Dabei geht es, anders als bei Lidl und Aldi, nicht um Prosecco für 1,99 Euro oder Dornfelder für 2,99 Euro, sondern um Weine oberhalb der „Premium“-Schwelle von 5 Euro – also um Weine, die der Fachhandel als sein ureigenes Revier ansieht. Mehr noch: Netto und plus.de wildern über ihre neu aufgestellten Online-Shops ganz ungeniert in den Spitzenweinreservaten, in denen sich der Fachhandel bisher allein tummelte und vor jeglicher Supermarkt-Konkurrenz sicher glaubte. Netto hat rare Hochgewächse wie Figeac und La Mondotte im Sortiment, plus.de den Spätburgunder SD von Jakob Duijn für unschlagbare 39,95 Euro – fast zehn Euro weniger als die billigste Konkurrenz.
Vom Fachhandel abgeguckt
Dabei haben sich die Discounter manches Marketing-Tool, mit dem sie die Tür zu den Spitzenweinmärkten aufbrechen wollen, vom Fachhandel abgeschaut. Das zur Tengelmann-Gruppe gehörende plus.de, das stark auf Spanien fokussiert ist, bewirbt, um Kompetenz zu demonstrieren, seine Weine mit den Bewertungen aus dem Guia Penin und von Robert Parker. Es wird sogar ein „Probierpaket Parker“ angeboten, in dem sich Rotweine befinden, die vom Amerikaner mit 90 bis 92 Punkten bewertet wurden (über die Fragwürdigkeit speziell seiner Spanien-Bewertungen braucht hier nicht geredet werden): Weine aus Yecla, La Mancha, Cariñena, Alicante zum Beispiel.
Instrumentalisierung der Weintester
Aber auch Mundus Vini-Medaillen und die Auszeichnungen der Berliner Wein Trophy werden dankbar als sales pusher eingesetzt. Bei deutschen Weinen glauben die Tengelmänner an die Zugkraft von Kammerpreis-Münzen und DLG-Prämierungen, bei südafrikanischen Weinen greifen sie auf Platter-Bewertungen zurück. Plumpes Abverkaufen war gestern. Heute singen die Marketing-Profis das Hohelied der Qualität. Sie kennen die einschlägigen Weintester und wissen deren Urteile fürs eigene Geschäft zu instrumentalisieren. Was der Fachhandel vormacht, können die Discounter mindestens genauso gut.
Der Discount kennt keine Preisschwellen mehr
Noch auffälliger ist, wie kess die neue Konkurrenz bisher geltende Preisschwellen überschreitet. Den spanischen Sotorrondero von Daniel Jimenez-Landi bieten die plus.de-Strategen im Sechserpack für umgerechnet 15 Euro pro Flasche an. Dabei scheint es ihnen egal zu sein, dass der Wein im Fachhandel für deutlich weniger Geld zu haben ist. Hauptsache: ein hochkarätiges Sortiment. Selbst über die 27,60 Euro-Schwelle springen sie locker. So viel kostet der Flagship Syrah des Weinguts Spice Route, der zu den Topweinen Südafrikas gehört – übrigens keinen Cent weniger als im Fachhandel.
Noch krasser zeigt sich der Wille, ins Ultra Premium-Segment vorzustoßen, an Antinoris berühmtem Weißwein Cervaro della Sala, der bei plus.de mit 47,90 Euro ausgepreist ist – ambitioniert für einen Online-Shop, der unter einem Supermarkt-Logo segelt. Dabei stört die Verantwortlichen nicht einmal, dass der gleiche Wein des gleichen Jahrgangs im Fachhandel schon für 38,90 Euro erhältlich ist. Der Duijn-Spätburgunder ist die rare Ausnahme. Über das „unschlagbare Preis-/Leistungs-Verhältnis“, dessen sich die Shop-Betreiber auf der plus.de-Website rühmen, wird der Kunde, der sich auskennt, nur schmunzeln.
Selten billiger als der Fachhandel
Billig ist plus.de nur bei seinen tageweisen Angeboten („Plus des Tages“), mit denen die Shop-Betreiber ihre Kunden täglich auf ihre Seite locken wollen – übrigens auch ein Tool, das sie von Konkurrenz übernommen haben. Da wird dann allerdings nur drittrangige Ware vom Typ Anselmann Riesling classic angeboten. Auf die Idee mit der tickenden Digitaluhr, die anzeigt, wie viele Stunden/Minuten/Sekunden es noch bis zum Auslaufen des Angebots um Mitternacht sind, ist allerdings noch nicht einmal Wine-in-Black gekommen.
Figeac und La Mondotte – aber nicht zum Schnäppchenpreis
Noch forscher baut Netto Marken-Discount sein Weingeschäft aus. Das Unternehmen, das 2005 von Edeka übernommen wurde, vertreibt Wein nicht nur über seine insgesamt 4.100 Filialen in Deutschland. Höherwertigere Kreszenzen werden über netto-online angeboten. Die Preisschwellen sind dabei völlig gefallen. Die Spitze des Netto-Sortiments bilden ein 2010er Figeac für 249 Euro und ein 2010er La Mondotte für 360 Euro.
Auf Parker-Punkte braucht man sich bei diesen Weinen nicht zu berufen. Wer derartige Beträge locker macht, weiß genau, wofür die beiden Namen stehen. Netto setzt vielmehr auf den Stuttgarter Master Sommelier Frank Kämmer, der das Unternehmen nicht nur beim Einkauf berät, sondern auch mit Konterfei und Testimonials als Netto-Experte auftaucht. „Investition in Qualität“, heißt es aus der Netto-Zentrale.
„Investition in Qualität“
Die Handschrift Kämmers, der auch für den deutschen Gault Millau testet und den Burgunder-Fachhändler Kierdorf berät, ist deutlich erkennbar. Er sorgt dafür, dass der Netto-Kunde nicht nur im lauwarmen Wasser badet, also im Meer namenloser Rotweine aus Bordeaux und aus Spanien, die sich durch optisch niedrige Preise, aber schwer einschätzbare Qualität auszeichnen. Bei Netto steht zum Beispiel eine Ikone wie Drouhin aus Beaune im Sortiment, wenn auch nur mit den Basisqualitäten der Laforêt-Linie. Oder ein Spitzenwinzer wie Schiopetto aus dem Friaul, dessen Weine in der Sterne-Gastronomie ausgeschenkt werden und die bisher immer nur über ausgesuchte Vinotheken und exklusive Online-Shops vertrieben wurden.
Der Preis ist kein Argument
Preislich lohnt sich der Einkauf bei Netto kaum: Einige Schiopetto-Weine sind etwas billiger als im Fachhandel, andere sind etwas teurer. Ähnlich bei den Laforêt-Weinen von Drouhin. Der Bourgogne Chardonnay kostet einen Euro weniger, der Bourgogne Pinot Noir einen Euro mehr. Wenn man Discount mit Rabatt übersetzt, dann liegt dieser für den Verbraucher letztlich bei Null. Ganz abgesehen davon, dass Fachhändler teilweise schon ab 100 Euro Einkaufswert frachtfrei versenden, während Netto pro Sendung pauschal 4,45 Euro fakturiert (was allerdings ein sehr fairer Preis ist). Dennoch ist plus.de in diesem Punkt besser. Dort kommt die Ware schon ab 50 Euro Warenwert umsonst nach Hause.
Spitzenweine nur als Lockangebote?
La MondotteFazit: Die Bezeichnung Discounter ist bei Wein nur heiße Luft. Die Marktmacht, die die Großen bei Margarine und Essiggurken ausspielen können, kommt bei Prestige-Weinen, deren Verfügbarkeit begrenzt ist, nicht zum Tragen. Manchmal ist sie sogar hinderlich. Sollten anspruchsvolle Kunden, die sich auf die Websites dieser Discounter verirren, merken, dass die angebotenen Spitzenweine nicht (oder nicht in der gewünschten Menge) verfügbar sind, dann wird auch den letzten Schnäppchenjägern klar, dass ein Figeac und ein La Mondotte bei Netto nur Lockangebote sein können. Die Cleveren haben längst herausgegoogelt, dass beide Weine bei renommierten Einzelhändlern billiger angeboten werden. Mit derartigen Lockangeboten kann Netto vielleicht Neugier wecken, aber nicht preislich punkten. Geld verdient wird mit den nicht-exklusiven Weinen. Da locken für die Shop-Betreiber allerdings Margen, die größer sind als bei Essiggurken und Salzstangen.
Den Nerv des Fachhandels getroffen
Wer bedenkt, dass viele der großen Namen in der Weinwelt nicht nur Spitzengewächse erzeugen, sondern auch Massenware in Millionenstückzahl, der kann sich vorstellen, dass die Qualitätsoffensive der Discounter durchaus den Nerv des Fachhandels trifft. Denn auch dieser verkauft nicht nur Mouton-Rothschild, sondern ebenso Mouton-Cadet und Cadet d’Oc. Ähnliches lässt sich von Torres, Frescobaldi und vielen anderen sagen, auf deren Dritt- und Viertweine auch weinkompetente Einzelhandelsgeschäfte längst nicht verzichten können. Die Grenzen zwischen Supermarkt und Fachhandel sind durchlässig geworden. Der Online-Handel hat die Durchlässigkeit noch vergrößert. Wenn der Fachhandel seine Kunden halten will, muss er Mehrwert bieten. Gute Fachhändler können das, aber viele nicht. Die Discounter, die sich nur noch so nennen, aber keine mehr sind, wittern das.