Globale Erwärmung: 2009 auch deutsche Spitzenweine “aufgesäuert”

Jahreszahl 2009
Früher war die Welt noch in Ordnung: hier die "gute", natürliche Riesling-Säure – dort die bösen, künstlich aufgesäuerten „Südweine“. Doch nach dem heissen Sommer 2003 erwirkten deutsche Winzer erstmals selbst eine Genehmigung zum Zusetzen von Säure – klammheimlich. In 2009 war es wieder soweit. Lautlos erließ das Bundesministerium für Landwirtschaft eine entsprechende Eilverordnung.Von Ulrich Sautter

Vor allem im Süd­wes­ten Deutsch­lands beken­nen sich Spit­zen­win­zer offen zur Not­wen­dig­keit des Säu­erns. Einer von ihnen ist Joa­chim Heger aus Ihrin­gen am Kai­ser­stuhl. “Ich habe mei­ne 2009er Spätburgunder-Moste aus den Steil­la­gen im Wink­ler­berg vor der Gärung mit etwa einem hal­ben Gramm Wein­säu­re pro Liter auf­ge­säu­ert, um sie gegen mikro­bio­lo­gi­schen Ver­derb zu schüt­zen und für ihre Halt­bar­keit vor­zu­sor­gen.” Ein muti­ges Bekennt­nis, denn über das Hin­zu­fü­gen von Säu­re zu Most oder Wein, wie es in wei­ten Tei­len Frank­reichs sowie in Spa­ni­en und Ita­li­en üblich ist, wur­de im deut­schen Wein­bau jahr­zehn­te­lang gespot­tet. Klar, denn was deut­sche Wei­ne oft zu viel haben, fehlt den Wei­nen der Mit­tel­meer­an­rai­ner lei­der all­zu häu­fig: Säure.

Keine Manipulation des Geschmacks

Auf­grund der glo­ba­len Erd­er­wär­mung hat sich die Lage jedoch geän­dert. Lang anhal­ten­de hei­ße Som­mer und über­durch­schnitt­lich war­me Herbs­te haben dazu geführt, dass auch in deut­schen Wein­an­bau­ge­bie­ten manch­mal die Säu­re in den Trau­ben zu schnell abge­baut wird. Damit ver­lie­ren die Wei­ne ihre Fri­sche und ihre inne­re Balan­ce: der ph-Wert steigt. Die­ser Wert ist das Maß für die abso­lu­te Men­ge der Säu­ren im Wein. Er erfasst auch sol­che Säu­ren, die durch Mine­ral­stof­fe – vor allem Kali­um – gepuf­fert sind und die kei­nen Ein­fluss auf den Geschmack eines Weins haben. Durch Zuga­be einer klei­nen Men­ge Säu­re vor oder wäh­rend der Gärung kann die Balan­ce wie­der her­ge­stellt wer­den. Vor allem für Rot­wei­ne ist das Auf­säu­ern nach Heger von Vor­teil: “Es geht mir beim Ansäu­ern nicht um eine Mani­pu­la­ti­on der sen­so­ri­schen Eigen­schaf­ten, also nicht um ein Hoch­set­zen der titrier­ba­ren Gesamt­säu­re. Es geht um eine Ver­schie­bung des pH-Werts.“

Säurekorrektur im Burgund an der Tagesordnung

In den süd­eu­ro­päi­schen Län­dern ist die Azi­di­fi­zie­rung, wie die Zuga­be von Säu­re fach­lich heißt, durch EU-Gesetz erlaubt. In vie­len Jah­ren ist die­se Kor­rek­tur auch not­wen­dig, um aus­ge­wo­ge­ne Wei­ne zu bekom­men. Zuge­setzt wer­den dür­fen Wein­säu­re, Milch­säu­re oder Apfel­säu­re – alles Säu­ren, die im natür­li­chen Wein eben­falls vor­kom­men. An Zitro­nen­säu­re, die im Wein natür­li­cher­wei­se nur in Spu­ren vor­kommt, schei­den sich die Geis­ter. In Deutsch­land ist die Azi­di­fi­zie­rung zwar ver­bo­ten, kann im Not­fall aber durch Son­der­er­laub­nis der Bun­des­re­gie­rung bzw.der Lan­des­re­gie­run­gen erlaubt wer­den. Baden-Württemberg hat­te 2009 als ers­tes Bun­des­land die Auf­säue­rung erlaubt. Die ande­ren Bun­des­län­der zogen rasch nach. “Der Jahr­gang 2009 brach­te außer­ge­wöhn­li­che Wit­te­rungs­ver­hält­nis­se mit zum Teil nied­ri­gen Säu­re­wer­ten und hohen pH-Werten“, begrün­de­te das rheinland-pfälzische Wein­bau­mi­nis­te­ri­um sei­ne Ent­schei­dung, das Auf­säu­ern „bis 1,5 Gramm pro Liter“ zuzu­las­sen. Schä­men muß sich nie­mand ob die­ser Maß­na­me. Ande­re Kor­rek­tu­ren wie das Chap­ta­li­sie­ren und das Ent­säu­ern des Weins sind in Süd­eu­ro­pa ver­bo­ten, in Deutsch­land dage­gen auch ohne Son­der­ge­neh­mi­gung erlaubt. Und im Bur­gund ist das Auf­säu­ern des Weins ein häu­fig geüb­ter Brauch. Einen klei­nen Schat­ten wirft die Maß­nah­me höchs­tens auf den Jahr­gang 2009, der zumin­dest nicht in allen Anbau­ge­bie­ten Deutsch­lands als der bes­te der letz­ten zehn Jah­re ange­se­hen wer­den kann, wie so häu­fig zu hören ist.

Wittman: Kein Fan der Azidifizierung

Zahl­rei­che von weinkenner.de befrag­te Win­zer ver­nein­ten, im Jahr 2009 gesäu­ert zu haben. So etwa Phil­ipp Witt­mann aus West­ho­fen in Rhein­hes­sen: “Wir Rhein­hes­sen haben uns sehr gewun­dert, als im letz­ten Herbst die Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung bekannt wur­de. Nörd­lich der Pfalz waren die Säu­ren fast eben­so gut wie in 2008.” Witt­mann ver­weist jedoch auf das Hit­ze­jahr 2003 und schließt nicht aus, das Ansäu­ern unter sol­chen Extrem­be­din­gun­gen von Vor­teil sein könn­te. “Trotz­dem bin ich kein Fan davon. Ich hof­fe, auch wei­ter­hin mit gestaf­fel­ten, teil­wei­se vor­ge­zo­ge­nen Lese­ter­mi­nen gegen zu tie­fe Säu­re­wer­te gegen­steu­ern zu kön­nen. Momen­tan hof­fe ich, dass wir nur in abso­lu­ten Aus­nah­me­jah­ren das Auf­säu­ern benö­ti­gen”. Und er fügt an: “80 Kilo­me­ter süd­lich mag das aber schon ganz anders aussehen.”

Badischer Grauburgunder teilweise aufgesäuert

Auf die gestaf­fel­te Lese setzt auch Uwe Bar­ni­ckel, Kel­ler­meis­ter im Wein­gut Schwar­zer Adler in Ober­ber­gen, eben­falls am Kai­ser­stuhl. Beim Scrol­len durch die excel-Datei sei­ner 2009er Kel­ler­do­ku­men­tan­ti­on benennt er die Zeit­span­ne zwi­schen dem frü­hes­ten und spä­tes­ten Lese­ter­min bei der Kai­ser­stüh­ler Para­de­sor­te Grau­bur­gun­der: 20 Tage. “Die früh gele­se­nen Par­tien hat­ten akzep­ta­ble pH-Werte um 3,3. Doch einer der spät gele­se­nen Grau­bur­gun­der hat­te schon bei der Trau­ben­an­nah­me einen pH-Wert von 3,6. In der Trau­ben­müh­le fällt noch­mal etwas Säu­re aus, also steigt der pH-Wert dort wei­ter an. Da hilft es mir dann auch nicht wei­ter, spä­ter mit einem säu­re­rei­che­ren Wein ver­schnei­den zu kön­nen. Denn ich muss die säu­re­ar­me Lese­par­tie doch erst­mal sau­ber durch die alko­ho­li­sche Gärung brin­gen. Daher habe ich bei bei­spiels­wei­se bei die­sem Most von der Mög­lich­keit des Säu­erns Gebrauch gemacht.” Bar­ni­ckel ver­weist dar­auf, dass dafür in 2009 kein ein­zi­ger Wein im Kel­ler chap­ta­li­siert wer­den musste.

Bercher sieht Wettbewerbsverzerrung

Mit Arne Ber­cher aus Burk­heim plä­diert auch ein drit­ter nam­haf­ter Kai­ser­stüh­ler Win­zer für einen unver­krampf­ten Umgang mit dem behut­sa­men Auf­säu­ern von Mos­ten. Ber­cher spricht sogar von “Wett­be­werbs­ver­zer­rung”, weil inner­halb der EU mit zwei­er­lei Maß gemes­sen wer­de: “Es ist ganz natür­lich, dass unser Kai­ser­stüh­ler Pinot mit Bur­gund ver­gli­chen wird. Dann soll­ten wir aber auch die­sel­ben Mit­tel zur Ver­fü­gung haben wie unse­re Kol­le­gen in Frank­reich.” Unter­stüt­zung bekommt er von Wolf­gang Pfei­fer, Dozent an der For­schungs­an­stalt Gei­sen­heim. “Gera­de bei der Rot­wein­be­rei­tung kann ein Absen­ken des pH-Werts mit Wein­säu­re sinn­voll sein. Zu hohe pH-Werte füh­ren nicht nur zu Farb­ver­lus­ten, sie för­dern auch Mikro­or­ga­nis­men, die Wein­krank­hei­ten her­vor­ru­fen kön­nen. Zudem kann es durch die ver­mehr­te Bil­dung von bio­ge­nen Ami­nen auch zu Bekömm­lich­keits­pro­ble­men kommen.”

Keine generelle Freigabe der Azidifizierung

Die gene­rel­le Frei­ga­be des Säu­erns sieht Pfei­fer den­noch kri­tisch. “Es ist teil­wei­se schon aben­teu­er­lich, wie so ein Ver­fah­ren dann völ­lig ohne Erfah­rungs­wer­te auf die Pra­xis los­ge­las­sen wird. Gera­de bei Weiß­wei­nen kann die Har­mo­nie völ­lig ent­glei­sen. Ich habe neu­lich Vor­ver­su­che eines 2009er Ries­lings pro­biert, bei dem ein Labor erst Milch­säu­re und Zitro­nen­säu­re zuge­ge­ben hat­te. Die Milch­säu­re soll­te den Ein­druck der Fül­le ver­stär­ken, die Zitro­nen­säu­re etwas Fri­sche brin­gen. Der etwas ‚grü­ne­re’ und ‚aggres­si­ve­re’ Geschmack soll­te anschlie­ßend mit kräf­ti­gem Ein­satz von Süß­re­ser­ve wie­der ins Gleich­ge­wicht gebracht wer­den. Das Resul­tat schmeck­te furcht­bar. Zum Glück war das nur ein Expe­ri­ment im Klei­nen, und der Wein wur­de schließ­lich doch nicht so behandelt”.

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