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Globale Erwärmung: 2009 auch deutsche Spitzenweine “aufgesäuert”

Jahreszahl 2009

Vor allem im Südwesten Deutschlands bekennen sich Spitzenwinzer offen zur Notwendigkeit des Säuerns. Einer von ihnen ist Joachim Heger aus Ihringen am Kaiserstuhl. “Ich habe meine 2009er Spätburgunder-Moste aus den Steillagen im Winklerberg vor der Gärung mit etwa einem halben Gramm Weinsäure pro Liter aufgesäuert, um sie gegen mikrobiologischen Verderb zu schützen und für ihre Haltbarkeit vorzusorgen.” Ein mutiges Bekenntnis, denn über das Hinzufügen von Säure zu Most oder Wein, wie es in weiten Teilen Frankreichs sowie in Spanien und Italien üblich ist, wurde im deutschen Weinbau jahrzehntelang gespottet. Klar, denn was deutsche Weine oft zu viel haben, fehlt den Weinen der Mittelmeeranrainer leider allzu häufig: Säure.

Keine Manipulation des Geschmacks

Aufgrund der globalen Erderwärmung hat sich die Lage jedoch geändert. Lang anhaltende heiße Sommer und überdurchschnittlich warme Herbste haben dazu geführt, dass auch in deutschen Weinanbaugebieten manchmal die Säure in den Trauben zu schnell abgebaut wird. Damit verlieren die Weine ihre Frische und ihre innere Balance: der ph-Wert steigt. Dieser Wert ist das Maß für die absolute Menge der Säuren im Wein. Er erfasst auch solche Säuren, die durch Mineralstoffe – vor allem Kalium – gepuffert sind und die keinen Einfluss auf den Geschmack eines Weins haben. Durch Zugabe einer kleinen Menge Säure vor oder während der Gärung kann die Balance wieder hergestellt werden. Vor allem für Rotweine ist das Aufsäuern nach Heger von Vorteil: “Es geht mir beim Ansäuern nicht um eine Manipulation der sensorischen Eigenschaften, also nicht um ein Hochsetzen der titrierbaren Gesamtsäure. Es geht um eine Verschiebung des pH-Werts.“

Säurekorrektur im Burgund an der Tagesordnung

In den südeuropäischen Ländern ist die Azidifizierung, wie die Zugabe von Säure fachlich heißt, durch EU-Gesetz erlaubt. In vielen Jahren ist diese Korrektur auch notwendig, um ausgewogene Weine zu bekommen. Zugesetzt werden dürfen Weinsäure, Milchsäure oder Apfelsäure – alles Säuren, die im natürlichen Wein ebenfalls vorkommen. An Zitronensäure, die im Wein natürlicherweise nur in Spuren vorkommt, scheiden sich die Geister. In Deutschland ist die Azidifizierung zwar verboten, kann im Notfall aber durch Sondererlaubnis der Bundesregierung bzw.der Landesregierungen erlaubt werden. Baden-Württemberg hatte 2009 als erstes Bundesland die Aufsäuerung erlaubt. Die anderen Bundesländer zogen rasch nach. “Der Jahrgang 2009 brachte außergewöhnliche Witterungsverhältnisse mit zum Teil niedrigen Säurewerten und hohen pH-Werten“, begründete das rheinland-pfälzische Weinbauministerium seine Entscheidung, das Aufsäuern „bis 1,5 Gramm pro Liter“ zuzulassen. Schämen muß sich niemand ob dieser Maßname. Andere Korrekturen wie das Chaptalisieren und das Entsäuern des Weins sind in Südeuropa verboten, in Deutschland dagegen auch ohne Sondergenehmigung erlaubt. Und im Burgund ist das Aufsäuern des Weins ein häufig geübter Brauch. Einen kleinen Schatten wirft die Maßnahme höchstens auf den Jahrgang 2009, der zumindest nicht in allen Anbaugebieten Deutschlands als der beste der letzten zehn Jahre angesehen werden kann, wie so häufig zu hören ist.

Wittman: Kein Fan der Azidifizierung

Zahlreiche von weinkenner.de befragte Winzer verneinten, im Jahr 2009 gesäuert zu haben. So etwa Philipp Wittmann aus Westhofen in Rheinhessen: “Wir Rheinhessen haben uns sehr gewundert, als im letzten Herbst die Ausnahmegenehmigung bekannt wurde. Nördlich der Pfalz waren die Säuren fast ebenso gut wie in 2008.” Wittmann verweist jedoch auf das Hitzejahr 2003 und schließt nicht aus, das Ansäuern unter solchen Extrembedingungen von Vorteil sein könnte. “Trotzdem bin ich kein Fan davon. Ich hoffe, auch weiterhin mit gestaffelten, teilweise vorgezogenen Leseterminen gegen zu tiefe Säurewerte gegensteuern zu können. Momentan hoffe ich, dass wir nur in absoluten Ausnahmejahren das Aufsäuern benötigen”. Und er fügt an: “80 Kilometer südlich mag das aber schon ganz anders aussehen.”

Badischer Grauburgunder teilweise aufgesäuert

Auf die gestaffelte Lese setzt auch Uwe Barnickel, Kellermeister im Weingut Schwarzer Adler in Oberbergen, ebenfalls am Kaiserstuhl. Beim Scrollen durch die excel-Datei seiner 2009er Kellerdokumentantion benennt er die Zeitspanne zwischen dem frühesten und spätesten Lesetermin bei der Kaiserstühler Paradesorte Grauburgunder: 20 Tage. “Die früh gelesenen Partien hatten akzeptable pH-Werte um 3,3. Doch einer der spät gelesenen Grauburgunder hatte schon bei der Traubenannahme einen pH-Wert von 3,6. In der Traubenmühle fällt nochmal etwas Säure aus, also steigt der pH-Wert dort weiter an. Da hilft es mir dann auch nicht weiter, später mit einem säurereicheren Wein verschneiden zu können. Denn ich muss die säurearme Lesepartie doch erstmal sauber durch die alkoholische Gärung bringen. Daher habe ich bei beispielsweise bei diesem Most von der Möglichkeit des Säuerns Gebrauch gemacht.” Barnickel verweist darauf, dass dafür in 2009 kein einziger Wein im Keller chaptalisiert werden musste.

Bercher sieht Wettbewerbsverzerrung

Mit Arne Bercher aus Burkheim plädiert auch ein dritter namhafter Kaiserstühler Winzer für einen unverkrampften Umgang mit dem behutsamen Aufsäuern von Mosten. Bercher spricht sogar von “Wettbewerbsverzerrung”, weil innerhalb der EU mit zweierlei Maß gemessen werde: “Es ist ganz natürlich, dass unser Kaiserstühler Pinot mit Burgund verglichen wird. Dann sollten wir aber auch dieselben Mittel zur Verfügung haben wie unsere Kollegen in Frankreich.” Unterstützung bekommt er von Wolfgang Pfeifer, Dozent an der Forschungsanstalt Geisenheim. “Gerade bei der Rotweinbereitung kann ein Absenken des pH-Werts mit Weinsäure sinnvoll sein. Zu hohe pH-Werte führen nicht nur zu Farbverlusten, sie fördern auch Mikroorganismen, die Weinkrankheiten hervorrufen können. Zudem kann es durch die vermehrte Bildung von biogenen Aminen auch zu Bekömmlichkeitsproblemen kommen.”

Keine generelle Freigabe der Azidifizierung

Die generelle Freigabe des Säuerns sieht Pfeifer dennoch kritisch. “Es ist teilweise schon abenteuerlich, wie so ein Verfahren dann völlig ohne Erfahrungswerte auf die Praxis losgelassen wird. Gerade bei Weißweinen kann die Harmonie völlig entgleisen. Ich habe neulich Vorversuche eines 2009er Rieslings probiert, bei dem ein Labor erst Milchsäure und Zitronensäure zugegeben hatte. Die Milchsäure sollte den Eindruck der Fülle verstärken, die Zitronensäure etwas Frische bringen. Der etwas ‚grünere’ und ‚aggressivere’ Geschmack sollte anschließend mit kräftigem Einsatz von Süßreserve wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Das Resultat schmeckte furchtbar. Zum Glück war das nur ein Experiment im Kleinen, und der Wein wurde schließlich doch nicht so behandelt”.

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