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Gernot & Heike Heinrich: Dann sind wir mal so frey…

Das Beste an München ist weder das Oktoberfest noch der dortige Fußballklub, sondern die Tatsache, dass täglich Winzer aus aller Welt in der Stadt sind, um das Gespräch mit Händlern, Gastronomen, Journalisten zu suchen.

Schwanken zwischen Begeisterung, Überraschung, Zweifel

Ich traf Gernot und Heike Heinrich Ende März im Grapes, der derzeit angesagtesten Weinbar der Stadt.  Die beiden wollten ihre Weine einigen jungen Sommeliers vorstellen, die experimentierwillig sind und nicht nur den Mainstream bedienen wollen. Ich war dazu geladen, und obwohl ich die Heinrich-Weine seit vielen Jahren kenne und mehrfach ihr Weingut in Gols am Neusiedlersee besucht habe, musste ich zugeben, dass auch für mich einiges neu war: die Philosophie beispielsweise. Ihr begegne ich mit allergrößtem Respekt. Bei den Weinen schwankte ich zwischen Begeisterung (insbesondere für die Blaufränkischen), Überraschung (Weißburgunder Leithaberg) und Ratlosigkeit (Welschriesling Freyheit, Graue Freyheit).

Aus dem Gespräch, das sich in der Runde entwickelte, habe ich folgendes Interview herausgeschnitten.

Stampfen
Stampfen

 

Weinkenner: Sie raten den Käufern Ihres Welschriesling Freyheit: Unbedingt vor Genuss schütteln! Meinen Sie das ernst?

Gernot Heinrich: Sehr ernst. Der Wein ist unfiltriert, die Käufer sollen sehen, dass er trüb ist. Daher rate ich ihnen, die Flasche vor dem Öffnen zu schütteln. Ich bin mir darüber im Klaren, dass mancher Weintrinker von dem Genuss eines trüben Weins erschrocken Abstand nimmt. Aber der Trub besteht aus kleinsten Hefezellen, die dem Wein eine unbekannte Frische und vibrierende Lebendigkeit geben und es mir ermöglichen, ihn gänzlich ohne Schwefel in die Flasche zu füllen.

Weinkenner: Erklären Sie das bitte.

Gernot Heinrich: Der Trub besteht aus lebenden und  abgestorbenen Hefezellen. Nachdem diese ihre Aufgabe, nämlich die Umwandlung des Zuckers in Alkohol, erledigt haben, lösen sie sich größtenteils selbst auf. Dabei werden Aminosäuren, Eiweiße,  Fettsäuren und auch Schwefelverbindungen freigesetzt. Das bedeutet, dass der Wein gegen weitere Oxidation geschützt ist, zumindest teilweise. Autolyse heißt dieser Vorgang. Er spielt sich ähnlich wie beim Champagner ab, der auch monatelang, manchmal jahrelang auf der Hefe liegt ohne jeden Schwefelzusatz. Wir nennen das natürliche Reduktion.

Weinkenner: Wollen Sie den Wein neu erfinden?

Gernot Heinrich: Keineswegs, ich sehe es eher als eine Rückbesinnung auf eine sehr traditionelle Vinifikation nach dem Motto „Weniger ist mehr“. Indem ich auf vieles verzichte, was die moderne Önologie in den letzten Jahrzehnten an Verfahren und Methoden hervorgebracht hat und was heute als unverrückbare Voraussetzung für moderne Weinerzeugung gilt. Wir vergären alle unsere Weine spontan und auch der biologische Säureabbau läuft ohne unser Zutun ab. Das heißt keinerlei Zugabe von Reinzuchthefen, Enzymen oder 150 anderen Zusatzstoffen, die paradoxerweise bei der Weinproduktion zugelassen sind. Ich lasse alle Weißweine eine Zeit lang auf der Maische stehen. Von der kühlen Vergärung habe ich mich längst verabschiedet. Bei Vergärung in kleineren Fässern, Holzgärständern und Tonamphoren braucht es keine Temperaturkontrolle.

Weinkenner: Auch die Weißweine nicht?

Gernot Heinrich: Auch bei den Weißweinen geht die Gärung im Zweifelsfall bis auf 27°C hoch. Unglaublich, was das macht mit dem Wein! Für unsere  Naturweine benutzen wir traditionelle Korbpressen statt moderne pneumatische Pressen. Neue Holzfässer verwende ich immer seltener. Alle Weine die den Namen „Freyheit“ tragen, werden ohne Zugabe von Schwefel abgefüllt.

Naturwein in der Tonflasche
Naturwein in der Tonflasche

Weinkenner: Einige Ihrer Weine füllen Sie in Flaschen aus Ton ab.

Gernot Heinrich: Nur die maischevergorenen Naturweine. Da soll auch das Behältnis aus dem gleichen natürlichem Material bestehen wie die Amphoren, in denen sie vergoren wurden. Ich habe das Gefühl dass der Wein in der Tonflasche besser vor negativen Einflüssen von außen, wie etwa Licht und Wärme, geschützt ist. Außerdem kann so niemand sehen, dass der Inhalt trüb ist. Unsere Arbeit im Keller sehe ich eher als ein „sanftes Begleiten und zurückhaltendes Beobachten“ an, und natürlich ganz wichtig regelmäßiges Verkosten um die Entwicklungsstadien des Weines mitzuverfolgen. Die Schwerkraft alleine genügt uns, um die Weine falls notwendig zu bewegen. Man könnte fast sagen: Es passiert alles von alleine.

Weinkenner: Wie kommen Ihre Weine beim Kunden an?

Gernot Heinrich: Unsere Top-Rotweine sind nach wie vor sehr schnell vergriffen, aber für unsere „neuen“ Naturweine brauchen wir schon noch etwas mehr Zeit, um sie unseren Kunden näher zu bringen. Wir wollen diese kleine Nische im weltweiten Markt jedoch besetzen. Einige Sommeliers haben mir erzählt, dass Gäste, die sich anfangs gegen den naturtrüben Wein wehrten, am Ende ihr Glas schneller leerten als das mit dem klaren Wein. Auf der anderen Seite wird es immer schwieriger, Weine ohne vordergründige Primärfrucht, aber dafür mit spannender Mineralität und leichten Reduktionsnoten durch die Kostkommissionen zur Erlangung der staatlichen Prüfnummer zu bringen.

Weinkenner: Ein Reduktionsbouquet ist immer etwas „stinkig“…

Gernot Heinrich: Mir gefällt in dem Zusammenhang der Begriff Feuerstein, Popcorn oder Mohnsemmerl besser, aber es ist Ansichtssache und kann sehr polarisieren. Ich denke zu diesem Thema werden wir noch viele Diskussionen führen, und dazu brauchen wir viel Zeit. Genauso wie unsere Weine, die eine längere Reifephase im Keller auf der Vollhefe und danach in der Flasche auf der Feinhefe absolvieren. Herauskommen wird jedenfalls immer ein komplexerer, natürlicherer und bekömmlicherer Wein.

Weinkenner: Schwefeln Sie gar nicht mehr?

Gernot Heinrich: Nur jene Weine, die wir mit der Feinhefe abfüllen. Die Hefe übernimmt hier die Funktion des Reduktionsmittels. Alle Weine die eine nähere Herkunftsangabe auf dem Etikett tragen, sprich Qualitätswein, werden klar abgefüllt und ganz leicht, mit ca. 15 Milligramm pro Liter geschwefelt. Man sieht also: Auch hier werden wir immer bewusster und mutiger. Vor 20 Jahren hat man nach dem Säureabbau bedenkenlos 50 Milligramm gegeben und hat so derbere Gerbstoffe und irreversible Bittertöne riskiert.

Wildkräuter zum Fermentieren
Wildkräuter zum Fermentieren

Weinkenner: Sie haben Ihr Weingut in den letzten zehn Jahren nahezu völlig neu aufgestellt. Aus einem von Lobeshymen überschütteten Spitzenweingut mit tollen Rotweinen wie Salzberg und Gabarinza ist ein biodynamisches Pionierweingut geworden, das auch im Keller die herkömmliche Önologie gegen den Strich bürstet und mit Weinen aufwartet, die manch traditionellen Weintrinker ratlos machen. Was hat Sie zu dieser Kehrwende bewogen?

Gernot Heinrich: Es war keine Kehrtwende, sondern ein langer Prozess, der schon vor 2007 begonnen hatte, bevor wir den Startschuss für die Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung gegeben haben. Als Weinbauern leben wir von und mit der Natur, genießen ihre Schönheiten, beobachten jede Veränderung und begreifen uns als ein Teil von ihr. Da wir authentische Weine erzeugen wollen und nicht Weine nach Publikumsgeschmack, brauchen wir lebendige Weinberge mit intaktem Bodenleben und vitalen Rebstöcken. Nur so lässt sich der nächste Qualitätsschritt machen. Diese Überzeugung ist in mir und bei meiner Frau langsam gewachsen und hat dazu geführt, dass wir ein paar Dinge geändert haben.

Weinkenner: Ein paar Dinge? Sie haben Tabula Rasa gemacht. Sie haben beispielsweise den Schwerpunkt ihrer Produktion von Gols auf die andere Seite des Neusiedlersees an den Leithaberg verlegt…

Gernot Heinrich: Wir waren fasziniert von der Vielgestaltigkeit der Böden und der Landschaft und wir haben dann 2006 begonnen, Weinberge am Leithaberg zu kaufen. Dort ist es kühler als in Gols, und wir finden dort hochwertige Kalk- und Schieferböden. Terroir-Weine kannst du nur machen, wenn du den Boden dazu hast. Wir lieben inzwischen die Steine mehr als den Lehm. Deshalb stehen heute nur noch 40 Prozent unserer Reben in Gols. Aber selbstverständlich produzieren wir dort nach wie vor unsere beiden Spitzenweine Gabarinza und Salzberg, hinzugekommen am Leithaberg sind die Blaufränkisch Einzellagenweine wie „Edelgraben“ (Schiefer) und „Alter Berg“ (Kalkstein).

Weinkenner: Aber sind es noch dieselben Weine wie einst? Ein Sommelier hatte einmal angemerkt, dass der Salzberg nun auch schon eine burgundische Stilistik aufweist…

Gernot Heinrich: Ich glaub das war nicht ganz ernst gemeint und ist ganz leicht widerlegbar. Aber klar hat es da und dort stilistische Anpassungen gegeben, weniger Holz, weniger Röstaromatik, strafferes Gerüst in den Weinen, mehr Finesse usw.

Weinkenner: Und was ist mit dem Zweigelt, der klassischen Rotweinsorte von Gols und des östlichen Ufers des Neusiedlersees?

Gernot Heinrich: Die Sorte Zweigelt spielt nach wie vor eine relativ große Rolle, vor allem im Einstiegsbereich, zum Beispiel dem Red oder dem sogenannten „klassischen“ Zweigelt, aber auch als Basis in unseren hochwertigen Cuvées wie Pannobile und Gabarinza.

Vergrabene Kuhhörner
Vergrabene Kuhhörner

Weinkenner: Kürzlich hat sich Ihr Kollege Roland Velich vom Weingut Moric in einer Rundmail empört über die DAC Neusiedlersee geäußert und die Tatsache, dass deren Statuten Weine mit 13,5 Vol.% und 4,3 Gramm Restzucker erlauben, als „absurdes Theater“ bezeichnet. „Wer will sowas trinken?“ hat er gefragt. Für eine Zweigelt Reserve gibt es überhaupt keine Alkohol-Obergrenze. Prominente Weinkritiker wie David Schildknecht und Stephan Reinhardt haben ins gleiche Horn gestoßen. Wieviel Alkohol hat Ihr Zweigelt?

Gernot Heinrich: Da kann ich Roland Velich nur beipflichten, leider eine sehr unrühmliche Entwicklung die da im DAC Neusiedlersee stattgefunden hat. Wir haben anfänglich versucht uns einzubringen, leider aber mit wenig Erfolg und  sind dann aus der DAC Neusiedlersee ausgestiegen, weil die Weine keinen Herkunftscharakter haben. Aber Sie müssen bedenken: Die  Erzeuger wollten so eine DAC, weil es offenbar viele Konsumenten gibt, die diese Art von Zweigelt mit hohem Alkohol, Restsüße und viel Holz bevorzugen. Aber da unser Zweigelt von beiden Seiten des Neusiedlersees stammt, darf er ohnehin nicht die mittlerweile verunglimpfte Bezeichnung Neusiedlersee DAC tragen, sondern „nur“ die Herkunftsbezeichnung „Burgenland“, dafür aber einem sehr eleganten, fruchtbetonten und leichtfüßigen Stil frönen, der meinem persönlichen Anspruch an Trinkfreudigkeit gerecht wird und vor allem je nach Jahrgang nur 12 oder 12,5 Vol.% aufweist, was mehr als ausreichend ist. Und dass es einem Wein auch mit 11 Vol.% an nichts mangelt, haben wir schon mit unserem 2014 St. Laurent Rosenberg bewiesen. Arbeitstitel: „Die neue Leichtigkeit des Weins“.

Weinkenner: Sie setzen mehr auf Blaufränkisch?

Gernot Heinrich: Ja, der Fokus liegt ganz eindeutig bei der Sorte Blaufränkisch und hat bereits ein Ausmaß von 50 Prozent der Gesamtfläche erreicht. Er fühlt sich besonders in dem etwas kühleren Mesoklima am Leithaberg sehr wohl und reift dort auch um bis zu zwei Wochen später als in Gols. Überhaupt ist diese langsame Aromenausreifung für die Charakteristik des Blaufränkisch sehr wichtig. Dabei spielt der riesige Eichenwald, der die Kuppe des Leithagebirges bedeckt, eine eminent wichtige Rolle indem er selbst in den heißesten Sommermonaten immer für eine leichte Kühlung sorgt. Für mich kann Blaufränkisch wie kaum eine andere Sorte Terroir zum Ausdruck bringen und sehr sensibel reagieren. Aber dazu braucht es auch ein aktives Bodenleben mit viel Biodiversität, damit die Rebe in regem Austausch mit dem Boden stehen und ihn zum Ausdruck bringen kann. Dabei spielt die biodynamische Bewirtschaftung eine große Rolle.

Amphore
Amphore

Weinkenner: Blaufränkisch ist derzeit extrem populär. Für manch jungen österreichischen Sommelier gibt es auf der Welt nicht Besseres an Rotwein. Leider ist nicht alles, wo Blaufränkisch draufsteht, fruchtbar aufregend. Aber Ihr Blaufränkisch Alter Berg ist tatsächlich ein Wein, der auch Merlot- oder Cabernettrinker umstimmen könnte. Er zeigt eine Stilistik, die für Rotweine weltweit ziemlich einzigartig ist: kühle Frucht mit warmen Erdnoten und pfeffriger Würze, dabei puristisch und extrem elegant. Ähnliches gilt für Ihren Blaufränkisch Leithaberg DAC. Fast könnte man sagen: Ihnen haftet ein Hauch von Weißwein an!?

Gernot Heinrich: Unsere Blaufränkischen haben immer eine spürbare Säure, und unsere Weißweine sind ein bisschen wie Rotweine vinifiziert: haben mit den Stielen lange auf der Maische gestanden, in offenen Holzgärständern, teils sogar in Amphoren. Insofern nähern sich Rotwein und Weißwein einander an, so wie wir sie verstehen. Aber ich denke, Rotwein und Weisswein sind bei uns immer noch deutlich unterscheidbar.

Weinkenner: Und Ihr Tonflaschen-Wein Graue Freyheit?  Er liegt farblich irgendwo zwischen rot und weiss.

Gernot Heinrich: Ein Sonderfall. Der Wein ist eine Cuvée von Chardonnay, Weißburgunder und 40 Prozent Grauburgunder. Grauburgunder ist eine zwittrige Sorte, die schon am Stock stark pigmentiert ist und bei einer Maischegärung, wie wir sie praktizieren, automatisch einen roséfarbenen Wein ergibt. Da verschwimmen manchmal die Grenzen zwischen rot und weiß.

Weinkenner: Auch Ihr hoch gelobter Leithaberg Weißburgunder ist viel „roter“ als andere Weißburgunder vom Leithaberg?

Gernot Heinrich: Auch er wurde 24 bis 48 Stunden auf der Maische belassen und hat dabei Gerbstoff getankt. Gerbstoff ist in Weißweinen eigentlich nicht erwünscht.  So lehren es zumindest die Weinbauschulen. Wir hingegen glauben, dass unser Weißburgunder durch den Gerbstoff resilienter und haltbarer wird. Das heißt: nach einer gewissen Reifephase tiefgründiger, facettenreicher, interessanter ist als ein klassisch vinifizierter Weißburgunder. Er ist aber nicht als üppiger Wein konzipiert, sondern eher als karger, mineralischer Wein. Man schmeckt den Kalkboden, von dem er kommt. Das vor allem ist uns wichtig. Aber das funktioniert nur, wenn sich die Reben etwas plagen müssen, um in das Gestein vorzudringen, weniger stark wachsen, dickere Beerenhaut haben, also weniger Saft und dadurch mehr Geschmack und natürliche Intensität aufweisen – eigentlich ganz logisch.

Weinkenner: Sie haben 2001 einen der architektonisch spektakulärsten Keller des Burgenlands gebaut. Stimmt es, dass Sie Besuchern, die ihn gerne besichtigen möchten, lieber Ihren Komposthaufen oder die Kräuterkörbe zeigen, aus denen milchsaure Fermente  für die Maischegärung  entstehen?

Gernot Heinrich: Es braucht immer eine ganzheitliche Betrachtungsweise, wir zeigen also immer Keller und Kompost.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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