in Südtirol aus dem Boden?
Günther Hölzl: Die Renaissance kommt von den kleinen Betrieben, nicht von den großen Kellereien. Die kleinen Betriebe haben meist wenig Rebfläche, und wenn sich diese in einer guten Vernatsch-Lage befindet, sind sie gezwungen, das Bestmögliche aus dieser Rebsorte herausholen, wenn sie überleben wollen.
weinkenner.de: Nennen Sie doch mal ein paar dieser neuen Vernatsch-Top-Weine.
Günther Hölzl: Da wären zum Beispiel die St. Magdalener vom Glögglhof und vom Ansitz Waldgries, insbesondere deren Lagenweine Rondell und Antheos. Beides Vernatsch-Gewächse, die man zwar unbeschwert trinken kann, die aber gehaltvoll und fruchtig sind und ein tolles Gaumengefühl mitbringen. Diese Weine entwickeln sich mehrere Jahre lang positiv auf der Flasche.
weinkenner.de:Leider sind sie immer schnell ausverkauft.
Günther Hölzl: Ein Beweis für hohe Wertschätzung, die sie bei Kennern genießen.
weinkenner.de: Muss man den guten Vernatsch jetzt schon im Voraus reservieren?
Günther Hölzl: Nein, die Weine sind nur auf den Weingütern schnell ausverkauft. Im Handel findet man sie noch. Außerdem stehen nicht nur die beiden erwähnten Weine in der Beliebtheitsskala ganz oben. In gleiche Reihe gehören auch die Südtiroler Vernatsch vom Gumphof und der Baslan vom Weingut Kränzel sowie der St. Magdalener vom Pfannenstielhof. Dazu der außerordentliche Kalterersee Kalkofen von Di Pauli, die Kalterersee Auslese Puntay von der Ersten & Neuen, der Galea von der Kellerei Nals Margreid und der Gschleier von der Kellerei Girlan.
Etikett St. Magdalener Antheosweinkenner.de: Die letzten vier Weine, die Sie erwähnen, kommen aber nicht von kleinen Winzern, sondern von großen Kellereigenossenschaften.
Günther Hölzl: Wer den Vernatsch als Herzenssache ansieht und im Besitz einer guten Lage ist, der macht einen guten Wein aus dieser Sorte, egal ob er ein Großer oder ein Kleiner ist. Wenn ich die Situation allerdings richtig deute, dann sind es vor allem die Kleinen, die für die Renaissance verantwortlich sind, nicht die Genossenschaften. Und das hat seinen Grund: Deren Kellermeister stehen unter enormem Druck. Ihre Traubenlieferanten wollen hohe Auszahlungsbeträge, die Wertschöpfung ist beim Vernatsch aber geringer als bei den anderen Weinen Südtirols…
weinkenner.de: …Kalterersee kostet um 5,50 Euro, St. Magdalener um 6,50 Euro!
Günther Hölzl: Deshalb geht die Tendenz bei den großen Kellereien schon seit Jahren in Richtung Weine, die höhere Margen versprechen. Der Vernatsch wurde und wird dadurch regelrecht verdrängt.
Günther Hölzl über den Vernatschweinkenner.de: Um 2000 lag der Vernatsch-Anteil an der Rebfläche Südtirols noch bei über 50 Prozent. Inzwischen ist er auf 19,6 Prozent gesunken.
Günther Hölzl: Der Anteil wird meiner Meinung nach noch weiter sinken. Ich befürchte, dass er bald bei 15 Prozent angekommen sein wird.
weinkenner.de: Wie passt das zur Renaissance des Vernatsch?
Günther Hölzl: Die Renaissance bezieht sich auf die veränderte Wahrnehmung der Weinkonsumenten, nicht auf die Anbaufläche. Jahrzehntelang wurde der Vernatsch schlechtgeredet. Jetzt sind wir bei einem Punkt angekommen, an dem der Vernatsch, der gute, eine Rarität geworden ist.
weinkenner.de: Wie viele Flaschen Vernatsch trinken Sie selbst im Jahr?
Günther Hölzl: Ein paar Kistchen werden es schon sein…
weinkenner.de: Welche Sorten sind es, die den Vernatsch aus den Weinbergen verdrängt haben?
Günther Hölzl: Vor allem die weißen Sorten, aber auch der Blauburgunder. Er hat in den letzten Jahren enorm an Fläche dazugewonnen.
weinkenner.de: Die Blauburgunder-Quote liegt inzwischen bei über zehn Prozent in Südtirol…
Günther Hölzl: Der Südtiroler Blauburgunder besitzt mehr Fläche als Qualität. Das hat der Konsument inzwischen gemerkt. Und selbst der gute Blauburgunder lässt sich nicht mehr zu den Preisen vermarkten, die die Erzeuger eigentlich bräuchten. Die Kellerei St. Michael-Eppan, der größte Blauburgunder-Produzent Südtirols, kann zum Beispiel nicht alles, was er produziert, als Premium-Wein für 18 bis 20 Euro pro Flasche vermarkten, obwohl die Qualität den Preis vielleicht rechtfertigen würde.
Weinberge in Südtirolweinkenner.de: In Deutschland boomt der Spätburgunder. In Österreich steht er hoch im Kurs. In Frankreich steigen die Preise für Burgunder in stratosphärische Höhen. Was fehlt dem Blauburgunder aus Südtirol?
Günther Hölzl: Schwer zu sagen. Vielleicht sind unsere Winzer einfach zu brav. Vielleicht sind zu wenige Künstler unter ihnen. Vielleicht fehlt es an Esprit. Das Potenzial wäre jedenfalls da, um in der obersten Liga mitzuspielen. Franz Haas, Hofstätter, Stroblhof, Gottardi, Manincor, Brunnenhof, die Kellerei Girlan mit ihrer Riserva Trattmann – sie alle zeigen, dass man bei strenger Lagenorientierung aus dem Blauburgunder auch in Südtirol große Weine erzeugen kann.
weinkenner.de: Und wie steht es mit dem Lagrein?
Günther Hölzl: Auch der Lagrein hat dem Vernatsch Fläche weggenommen. Aber die Hoffnungen, die die Südtiroler Weinwirtschaft an ihn geknüpft hat, haben sich nur teilweise erfüllt. Der größte Teil des Lagrein bleibt in Südtirol. In Italien und im Ausland hat es kein Lagrein-Wunder gegeben.
weinkenner.de: …obwohl es einige richtig gute Weine aus dieser Sorte gibt.
Günther Hölzl: Wenn ich an die Riserva von Muri Gries denke, an den Mirell vom Ansitz Waldgries, an die Taber Riserva von der Kellerei Bozen und an den Porphyr von der Kellerei Terlan – das sind zweifellos tolle Weine. Und das sind nur ein paar Beispiele.
weinkenner.de: Ein Cabernet- oder Merlot-Wunder gibt auch nicht in Südtirol.
Günther Hölzl: Cabernet und Merlot sind Nischenweine. Wir müssen einfach zugeben, dass Südtirol in erster Linie ein Weißweinland ist. Sauvignon und vor allem Weißburgunder – da liegt die Zukunft Südtirols. Vielleicht auch noch beim Chardonnay. Vor zehn Jahren hätte ich das noch nicht so deutlich gesagt.
weinkenner.de: Selbst wenn der Vernatsch-Anteil auf 15 Prozent sänke, wäre er immer noch die häufigste in Südtirol angebaute Sorte.
Günther Hölzl: Das Problem ist, dass die Konsumenten den Vernatsch wollen, die Produzenten aber nicht an ihn glauben.