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Gambero Rosso 2012: Die neuen 3-Gläser–Weine, Teil 2

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Die Toskana-Liste besitzt Sprengstoff: der (zweifellos große) 2008 Sassicaia prämiert, der 2008 Ornellaia nur zwei schwarze Gläser. Dabei ist letzterer deutlich besser als sein Vorgänger, der 3 Gläser erhielt. Auch der 2008 Masseto erringt nur zwei rote Gläser, während der Baffonero aus dem (nicht weit entfernt liegenden) Weingut Rocca di Frassinello, ebenfalls ein reinsortiger Merlot, 3 Gläser bekommt (allerdings mit dem Jahrgang 2009).

Entsprechend hoch schlagen die Wellen in Italien. Das Weingut Rocca di Frassinello betreiben Chateau Lafite und Paolo Panerai, der als heimlicher Hauptaktionär des Gambero Rosso (bzw. Statthalter desselben) gilt. Ehrliche Verkoster werden sich schwertun, diese Entscheidung nachzuvollziehen. Der Markt hat jedenfalls eine andere Meinung. Er zahlt für den Masseto das vier- bis Fünffache des Baffonero.

Höchst befremdlich auch die Brunello-Wertungen. Kein Siro Pacenti, kein Lisini „Ugolaia“, kein Poggio a Sotto, kein Valdicava, kein Ucceliera mit 3 Gläsern, dafür eine Reihe unspektakulärer Weine und – man staune – der normale Brunello von Biondi Santi. Auf einmal steht dieser Wein, der jahrelang durchs Raster gefallen war, hoch im Kurs, obwohl er seine Eigenarten (andere sagen: Unzulänglichkeiten) keineswegs abgelegt hat.

Auch im Chianti classico muss man sich die Augen wischen. Castello di Ama, Querciabella, Riecine – keiner steht auf dem Treppchen, dafür viele andere, die bisher wenig bekannt, geschweige denn 3 Gläser-verdächtig waren. Und Felsina genügt höchsten Ansprüchen nur mit seinem Cabernet Sauvignon, nicht mit dem Fontalloro oder der Riserva Rancia. Gewöhnungsbedürftig.

Vielleicht sollten Winzer und Leser die Bewertungen nicht so ernst nehmen. Denn ganz offenkundig ist den Juroren (oder den „Administratoren“ in der Redaktion) eine Menge durcheinander gegangen. Der mit 2 Gläsern prämierte 2008 Campo alla Sughera aus dem gleichnamigen Weingut in Bolgheri (ein Petit Verdot mit einem kleinen Anteil Merlot) war gar nicht eingeschickt worden. Er kann also nicht verkostet worden sein. Der eingeschickte 2007er wurde offenbar fälschlich als 2008er registriert. Fehler dieser Art erklären manche Ungereimtheiten nicht nur im Kapitel Toskana, sondern auch in anderen Kapiteln.

Toskana

Umbrien

Den Wertungen der umbrischen Weine gibt es wenig Argumente entgegenzusetzen. Die besten Sagrantino-Weine sind von der Gambero Rosso-Jury ziemlich richtig benannt. Bliebe nur hinzuzufügen, dass der traditionelle Stil von Colle Allodole und die elegante Variante von Villa Mongalli nach meiner Meinung herausragen. Den hochprozentigen Tabarrini-Sagrantino als elegant zu bezeichnen, ist allerdings eine kühne Behauptung. Schade, dass der Sagrantino von La Pertica noch nicht zur Verkostung stand. Er dürfte ein weiterer 3 Gläser-Kandidat sein. Interessant vielleicht, dass zwei Orvieto die höchste Stufe der Bewertung erklommen haben. Mit Antinoris genialem Cervaro della Sala sind es dann drei Weißweine, die auf dem Treppchen stehen. Erwähnung am Rande: Erstmals ist auch das kleine Weingut Madonna del Latte im Gambero Rosso aufgenommen worden, das von dem Münchener Kunsthistoriker (und Reiseveranstalter) Hellmuth Zwecker und seiner Frau (und Buchautorin) Manuela Zardo geführt wird. Ein schöner Erfolg! Ihre drei Weine bekommen zwar jeweils nur ein Glas, aber ihr bester Wein der rote Sucano, war nicht angestellt. Vielleicht hätte er zwei Gläser bekommen.

Latium

Der Mangel an großen Terroirs und an noblen einheimischen Rebsorten spiegelt sich jedes Jahr in der mageren Ausbeute Latiums an 3 Gläser-Weinen wider. Dieses Jahr sind es immerhin vier, wobei die Bewertungen aller vier ziemlich schmeichelhaft sind. Die drei Weißen halten vermutlich selbst der inneritalienischen Konkurrenz nicht stand, und Cotarellas Montiano ist zwar ein guter, aber sicherlich kein großer Wein. Zum ersten Mal wurde auch das Muster-Weingut Villa Caviciana aufgenommen, das der Düsseldorfer Anwalt Fritz Metzeler und seine Frau Mocca am Bolsena See aufgebaut haben. Ironie des Schicksals: Ihr einfachster Weißwein (Filippo) und ihr einfachster Rotwein (Eleonora) haben zwei Gläser bekommen, während ihr (nach meiner Meinung sehr gut gelungener) Topwein (Faustina) nur ein Glas erhält.

Abruzzen

Es stimmt nicht, dass die Region Abruzzen kein Massenweinland mehr ist, wie die Autoren des Gambero Rosso in ihrem Vorwort schreiben. Richtig ist allerdings, dass die Zahl der guten und sehr guten Weine zugenommen hat. Letztes Jahr erhielten 13 Weine die 3 Gläser, dieses Jahr immerhin 11. Und dass die roten Montepulciano-Weine den Löwenanteil abräumen, ist okay. Die Weine, so schwierig sie sein können, ergeben großartige Qualitäten, wenn sie aus dem richtigen Keller kommen. Vor ein paar Monaten habe ich einen 2000 Montepulciano d’Abruzzo Villa Gemma von Masciarelli aufgemacht – da wackelten die Wände! Allerdings braucht dieser Wein wirklich zehn Jahre, um zu zeigen, was in ihm steckt. Vielleicht hat Masciarelli deshalb seinen 2007er Villa Gemma noch nicht freigeben. Mithin konnte er nicht bewertet werden.
Ansonsten stößt die Wahl der Juroren in Italien nicht auf große Zustimmung, und auch die anderen Weinführer werten den Montepulciano d’Abruzzo Binomio von La Valentina, Zaccagninis Montepulciano d’Abruzzo San Clemente und den Tolos von Terra d’Aligi deutlich höher, die Weine der Großkellerei Emidio Pepe dagegen deutlich niedriger als der Gambero Rosso. Das exzellente Weingut Montipagano ist wieder nicht gelistet. Interessant, dass die Weine aus der weißen Pecorino-Traube erstmals 3-Gläser würdig sind – wobei hinzuzufügen ist, dass diese Weine im internationalen Vergleich sicherlich nicht die 90 Punkte-Schwelle überschreiten würden, geschweige die 92 Punkte-Schwelle.

Molise

In Molise, der neben dem Aostatal kleinsten aller italienischen Regionen, hat die Aglianico Riserva Contado aus dem Weingut von Di Majo Norante (das konsequent auf internationale Rebsorten verzichtet) ein Abonnement auf die 3 Gläser. Die Wahl geht in Ordnung, auch weil der Spitzenwein, die Montepulciano-/Aglianico-Cuvée Don Luigi Riserva, einfach überladen und zu alkoholreich ist (merkwürdig nur, dass die Riserva Contado, die bei Händlern und Konsumenten in Deutschland jahrelang ganz hoch im Kurs stand, plötzlich aus der Mode gekommen ist, obwohl sie qualitativ eher besser als schlechter und nicht teurer geworden ist).

Apulien

Viel Mittelmaß – so ließe sich der Status Quo der Region Apulien umschreiben. Die 3 Gläser-Gewächse sind fast durchweg untypische, teilweise etwas gequält wirkende und auf Schwere getrimmte Weine wie etwa der Frauma: eine abenteuerliche Cuvée von Primitivo und Petit Verdot. Auch der Primitivo Es von Gianfranco Fino schmeckt mehr nach flüssigem Mon Chérie als nach frischen Früchten. Und der Nero von Conti Zecca könnte als Cocktail von Trockenpflaumen und Schokoladensauce durchgehen. Beeindruckende Weine, gewiss, aber mehr, um sie im Geschmackslabor zu diskutieren als zum Essen zu trinken. Der Erfolg Apuliens im Weinsektor spiegelt sich im Gambero Rosso nicht wider. Es sind die 1- und 2 Gläser-Weine, denen die Region ihren Markterfolg verdankt, etwa die Primitivos, die aufgrund ihres Typus schon auf der 1 Glas-Stufe überzeugende Qualitäten bieten. Oder die Negroamaros, die trotz 2 Gläser-Status preiswert sind einen tollen Trinkfluss garantieren. Ganz zu schweigen von den leichten, schmelzig-fruchtigen Rosés. Wirkliche Spitzenweine, die sich auch international durchsetzen können (außer in homöopathischen Mengen), gib es nicht in Apulien und wird es dort auch nie geben.

Kampanien

Die Urteile der Gambero Rosso-Juroren für die Region Kampanien sind ein Triumph für die Fiano-Weine. Gleich fünf dieser stoffig-mineralischen Weißweine wurde die Ehre der höchsten Bewertung zuteil. Erstmals wurde dabei auch das hohe Niveau der Fiano-Weine von Colli di Lapio, Quintodecimo, Marsella und Villa Raiano anerkannt. Auch wurde der famose Fiano von Villa Sarni 1860 endlich in den Führer aufgenommen und gleich mit zwei roten Gläsern prämiert. Beim Greco di Tufo, dem zweiten interessanten Weißwein Kampaniens, liegen Pietracupa und Benito Ferrara vorn. Bei Feudi di San Gregorio hätte man mehr als nur den Greco di Tufo auszeichnen können. Der Wiederaufstieg dieses Weinguts ist spektakulär. Villa Diamante, Darling der Sterne-Gastronomie, hat den Sprung aufs Treppchen nicht ganz geschafft. Bei den Rotweinen gibt es Verschiebungen. Caggiano, Villa Matilde und Molettieri scheinen nicht mehr erste Wahl zu sein. Dafür kommen Neuankömmlinge wie Tecce und Nanni Copè gross raus. Silvia Imparato mit ihrem Montevetrano und Galardi mit seinen Terra di Lavoro sind gesetzt – ich glaube zu Recht. Das Fehlen von Vinosia wirft Fragen auf. Ihr Sesto a Quinconce aus uralten Aglianico-Reben hat bei Luca Maroni 99 Punkte bekommen. Selbst wenn man die Wertungen dieses exzentrischen Testers nicht immer ernst nehmen muss – Vinosia hat eine großartiges, tolles Sortiment.

Basilicata

Warum nicht Macarico? Die Klasse der Selezione 2006 des Aglianico del Vulture von Rino Botte wurde von den Testern offenbar nicht erkannt. Schade. Dass die Cantine del Notaio es mit keinem Wein in die obersten Ränge schaffte (nicht einmal in den Rang der 2 roten Gläser), ist unverständlich. Auch Paternosters Don Anselmo erscheint unterbewertet. Außerdem fehlt mit Le Querce ein Top-Produzent.

Kalabrien

Ob die Tester zu faul, zu inkompetent, zu langsam waren oder sich von der Mafia haben einschüchtern lassen – man weiß es nicht. Aber das, was sie für die Region Kalabrien abgeliefert haben, ist höchst unbefriedigend. Das wohl beste Weingut Kalabriens, Roberto Ceraudo, rangiert nur unter „ferner liefen“. Sein bester Wein, der Petraro, muss mit 2 schwarzen Gläsern vorlieb nehmen. Das entspricht nicht der Realität. Und wenn Librandi mit seinem Gravello 3 Gläser bekommt (was in Ordnung ist), dann hätte Statti, der große Aufsteiger in Kalabrien, mit seinem roten Batassaro eigentlich dieselben Ehren verdient. Der süße Passito von Viola hat nur regionale Bedeutung.

Sizilien

Ätna, Ätna, über alles – so könnte man die Auswahl des Gambero Rosso für die Region Sizilien persiflieren. Sieben Weine von 14 vom Ätna (ital.: Etna) mit 3 Gläsern (wenn man den Contrade Porcaria und den Faro Parlari dazurechnet) – das entspricht nicht der Realität Siziliens. Eher spiegelt es die hohen, um nicht zu sagen: überhöhten Erwartungen gewisser Fachleute wider, für die der Ätna sowas wie das Burgund Italiens ist. Das ist – Verzeihung – Quatsch. Richtig ist, dass auf den vulkanischen Böden in 600 bis 1000 Metern Höhe hochmineralische, elegante Weine wachsen (vor allem rot, aber auch weiß), die einen deutlichen Kontrast darstellen zu den dunkelfarbenen, tanninreichen Nero d’Avola-Gewächsen, die aus dem restlichen Sizilien kommen.

Letztere sind aber typisch und die wahre Stärke der Insel-Region, in den hochfeinen Versionen wie des Rosso del Conte von Tasca d’Almerita und des Plumbago von Planeta ebenso wie in den einfachen und mittleren Qualitäten. Sie riechen nicht nach dem Schweiß der vom Festland eingeflogenen Önologen, die unbedingt eine Trophäe wollen, sondern spiegeln den authentischen Duft und Geschmack der Insel wider. Donnafugata musste sich diesmal mit nur einer (allerdings hochverdienten) Prämie für seinen süßen Ben Rye zufrieden geben, während der Milleeunanotte und der Tancredi nicht die ultimative Wertschätzung der Juroren erringen konnten.

Höchste Ehren verweigert wurden auch den Weinen von Abbazia di Santa Anastasia, COS, Feudo Maccari, Principi di Butera und Morgante, die sonst zu den üblichen Verdächtigen gehören. Gar nicht komisch ist, dass der Passito Gianfranco Ferré in der Liste auftaucht. Das Weingut, das diesen modischen, völlig unsizilianischen Süßwein aus Semillon und Gewürztraminer erzeugt, gehört ausgerechnet Paolo Panerai, einem der Hauptakteure in der Gambero Rosso Holding (siehe auch das Kapitel Toskana).

Sardinien

Mir fehlt leider die Erfahrung und die Kenntnis, um die sardischen Weine fachlich zu beurteilen. In den italienischen Foren wird beklagt, dass die Weine der Tenute Dettori unterbewertet seien. Nachdem deren Cannonau „Tuderi“ im Konkurrenzführer der Associazione Italiana Sommelier (A.I.S.) mit fünf Tastevins, der höchsten Wertung, bedacht worden ist, hat Alessandro Dettori, der Besitzer des Weinguts, offenbar darauf verzichtet, den Wein im Gambero Rosso anzustellen. Nur der Cannonai „Tenores“ wurde von den Gambero-Juroren verkostet und erhielt 2 schwarze Gläser.

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