2017 war für die rheinhessischen Winzer kein leichtes Jahr. Die eisigen Spätfröste im April zerstörten, was durch den frühen Austrieb schon weit entwickelt war – nicht überall, aber vielerorts. Und dann noch später Hagel kurz vor der Lese: ein Alptraum für Winzer. So wird 2017 als Jahrgang der knappen Mengen eingehen, reduziert durch eine Häufung von Kalamitäten, wie es sie früher nicht (oder nur sehr, sehr selten) gab. Doch das, was am Ende auf die Kelter kam, war von bester Qualität. Man kann diskutieren, ob 2016 noch bessere Qualitäten gebracht haben. Aber das wäre die Wahl zwischen Ferrari und Lamborghini. Ich habe die GG Ende August bei der so genannten Vorpremiere in Wiesbaden probieren können.
Kai Schätzel: schwierig für deutsche Gaumen
Ich fange mal in Nierstein an. Was da am Roten Hang geerntet wurde, ist genial, auch wenn es große Unterschiede in den Stilistiken gibt. Kai Schätzels GG vom Ölberg hat gerade mal 11,5 Vol.% und wirkt richtiggehend karg – auf den ersten Schluck jedenfalls. Doch beim zweiten ist die Tiefe zu spüren, wobei Frucht durch Mineralität ersetzt wird (93). Das muss man mögen. Aber wenn man es mag, kommt man auf seine Kosten. Ähnliches gilt für Schätzels Hipping: roh, ungelenk, ungeschliffen, aber mit einer fantastischen Mineralität (93). Der durchschnittliche deutsche Rieslingtrinker wird sich schwer tun mit solchen Weinen. Die Skandinavier sind da schon ein Stückchen weiter.
Kühling-Gillot: Powerweine ohne überschießenden Alkohol
Kühling-Gillots GG vom Hipping ist zweifellos voller, wenngleich mit 12,5 Vol.% international auch noch auf Niedrigstniveau. Kein anderer großer Weißwein der Welt schafft es, soviel Extrakt und Reife bei so wenig Alkohol hervorzubringen (93). Der Pettenthal ist auch ohne überschießenden Alkohol ein Powerwein: reich, ungezügelt, fast wild mit donnernder Säure, kalkig-rauchiger Mineralität und exotischer Frucht (94). Das kleinste GG kommt von Ölberg, ist aber trotzdem ein Riese: salzig-mineralische Aromatik bei feinster Faser (93). Das GG vom Rothenberg von wurzelechten Rebstöcken (aus dem benachbarten Nackenheim) ist ein aussergewöhnlicher, geradezu theatralischer Wein von verschwenderischer Fülle und einem Aroma von nassem Tonschiefer, Walnuss und cremiger Hefe (96). Mit 100 Euro pro Flasche ist der Wein allerdings auch gut bezahlt.
Gunderloch mit riesigem Spannungsbogen
Großartig auch die Gunderloch-Kollektion. Der Hipping hochmineralisch mit rauchig-erdigem Unterton, extrem lang und nachhaltig (93), der Pettenthal opulent mit exotisch-warmer Frucht, dabei sehr geradlinig und kraftvoll (93). Einen Tick spektakulärer ist für mich diesmal noch der Rothenberg (aus Nackenheim), der einen noch größeren Spannungsbogen besitzt (94).
St. Antony spielt jetzt ganz oben mit
St. Antony, das Weingut des Hawesko-Großaktionärs Detlev Meyer, wartete mit drei GG auf. Das vom Orbel bestens strukturiert mit feinziselierter Frucht (92). Der Hipping reicht dagegen nicht ganz an die Klasse der Mitbewerber heran, obwohl das Weingut die zentrale Parzelle in dieser Lage besitzt (92). Genial der Pettenthal: ein vor Fülle fast berstender Wein mit viel Zitrus, Mandeln und Tabak, gefühlt nicht ganz trocken im Abgang. Trotzdem: ein genialer Wein (93)
Kellers Pettenthal: der Riesling des Jahres…
…bleibt Klaus-Peter Keller mit seinen zwei GG vom Hipping und vom Pettenthal. Der Hipping erhielt auf meinem Notizblock die höchste Punktzahl aller Niersteiner Weine (95). Ich schrieb: toller würzig-üppiger Wein von berstender Fülle, viel Mandarine und Mango, aber auch ein stahliges Mineralgerüst.“ Ich habe den Wein dann im Oktober noch einmal verkostet und würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: bestens fundiert, dabei extrem stimmig in sich und perfekt balanciert. Unverkennbar auch der Keller-Stil mit dieser leicht smokigen Komponente. Wenn man bedenkt, dass dieses GG den Keller-Kunden vor ein paar Monaten für 48 Euro angeboten wurde und jetzt, wie ich gehört habe, für 250 Euro gehandelt wird, dann unterstreicht das die Klasse des Weins, aber auch den Hype, der um die Keller-Weine gemacht wird. Noch deutlicher wird das am Pettenthal. Die Kellers besitzen in dieser Lage nur eine winzig kleine Parzelle, von der in 2017 gerade mal 600 Liter GG erzeugt wurden. Ein großer Teil ging in die Versteigerung und wurde für 760 Euro netto pro Flasche zugeschlagen (360 Flaschen umfasste das gesamte Lot). Stuart Pigott hatte dem Wein vorher 100/100 Punkte zugestanden, Michael Schmidt (der für Jancis Robinson kostet) 20/20 Punkte – ein Kandidat für den besten Riesling Deutschlands im Jahre 2017. Ich habe den Wein nicht verkostet. Er war in Wiesbaden nicht angestellt.
Prinz Salm, Kruger-Rumpf, Gebrüder Becker
Prinz Salm hat neben seinen GG von der Nahe auch zwei GG in Bingen: im Kirchberg und im Scharlachberg. Beide Weine schlummern noch im Keller. Freigegeben werden jetzt die 2016er. Kirchberg ist der herausforderndere Wein mit viel purer Mineralität und strammer, wenig abgepufferter Säure (91), während der Scharlachberg mehr Substanz besitzt und die reifere Säure mitbringt (92). Kruger-Rumpfs GG vom Scharlachberg ist aber mindestens genauso gut: schlank, aber sehnig mit großem inneren Reichtum, kräuterwürzig, schmelzig (92). Saftig und schon jetzt wunderschön anzutrinken der Falkenberg aus Dienheim von Gebrüder Becker. Er repräsentiert den hochklassigen Mainstream (91)
Wagner-Stempel: ein Fall für sich
Ein Fall für sich ist Wagner-Stempel. Dieses Weingut besitzt nicht nur außergewöhnliche Lagen, die echtes Terroir darstellen. Es erzeugt im Spitzensegment auch Weine, die so speziell sind, dass – ich vermute mal – der klassische Rieslingtrinker mit ihnen wenig anfangen kann. Daniel Wagners GG vom Bingener Scharlackberg ist muskulös, völlig schnörkellos mit einer brutaler Säure – for freaks only (92). Der Höllberg in Siefersheim, wo das Weingut ansässig ist, wirkt nicht ganz so extrem, ist reifer, hat „mehr Fleisch am Knochen“ (93). Der Heerkretz, die speziellste Lage, liefert den eigenwilligsten Wein: „reiner Kalkstaub, Muschelschale, Mandeln“ steht auf meinem Probenzettel – ein spannendes, ungewöhnliches GG, das Kenner begeistert, das sich Normaltrinker aber erst erarbeiten müssen (95).
Battenfeld-Spanier: liquid sky
Auch Battenfeld Spanier in Hohen Sülzen geht seit vielen Jahren schon seinen eigenen Weg. Das Motto: weg von den Fruchtweinen, hin zu den Steinweinen. Zumindest gilt dieses „liquid sky“-Prinzip für die GG, die in 2017 wohl zu den besten in der Geschichte des Weinguts gehören: der Frauenberg leichtfüßig mit kühler Aromatik, massiver Mineralik und zartem Schmelz, der vielleicht nicht auf den ersten Schluck, aber auf den zweiten zeigt, wo die Olympianorm für die neue Generation der Top Rieslinge aus Deutschland liegt (94). Das GG vom Zellerberg Am Schwarzen Herrgott ist mittelgewichtig und nach meiner Meinung der spektakulärste Wein im Sortiment von H. O. Spanier: geprägt von strenger, ja fast bizarrer Mineralität, wenig Platz für Charme oder irgend etwas Herzerwärmendes lassend (95). Das Kirchenstück ist der ausgewogenste Wein, auch er flüssiger Stein (94). Die relativ hohen Bewertungen spiegeln – zugegeben – meine Vorlieben wider. Ich bin nicht sicher, ob sie von der Mehrheit der Weintrinker geteilt werden. Aber Weine wie die von Battenfeld-Spanier wollen gar nicht gefallen, sondern authentisch sein.
K. F. Groebe, Gutzler, Winter
Im rheinhessischen Kalkgürtel befinden sich noch andere Spitzenweingüter, die mit interessanten GG aufwarten. Dem Weingut K. F. Groebe in Westhofen sind mit Kirchspiel und Aulerde zwei sehr ordentliche GG gelungen, auch wenn sie nicht spektakulär sind (beide 90). Michael Gutzler aus Gundheim hat bewiesen, dass er nicht nur Spätburgunder kann, sondern auch Riesling. Mit 13,5 Vol.% ist sein Morstein zweifellos nicht der leichteste Wein, kommt aber trotzdem leichtfüßig daher und tänzelt elegant über den Gaumen (92). Ebenso sein Liebfrauenstift Kirchenstück aus Worms, das feinfaserig und facettenreich ist und einen großen Spannungsbogen hat (91). Stefan und Edmund Winter aus Dittelheim haben ebenfalls drei grundsolide GG gefüllt. Der Kloppberg und der Leckerberg sind packende Weine (beide 92), während der Geiersberg etwas gefälliger wirkt (91).
Philipp Wittmann: gut, auch groß, aber nicht spektakulär
An Philipp Wittmann kommt, wer in Rheinhessen nach guten GG sucht, nie vorbei. Allerdings fehlt seinen Weinen – bei allem Respekt – die dramatische Zuspitzung, wie man sie beispielsweise bei Wagner-Stempels Heerkretz oder Battenfeld-Spaniers Weinen findet. Die Aulerde ist ein schlankes, leicht phenolisches GG, das mit hohen Extrakten prunkt (92). Das Kirchspiel mächtig, in sich ruhend mit viel Extrakt: ein sanfter Riese (93). Brunnenhäuschen ein nervöser Wein mit ausgeprägtem Säurespiel, hoher Eleganz und Finesse – für mich der Primus inter Pares des Sortiments (94) zusammen mit dem Morstein: cremig mit kühler Frucht und der feiner Mineralik. Makellos gute, auch große Weine. Aber nicht spektakulär.
2017 – ein Keller-Jahr
Schließlich Klaus-Peter und Julia Keller aus Flörsheim-Dalsheim. Auch wenn es den einen oder anderen langweilen mag: Die Weine sind eine Klasse für sich, gerade in 2017. Selten habe ich eine so überzeugende Kollektion gesehen wie in diesem Jahr. „Ein großes Keller-Jahr“ habe ich Kollegen urteilen gehört, und das stimmt. Ihr Morstein ist das beste GG aus dieser Lage: perfekte Balance, raffinierter Schliff, ganz straff gewoben, ungeheuer vielschichtig – ein spektakulärer Wein (97). Für Jancis Robinson besitzt das Kirchspiel sogar noch einen Tick mehr Finesse. Schwer zu sagen in diesem jungen Stadium. Für mich liegt es jedenfalls nicht weit hinter dem Morstein zurück, wobei ich dazu sagen muss: Ich habe den Wein ein paar Wochen nach der Vorpremiere verkostet. In Wiesbaden war er nicht angestellt, ebenso wenig die Abtserde und der Hubacker. Auch wenn die letzten beiden nicht ganz die druckvolle Mineralität von Kirchspiel und Morstein verspüren lassen, so sind es doch majestätische Weine. Auf eine Bewertung verzichte ich angesichts der anderen Verkostungssituation.
Apropos Keller-Jahr: Es muss ja nicht immer ein GG sein. Im Sommer war ich zu einem Kurzbesuch bei den Kellers, wobei wir zum Lunch Scheurebe sowie Nierstein Riesling, den Ortswein, tranken. Ersterer kommt aus einer kleinen Parzelle im Morstein, letzterer in 2017 aus Hipping und Pettenthal – allesamt Grosse Lagen. Selbst Snobs, denen das Beste gerade gut genug ist, können da nicht klagen.