Der Frost schlich sich lautlos an. Er kam von Nordosten, aber nicht überraschend. Der Wetterdienst hatte vor einem Kaltluftkeil aus Polen gewarnt. In Breslau war am Tag vorher Schnee gefallen. Franken liegt luftlinienmäßig nicht weit von Südpolen entfernt. Einige Winzer waren deshalb im Weinberg und versuchten, mit Gasöfen, Ventilatoren und Wasserspritzen zu verhindern, dass die jungen Triebe erfroren. Doch viel konnten sie nicht ausrichten. Bei fünf bis sechs Grad minus strahlte die eiskalte Luft erbarmungslos auf die sprießenden Reben ab.
Auch Württemberg und Rheinhessen schwer getroffen
Es war offenbar der verheerendste Spätfrost, der Deutschland seit 1945 heimgesucht hat. Er breitete sich in Windeseile bis nach Württemberg und in die Pfalz aus. Weingüter wie Rainer Wachtstetter, Graf Adelmann und Fürst Hohenlohe-Öhringen sind hart getroffen. Georg Mosbacher im pfälzischen Forst beklagt ebenfalls sehr hohe Schäden. Auch in den rheinhessischen Orten Pfeddersheim, Mettenheim, Alsheim und Guntersblum wütete der Frost. Mosel, Nahe, Ahr und Rheingau sind dagegen relativ glimpflich davongekommen. Nur in den Senken, in denen die kalte Luft nicht abfließen konnte, sind dort Reben erfroren. „Ich rechne mit Einbußen von etwa 15 Prozent“, berichtet Peter Jakob Kühn aus Oestrich.
Katastrophe mit Ansage
Am schlimmsten hat es zweifellos Franken getroffen. Die eiskalte Luft fiel von oben in die Hänge ein und strömte nach unten ins Maintal. Wo sie nicht abfließen konnte, blieb sie liegen und zerstörte alles, was am Fuße der Steilhänge wuchs. Erfahrene Winzer wie Reimund Stumpf vom Weingut Bickel-Stumpf ahnten die Katastrophe bereits, bevor sie da war – freilich ohne etwas ändern zu können: „Die Reben waren eigentlich viel zu weit entwickelt. Wenn es dann vor den Eisheiligen kalt wird und zusätzlich Vollmond ist, kann es passieren, dass wir einen frühen Spätfrost kriegen.“
Wirtschaftlich harter Schlag
Dabei hatten die Franken große Hoffnungen in den Jahrgang 2011 gesetzt. Nach dem mengenmäßig kleinen Jahrgang 2010 und dem auch nicht übermäßig reichen Jahrgang 2009 sehnten sich die Winzer nach einem Jahrgang, der endlich einmal wieder normal ausfiel und die derzeit günstige Frankenwein-Konjunktur unterstützt. Viele Weingüter hatten in den letzten Jahren enorme Investitionen getätigt. Wirtschaftlich trifft sie der Spätfrost deshalb hart. Einige fürchten sogar um ihre Existenz.
Ludwig Knoll, 45, Weingut Am Stein, Würzburg
„Eine Katastrophe! Viele Weinberge sehen aus wie im Winter, kein Grün mehr dran. Mein Herz blutet. Ich kann es kaum beschreiben. In Randersacker haben wir 100 Prozent Ausfall. Riesling, Silvaner, Spätburgunder – alles ist erfroren. Und das, obwohl wir in der Frostnacht im Weinberg waren, Feuer gemacht haben und mit Großraumspritzen gearbeitet haben, um die Luft zu verwirbeln. Die Schäden gehen hinein bis in die großen Lagen im Pfülben und im Sonnenstuhl. Am Würzburger Stein sind die Reben nur oben auf der Kuppe erfroren. Nach jetzigem Stand müssen wir in unserem Betrieb mit 80 Prozent Ernteausfall rechnen. Vielleicht bessert sich die Situation noch etwas, weil wir Baldrian gespritzt hatten, da haben die Reben nach dem Frost einfach mehr Drang, neu zu treiben. Aber insgesamt ist mir um die Zukunft richtig bange: Wir hatten in den letzten Jahren viele Neuinvestitionen getätigt.“
„Unsere besten Lagen sind glücklicherweise weniger stark betroffen. Aber in den hohen Lagen an der Kuppe der Steilhänge verzeichnen wir Totalschaden. Bei Müller-Thurgau und Bacchus ist nichts mehr dran. Die Triebe waren dort schon zehn bis 15 Zentimeter lang. Bei Silvaner und Riesling beträgt der Schaden nur zehn bis 20 Prozent. Insgesamt ist die Hälfte unserer 2011er Ernte weg. So eine Situation habe ich noch nie erlebt, und ich habe schon 40 Ernten mitgemacht.“
Peter Helmberger, 50, Winzermeister Fürstlich Castell’sches Domänenamt, Castell
„Am Trautberg und am Hössberg in Mittelfranken, wo vor allem Müller-Thurgau und Bacchus herkommen, sind bis zu 80 Prozent der Reben erfroren. In 2011 wird es in Castell daher keine Basisweine geben. Die großen Lagen Schlossberg, Kugelspiel, Hohnart wurden dagegen weitgehend verschont. Am besten hat sich der Silvaner gehalten. Insgesamt beziffern wir den Schaden mit 30 bis 40 Prozent. Also eine kleinere, vielleicht sogar mittlere Katastrophe. Den Neubau unseres Kelterhauses haben wir bereits verschoben.“
Wolfgang Luckert, 50, Weingut Zehnthof, Sulzfeld
„Wir haben das Massaker live erlebt, morgens im Weinberg, nachdem das Thermometer auf minus 6°C gefallen war. Die jungen Triebe knickten einfach weg. Es war dramatisch. Überlebt hat nur der Silvaner. Alles andere ist Totalschaden. Nach so einem Ereignis läuft man hinterher zwei, drei Tage herum wie unter Schock. Wirtschaftlich wird uns dieser Frost extrem zurückwerfen. Aber es muss ja weitergehen. Und vielleicht gibt es ja wenigstens beim Silvaner noch einen Mini-Ertrag …“
Horst Kolesch, 53, Juliusspital, Würzburg
„Der Schock war groß, als wir am 5. Mai sahen, was passiert war. Vor allem die Senken und die Hangoberlagen waren betroffen. In den klassischen Mittelhanglagen haben wir weniger Schäden. Trotzdem rechnen wir mit einem 50prozentigen Ernteausfall. Neben Müller-Thurgau und Bacchus ist der Riesling stark betroffen. Die Basisweine werden dieses Jahr fehlen. Für die Großen Gewächse sind die Aussichten dafür besser denn je. In unseren Iphöfer Lagen und im Würzburger Stein sind die Rebstöcke weitgehend okay. Der Silvaner scheint sich am besten gehalten zu haben. Doch so traurig alles ist angesichts des guten Laufs, den wir in den letzten Jahren in Franken hatten: Es gab schon schlimmere Fröste, etwa 1985, als wir nur 13 Prozent einer normalen Ernte einbringen konnten und 20 Prozent unserer Rebstöcke roden mussten. Und so ganz haben wir die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich die eine oder andere Rebe noch erholt.“