Bis Ende August sah 2012 gar nicht gut aus für Rheinhessen. Ein viel zu trockenes Frühjahr, dann Regen im Mai, auch Juni und Juli durchwachsen mit sehr viel Peronospora und Mehltau, der August für die Jahreszeit kühl. Erst im September wendete sich das Blatt.
Ein Goldener Oktober setzte ein. Milde Wärme, kaum Niederschläge, hohe Lichtintensität, warme Tagestemperaturen, im Oktober gepaart mit kühlen Nächten – ideal für den Riesling! Gut aber auch für die frühreifen Sorten: Selten hat es so gesunde, reife Trauben schon im September gegeben wie in 2012.
Höhere Säuren, niedrigere Mostgewichte
Etikett Hubacker RieslingDas heißt: Auch die einfachen Weine sind prächtig gelungen, gleich ob Müller-Thurgau, Silvaner, Dornfelder. Die Großen Gewächse waren am Ende nur das Tüpfelchen auf dem i. Deren Säuren sind in der Regel etwas höher als in 2011, deren Mostgewichte etwas niedriger. „Dem Bann des 2012ers wird man sich unmöglich entziehen können“, schwärmt Klaus-Peter Keller von seinen Weinen.
So kommt es, dass die GG bei den führenden Weingütern praktisch schon ausverkauft sind – kaum vier Wochen nach der Freigabe. Und da der Handel sehr restriktiv mit den preziosen Weinen umgeht, möchte man den Weintrinkern zurufen: Kloppt euch, haut euch, streitet euch – aber kauft diesen Jahrgang, wo immer ihr ihn findet.
Die üblichen Verdächtigen
Auch wenn es die Rieslingfreaks langweilt – die ganz großen Weine kommen wieder von den üblichen Verdächtigen. Sie, die über die besten Terroirs verfügen, ihre Reben kennen, genau wissen, wie viel sie hängen lassen dürfen und wann der ideale Lesezeitpunkt ist, haben Weine auf die Flasche gebracht, die mindestens genauso gut wie 2011 sind. Nur klassischer: also kühler in der Frucht und – bei allem inneren Reichtum – von gezügeltem Temperament. Dadurch sind sie ausdrucksvoller und eleganter. Ein Hauch von 2008 umweht sie. Auf jeden Fall sind es langlebige Weine von großer Frische und Fruchtigkeit.
Mehrere Top-Terroirs
Winzer Hans Oliver SpanierNierstein mit seinem Roten Hang war immer Rheinhessens Top-Terroir für große Rieslinge – und ist es noch immer. Nach Kühling-Gillot, Keller und Gunderloch erzeugt dort seit einigen Jahren auch St. Antony, der größte Rebenbesitzer in dieser Lage, wieder denkwürdige Weine. Weiter südlich in Westhofen sind Wittman und Keller einsame Spitze.
Noch weiter südlich erzeugt Hans Oliver Spanier nun schon seit vielen Jahren mit großer Konstanz hochmineralische, geradezu puristische Rieslinge, die in Deutschland ihresgleichen suchen. In 2012 erreichen sie wieder Höchstniveau. Nicht zu vergessen das Weingut Wagner-Stempel, das etwas abgelegen in Siefersheim liegt. Dessen Weine, auf einer Urgesteinsinsel mit Rotliegendem und Muschelkalk gewachsen, üben ebenfalls den Schulterschluss mit den anderen großen Weinen der Region
2012 Große Gewächse Rheinhessen
Lage | Weingut | Charakterisierung | Punkte |
---|---|---|---|
Westhofen Morstein | Wittmann | Schon auf den ersten Schluck als großer, mitreißender Wein erkennbar: besitzt die nötige Fülle, aber auch die innere Feinheit für ein GG, unzählige Nuancen von grünem Apfel bis hin zu Banane und kandierter Aprikose, grandios. | 95 |
Dalsheim Hubacker | Klaus Keller | Filigran im Duft, Körper mittelkräftig, satte, reife Frucht auf der Zunge mit Anklängen Grapefruit und Pfirsich, im Hintergrund feine mineralische Noten, dazu eine Wahnsinnssäure, die aber harmonisch eingebunden ist: einer der größten Hubacker überhaupt! | 94 |
Mölsheim Am Schwarzen Herrgott | Battenfeld-Spanier | Strenger, jodig-mineralischer Riesling mit kühler Kalkstein-Mineralik, sehr straff gewirkt, fast schnörkellos, aber in sich völlig stimmig und ganz stark bodengeprägt: großartiger Wein für Kenner, für Normaltrinker fast zu schwierig. | 94 |
“Nackenheim Rothenberg “wurzelecht”” | Kühling-Gillot | Animierendes Blüten- und Schieferbouquet, am Gaumen üppig, reif mit Aprikosennoten und Rukolawürze, feinfruchtig, seidig und von nicht zu unterschätzender Stofffülle: extrem feiner, finessereicher Wein von Prefilossera-Reben, biodynamisch angebaut (erst ab März 2014 im Handel). | 94 |
Nierstein Pettenthal | Klaus Keller | Viel Flintstein in der Nase, am Gaumen kräftig mit moderater, aber reifer Säure, wenig Frucht, viel Mineralik, ausgezeichnete Balance: großer Wurf. | 93 |
Nierstein Pettenthal | Kühling-Gillot | Weit ausholender Wein, extrem tiefgründig und nuancenreich, cremig, überlagert von einer mitreißendenden mineralischen Note: flüssiger Rotschiefer. Großer Wein! | 93 |
Westhofen Kirchspiel | Wittmann | Sehr stoffig und kraftvoll, im Inneren unheimlich fein mit zahlreichen Nuancierungen, die von Pfirsich über Mango bis zu Mandarinen-Geleefrucht reichen: gekonnter Wein, der ein bestimmtes Terroir widerspiegelt. | 93 |
Nieder-Flörsheim Frauenberg | Battenfeld-Spanier | Feiner, auf Kalkmergel gewachsener und spät gelesener Riesling, auf den ersten Schluck eher karg als ausladend, zarte Frucht, kräftige mineralische Noten mit feiner, teilweise orientalisch anmutender Würze: sehr beeindruckender Wein. | 93 |
Nierstein Pettenthal | St. Antony | Deutlich mineralisch geprägter Wein mit kraftvoller, bissiger Säure: eher schlank als füllig, gradlinig, trocken, extremer Terroirwein. | 92 |
Nierstein Ölberg | Kühling-Gillot | Packender, mineralisch-herber Wein, geprägt von warmen Fruchtnoten: Aprikose, Orange, rote Grapefruit: dicht gewoben, hochfein, anspruchsvoll, nichts für „Leckertrinker“. | 92 |
Siefersheim Heerkretz | Wagner-Stempel | Geschliffener, eigenständiger Wein, erdig-bodenbetont, aber auch saftig mit zarter, angedeuteter Zitrusfrucht und kandierter Orange: großartiger Terroirwein. | 92 |
Westhofen Aulerde | Wittmann | Körperreicher, kräftiger und sehr trockener Wein mit feiner mineralischer Komponente, charmant und schon sehr zugänglich, geprägt von warmen, gelben Früchten. | 92 |
Westhofen Brunnenhäuschen | Wittmann | Offener, mineralisch-salziger Wein, Zitrusblüte, Aprikose, nasser Kiesel: sicherlich nicht das langlebigste, aber wieder ein hochelegantes GG dieses Weinguts. | 92 |
Nackenheim Rothenberg | Gunderloch | Ausgeprägt mineralischer Wein, vielschichtig, hefefrisch, feinfruchtig, rassige Säure: gut gelungener, eleganter Riesling aus der besten Lage des Weinguts im Roten Hang. | 91 |
Nierstein Pettenthal | Gunderloch | Saftig, fein, Aromen von reifem Apfel und einem Hauch von tropischen Früchten: gekonnter, sehr runder, mit sicherer Hand gemachter Wein vom Rotliegenden. | 91 |
Siefersheim Höllberg | Wagner-Stempel | Leicht rauchige Mineralik, warme, reife Frucht mit schöner weiniger Säure: stilvoller, sehr prätentiöser Wein eines unterschätzten Weinguts. | 91 |
Dittelsheim Geyersberg | Winter | Breit angelegter, tiefgründiger Wein mit vielen Facetten, Frucht, Mineralik, Säure: begeisterndes Großes Gewächs. | 91 |
Worms Liebfrauenstift Kirchenstück | Gutzler | Temperamentvoller, fein differenzierter Wein mit facettenreicher Frucht und packender Säure: ein Feuerwerk an Wohlgeschmack. | 90 |
Nierstein Orbel | St. Antony | Vorherrschend mineralischer Wein, saftig, vielschichtig, straff gewirkt, dazu eine donnernde Säure: vielschichtiger Riesling, großes Potenzial. | 90 |
Oppenheim Sackträger | Rappenhof | Saftig, von reifer Beerenfrucht getragen und von rassiger Säure geädert: höchst respektables, exzellentes Großes Gewächs. | 90 |
Westhofen Aulerde | K. F. Groebe | Braver, anfangs etwas temperamentloser, ja behäbiger Wein, der sich im Glas jedoch schnell entwickelt und neben Opulenz und Stoffigkeit eine große Feinfruchtigkeit und Aromentiefe offenbart: typisch für eine warme Lage. | 90 |
Hohen-Sülzen Kirchenstück | Battenfeld-Spanier | Stoffiger, etwas verspielter Wein mit üppiger Frucht und zarter Mineralik, durch die kräftige Säure auch mit großem Spannungsbogen, schon gut zugänglich. | 90 |
Dittelsheim Leckerberg | Winter | Kompakter, stoffiger Wein, fein differenziert und spannungsreich, bestens gelungen. | 90 |
Bingen Kirchberg | Prinz Salm (Rheingraf) | Kräftig, mineralisch, urwüchsig: Durch seine knochentrockene Ausbauart wirkt der Wein derzeit noch etwas rauh und säurebetont. | 89 |
Bingen Scharlachberg | Prinz Salm (Rheingraf) | Rassiger, schlanker Wein mit kräftigem Säuregerüst, kernig, schnörkellos und sehr trocken: fordernder Wein aus biodynamischem Anbau, braucht mehr Zeit als andere Weine. | 89 |
Nierstein Pettenthal | Rappenhof | Schöner, gut gelungener Wein, ohne an die Großen Rheinhessens heranzureichen, aber einer der besten Großen Gewächse des Rappenhofs in den letzten Jahren. | 89 |
Dienheim Falkenberg | Brüder Dr. Becker | Konventioneller Wein mit schöner, reifer Säure und ausdrucksvoller Frucht, Pfirsich mit Anklängen von Honigmelone und Kräuterwürze: entwickelt sich im Glas (und vermutlich auf der Flasche). | 89 |
Ingelheim Schloss Westerhaus | Schloss Westerhaus | Gut fundierter Wein mit viel Substanz und Saft, viel gelber Pfirsch, ein wenig Maracuja, im Hintergrund Honignoten: etwas konventioneller Riesling, nicht ganz trocken. | 88 |
Nackenheim Rothenberg | Staatliche Weinbaudomäne Oppenheim | Kerniger Riesling mit reifer Frucht und herzhafter Säure, nicht sonderlich geschliffen, aber von schöner natürlicher Harmonie getragen. | 88 |
Westhofen Kirchspiel | K. F. Groebe | Saftiger, aber etwas dumpfer Wein, grüner Apfel und Zitrusfrucht, dazu intensive Kräuterwürze: noch unfertiger, schwer zu beurteilender Wein. | 88-90 |
Nierstein Glöck | Staatliche Weinbaudomäne Oppenheim | Nicht sonderlich inspirierender, ja leidenschaftsloser Wein, nicht enttäuschend, aber doch recht bieder: von der Restsüße her grenzwertig. | 87 |
Nierstein Ölberg | Staatliche Weinbaudomäne Oppenheim | Dropsig und mit vielen Nebentönen, uneindeutig, teilweise befremdlich. | 86 |
…schade….
Guten Morgen an die Experten und sonstigen Weinliebhaber,
Ich hätte eine Frage zu folgendem Absatz. Zitat “Auch wenn es die Rieslingfreaks langweilt – die ganz großen Weine kommen wieder von den üblichen Verdächtigen. Sie, die über die besten Terroirs verfügen, ihre Reben kennen, genau wissen, wie viel sie hängen lassen dürfen und wann der ideale Lesezeitpunkt ist,……”
Hat sich denn mal jemand (generell) die Mühe gemacht und Weine der Winzer der UMLIEGENDEN Weinberge probiert? Also der Weinberge, deren Winzer nicht zum VDP-Kreis gehören und bei denen der Riesling (und der Rest) nur ein Bruchteil dessen kostet was beim VDP-Nachbar als GG auf die Flasche kommt!? Diese Winzer verfügen über den gleichen Boden, verfügen über die gleichen Erfahrungen und kennen ihre Reben auch sehr gut. Der Aufwnd und die Arbeit im Weinberg ist bei so ziemlich allen Winzern heutzutage gleich. Warum wird immer so getan als ob die “üblichen Verdächtigen” anders arbeiten oder über mehr Erfahrung und Wissen verfügen als andere Winzer?
Ich bin kein Winzer, kenne aber z.B. die “Situation” in Westhofen etwas. Hier wird in den umliegenden Weinbergen zu den WItmman’schen Weinbergen nicht schlechter gearbeitet oder weniger Aufwand betrieben. Und trotzdem kostet die Flasche hinterher zb. 5-6 € anstatt 15 oder gar 30+.
Was also, außer dem Namen, dem “Rang” und dem Renomeé des Winzers rechtfertigt Preisunterschiede von mehreren 100%? Am Boden, der Lage und der nicht minder aufwendigen Arbeit das Jahr über kann es schon mal nicht liegen.
Wenn mir ein Experte das mal plausibel erklären kann, wäre ich froh. Vielen Dank und guten Schluck!