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Große Gewächse 2017: Saar noch besser als die Mosel

Die Mosel ist uraltes Rieslingland, aber nicht unbedingt das Stammland trockener Weine. Deshalb fremdelt die Mosel immer mit den Großen Gewächsen (GG). Gemessen an der Vielzahl der Großen Lagen, die es an der Mosel gibt,  ist die Zahl der Weine, die als Große Gewächse – also als trocken schmeckende Weine – auf den Markt kommen, sehr überschaubar.

Und viele dieser Großen Gewächse haben eine mehr oder minder schmeckbare Restsüße (gesetzlich bis 9 Gramm/Liter erlaubt, wenn der Wein auf dem Etikett als trocken deklariert wird; das gilt auch für die GG).

Schlimm ist das nicht, im Gegenteil. Manche dieser Weine schmecken trockener als analytisch trockene, aber alkoholreichere Weine, etwa aus der Pfalz, die entsprechend mehr Extraktsüße besitzen und deren pH-Werte entsprechend niedriger liegen (doch der pH-Wert ist – anders als im Ausland – in Deutschland kein gängiges Kriterium: viele Winzer und Kritiker wissen gar nicht, was er bedeutet).

2017 – ohne Zweifel ein ganz großer Jahrgang

Viele Stimmen, die direkt nach der Vorpremiere zu vernehmen waren, sprachen von 2017 als einem großen Mosel-Jahrgang.

Mein Eindruck ist ein anderer: 2017 ist ein großer Saar-Jahrgang.

Die GG von der Saar sind durchschnittlich beeindruckender als die GG von der Mosel. Und ich bin nicht sicher, ob das allein daran liegt, dass die Saar klimatisch begünstigt war. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die dortigen VDP-Weingüter aufwendiger arbeiten, weniger dem Zufall überlassen und – pardon – die Messlatte einfach etwas höher legen.

Natürlich, es gibt in 2017 auch an der Mittelmosel fantastische GG. Aber an Dramatik kommen sie selten an die Spitzen der Saar heran.

Atemberaubende Weine von der Saar

Von von Othegraven habe ich noch nie einen besseren Altenberg getrunken als in 2017 (94 Punkte). Obwohl ziemlich trocken, brilliert er mit reifer Beere und herzhafter Säure. Auch der Bockstein dieses Gutes ist so gut wie nie (93).

Nik Weis’ Bockstein (Sankt Urbanshof) ist ebenfalls ein perfekt strukturierter Wein mit einer originellen, leicht zimtigen Süße (94). Das überragende GG des Sankt Urbanshofs kommt jedoch vom Saarfeilser Marienberg, dessen Aromabogen von kandierter Orangenschale bis zu gerösteten Zwetschgen reicht: ein grandioser Terroirwein (95)!

Ebenso begeisternd die Ayler Kupp aus dem Weingut Dr. Fischer, wo Nik Weis zusammen mit dem Südtiroler Martin Foradori (Weingut Hofstätter) arbeitet. Auch dieser Wein ergänzt die schiefrigen Noten durch eine fast orientalisch anmutende Würze – sehr speziell, aber unverschämt gut (94).

Zillikens Saarburger Rausch ist nie ein extremer Wein und dennoch immer spektakulär: filigrane Frucht und kristalline Säure mit sublimer Fruchtsüße (94).

Herausragend die drei GG von Peter Lauer: die Kupp mit gestochen klarer Frucht, schmelzig-weicher Textur und cremiger Würze (94), der Schonfels mit einer exotisch anmutenden Würze (93), der Feils hochmineralisch mit einer Säure, die den Wein wie ein Laserstrahl durchbohrt (93).

Van Volxem schießt den Vogel ab

Den Vogel aber schießt in 2017 van Volxem ab. Schon in den letzten Jahren hatte man den Eindruck, dass sich Roman Niewodniczanki von Jahr zu Jahr steigert. Aber so geniale Rieslinge wie in 2017 habe ich von ihm noch nie getrunken. Niewodniczanski tendiert bekanntlich dazu, seine GG trocken auszubauen. Um zu verhindern, dass sie herb und bitter schmecken, geht er stärker in die Reife.

Schon sein einfachstes GG vom Goldberg aus Wawern ist eine Offenbarung: Reifenoten vom Steinobst gepaart mit Kräuterwürze und leichter Phenolik – ein Klassewein (94). Der Volz aus Wiltingen ist etwas breiter angelegt und zeigt beträchtliche mineralische Finesse (94). Das GG vom Scharzhofberg ist geschmeidiger, aber mit einem Spektrum, das von salziger Austernschale bis zu rosa Grapefruit reicht (93).

Weine mit großem Atem

Der erste ganz große Höhepunkt seiner Kollektion ist der Gottesfuß: feinstrahlig, hochmineralisch, bei aller Komplexität spielerisch leicht und doch von atemberaubender Spannweite. In der Nase sich spiegelt sich nicht nur der übliche weiße Pfirsich wider, sondern bereits ein Hauch Exotik, dunklem Tee, Lakritze, Curry (96).

Das i-Tüpfelchen auf den GG ist der Pergentsknopp, eine kleine, historische Parzelle im Scharzhofberg mit alten Reben (der besseren Aussprechbarkeit halber hat Niewodniczanski ihn einfach Scharzhofberger P genannt): ein dramatischer Wein mit großem Atem, feinster Faser, zartester Frucht, kühler Mineralik, der trotz seiner Fülle kein Gramm Fett aufweist (98). Noch nie habe ich einen trockenen Moselwein so hoch bepunktet.

Auch an der Mittelmosel ist 2017 ein sehr guter Jahrgang

So überragend die Saar GG sein mögen – ein sehr guter Jahrgang ist 2017 trotzdem auch an der Mittelmosel. Dort ragt für mich das GG vom Niederberg Helden von Schloss Lieser heraus – übrigens nicht zum ersten Mal. Ein gigantischer Wein von kaleidoskopartiger Fülle, feinen Teeblüten und teilweise dunkelbeerigen Noten (96).

Weltklasse auch das Graacher Himmelreich von Schloss Lieser, das mich von allen GG aus dieser Lage diesmal am meisten beeindruckt hat. Auch wenn es abgedroschen klingt: Soviel Schiefer habe ich in keinem anderen Wein von der Mosel gefunden. Vielleicht liegt es daran, dass Thomas Haags Weine immer relativ trocken sind. Ich mag diesen Stil, auch wenn ich für andere Weintrinker Verständnis habe, die das Spiel zwischen Süße und Säure lieben und deshalb mehr zu Bruder Olivers Brauneberger Juffer (92) oder der Juffer Sonnenuhr (94) tendieren. Beide Weine versprühen einen enormen Charme.

Toll auch die GG vom Abtsberg (93) und vom Herrenberg (93) von Maximin Grünhäuser, die beide leichtfüßig, fast verspielt daherkommen, gleichzeitig aber mineralisch straff gewirkt sind.

Das Weingut Reinhold Haart ist eher für seine fruchtsüßen Rieslinge berühmt. Doch Theo Haart und Sohn Johannes haben in 2017 auch zwei bemerkenswerte GG der trockenen Geschmacksrichtung auf die Flasche gebracht: der straffe, pikante Ohligsberg aus Wintrich (92) und das reiche, rassige Goldtröpfchen aus Piesport (92).

Dr. Loosen mit sieben Großen Gewächsen

Das Weingut Dr. Loosen präsentierte sich auf der Vorpremiere gleich mit sieben GG. Bei aller Unterschiedlichkeit der Terroirs eint die Weine der unverwechselbare Loosen-Stil, der sich wie ein roter Faden durch das Sortiment dieser Topweine zieht und sie unverwechselbar macht: glockenreine Frucht, cremige Mineralik und vibrierende Säure auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sind die Weine unaufgeregt, weniger nervös, ruhen in sich. Für mich hatte diesmal der Graacher Domprobst mit seiner kraftvollen Eleganz die Nase vorn (94).

Kaum weniger gut das eindrucksvolle Himmelreich (93) aus Graach und der Ürziger Würzgarten (93). Das Erdener Treppchen (92) und das Bernkasteler Johannisbrünnchen (92) sind etwas zurückhaltender und weniger nervös, während die Wehlener Sonnenuhr vor Charme nur so sprüht (93).

Quasi außer Konkurrenz lief das GG vom 2014er Erdener Prälat, das erst jetzt freigegeben wird und mit hoher Reife, immenser Fülle und beeindruckender Struktur prunkt (94).

Wegeler, Grans-Fassian, S. A. Prüm und Karthäuserhof nicht ganz auf hohen Niveau

Nicht ganz an dieses hohe Niveau heran reichen die GG von Grans-Fassian. Sowohl der Dhroner Hofberg als auch die Trittenheimer Apotheke und die Leiwener Laurentiuslay sind zwar ohne Fehl und Tadel, aber durch Restsüße abgerundet – um nicht zu sagen: entschärft (alle drei 90).

Ebenfalls etwas braver sind die beiden GG vom Weingut Geheimrat J. Wegeler, das mit seiner Wehlener Sonnenuhr (90) und dem Bernkasteler Doctor (91) vertreten war.

Die Wehlener Sonnenuhr (89) von S. A. Prüm ist zwar ziemlich trocken, weist aber deutliche Unwuchten auf. Leicht enttäuscht hat mich der Karthäuserhof mit einem vergleichsweise behäbigen GG (89).

Clemens Busch, Reichsgraf von Kesselstatt, die Vereinigten Hospizien, Wwe Dr. Thanisch und Willi Schäfer hatten nicht bei der Vorpremiere angestellt.

Begeisternde Rieslinge von der Terrassenmose

Bleibt die Terrassenmosel zwischen Pünderich und Koblenz, wo die Rieslinge immer körperreicher und exotischer ausfallen als an der Mittelmosel. Das beeindruckendste GG liefern in dort Beate und Matthias Knebel aus Winningen. Ihr Uhlen ist verschwenderisch voll, cremig, dabei hochgradig nuancenreich mit Fruchtnoten, die von Limette bis Mango reichen, sowie einer ausgeprägt salzigen Mineralik, welche von einer kleinen Restsüße begleitet wird (95).

Knebels zweites GG, der Röttgen, ist durchgegorener, erreicht nicht ganz die Klasse des Uhlen (93). Auch Heymann-Löwenstein hat eine grandiose Palette von GG geerntet, wobei der Röttgen mit seiner geradezu barocken Fülle, der pikanten Säure der packendere Wein im Vergleich zu dem der Knebels ist.

Reinhard Löwensteins erhabenster aber ist der Uhlen-Blaufüsser Lay mit riesigem Spannungsbogen zwischen Säure und tropischer Frucht (94), während der Uhlen-Laubach die ganz große Spannung vermissen lässt. Trotzdem: All diese Weine sind Kunstwerke: einzigartig, rar, ohne Vergleich in der Welt. Wer Heymann-Löwensteins einfache GG von Kirchberg (91) und vom Stolzenberg (92) mit diesen Extremweinen vergleicht, wird vielleicht enttäuscht sein. Doch das wäre ein unfairer Wettbewerb. Auch diese Rieslinge sind so atemberaubend sind wie die luftigen Terrassen hoch über der Mosel. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Statt in 15 Jahren werden sie in bereits in zehn Jahren extrem hohen Genuss bieten.

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2 Kommentare

  1. Danke für Ihren großartigen Bericht zu den GG 2017.

    Roman Niewonidczanski hat den Pergentsknopp nicht der Einfachheit halber P genannt. Anfang der 70er Jahre wurde ihm vom Verband die Namensnutzung einer Lage innerhalb einer Lage untersagt (meine alten Volxem ab 2002 ff
    hatten noch die ausgeschriebene Lage auf dem Etikett). So hat sich Roman seinerzeit (schweren Herzens im Kampf mit solcher „wichtigen“ Bürokratie) zum P entschlossen.

    Herzliche Grüße

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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