Antonio Galloni, der für den amerikanischen Weinkritiker Robert Parker Champagner testet, ärgert sich maßlos: „Auf meiner französischen Butter steht das Verpackungs- und Mindesthaltbarkeitsdatum“, berichtet er in der Dezember-Ausgabe des elektronischen Newsletters www.erobertparker.com. „Dass der Verbraucher auf einer Champagnerflasche, die das Zehnfache kostet, nichts dergleichen vorfindet, regt mich auf.“
Er hat Recht. Jahrgangslose Champagner, die fast 90 Prozent des Marktes ausmachen, tragen fast nie das Degorgierdatum auf dem Rücketikett. Das Degorgierdatum ist der Zeitpunkt, zu dem der Champagner vom Kellermeister für trinkreif erklärt, von der Hefe befreit (degorgiert) und endverkorkt wird, um danach in den Verkauf zu gehen. An diesem Datum kann man erkennen, wie jung oder wie alt ein Champagner ist.
Grundsätzlich gilt, dass der Zeitpunkt des Degorgierens nicht mehr als 12 Monate zurückliegen sollte – nach Möglichkeit weniger. Je dichter das Degorgierdatum und das Datum des Konsums zueinander liegen, desto frischer ist der Champagner.
Vor allem die preiswerten Marken-Champagner und die Handelsmarken verlieren schon nach weniger als einem Jahr ihre prickelnde Frische. Sie tendieren farblich ins Goldgelbe, zeigen plötzlich Petrolnoten, riechen möglicherweise unfrisch und alt. Auch die teuren Champagner der berühmten Marken sind gegen das schnelle Altern nicht immer gefeit. Während einzelne Marken drei oder auch vier Jahre nach dem Degorgieren problemlos frisch bleiben, verlieren andere schnell an Spritzigkeit und Finesse – besonders dann, wenn sie nach dem Degorgieren länger als nötig im Keller gelegen haben.
Genau das ist in den letzten 18 Monaten passiert. 2009 war das schlechteste Champagner-Jahr seit langem. Die Weltwirtschaftskrise hatte zu einer Absatzkrise beim Champagner geführt. Anfang 2010 lagen nach Angaben der Champagnerindustrie noch 1,5 Milliarden Flaschen unverkauft in den Kreidekellern in und um Reims. Danach erholte sich die Champagnerindustrie. Die Nachfrage zog an, die Stocks wurden langsam abgebaut. Das heißt: Große Mengen von Alt-Champagner flossen auf den Markt – und befinden sich dort vermutlich noch immer.
Sicher wissen nur die Champagnerhäuser selbst, wie viel Alt-Bestand derzeit in Umlauf ist. Doch diese mauern. Während es bei Prestige-Cuvées (sofern diese keinen Jahrgang tragen) selbstverständlich ist, das Degorgierdatum auf dem Rücketikett anzugeben, fehlt diese Angabe bei den umsatzträchtigen Normal-Champagnern fast immer (zu den wenigen Ausnahmen gehören zum Beispiel Lanson und Philipponat).
Die Argumente, mit denen die Champagnerhäuser den Verzicht auf das Degorgierdatum vorbringen, sind wenig überzeugend. Sie fürchten angeblich, dass die Konsumenten, wenn diesen ein Champagner geschmeckt hat, immer wieder nach einer Flasche mit demselben Degorgierdatum verlangen könnten – die zu liefern natürlich nicht möglich wäre, weil die normalen Brut-Champagner fortlaufend degorgiert werden.
Außerdem verweisen sie darauf, dass der Stil dieser Champagner trotz unterschiedlicher Füllungen und unterschiedlichen Degorgierdatums immer gleich bleibe. Richtig. Wenn der Zeitraum zwischen Degorgieren und Konsum allerdings 12 Monate und länger auseinander liegt, verändert sich die Qualität der verschiedenen Füllungen erheblich – trotz gleichen Stils.
Die Hersteller anderer flaschenvergorener Schaumweine sind diesbezüglich flexibler. Viele sind längst dazu übergangen, das Degorgierdatum zu nennen – entweder kryptisch oder ganz offen. Auf Bellavistas Gran Cuvée aus der Franciacorta, dem italienischen Champagner-Pendant, steht unübersehbar „sboccatura…“ samt dem entsprechenden Jahrgang auf dem Rücketikett. Das Rücklabel des spanischen Edel-Cava Bohigas führt genau auf, aus welchem Jahrgang die Trauben stammten und wie lange der Wein aus der Hefe gelegen hat.
Anders beim Champagner. Nicht einmal der Handel hat Informationen darüber, ob er in der letzten Lieferung jüngst degorgierte Champagner oder olle Kamellen erhalten hat. Erst nach dem Öffnen weiß der Erwerber, ob er einen frischen jungen oder einen faden alten Prickler vor sich hat. Parker-Mitarbeiter Galloni lehnt es deshalb ab, jahrgangslose Champagner ohne Degorgierdatum zu verkosten. Auch privat, so lässt er seine Leser wissen, kaufe er keinen solchen Champagner mehr. Anderen Verbrauchern empfiehlt er „dringend“, das gleiche zu tun.