Der Kabinettwein ist das ökonomische Rückgrat der meisten Weingüter. Hier werden deutlich mehr Weine erzeugt als im Spätlese-Bereich. Die Zahlen der regierungsamtlichen Qualitätsweinprüfung für Franken 2011 zeigen, dass der Mengenanteil der abgefüllten Kabinettweine sieben Mal so hoch ist wie der der Spätlesen und der höheren Prädikate zusammen.
Wir haben zu diesem Komplex mehrere Qualitätserzeuger aus Franken befragt. Bei Rainer Müller in Volkach machen die Kabinettweine 60 Prozent eines Weißwein-Jahrgangs aus, bei Bernd Höfler in Michelbach und bei Waldemar Braun in Nordheim 70 Prozent, bei Brennfleck in Sulzfeld sogar 80 Prozent. Selbst bei Hans Wirsching in Iphofen, einem VDP-Mitglied, das allein fünf Große Gewächse erzeugt, liegt der Kabinett-Anteil noch bei 40 Prozent. Die publizistische Überbetonung der Spätlesen und höherwertigen Weine verfälscht also das Gesamtbild des Weins.
Viele Weintrinker stören die hohen Alkoholgehalte
Mehr noch: Die mit der der Klimaveränderung und der Ertragsreduzierung im Weinberg einhergehenden höheren Alkoholgehalte haben bei vielen Weintrinkern in den letzten Jahren zu einer gewissen Beunruhigung geführt. Weinkultur ist Gesprächskultur. Diese speist sich aus der Lebensfreude, aus dem gutgelaunten Hin und Her der Meinungen, Argumente, Anekdoten.
Mit Alkoholwerten von 13,5 Vol.% und mehr, wie sie trockene Spätlesen nicht selten aufweisen, wird diese Kultur in Frage gestellt. Viele Winzer räumen das auch ein – manche hinter vorgehaltener Hand. Und die Wirte sind auch skeptisch, wenn ein Wein den Gast nicht mehr dazu animiert, den berühmten zweiten Schoppen zu trinken.
Wertigkeit hängt nicht von hohen Prädikaten ab
Armin Störrlein, Silvaner-Altmeister aus Randersacker, zieht einen klaren Schluss aus dieser Situation: „Viele haben bis heute noch nicht erkannt, dass die Wertigkeit eines Weines von anderen Dingen als einem hohen Prädikat abhängt. Für mich zählen dazu Mineralität, Individualität, Bekömmlichkeit, Langlebigkeit und Trinkspaß. Es bleibt eine unserer Aufgaben, durch entsprechende Maßnahmen in Weinberg und Keller einen entsprechenden Weißweintyp mit mittleren Alkoholgraden von 11 bis 12,5 Vol.% zu erzeugen – eben den Kabinett.“
Damit gibt er das Stichwort: Es geht um eine veränderte Wahrnehmung der Qualitätsstufe Kabinett. Störrlein steht mit seiner Meinung nicht allein da. Winzerkollege Rainer Müller aus Volkach schlägt in die gleiche Kerbe: „Wir achten strikt darauf, dass kein Kabinettwein mehr als 12 Vol.% Alkohol aufweist. Der Begriff Kabinett ist stark in den Köpfen der Weinliebhaber verankert.“
„Kabinettweine werden immer aus höherwertigen Trauben erzeugt“
Ähnlich sieht das Bernd Höfler aus Michelbach: „Der typische Kabinettwein sollte ein feines, frisches Aroma besitzen, er muss im Mittelbau fruchtig sein, außerdem mineralisch und nervig. Vor allem aber muss er unkompliziert und bekömmlich sein. Der Weintrinker möchte mehr als ein Glas von ihm genießen.“
Der Kabinett ist ein Prädikatswein. Das heißt: Er darf nicht angereichert werden. Damit ist er von Natur aus schlank und elegant. „Der leichteste unter den noblen Weinen“, sagt Andrea Wirsching aus Iphofen. Das bedeutet aber nicht, dass er aus zweit- oder drittklassigem Lesegut gewonnen wird. Im Gegenteil: „Wir ernten unsere Kabinettweine in Weinbergen, die mindestens 10 Jahre alt sind. Wir selektionieren die Trauben von Hand und mit modernster Technik, sodass nur reife und gesunde, also botrytisfreie Beeren in die Kelter gelangen. Kabinettweine werden also immer aus höherwertigen Trauben erzeugt.“
Im VPD-Modell kein Platz mehr für Kabinettweine
Trotzdem hat sich mittlerweile ein Zug in Bewegung gesetzt, der – ausgehend von Überlegungen des VDP – das Verschwinden des herkömmlichen Kabinettweins zur Folge haben könnte – des trockenen zumindest. In einem drei- bzw. vierstufigen Modell der Qualitätsklassen bliebe zum Beispiel für die Kabinettweine kein Platz mehr: Sie lägen irgendwo im Niemandsland zwischen Guts- und Ortsweinen. Eine ganze Reihe von Weingütern, vor allem VDP-Mitglieder, haben sich von der Kabinettklasse bereits verabschiedet – auch in Franken.
Andrea Wirsching steht dieser Entwicklung vorerst noch reserviert gegenüber: „Neulich hatte ich ein ausführliches Gespräch darüber, ob der trockene Kabinett langfristig abgeschafft wird. Wir werden ihn jedenfalls in den nächsten Jahren behalten. Die trockenen Kabinettweine sind für uns extrem wichtig.“
Paul Weltner hat die Kabinett-Kategorie schon abgeschafft
Paul Weltner aus dem benachbarten Rödelsee hat diesen Schritt schon gewagt: „Mit dem Jahrgang 2011 habe ich mich von der Prädikatsstufe Kabinett getrennt“, berichtet er. „Der Jahrgang hat es mir allerdings einfach gemacht, da es fast unmöglich war, den leichten Kabinett-Typ zu produzieren.“
Dabei war und ist die Jagd auf Oechsle und saftige Vollreife bei Weltner nie das Ziel. Grundsätzlich sind ihm Weine mit 12 Vol.% lieber als solche mit 13 Vol.%. Ihm kommt es vielmehr darauf an, dass die Weine den Charakter der Lage widerspiegeln.
Manche Kabinette sind verkappte Spätlesen
Das sieht auch Rudolf May so. Der Retzstädter Winzer benutzt die Bezeichnung Kabinett zwar noch, schreibt sie aber nur noch auf das Rücketikett. Auf dem Vorderetikett seiner Bocksbeutel steht neben Jahrgang und Rebsorte einfach nur der Begriff „Kalkmineral“. Mit ihm wird auf das Terroir abgehoben: „Prinzipiell finde ich den Begriff Kabinett gut und verkaufsfördernd. Es sollte dann aber sichergestellt sein, dass nur echte, nämlich leichte Kabinette bis 12,5 Vol.% in der Flasche sind und keine verkappten Spätlesen…“
Genau das ist das Problem. Seit einigen Jahren tauchen nämlich immer mehr Kabinettweine auf dem Markt auf, die 13 oder 13,5 Vol.% aufweisen – also in Wirklichkeit kleine (oder auch veritable) Spätlesen sind. Sie wurden zu Kabinetten deklassiert, weil sie als Spätlesen zu entsprechend höheren Preisen nicht loszuschlagen wären.
Kabinett hat Zukunft
Egal welcher Begriff: Auf den leichten, animierenden Wein wird man auch in Zukunft nicht verzichten können. Für die Weinkultur und für das Ansehen des Wein als Bestandteil unserer Kultur, für das reflektierte, heitere Genießen, ist dieser Typus wichtig.
Werden Kriterien wie Eleganz, Frische, Sortentypizität, Mineralität und Terroir auch wirklich umgesetzt? Ging das in einem warmen Jahrgang wie 2011 überhaupt? Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht und die Kabinettweine führender fränkischer Betriebe verkostet. Fazit: Vielen Erzeugern ist die Verbindung der genannten Merkmale vorzüglich gelungen!