Manche Weinexperten scheinen Weinkritik mit Heiligenverehrung zu verwechseln, besonders wenn es um deutsche Weine geht. Von „Kunstwerken“, „Ausgeburten an Finesse“, „Inbegriff des Rieslings“ und ähnlichem ist die Rede. Die Winzer hören solch Wortgeklingel gern. Aber sie wissen, dass es nicht wahr ist. 2013 war ein Jahrgang, der sehr heterogene Qualitäten hervorgebracht hat. An der Nahe setzte im Oktober feucht-warmes Klima ein. Viele Trauben setzten Schimmel an, andere platzten. Das bedeutete: skrupulöses Auslesen der Trauben (oder Traubenteile). Und schnelles Einbringen der Ernte, um Schlimmeres zu vermeiden. Die Folge: Viele Trauben konnten nicht vollständig ausreifen. Die Mostgewichte waren niedriger als in den Vorjahren (was durchaus willkommen ist), die Säuren aber höher und teilweise unreif. Der Anteil der weichen Weinsäure liegt jedenfalls gefühlt niedriger als in den Vorjahren.
Hohe Säure, viel Restsüße
Die Top-Betriebe akzeptierten diesen Umstand und beließen den Weinen eine kleine Restsüße, um sie abzurunden. Eine vernünftige Entscheidung, besser jedenfalls als zu entsäuern oder seine Weine einem BSA zu unterziehen. Doch nicht selten fiel die Restsüße nach meinem Empfinden grenzwertig hoch aus. GG sollen trocken schmecken. Sollen ihr Terroir zeigen. Restsüße aber ist ein Weichzeichner. Sie erhöht zwar den Spannungsbogen, aber macht das Profil unscharf. Tendenziell jedenfalls. Und unreife Säure wird durch Restsüße nicht in reife Säure umgewandelt.
Für Jubelarien also kein Anlass. Trotzdem sind unter den 2013er GG exzellente, im Einzelfall auch grandiose Weine. Um ihre Klasse zu beweisen, brauchen sie allerdings noch ein bisschen Zeit. Als besonders gut gelungen empfinde ich diesmal die Weine des Schlossguts Diel. Was Carolin Diel und ihr Kellermeister Christoph Friedrich auf die Flasche gebracht haben, ist nicht nur qualitativ, sondern auch stilistisch sehr überzeugend. Überrascht war ich von dem Qualitätssprung bei Prinz Salm. So mutig trockene, ungeschminkt terroirbetonte Rieslinge wie in 2013 habe ich schon lange nicht mehr getrunken. Allerdings muss ich zugeben, dass es wohl auch die schwierigsten GG von der Nahe sind – nichts für Spaß- und Leckertrinker!
Riesling Nahe: die Großen Gewächse 2013
Ort | Lage | Weingut | Charakterisierung | Punkte |
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Niederhausen | Hermannshöhle | Dönnhoff | Trotz des schwierigen Jahrgangs ein ziemlich kompletter Wein: feinnervig bei disziplinierter Fülle, kräftig-mineralisch, aber auch saftig: meisterhaftes GG trotz erhöhter Restsüße. | 93 |
Bockenau | Stromberg | Schäfer-Fröhlich | Sehr schlankes, geschmeidiges GG von unheimlicher Frische, sehnig, straff, packende Säure, vom wilden Sponti-Bouquet abgesehen sehr präzise: der mineralischste aller S-F-Weine. | 93 |
Monzingen | Halenberg | Emrich-Schönleber | Großer Wein von überragender Stofffülle, packend, mitreißend, feinste Grapefruit- und Pfirsichnoten, gleichzeitig rauchige Rotschiefernoten: ein echtes GG. | 93 |
Niederhausen | Hermannsberg | Gut Hermannsberg | Schon auf den ersten Schluck als ein raffinierter, eleganter Wein erkennbar, hefefrisch, mineralisch, hochkomplex: ein hochklassiger, ja distinguierter Wein. | 92 |
Bockenau | Felseneck | Schäfer-Fröhlich | Sehr straffer, arabeskenloser Riesling, cremig mit vielen Schiefer- und Quarzitnoten, aber ohne die Üppigkeit anderer Jahrgänge. | 92 |
Monzingen | Halenberg | Schäfer-Fröhlich | Weitgehend durchgegorener, faszinierender Riesling mit sublimer Frucht, hoher mineralischer Würze, feinem Säurenerv: ein Kraftpaket. | 92 |
Monzingen | Frühlingsplätzchen | Emrich-Schönleber | Bouquet noch verschlossen, eher dumpf, am Gaumen jedoch powerful mit viel Nerv, nicht die Klasse von 2012 und 2011, dennoch sehr eindrucksvoll. | 91 |
Wallhausen | Johannisberg | Prinz Salm | Mineralisch-puristischer Wein, relativ trocken ausgebaut und dadurch im Moment ein wenig sperrig wirkend, trotzdem: ein mutiger, ganz eigenständiger Wein. | 91 |
Traisen | Bastei | Gut Hermannsberg | Reicher, kräftiger Riesling mit reifer Säure und vielen exotischen Anklängen, straff gewoben, relativ trocken, ein Kraftpaket. | 91 |
Dorsheim | Pittermännchen | Schlossgut Diel | Kräuterwürzig-zarter Wein mit vielen spielerischen Elementen, facettenreich, elegant, gut balanciert, kurz: gekonnt. | 91 |
Dorsheim | Goldloch | Schlossgut Diel | Üppiger Riesling mit fast cremiger Textur, breites Aromenspektrum, pikante Säure, durch Restsüße etwas abgemildert, schöner Spannungsbogen. | 91 |
Schloßböckelheim | Kupfergrube | Gut Hermannsberg | Erdig-herber Riesling mit rauchig-mineralischen Noten, relativ trocken, konzentriert, sich auf der Zunge jedoch spreizend, herzhaft, kristallin-klare Säure: Wow! | 91 |
Schloßböckelheim | Kupfergrube | Schäfer-Fröhlich | Gut gebaut, aber etwas fragiler als sonst, schmeckbare Restsüße, aber auch eine mitreißende, ja rasierklingenscharfe Säure. | 91 |
Schloßböckelheim | Felsenberg | Dönnhoff | Üppiger, aber gleichzeitig sehr präziser Wein mit dominanten Porphyrnoten, vieltönig, rassig, riesiger Spanungsbogen. | 91 |
Monzingen | Frühlingsplätzchen | Schäfer-Fröhlich | Sehnig, saftig mit viel gelber Frucht und würziger Mineralität, schon antrinkbarer, von reifer Säure geäderter Riesling, etwas schmaler angerlegt als im Vorjahr. | 91 |
Wallhausen | Felseneck | Prinz Salm | Sehr mineralisch, schnörkellos, karg, doch nicht ohne Spannung: bester Felseneck seit Jahren, derzeit allerdings unnahbar. | 90 |
Dorsheim | Burgberg | Schlossgut Diel | Kein spektakulärer, aber in sich stimmiger Wein, vergleichsweise filigran, dabei eindeutig und klar und entsprechend schön zu trinken. | 90 |
Norheim | Dellchen | Dönnhoff | Beeindruckender Riesling, klar gegliedert, viel grüner Apfel, ein wenig tropische Früchte, aber unerklärlich hohe Restsüße, die zwar die Spannung erhöht, aber die Mineralität verwässert. | 90 |
Schloßböckelheim | Felsenberg | Schäfer-Fröhlich | Gut fundierter, opulenter Wein mit der typisch hefig-wilden Nase, breites Aromenspektrum, doch nicht ganz gradlinig, aufgesetzte Restsüße. | 90 |
Traisen | Bastei | Dr. Crusius | Kräftiger, substanzreicher Wein aus Crusius’ Paradelage, warm, füllig und mit reifer Säure: vielleicht ein Tick zu gefällig. | 89 |
Dorsheim | Pittermännchen | Joh. Bapt. Schäfer | Sehr sauberer und gut am Gaumen liegender Wein vom Grauschiefer, herzhafte, etwas rohe Säure, erfreulich. | 89 |
Münster-Sarmsheim | Pittersberg | Kruger-Rumpf | Kraftvoll, stoffig mit rassiger Säure und erdig-salzigen Noten, ein bisschen zu konventionell. | 88 |
Dorsheim | Goldloch | Joh. Bapt. Schäfer | Gutes Fundament bei mittlerem Körper, kraftvolle, etwas ruppige Säure, stilistisch wenig spektakulär. | 88 |
Münster-Sarmsheim | Dautenpflänzer | Kruger-Rumpf | Etwas vordergründiger Riesling mit dropsiger Frucht, gut gebaut, aber letztlich doch etwas brav für ein GG. | 88 |
Weinbergslagen bei Walporzheim (Ahr)Wie Spätburgunder vinifiziert wird, wissen wir inzwischen, hat ein bekannter Ahr-Winzer kürzlich auf einer Präsentation in London gesagt. Mag sein. Umso ratloser hat mich die Verkostung der 2012er GG gemacht. So viel müde, matte, eindimensionale Weine hatte ich in dieser Top-Kategorie nicht erwartet. Weine mit stieligem Tannin, grotesk überzogenen Neuholztönen – der Abstand zu Gewächsen aus dem Burgund, aus Kalifornien, teilweise auch aus Baden und aus der Südpfalz ist augenfällig. Von Meyer-Näkel abgesehen, der eine formidable Kollektion vorgelegt hat, ist die Enttäuschung groß. Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Urteil allein stehe. Doch die hymnischen Gesänge, die viele Händler, Sommeliers und Weinschreiber jetzt wieder anstimmen, gehen angesichts der dargebotenen Qualitäten an meinen Ohren vorbei.
Spätburgunder Ahr: die Großen Gewächse 2012
Ort | Lage | Jahrgang | Rebsorte | Weingut | Charakterisierung | Punkte |
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Neuenahr | Sonnenberg | 2012 | Spätburgunder | Meyer-Näkel | Duftige Burgundernase, würzig, fruchtig, reich, am Gaumen druckvoll und samtig zugleich: ein Spätburgunder mit viel Schliff und Finesse. | 92 |
Dernau | Pfarrwingert | 2012 | Spätburgunder | Meyer-Näkel | Blaurot in der Farbe, sattes Bouquet von Pflaumen Blaubeeren, Johannisbeeren, feine Röstaromen, stabiles Tanninrückgrat: “burgundischster” aller Meyer-Näkel-Weine. | 92 |
Dernau | Pfarrwingert | 2012 | Frühburgunder | Meyer-Näkel | Frische, ausdrucksvolle Frucht mit viel Pflaume und einem Hauch Himbeere im Vordergrund, im Hintergrund deutliche Röstaromen: sehr präziser, kräftiger Wein mit viel Ausdruck und guter Prognose. | 91 |
Neuenahr | Sonnenberg | 2012 | Spätburgunder | Kreuzberg | Feinduftig im Bouquet mit ausdrucksvoller, sauberer Frucht, im Hintergrund feines, gesundes Tannin, spielerisch-leicht und gut fundiert zugleich: echter Spitzenwein. | 91 |
Walporzheim | Kräuterberg | 2012 | Spätburgunder | Meyer-Näkel | Explosiv beerenfruchtig mit süßer, reifer Himbeere und Zwetschgenröstern, zarte Säure, sanftes Tannin, schon relativ gut antrinkbar: gelungener, finessereicher Wein. | 91 |
Ahrweiler | Rosenthal | 2012 | Spätburgunder | Jean Stodden | Vollmundiger, reicher Spätburgunder mit satter, saftiger Frucht, kraftvoll, komplex, starke Röstnote. | 90 |
Neuenahr | Schieferlay | 2012 | Spätburgunder | Kreuzberg | Noch ungestümer Wein mit frischer, würziger Frucht, allerdings nicht ganz so feinnervig und differenziert wie der Sonnenberg. | 90 |
Rech | Herrenberg | 2012 | Frühburgunder | Jean Stodden | Eher leichter, etwas einseitig fruchtbetonter Spätburgunder, sauber, aber undifferenziert, überdeutliche Neuholznoten. | 89 |
Dernau | Hardtberg | 2012 | Spätburgunder | Jean Stodden | Locker gewobener, nicht durchgearbeiteter Wein, helles Erdbeerrot, fehlende Frische, flau. | 89 |
Dernau | Hardtberg | 2012 | Frühburgunder | Kreuzberg | Schlanker, etwas eindimensionaler Wein mit viel roten Früchten und stieligem Tannin, fruchtig-monoton, leichter Mangel an Komplexität und Eleganz. | 88 |
Ahrweiler | Silberberg | 2012 | Spätburgunder | Kreuzberg | Relativ dunkelfarbener, vielschichtiger Wein, stark extrahiert und auf Schwere getrimmt, deutliche Bitterstoffe, wenig Finesse. | 88 |
Neuenahr | Sonnenberg | 2012 | Spätburgunder | Jean Stodden | Diszipliniert und straff auf der einen Seite, reduziertes Aromenspktrum auf der anderen: letztlich wenig Charme, aber viel Neuholz. | 88 |
Rech | Herrenberg | 2012 | Spätburgunder | Jean Stodden | Weicher, milder Wein, blumig in der Nase, frisch und fruchtig auf der Zunge, doch von bescheidener Substanz: charmiert nicht, packt nicht, sondern plätschert über den Gaumen. | 88 |
Ahrweiler | Rosenthal | 2012 | Spätburgunder | J. J. Adeneuer | Heller, transparenter Wein, süßlicher Fruchtcocktail mit leichter Joghurtnote, überraschend weit entwickelt. | 87 |
Walporzheim | Gärkammer | 2012 | Spätburgunder | J. J. Adeneuer | Helles Granatrot mit orangenen Reflexen, Himbeerlikör und gekochte Erdbeerkonfitüre in der Nase, deutlich gezehrt, matt, keine Zukunft. | 87 |