Frankens Kabinettweine: zukunftsfähig oder eine aussterbende Art?

Weinberg in Franken
Weinberg in Franken
Sein öffentliches Renommée erwirbt sich ein Weingut in Deutschland meist mit Weinen von der Spätlese an aufwärts. Sie dominieren die Rankings der großen Weinführer. Darunter herrscht der graue Alltag. Schade, findet Stefan Krimm, und macht sich für die Kultur der leichten, schlanken Kabinettweine stark.

Der Kabi­nett­wein ist das öko­no­mi­sche Rück­grat der meis­ten Wein­gü­ter. Hier wer­den deut­lich mehr Wei­ne erzeugt als im Spätlese-Bereich. Die Zah­len der regie­rungs­amt­li­chen Qua­li­täts­wein­prü­fung für Fran­ken 2011 zei­gen, dass der Men­gen­an­teil der abge­füll­ten Kabi­nett­wei­ne sie­ben Mal so hoch ist wie der der Spät­le­sen und der höhe­ren Prä­di­ka­te zusammen.

Wir haben zu die­sem Kom­plex meh­re­re Qua­li­täts­er­zeu­ger aus Fran­ken befragt. Bei Rai­ner Mül­ler in Vol­kach machen die Kabi­nett­wei­ne 60 Pro­zent eines Weißwein-Jahrgangs aus, bei Bernd Höf­ler in Michel­bach und bei Wal­de­mar Braun in Nord­heim 70 Pro­zent, bei Brenn­fleck in Sulz­feld sogar 80 Pro­zent. Selbst bei Hans Wir­sching in Ipho­fen, einem VDP-Mitglied, das allein fünf Gro­ße Gewäch­se erzeugt, liegt der Kabinett-Anteil noch bei 40 Pro­zent. Die publi­zis­ti­sche Über­be­to­nung der Spät­le­sen und höher­wer­ti­gen Wei­ne ver­fälscht also das Gesamt­bild des Weins.

Viele Weintrinker stören die hohen Alkoholgehalte

Escherndorfer Lump
Eschern­dor­fer Lump

Mehr noch: Die mit der der Kli­ma­ver­än­de­rung und der Ertrags­re­du­zie­rung im Wein­berg ein­her­ge­hen­den höhe­ren Alko­hol­ge­hal­te haben bei vie­len Wein­trin­kern in den letz­ten Jah­ren zu einer gewis­sen Beun­ru­hi­gung geführt. Wein­kul­tur ist Gesprächs­kul­tur. Die­se speist sich aus der Lebens­freu­de, aus dem gut­ge­laun­ten Hin und Her der Mei­nun­gen, Argu­men­te, Anekdoten.

Mit Alko­hol­wer­ten von 13,5 Vol.% und mehr, wie sie tro­cke­ne Spät­le­sen nicht sel­ten auf­wei­sen, wird die­se Kul­tur in Fra­ge gestellt. Vie­le Win­zer räu­men das auch ein – man­che hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand. Und die Wir­te sind auch skep­tisch, wenn ein Wein den Gast nicht mehr dazu ani­miert, den berühm­ten zwei­ten Schop­pen zu trinken.

Wertigkeit hängt nicht von hohen Prädikaten ab

Armin Störr­lein, Silvaner-Altmeister aus Rand­er­sa­cker, zieht einen kla­ren Schluss aus die­ser Situa­ti­on: „Vie­le haben bis heu­te noch nicht erkannt, dass die Wer­tig­keit eines Wei­nes von ande­ren Din­gen als einem hohen Prä­di­kat abhängt. Für mich zäh­len dazu Mine­ra­li­tät, Indi­vi­dua­li­tät, Bekömm­lich­keit, Lang­le­big­keit und Trink­spaß. Es bleibt eine unse­rer Auf­ga­ben, durch ent­spre­chen­de Maß­nah­men in Wein­berg und Kel­ler einen ent­spre­chen­den Weiß­wein­typ mit mitt­le­ren Alko­hol­gra­den von 11 bis 12,5 Vol.% zu erzeu­gen – eben den Kabinett.“

Damit gibt er das Stich­wort: Es geht um eine ver­än­der­te Wahr­neh­mung der Qua­li­täts­stu­fe Kabi­nett. Störr­lein steht mit sei­ner Mei­nung nicht allein da. Win­zer­kol­le­ge Rai­ner Mül­ler aus Vol­kach schlägt in die glei­che Ker­be: „Wir ach­ten strikt dar­auf, dass kein Kabi­nett­wein mehr als 12 Vol.% Alko­hol auf­weist. Der Begriff Kabi­nett ist stark in den Köp­fen der Wein­lieb­ha­ber verankert.“

„Kabinettweine werden immer aus höherwertigen Trauben erzeugt“

Julius-Echter-Berg in Iphofen
Julius-Echter-Berg in Iphofen

Ähn­lich sieht das Bernd Höf­ler aus Michel­bach: „Der typi­sche Kabi­nett­wein soll­te ein fei­nes, fri­sches Aro­ma besit­zen, er muss im Mit­tel­bau fruch­tig sein, außer­dem mine­ra­lisch und ner­vig. Vor allem aber muss er unkom­pli­ziert und bekömm­lich sein. Der Wein­trin­ker möch­te mehr als ein Glas von ihm genießen.“

Der Kabi­nett ist ein Prä­di­kats­wein. Das heißt: Er darf nicht ange­rei­chert wer­den. Damit ist er von Natur aus schlank und ele­gant. „Der leich­tes­te unter den noblen Wei­nen“, sagt Andrea Wir­sching aus Ipho­fen. Das bedeu­tet aber nicht, dass er aus zweit- oder dritt­klas­si­gem Lese­gut gewon­nen wird. Im Gegen­teil: „Wir ern­ten unse­re Kabi­nett­wei­ne in Wein­ber­gen, die min­des­tens 10 Jah­re alt sind. Wir selek­tio­nie­ren die Trau­ben von Hand und mit moderns­ter Tech­nik, sodass nur rei­fe und gesun­de, also botry­tis­freie Bee­ren in die Kel­ter gelan­gen. Kabi­nett­wei­ne wer­den also immer aus höher­wer­ti­gen Trau­ben erzeugt.“

Im VPD-Modell kein Platz mehr für Kabinettweine

Rödelseer Küchenmeister
Rödel­seer Küchenmeister

Trotz­dem hat sich mitt­ler­wei­le ein Zug in Bewe­gung gesetzt, der – aus­ge­hend von Über­le­gun­gen des VDP – das Ver­schwin­den des her­kömm­li­chen Kabi­nett­weins zur Fol­ge haben könn­te – des tro­cke­nen zumin­dest. In einem drei- bzw. vier­stu­fi­gen Modell der Qua­li­täts­klas­sen blie­be zum Bei­spiel für die  Kabi­nett­wei­ne kein Platz mehr: Sie lägen irgend­wo im Nie­mands­land zwi­schen Guts- und Orts­wei­nen. Eine gan­ze Rei­he von Wein­gü­tern, vor allem VDP-Mitglieder, haben sich von der Kabi­nett­klas­se bereits ver­ab­schie­det – auch in Franken.

Andrea Wir­sching steht die­ser Ent­wick­lung vor­erst noch reser­viert gegen­über: „Neu­lich hat­te ich ein aus­führ­li­ches Gespräch dar­über, ob der tro­cke­ne Kabi­nett lang­fris­tig abge­schafft wird. Wir wer­den ihn jeden­falls in den nächs­ten Jah­ren behal­ten. Die tro­cke­nen Kabi­nett­wei­ne sind für uns extrem wichtig.“

Paul Weltner hat die Kabinett-Kategorie schon abgeschafft

Paul Welt­ner aus dem benach­bar­ten Rödel­see hat die­sen Schritt schon gewagt: „Mit dem Jahr­gang 2011 habe ich mich von der Prä­di­kats­stu­fe Kabi­nett getrennt“, berich­tet er. „Der Jahr­gang hat es mir aller­dings ein­fach gemacht, da es fast unmög­lich war, den leich­ten Kabinett-Typ zu produzieren.“

Dabei war und ist die Jagd auf Oechs­le und saf­ti­ge Voll­rei­fe bei Welt­ner nie das Ziel. Grund­sätz­lich sind ihm Wei­ne mit 12 Vol.% lie­ber als sol­che mit 13 Vol.%. Ihm kommt es viel­mehr dar­auf an, dass die Wei­ne den Cha­rak­ter der Lage widerspiegeln.

Manche Kabinette sind verkappte Spätlesen

Gipskeuper, Rödelseer Küchenmeister
Gips­keu­per, Rödel­seer Küchenmeister

Das sieht auch Rudolf May so. Der Retz­städ­ter Win­zer benutzt die Bezeich­nung Kabi­nett zwar noch, schreibt sie aber nur noch auf das Rücke­ti­kett. Auf dem Vor­de­reti­kett sei­ner Bocks­beu­tel steht neben Jahr­gang und Reb­sor­te ein­fach nur der Begriff „Kalk­mi­ne­ral“. Mit ihm wird auf das Ter­ro­ir abge­ho­ben: „Prin­zi­pi­ell fin­de ich den Begriff Kabi­nett gut und ver­kaufs­för­dernd. Es soll­te dann aber sicher­ge­stellt sein, dass nur ech­te, näm­lich leich­te Kabi­net­te bis 12,5 Vol.% in der Fla­sche sind und kei­ne ver­kapp­ten Spätlesen…“

Genau das ist das Pro­blem. Seit eini­gen Jah­ren tau­chen näm­lich immer mehr Kabi­nett­wei­ne auf dem Markt auf, die 13 oder 13,5 Vol.% auf­wei­sen – also in Wirk­lich­keit klei­ne (oder auch veri­ta­ble) Spät­le­sen sind. Sie wur­den zu Kabi­net­ten deklas­siert, weil sie als Spät­le­sen zu ent­spre­chend höhe­ren Prei­sen nicht los­zu­schla­gen wären.

Kabinett hat Zukunft

Egal wel­cher Begriff: Auf den leich­ten, ani­mie­ren­den Wein wird man auch in Zukunft nicht ver­zich­ten kön­nen. Für die Wein­kul­tur und für das Anse­hen des Wein als Bestand­teil unse­rer Kul­tur, für das reflek­tier­te, hei­te­re Genie­ßen, ist die­ser Typus wichtig.

Wer­den Kri­te­ri­en wie Ele­ganz, Fri­sche, Sorten­ty­pi­zi­tät, Mine­ra­li­tät und Ter­ro­ir auch wirk­lich umge­setzt? Ging das in einem war­men Jahr­gang wie 2011 über­haupt? Wir haben die Pro­be aufs Exem­pel gemacht und die Kabi­nett­wei­ne füh­ren­der frän­ki­scher Betrie­be ver­kos­tet. Fazit: Vie­len Erzeu­gern ist die Ver­bin­dung der genann­ten Merk­ma­le vor­züg­lich gelungen!

3 Kommentare

  • Es gab ein­mal einen Slo­gan der deut­schen Wein­wer­bung: Kabinettweine- die leich­ten deut­schen Weine! 

    Für uns in der Gas­tro­no­mie sind Kabi­nett­wei­ne wie sie frü­her ver­stan­den wur­den abso­lut wich­ti­ge Wei­ne, denn Sie ani­mie­ren auch noch zu einem wei­te­ren Viertel.

    Das Pro­blem, daß wir als Kabi­nett­wei­ne oft­mals ver­kapp­te Aus­le­sen vor uns haben ist wohl infol­ge der Kammer- und DLG-Prämierungen ent­stan­den. Es wur­den für den Bereich Kabi­nett Spät­le­sen ange­stellt, die dann gegen­über den “rich­ti­gen” Kabi­nett­wei­nen ganz ande­res dastan­den und in die­sem Bereich die Gold­me­dail­len abge­räumt haben. Der Kabi­nett hat­te kei­ne Chan­ce mehr. Wür­de man bei die­sen Prä­mie­run­gen bei der Sen­so­rik auf iei Leich­tig­keit abstel­len, wären auch Kabi­nett­wei­ne wie­der Gold­me­dail­len­wei­ne. Oder man müß­te für die­se Fäl­le ein­fach eine Alko­hol­ober­gren­ze festsetzen. 

    Wein­trin­ker, die ger­ne mal mehr als ein Vier­tel trin­ken, wären wohl dank­bar wenn sie über den Begriff “Kabi­nett” wie­der ein­fa­cher leich­te Wei­ne fin­den wür­den als bei jedem Wein auf dem Eti­kett auf den Alko­hol­ge­halt schau­en zu müssen.

  • Ich bin Jahr für Jahr immer ent­täusch­ter von den wein­bau­li­chen Ent­wick­lun­gen in Deutsch­land, ver­ur­sacht von der medusenhaft-mutíerenden Orga­ni­sa­ti­on VDP. Jung-Winzer suchen ihr Heil im Ver­band und hof­fen auf Ein­stiegs­prei­se von 9,- € auf­wärts hin zu Lagen­wei­nen, die sie, im ers­ten Übungs­jahr erst­mals vini­fi­ziert, gleich über 20,- € lan­ciert wünschen.

    Nicht nur die gro­ßen klei­nen Kabi­net­te wer­den stra­te­gisch geop­fert, son­dern auch die klei­nen gro­ßen Spät­le­sen ver­lie­ren sich in der Schre­cken­schrau­be Preisfindung.

    Wäh­rend also das Mons­trum „Ver­band der Preis­trei­ber“ unter dem fau­len PR-Deckmäntelchen „Neu­ord­nung schafft Ver­brau­cher­trans­pa­renz“ seit Jah­ren uns deut­schen Wein­trin­kern die Wei­ne ohne Atem­pau­se ver­teu­ert und ver­teu­ert, ver­lie­ren sich die Win­zer fast unge­rührt immer wei­ter in den Fän­gen diver­ser Marketing-Netze – die der VDP fett gefüllt und nur all­zu ger­ne regel­mä­ßig einholt.

    Erfri­schend sind da Gott sei Dank eta­blier­te und eben­so ehr­wür­di­ge Nicht-VDP-ler sowie eine fri­sche Gar­de nach­ge­rück­ter Jung­win­zer, die der Erde und dem Wein ver­bun­den sind und nicht einer for­ma­lis­ti­schen Eti­ket­ten­übung, sowie dem fast schon noto­ri­schen Aus­bau der Verkostungs- und Ver­kaufs­stu­be im Modern Archi­tec­tu­re Style.

    Und genau die­se Win­zer wer­den Kabi­nett nun fast schon im Sin­ne einer Gegen­re­vo­lu­ti­on mög­li­cher­wei­se als Chan­ce begrei­fen. Als ihre Chan­ce. Als kos­ten­lo­ses Marketing-Geschenk sozu­sa­gen. Und gera­de die Fran­ken sind ein glas­kla­rer Men­schen­schlag, der sich für zuviel „Marken-Spielerei“ sowie­so nicht ger­ne her­gibt. Und es gibt unlängst auch ers­te Win­zer dort, die Ihre Mit­glied­schaft all­mäh­lich in Zwei­fel zie­hen. Denn eigent­lich woll­ten Sie her­vor­ra­gen­den Wein machen, und kei­nen Archi­tek­tur­preis gewin­nen. Und noch weni­ger woll­ten sie so auf­fäl­lig vie­le alte Stamm­kun­den ver­lie­ren. Denn da ist der Käu­fer in Asi­en, Ost­eu­ro­pa, Über­see nur ein unbe­frie­di­gen­der Ersatz – für des Fran­ken Win­zer Seele.

    P.S. Ich kom­me aus einer Wein-Frankenfamilie.

  • Wenn die Wein­erzeu­ger Fran­kens mei­nen, sie könn­ten (mit Spät­le­sen) mehr Geld ver­die­nen, dann wer­den sie sich ins eige­ne Knie schie­ßen. Schon heu­te gibt es tro­cke­ne Weiß­wei­ne auch aus ande­ren Regio­nen Deutsch­lands, die deut­lich preis­wer­ter sind. Dann kau­fe ich eben maxi­mal einen Schop­pen­wein oder anders­wo. Im Jahr wer­den ca. 2-3 Tsd. Euro inves­tiert. Das macht bei einem Durch­schnitts­preis von 8,50 Euro etwa 230 – 350 Fla­schen. Bei einem Durch­schnitts­preis von 6 Euro sind es aber 330 – 500 Fla­schen. Klei­ner Unter­schied den­ke ich. Mehr wer­den wir jeden­falls nicht investieren !

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