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Im VDP rumort es: Droht oder winkt eine neue Lagenklassifikation?

Hinter den Kulissen des VDP rumort es. Führende Köpfe im Verband, allen voran Hans-Jörg Rebholz, möchten die bestehende Lagenklassifikation reformieren. Ihre Idee: Die GG tragen nicht mehr den Namen der Ersten Lage, sondern nur noch die Bezeichnung des jeweiligen Flurnamens auf dem Etikett. Die unerwartete Entdeckung der Rheingauer Gewannenkarte von 1867 durch den FAZ-Journalisten Daniel Deckers kam da gerade recht. Von Ulrich Sautter und Jens Priewe

Vor einer Woche erhielten alle Weinjournalisten in Deutschland Post vom VDP. Die Prädikatsweingüter luden anlässlich der Mainzer Weinbörse (15./16. April 2011) zu einer Podiumsdiskussion ein. Thema: “Quo vadis Deutscher Weinbau? Zunkunft mit Herkunft”.

Der harmlose Titel lässt nichts über die Brisanz der Veranstaltung ahnen. Tatsächlich geht es um ein ganz heikles Thema: eine neue Klassifikation der deutschen Spitzenlagen und die Konsquenzen daraus für die Großen Gewächse und die anderen Weine. Vor allem das Präsidium (mit Steffen Christmann an der Spitze) sowie die Regionalverbände Pfalz (mit Hans-Jörg Rebholz) und Nahe (mit Armin Diel) drängen auf eine Reform der aktuellen Regelung. Konkret gesagt, geht es darum, die alte Lagenvielfalt aus der Zeit vor 1971 wieder herstellen. Zwei Szenarien stehen zur Diskussion:

Das erste Szenario

Es trennt zwischen Erster Lage und Großem Gewächs. Das heißt: Die Güter dürfen in der Ersten Lage nur das GG und keinen weiteren Wein trockenen Wein unter dem jeweiligen Lagennamen erzeugen. Beispiel: Das Weingut Emrich-Schönleber an der Nahe müsste sich für ihre Zweitweine vom Halenberg und vom Frühlingsplätzchen künftig neue Namen suchen. Die Bezeichnungen Halenberg und Frühlingsplätzchen wären dann – im Gegensatz zur jetzigen Regelung – ausschließlich für die GG reserviert.

Das zweite Szenario

Es ersetzt die heutigen Namen der Ersten Lagen durch jene Kleinlagennamen (Flur- und Gewannenamen), die im Zuge des Weingesetzes 1971 verschwunden waren. Das Würzburger Bürgerspital müsste sein GG vom Würzburger Stein dann zum Beispiel unter dem Gewann-Namen “Hagemann” auf den Markt bringen. Die Bezeichnung “Würzburger Stein” würde frei für den trockenen Riesling Kabinett und den trockenen Silvaner Kabinett, die “Brot- und Butterweine” des Spitals.

Derzeit sieht es so aus, als würde das zweite Szenario von der VDP-Spitze favorisiert. Doch ob sich die VDP-Mitglieder das Modell absegnen, ist völlig offen. Viele haben nur vage Vorstellungen von den bevorstehenden Änderungen, andere sind tief verunsichert ob der Dinge, die auf sie zukommen. „Noch stehen die Pläne auf wackeligen Füßen”, gibt Hans-Jörg Rebholz zu.

Doch selbst wenn sich die VDP-Mitglieder für diese Lösung entscheiden sollte und alte Lagennamen wieder aufs Etikett zurückholen, ist unsicher, ob Verbandsfunktionäre und die Politiker mitspielen. Viele von ihnen glauben immer noch, mit der Novellierung des Weingesetzes vor 30 Jahren einen Meilenstein für den deutschen Weinbau gesetzt zu haben: „1971 sind große Fehler gemacht worden“, erklärt Rebholz. „In Siebeldingen, meinem Heimatort, hat man beispielsweise aus zehn Kleinlagen zwei große Lagen gemacht. So ist die Lage ‚Ganshorn’, die immer die Top-Lage für Riesling war, in der Lage ‚Im Sonnenschein’ aufgegangen, obwohl deren Geologie ganz anders ist.“

Sollte die Politik nicht mitspielen, will der VDP den Umweg über Brüssel gehen. Bekanntlich muss das deutsche Weinrecht in den nächsten Jahren an die Standards des neuen EU-Weinrechts angeglichen werden. Dessen wichtigstes Vehikel ist die “geschützte Ursprungsbezeichnung”. Schon um die derzeitigen Einzellagen registrieren zu lassen, muss die Liste von Amts wegen geöffnet werden. Bei dieser Gelegenheit ließen sich dann auch die alten Flur- und Gewannenamen als „geschützte Ursprungsbezeichnung“ eintragen.

Freilich wäre der VDP, wenn er sich zu diesem Schritt entschlösse, unter Druck. Die Registrierungs-Anträge müssten bis Ende 2012 gestellt werden. Das ist die Frist, die die EU den Weinbauländern zur Registrierung von „geschützten Ursprungsbezeichnungen“ gesetzt hat.

Die alte Lagenkarte des Rheingau

Unterstützung hat die VDP-Spitze von unerwarteter Seite bekommen. Im Februar entdeckte Daniel Deckers, Kirchenrechts- und Weinexperte der FAZ, im Magazin der Hessischen Landesbibliothek in Wiesbaden eine alte Lagenkarte des Rheingau mit zahlreichen Flur- und Gewannenamen. Sie stammt aus dem Jahre 1867. Dieser Sensationsfund (dessen Entstehungsgeschichte und Bedeutung übrigens in der neuen Ausgabe des Weinmagazins FINE detailliert beschrieben wird) ist bestens geeignet, die Debatte um die Kleinlagen neu zu befeuern.

Alte Lagenkarte Rheingau von 1867

Doch erst einmal müssen Rebholz & Co. ihre VDP-Genossen hinter sich bringen. Denn die Veränderungen, die sich aus einer neuen Lagenklassifikation ergeben, sind noch gar nicht abzuschätzen. Vor allem die Vorschrift, in einer Ersten Lage, aus der ein GG kommt, keinen weiteren trockenen Wein mehr erzeugen zu dürfen, erregt die Gemüter.

„Die Zweitweine haben für uns eine große Bedeutung“, sagt Frank Schönleber mit Blick auf seinen Halenberg und sein Frühlingsplätzchen. Noch dramatischer wäre die Situation in solchen Ersten Lagen, die aufgrund ihrer Größe zwangsläufig mehr als einen Wein hervorbringen. Horst Sauer erzeugt im Escherndorfer Lump neben dem GG noch zwei weitere trockene Rieslinge. Wenn auf deren Etikett weiterhin Lump stehen soll, wäre er gezwungen, sich für sein GG einen neuen Namen suchen.

Joachim Heger, Vorsitzender des VDP Baden, hat das bereits getan. Der Kaiserstühler Winzer hat bereits jetzt einen Spätburgunder “Häusleboden” aus der gleichnamigen Parzelle im Ihringer Winklerberg im Sortiment. Würden alle GG mit solch alten Flur-Namen produziert, wäre der Lagenname “Winklerberg” wieder frei für trockene Weine unterhalb des Rangs eines GG. Heger kann dem neuen Modell deshalb Vorteile abgewinnen.

Wie werden die Weinkunden reagieren?

Doch die Frage bleibt, ob und wie schnell die Weinkunden die neuen, alten Gewanne-Namen akzeptieren werden. Viele VDPler sind diesbezüglich skeptisch. „In den zehn Jahren, in denen es das GG gibt, haben sich die Weintrinker langsam an die jetzigen Lagennamen gewöhnt, und nun sollen sie wieder abgeschafft werden“ drückt Frank Schönleber seine Zweifel aus.

Bedenken hat auch Gerhard Aldinger, Vorsitzender des VDP Württemberg: “Ich habe Zweifel, ob das neue System von den Kunden angenommen wird.“ Hinzu kommt, dass bei der Fülle der zu erwartenden neuen „geschützten Ursprungsbezeichnungen“ sowohl der Weinbauverband als auch die örtliche Weinkontrolle überfordert werden könnte. Und für die Winzer prognostiziert Aldinger zahlreiche Stolperfallen: “Sollte ein Wein aus einer Parzelle mit eigener ‚geschützter Ursprungsbezeichnung’ bei der Großen-Gewächs-Probe abgelehnt werden, würde er nach meinen Informationen gleich mehrere Qualitätsstufen hinunterfallen. Er könnte dann nur noch als ‚Deutscher Wein’ in Verkehr gebracht werden.”

Aldinger plädiert daher für einen anderen Weg: „Was wir brauchen, ist der Erhalt der Lagenbezeichnungen für eine zweite Stufe unterhalb des Großen Gewächses, dann könnten sich die Betriebe wohl fühlen – wenigstens gilt das für uns in Württemberg.” Und der Fellbacher Winzer fügt an: “Es ist fast unmöglich, Anbaugebiete wie die Mosel, die Pfalz und Württemberg nach denselben weinrechtlichen Bestimmungen zu behandeln. In Frankreich käme ja auch niemand auf die Idee, Burgund und Bordeaux über denselben Kamm zu scheren.”

So gesehen ist die geplante Podiumsdiskussion „Quo vadis Deutscher Weinau?“ auf der Mainzer Weinbörse für Winzer wesentlich wichtiger als für Weinjournalisten.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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