EU-Reform: Was passiert, wenn die Pflanzrechte abgeschafft werden?

Europakarte mit Sternenkranz
Ob Riesling, Rioja oder Blaufränkisch in zehn Jahren noch so gut sind wie heute, ist keineswegs sicher. Durch die EU-Weinmarktsreform, vor allem die Abschaffung der Pflanzungsrechte ab dem Jahre 2016 werden zwar Subventionen gespart. Dafür drohen Winzersterben und ein Qualitätsverlust der Weine. Von Jens Priewe

Wer jedes Jahr treu sei­nen Ries­ling, Rio­ja oder Blau­frän­kisch kauft, wird nicht ver­ste­hen, war­um sich wich­ti­ge euro­päi­sche Wein­funk­tio­nä­re heu­te in Flo­renz zu einer Kri­sen­sit­zung tref­fen. War­um soll er sich dafür auch inter­es­sie­ren? Er geht davon aus, dass er auch nächs­tes und über­nächs­tes Jahr, über­haupt in der über­schau­ba­ren Zukunft den Wein von sei­nem Lieb­lings­win­zer oder Händ­ler sei­ner Wahl bekommt.

In Wirk­lich­keit kann er sich des­sen kei­nes­wegs sicher sein. Denn der Wein­markt ist in Bewe­gung. Man­che sagen: in Auf­ruhr. Euro­pa steu­ert nur noch 60 Pro­zent zur Welt­wein­pro­duk­ti­on bei. 40 Pro­zent kom­men aus „Dritt­län­dern“. Sprich: Chi­le, Argen­ti­ni­en, Kali­for­ni­en, Süd­afri­ka, Aus­tra­li­en und so wei­ter. Deren Wei­ne wer­den wesent­lich bil­li­ger als die euro­päi­schen Wei­ne ange­bo­ten, weil die Pro­duk­ti­ons­kos­ten in die­sen Län­dern sehr viel nied­ri­ger sind.

Billige Drittländer-Weine

Der Anteil der Übersee-Weine, die nach Deutsch­land kommt, ist zwar gering. Aber die Übersee-Weine behin­dern sowohl durch ihre Men­ge als auch durch die nied­ri­gen Prei­se den Export euro­päi­scher Wei­ne. Für umge­rech­net 1,50 Euro kön­nen weder spa­ni­sche noch fran­zö­si­sche noch ita­lie­ni­sche Wein­gü­ter ihre Wei­ne fla­schen­fer­tig mit Mehr­wert­steu­er anbie­ten. In Chi­le dage­gen bekommt man schon für weni­ger als 1000 Pesos (das ent­spricht dem Betrag von 1,50 Euro) einen ordent­li­chen Caber­net Sauvignon.

Hin­zu kommt, dass auch in Euro­pa viel zu viel Wein pro­du­ziert wird, vor allem in Süd­eu­ro­pa. Dort­hin fließt denn auch der größ­te Teil der EU-Subventionen. Ein Zustand, gegen den ande­re euro­päi­sche Län­der seit Jah­ren hef­tig zu Fel­de ziehen.

Die Dänin Mari­ann Fischer Boel, von 2004 bis 2010 Agrar­kom­mis­sa­rin in Brüs­sel, woll­te die­sen Zustand been­den und leg­te 2007 einen Reform­plan vor, der den euro­päi­schen Wein­bau wie­der kon­kur­renz­fä­hig machen soll­te. Ihre Idee: Die Sub­ven­tio­nen dras­tisch zu reduzieren:

  • die Kri­sen­de­stil­la­ti­on abzu­schaf­fen (d. h. die Destil­la­ti­on von euro­päi­schem Über­schuss­wein zu Indus­trie­al­ko­hol). Sie allein ver­schlingt 600 Mil­lio­nen Euro jährlich;
  • neue öno­lo­gi­sche Ver­fah­ren zuzu­las­sen, wie sie in Über­see längst Usus sind;
  • sich vom Sys­tem der Pflan­zungs­rech­te zu tren­nen, das der­zeit ver­hin­dert, dass in Euro­pa wei­te­re Wein­ber­ge ange­legt wer­den dürfen.

Nach Vor­stel­lung der Dänin soll­te es bereits ab 2009 kei­ne Restrik­tio­nen mehr geben, neue Wein­ber­ge anzu­le­gen. Aller­dings müs­se dies auf eige­nes Risi­ko hin gesche­hen, so der Gesetzesentwurf.

Steilvorlage für kapitalkräftige Investoren

Klingt gut und plau­si­bel. Libe­ra­le Logik. Tat­säch­lich hat­te Fischer Boel wohl nicht ganz zu Ende gedacht, was eine sol­che Reform kon­kret bedeu­tet. Die Libe­ra­li­sie­rung des Pflanz­rechts ist in Wirk­lich­keit eine Steil­vor­la­ge für kapi­tal­kräf­ti­ge Wein­in­ves­to­ren und eine Schein-Chance für qua­li­täts­ori­en­tier­te, hand­werk­li­che Win­zer. Ent­spre­chend hart war der Wider­stand, der ihr aus Win­zer­krei­sen der Mit­glieds­län­der ent­ge­gen schlug (die sich frei­lich auch um ihre Sub­ven­tio­nen sorgten).

EFOW-Präsident Riccardo Ricci CurbastroSo wur­de, was die Pflan­zungs­rech­te angeht, erst ein­mal der Umstel­lungs­ter­min von 2009 auf 2016 ver­scho­ben. Danach muss­te die Dänin sel­ber gehen. Doch die Uhr tickt wei­ter, und der jet­zi­ge Agrar­kom­mis­sar, ein Rumä­ne, hat bis­lang nicht die Absicht erken­nen las­sen, dass er an der Reform und am Zeit­plan etwas zu ändern gedenkt. Doch je näher der Zeit­punkt rückt, des­to grö­ßer wird die Angst der Wein­erzeu­ger. „Ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen für alle Qua­li­täts­wein­win­zer“ wer­de der Weg­fall der Pflan­zech­te haben, sagt zum Bei­spiel Ric­car­do Ric­ci Cur­bastro, der Prä­si­dent der Euro­pean Fede­ra­ti­on of Ori­gin Wines (EFOW). Er ist der­je­ni­ge, der heu­te nach Flo­renz ein­ge­la­den hat, um mit Kol­le­gen aus Spa­ni­en, Por­tu­gal, Frank­reich und Ungarn über die Dere­gu­lie­rung des Wein­sek­tors zu sprechen.

Versechsfachung der Rioja-Rebfläche

„Ein Weg­fall der Pflan­zungs­rech­te hät­te ver­hee­ren­de Wir­kun­gen für alle Qua­li­täts­wein­win­zer“, pro­gnos­ti­ziert er. Und er hat Recht. „Die Reb­flä­che wür­de mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit zuneh­men. An der Côtes-du-Rhône rech­nen wir mit einem Anwach­sen von der­zeit 61 000 auf 120 000 Hekt­ar, in der Rio­ja von 60 000 auf 350 000 Hekt­ar, im Chi­an­ti von 17 000 auf 35 000 Hekt­ar – um nur eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen. Die Fol­gen wären Über­pro­duk­ti­on mit der Kon­se­quenz eines Preis­ver­falls, Ver­lust von Arbeits­plät­zen, Indus­tria­li­sie­rung des Pro­dukts Wein, Wert­ver­fall von guten Weinbergslagen.“

Auch für den deut­schen Wein hät­te die Dere­gu­lie­rung dra­ma­ti­sche Fol­gen. Die Pro­duk­ti­ons­kos­ten für Wein sind in Deutsch­land auf­grund der vie­len Hügel- und Steil­la­gen extrem hoch. Dut­zen­de von Genos­sen­schaf­ten und Win­zern müss­ten ver­mut­lich auf­ge­ben, weil sie der neu­en inner­eu­ro­päi­schen Bil­lig­kon­kur­renz nicht mehr gewach­sen wären.

Sicher, nicht allen Win­zern, die dann zur Auf­ga­be gezwun­gen wären, wird man eine Trä­ne hin­ter­her­wei­nen. Und nicht um jede Reb­flä­che, die zur Rodung anstän­de, ist es scha­de. Aber für die gro­ße Zahl der Güter, die wenig ver­die­nen und trotz­dem her­vor­ra­gen­de Wei­ne kel­tern, wür­de die neue EU-Weinmarktregulierung in der geplan­ten Form die Wucht eines Tsu­na­mi haben.

Über­le­ben wird nur, wer kapi­tal­stark ist. Das gilt für Deutsch­land eben­so wie für ande­re euro­päi­sche Län­der. Wenn die Bil­lig­wein­wel­le erst ein­mal übers Land schwappt, wer­den – von weni­gen Spit­zen­wein­gü­tern abge­se­hen – alle ihre Prei­se nach unten anpas­sen müs­sen. Zwangs­läu­fi­ge Fol­ge: Qualitätsverlust.

Die tra­di­tio­nel­len Qualitätswein-Trinker wer­den also unter der falsch ver­stan­de­nen Libe­ra­li­sie­rung des Wein­rechts eben­so zu lei­den haben wie die Win­zer. Ihr gelieb­ter Rio­ja heißt dann nur noch so, ist aber nicht mehr der­sel­be, der er ein­mal war. Ein Baro­lo, ein Dão, ein Blau­frän­kisch, ein Gigon­das, ein Chab­lis eben­falls nicht mehr.

Übri­gens: Ein deut­scher Ver­tre­ter ist heu­te nicht in Flo­renz dabei. Deutsch­land ist nicht Mit­glied im EFOW. Aber der Gene­ral­se­kre­tär des Deut­schen Wein­bau­ver­ban­des, Rudolf Nicke­nig, der die Inter­es­sen des deut­schen Weins in Brüs­sel ver­tritt, hat sich ges­tern in einer Pres­se­er­klä­rung noch ein­mal für die Bei­be­hal­tung der Pflanz­rech­te über 2015 bezie­hungs­wei­se über 2018 hin­aus ausgesprochen.

3 Kommentare

  • Wie ist denn nun der aktu­el­le Stand? Wir tra­gen uns mit dem Gedan­ken, einen Wein­berg im Steil­hang wie­der auf­zu­re­ben, den kein Win­zer haben will, um den es aber schad ist.

    Wer weiss Rat?

  • […] der EU in der Abstim­mungs­pha­se. Die­ses Mal geht es um die Aus­wei­tung von Wein­an­bau­flä­che bzw. die Abschaf­fung soge­nann­ter Pflanz­rech­te, die bis­her regel­ten, dass neue Anbau­flä­chen nur sehr schwer entstehen […]

  • […] der EU in der Abstim­mungs­pha­se. Die­ses Mal geht es um die Aus­wei­tung von Wein­an­bau­flä­che bzw. die Abschaf­fung soge­nann­ter Pflanz­rech­te, die bis­her regel­ten, dass neue Anbau­flä­chen nur sehr schwer entstehen […]

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