Fragwürdiger SZ-Bericht über moderne Weingutsarchitektur

Der in der Süddeutschen Zeitung erschienene Artikel zu moderner Weingutsarchitektur.
In der letzten Woche erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Bericht über moderne Weingutsarchitektur. Im Mittelpunkt: das toskanische Weingut Petra. Die Zeitung fragt, wie viel von dem, was der Schweizer Architekt Mario Botta entworfen hat, reine Protzerei sei. Jens Priewe findet: ein törichter Artikel.

Der Autor heißt Titus Arnu. Er ist bekannt als emp­find­sa­mer Beob­ach­ter der Umwelt mit einem aus­ge­präg­ten Blick für den ganz nor­ma­len All­tags­wahn­sinn. „Papa Blöd­mann“ heißt eines sei­ner Bücher, „Nackt am Grill“ ein ande­res. Köst­lich. Er ist aber auch Repor­ter, der über Com­pu­ter­sucht, das Fress­ver­hal­ten von Fisch­ot­tern und Tou­ren­ski am Ätna schreibt.

Dies­mal war er in der Tos­ka­na unter­wegs. Dabei ist er auf das Wein­gut Petra gesto­ßen, das nicht weit von der Mit­tel­meer­küs­te liegt, etwa auf Höhe der Insel Elba, und das von Mario Bot­ta ent­wor­fen wur­de, einem bekann­ten Schwei­zer Archi­tek­ten. Der Wein scheint ihm dort gut geschmeckt zu haben. Sau­er auf­ge­sto­ßen sind ihm nur zwei Din­ge: der hohe Preis von 60 Euro pro Fla­sche und die Archi­tek­tur des Weinguts.

„Azteken-Tempel“ in der Toskana?

Das Weingut Petra in der Toskana
Das Wein­gut Petra in der Toskana

Das Wein­gut wir­ke wie „ein Azteken-Tempel“ in der lieb­li­chen Hügel­land­schaft der Tos­ka­na. Beson­ders die 150-stufige „extra­va­gan­te Außen­trep­pe“, die „von der Erde in den Him­mel“ führt, hat den SZ-Mann rat­los gemacht: „Man fragt sich, wozu die­se gigan­ti­sche Trep­pe, die so auf­fäl­lig in den Hügeln der Marem­ma her­um­steht, eigent­lich gut sein soll.“

Mit dem­sel­ben Recht könn­te man fra­gen, wes­halb der Köl­ner Dom zwei Tür­me hat und nicht nur einen. Oder war­um der Eif­fel­turm 354 Meter hoch sein muss­te. Rei­ne Stahl­ver­schwen­dung. Man könn­te den Kopf über Karl Schwanz­ers 4-Zylinder-BMW-Haus in Mün­chen schüt­teln und ein­wen­den, ein nor­ma­les, grad­li­ni­ges Hoch­haus wäre bil­li­ger und genau­so gut. Stimmt alles. Ist aber furcht­bar prak­tisch und schreck­lich öko­no­misch gedacht.

Das Urteil des Journalisten: Angeber-Architektur

Für den SZ-Autor ist das, was der Archi­tekt und Petra-Besitzer Vitto­rio Moret­ti, sein ita­lie­ni­scher Auf­trag­ge­ber, in der Tos­ka­na errich­tet haben, schlicht „Angeber-Architektur“. Zwar ver­sucht der zustän­di­ge Redak­teur der Süd­deut­schen Zei­tung, die Aus­sa­ge zu rela­ti­vie­ren, indem er im Vor­spann des Arti­kels die Fra­ge stellt: „Was davon ist rei­ne Prot­ze­rei, was ist wirk­lich sinn­voll für die Wein­pro­duk­ti­on?“ Doch die Les­art ändert sich dadurch nicht.

Ich geste­he: ein törich­ter Arti­kel. Archi­tek­tur, mit den Augen eines Banau­sen gese­hen. Eines Men­schen, der kei­nen Spaß an neu­en For­men hat. Dem offen­bar jede Fan­ta­sie, die über das rein Funk­tio­na­le hin­aus­geht, ver­däch­tig vor­kommt: erstaun­lich für ein Leit­me­di­um wie die Süd­deut­sche Zei­tung. Ein Ausrutscher.

Keine Ader für bauliche Metaphern

Das Weingut Petra
Das Wein­gut Petra

Sicher, man muss nicht alles gut fin­den, was Archi­tek­ten heu­te bau­en. Auch die For­men­spra­che des Wein­guts Petra mag auf den ers­ten Blick fremd, viel­leicht sogar ver­stö­rend wir­ken, weil wir von der Tos­ka­na ande­res gewohnt sind: Natur­stein­häu­ser, beschei­den dimen­sio­niert und ein­fach kon­stru­iert. Für küh­ne Ent­wür­fe fehl­te den Men­schen auf dem Land das Geld. Für bau­li­che Meta­phern besit­zen sie kei­ne Ader.

Titus Arnu auch nicht. Der Hin­ter­sinn, der Humor, die dop­pel­bö­di­ge Blick­wei­se, die den Autor in sei­nen Büchern und vie­len Arti­keln aus­zeich­net, scheint ihm beim Anblick die­ses Wein­guts ver­las­sen zu haben. Für ihn ist Petra eine „Kathe­dra­le des Weins“ – und genau das stört ihn. Er fin­det das Pathos, das den Wein hier umgibt, unan­ge­mes­sen. Er liebt die Insze­nie­rung nicht und meint, dem Wein stän­de eine beschei­de­ne­re Behau­sung irgend­wie besser.

Dürfen Weingüter nur mönchisch-schlicht aussehen?

Weingut Petra - Sala diraspatura
Wein­gut Petra – Sala diraspatura

Wie­so eigent­lich? Darf Wein, der in den letz­ten fünf­zig Jah­ren vom Nah­rungs­mit­tel zum Genuss­mit­tel mutiert ist, nur mönchisch-schlicht auf­tre­ten? Der Auf­wand, der getrie­ben wird, um die Qua­li­tät zu erhö­hen, ist über­all auf der Welt gestie­gen. Teil­wei­se ist er irr­wit­zig hoch. Als Fol­ge des­sen besitzt guter Wein heu­te eine Aura, wie er sie in der Ver­gan­gen­heit nie besaß. Man­che mei­nen, von ihm gehe Magie aus.

War­um also soll ein Gut, das Wei­ne mit hohem Genuss­wert erzeugt, in einer unge­stal­te­ten, rein nutz­wert­mä­ßig zurecht­ge­schnei­der­ten Hül­le exis­tie­ren? Wenn Ban­ken Büro­tür­me errich­ten, die in den Him­mel wach­sen, mag Grö­ßen­wahn der Bau­meis­ter gewe­sen sein. Moder­ne Wein­guts­ar­chi­tek­tur aber bleibt am Boden. Der Boden ist das Ele­ment, das den Wein wach­sen lässt. Die 150-stufige Trep­pe geht bei Petra auch nicht in den Him­mel. Sie geht optisch den Hang hoch, an dem das Wein­gut erbaut ist.

Kein Wort über ökologische Belange

Weingut Petra - Sala vinificazione
Wein­gut Petra – Sala vinificazione

Doch mit ästhe­ti­schen Fra­gen setzt sich der SZ-Autor nicht groß aus­ein­an­der, mit öko­lo­gi­schen noch weni­ger. Kein Wort dar­über, dass der Kel­lers rie­sig und trotz­dem unsicht­bar ist, weil er weit­ge­hend unter der Erde ver­schwin­det. Die Land­schaft wird nicht ver­schan­delt, der Flä­chen­ver­brauch gering gehal­ten. Kein Wort davon, dass der Kel­ler tech­nisch so kon­stru­iert ist, dass trotz der teil­wei­se hohen Außen­tem­pe­ra­tu­ren im Som­mer wenig Ener­gie zum Küh­len gebraucht wird, und dass die­se weni­ge Ener­gie auch noch durch Son­nen­pa­nel erzeugt wird.

Vitto­rio Moret­ti, der Besit­zer, ist Unter­neh­mer, kein Win­zer. Er stellt Beton-Fertigteile für Kran­ken­häu­ser, Schu­len, Brü­cken, Ver­wal­tungs­ge­bäu­de her. Damit hat er es zu Wohl­stand gebracht. Dane­ben baut er Hochsee-Yachten, die beim America’s Cup mit­se­geln. Die Schaum­wein­kel­le­rei Bel­la­vis­ta, die er in der nord­ita­lie­ni­schen Fran­cia­cor­ta gegrün­det hat, ist Aus­druck sei­ner per­sön­li­chen Lei­den­schaft für Wein. Die­se Lei­den­schaft hat sich mit der Grün­dung des Wein­guts Petra in der Tos­ka­na fort­ge­setzt. Ist die­ser Mann nun ein Ange­ber? Woll­te er nur einen PR-Effekt?

Petra-Architektur – ein Statement für den Weinbau

Weingut Petra - Keller
Wein­gut Petra – Keller

Ich kann nicht in sei­nen Kopf schau­en. Aber ich weiß, dass die spek­ta­ku­lä­re Petra-Architektur auch ein State­ment ist: für die Wert­schät­zung des Wein­baus, der in die­sem Teil der Tos­ka­na nahe­zu ein­ge­schla­fen war. Die Land­be­völ­ke­rung war vor über hun­dert Jah­ren in den Berg­bau abge­wan­dert, weil die­ser ein siche­res Ein­kom­men ver­sprach. Die Wein­ber­ge blie­ben offen. Als die Eisen­erz­för­de­rung in der Tos­ka­na unren­ta­bel wur­de, wech­sel­ten sie als Indus­trie­ar­bei­ter ins Stahl­werk im benach­bar­ten Piom­bi­no. Erst als sie auch da nicht mehr gebraucht wur­den, kehr­ten sie auf ihre Schol­le zurück und ver­su­chen sich seit­dem als Win­zer. 15 Jah­re ist das erst her.

Moret­ti, der Indus­tri­el­le aus dem Nor­den, hat frü­her als die Ein­hei­mi­schen selbst begrif­fen, dass die Zukunft die­ses Land­strichs nicht beim Stahl, son­dern beim Wein und beim Oli­ven­öl liegt. Er war über­zeugt, dass sich im Val di Cor­nia, wie das Anbau­ge­biet prä­zis heißt, genau­so gute Wei­ne erzeu­gen las­sen wie im wei­ter nörd­lich gele­ge­nen Bolg­he­ri. Von dort kom­men Wei­ne wie Sas­si­ca­ia und Ornell­a­ia, die Welt­ruf genießen.

Soll Petra seine Trauben in einem Schuppen vinifizieren?

Dominus Estate
Domi­nus Estate

Er hat, als nur weni­ge an das Poten­zi­al der dor­ti­gen Wein­ber­ge glaub­ten, 100 Hekt­ar mit Reben bestockt. Er ist so zum größ­ten Wein­guts­be­sit­zer der Gegend auf­ge­stie­gen. Dass so einer sei­ne Trau­ben nicht in einem Schup­pen oder einer Gara­ge vini­fi­zie­ren kann, ist klar. Also muss­te ein neu­es Gebäu­de her, aber kei­nes, das den bäu­er­li­chen Natur­stein­bau his­to­ri­sie­rend nach­äfft, son­dern eines, das funk­tio­nell auf dem neu­es­ten Stand ist und äußer­lich ein Zei­chen setzt. Ist das ver­werf­lich? Ist das Protz?

Viel­leicht ist das Zei­chen, das Mario Bot­ta mit sei­ner Archi­tek­tur gesetzt hat, zu stark gera­ten. Ange­lo Gajas neue Kel­le­rei in Bolg­he­ri ist zum Bei­spiel voll­stän­dig unter­ir­disch ange­legt. Es gibt kei­ne sicht­ba­ren Trep­pen und Mau­ern. Von Antino­ris neu­er, gera­de im Ent­ste­hen begrif­fe­ner Kel­le­rei in San Cascia­no sieht man von außen sogar gar nichts, nur eine lang­ge­zo­ge­ne, schlitz­ar­ti­ge Glas­front. Die eigent­li­che Kel­le­rei ist tief im Hügel ver­senkt. Under­state­ment pur.

Spektakuläre Weingüter in Spanien, Bordeaux, Kalifornien

Bodegas Marques de Riscal
Bode­gas Mar­ques de Riscal

Aber ist nur der gut, der sich ver­steckt? Dür­fen Wein­gü­ter nicht wie Wohn­häu­ser, Kir­chen oder Büro­ge­bäu­de mit For­men spie­len, ohne sich dem Vor­wurf aus­zu­set­zen, prot­zig zu sein? Auf PR-Effekte zu schielen?

Bei Titus Arnu haben es Design-Weingüter dies­be­züg­lich schwer, nicht nur das Wein­gut Petra. Der SZ-Autor zitiert die Bode­gas Mar­ques de Ris­cal (Archi­tekt: Frank O. Gehry) und Ysi­os (Sant­ia­go Calat­rava) in der spa­ni­schen Rio­ja sowie Opus One (Scott John­son) und Domi­nus (Her­zog & Meu­ron) im kali­for­ni­schen Napa Val­ley, die sich alle bei ihren Kel­ler­neu­bau­ten für spek­ta­ku­lä­re, küh­ne Ent­wür­fe ent­schie­den haben. Der Autor weiß genau war­um: „Der Kon­su­ment soll den Wein als Gesamt­kunst­werk wahr­neh­men. Eine wohl­ge­form­te Fla­sche und ein kunst­vol­les Eti­kett rei­chen dafür anschei­nend nicht aus. Wer als Win­zer etwas auf sich hält, beauf­tragt einen berühm­ten Archi­tek­ten mit dem Bau einer Design-Kellerei.“ Aha.

Die Architektur kann auf den Wein einstimmen

Bodegas Ysios
Bode­gas Ysios

Über­haupt spielt der Kel­ler bei gro­ßen Wei­nen nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Die tech­ni­schen Anfor­de­run­gen an ihn sind rela­tiv gering. Trotz­dem tut es der See­le gut, auf ein gelun­ge­nes Bau­werk und nicht nur auf einen schä­bi­gen Plat­ten­bau zu tref­fen, wenn man das Gut besucht, aus dem der Wein der Wahl kommt.

Die For­men­spra­che eines gut gestal­te­ten Kel­ler­ge­bäu­des kann ein­stim­men auf den Wein, kann sei­ne Indi­vi­dua­li­tät und Ein­zig­ar­tig­keit unter­strei­chen. Das Kel­ler­ge­bäu­de kann mit der Land­schaft har­mo­nie­ren. Es kann aber auch einen sicht­ba­ren Kon­trast zu sei­ner Umge­bung bil­den – wie es alle archi­tek­to­ni­schen Meis­ter­wer­ke tun, egal ob Wein­gut oder Muse­um. Des­we­gen ambi­tio­nier­te Wein­guts­ar­chi­tek­tu­ren nur als blo­ße Lit­faß­säu­len zu sehen, die der „Image­bil­dung“ oder der „PR“ die­nen, ist eng­stir­nig und kulturfremd.

Kritik in Erbsenzählermanier

Opus One Winery
Opus One Winery

Zuge­ge­ben, vie­le Nobel­wein­trin­ker sind so. Sie legen in bes­ter Erb­sen­zäh­ler­ma­nier dar, wie sehr Archi­tek­tur den Wein ver­teu­ert. Der SZ-Mann macht da kei­ne Aus­nah­me: „Wer die spek­ta­ku­lä­ren Wein-Kultstätten besich­tigt, stellt sich die Fra­ge, wie­vie­le Pro­mil­le des Architekten-Honorars auf den Ver­kaufs­preis der Wei­ne umge­rech­net werden…“

Ein biss­chen platt, fin­de ich. Immer­hin wird am Ende klar, wor­auf der Autor hin­aus will: das Geld. 60 Euro für eine Fla­sche guten Rot­wein – das fin­det er ziem­lich hap­pig. Ist es ja auch. Nur ver­schweigt er, dass es von dem teu­ren Spit­zen­wein ledig­lich 36.000 Fla­schen gibt. Petra pro­du­ziert aber 350.000 Fla­schen. Den größ­ten Teil der Pro­duk­ti­on, näm­lich 130.000 Fla­schen, macht ein Wein namens Zin­ga­ri aus. Er kos­tet rund 13 Euro – inklu­si­ve der Pro­mil­le für den Archi­tek­ten. Dafür muss nie­mand sein Kon­to plündern.

3 Kommentare

  • […] Frag­wür­di­ger SZ-Bericht über moder­ne Wein­guts­ar­chi­tek­tur | weinkenner.de […]

  • Was wäre die Welt öde, wenn es nicht sol­che Ent­wür­fe gäbe – sei es bei einer Winery, die in mei­nen Augen für die Sym­bio­se von Natur, Kul­tur und Tech­nik wun­der­bar geeig­net ist, sei es in ande­ren Berei­chen, wo Genuss im Mit­tel­punkt steht oder auch, wo sol­che Ent­wür­fe kon­tras­tiv wir­ken. Vie­len Dank für einen gelun­ge­nen Kom­men­tar, Herr Prie­we, des­sen Inhalt ich volls­tens teile!

  • Naja, dass aber irgend­je­mand sowas auch bezah­len muss liegt doch auf der Hand. Und in die­sem Fall ist auch klar, wer das ist: Näm­lich jene Men­schen, die die Pro­duk­te des Wein­gu­tes kau­fen, das ist näm­lich deren Ein­nah­me­quel­le. Von daher zah­le ich mit jeder Fla­sche auch für die­sen Bau…

    Mir ist es ehr­lich lie­ber, wenn man das Geld in den Wein­bau, ver­nünf­ti­ge Bezah­lung der Mit­ar­bei­ter, von mir aus auch den eh nicht vor­han­de­nen BIO Wein steckt… 

    Die Idee hin­ter die­sem Gebäu­de ist natür­lich Mar­ke­ting. Mich aber spricht das nicht an. Wein ist ein Luxus­ar­ti­kel, aber auch Luxus lässt sich ver­schie­de­nen defi­nie­ren und offen­sicht­lich will das Wein­gut eben ein gewis­sen Kli­en­tel anspre­chen. Kann es, darf es, ich wer­de den Wein jeden­falls nicht kaufen!

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