Die Weine, auf denen die Studie basiert, waren für den Import nach Kanada bestimmt und wurden beim Liquor Control Board of Ontario untersucht, einer der wenigen Orte in der Welt, wo jede ankommende Flasche Wein einer Laboranalyse unterzogen wird. Kanada toleriert nur eine geringe Abweichung vom tatsächlichen Alkoholgehalt: 0,1 Vol.%.
Nun hat die international aufgestellte American Association of Wine Economics (AAWE) die Untersuchungen der letzten 17 Jahre zusammengefasst und ausgewertet. Das Ergebnis: von genau 129.123 Weinen, die überprüft worden waren, wiesen 57,1 Prozent einen höheren Alkoholgehalt auf, als auf dem Etikett deklariert war. Während der tatsächliche durchschnittliche Alkoholgehalt aller untersuchten Weine 13,6 Vol.% betrug, lag der Mittelwert der angegebenen Alkoholgehalte laut Analysebögen bei 13,1 Vol.%.
In den heißen Jahren am stärksten nach unten korrigiert
Dass die Erzeuger den Alkoholgehalt ihrer Weine systematisch nach unten korrigieren, daran besteht für die Autoren des Reports kein Zweifel. Die größten Abweichungen registrierten sie zum Beispiel 1997 und 2003 – den beiden heißesten Jahren der letzten Zeit, in denen die Alkoholgehalte der Weine weltweit Rekordwerte erreichte. Hier war den Erzeugern offenbar sehr daran gelegen, die Lage weniger dramatisch aussehen zu lassen, als sie war.
Als größte Trickser entpuppten sich Chile, Argentinien, USA und Spanien – also vier Weinbaunationen, die klimabedingt, aber auch durch eine gewollt höhere Reife der Trauben (also längeres Hängenlassen) höhere Alkoholgehalte in Kauf nehmen, vor allem bei Rotweinen. Im Vergleich zu ihnen waren die Kollegen aus Italien und Frankreich geradezu ehrlich in ihren Angaben.
Am ehrlichsten von allen scheinen portugiesische Weinerzeuger zu sein. Die Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Werten waren bei ihren Weinen am geringsten. Deutsche Weine waren wegen der häufig vorhandenen Restsüße nicht in die Untersuchung einbezogen worden.
In Europa größeres Schummel-Potenzial als in Amerika
Da der Alkoholgehalt der Weine, die für den Konsum in Kanada bestimmt sind, auf die Dezimalstelle genau auf dem Etikett angegeben werden muss, müssen Weine, die dorthin exportiert werden, andere Etiketten tragen als Weine, die für den Konsum in Europa vorgesehen sind. Innerhalb Europas darf der Alkoholgehalt auf dem Etikett nur halbprozentweise angegeben werden. Die Toleranz beträgt laut EU-Verordnung 0,5 Vol.%. Das heißt: Europäische Weinerzeuger haben wesentlich größere Möglichkeiten als in Amerika, beim Alkoholgehalt zu schummeln. Wer einen Wein mit 14 Vol.% hat, darf ihn als 13,5 Vol.% deklarieren, ohne die rechtliche Norm zu verletzen.
Eine gewisse Toleranz gegenüber den Etikettenangaben ist zweifellos nötig. So kann bei Weinen, die in warmer Umgebung gelagert werden, ein Alkoholverlust eintreten. Ist die Umgebung zu trocken und der Flaschenverschluss nicht ganz dicht, kann es auch zum Schwund in den Flaschen kommen, der automatisch zu einem höheren Alkoholgehalt führt. Aber kaum zu einer Veränderung von 0,5 Vol.%, schon gar nicht zu 0,8 Vol.% vom gemessenen Wert, was bei Weinen, die für eine längere Lagerung vorgesehen sind, von Gesetzes wegen tolerabel ist. Da die Untersuchungsämter bei Weinen, die innergemeinschaftlich gehandelt werden, nur Stichproben nehmen, ist das Ausmaß der Falschdeklaration in Europa nur zu erahnen.