Barolo wird aus der Nebbiolo-Traube erzeugt, und die ist für Valter Fissore wie ein Gespenst, das ihn auf Schritt und Tritt verfolgt. Selbst wenn er auf Reisen geht, um seine Weine irgendwo auf der Welt vorzustellen, in New York oder München, kann er sie nicht abschütteln. Zumindest kreisen seine Gedanken ständig um die Nebbiolo, von der er nie weiß, ob sie ihm seine Abwesenheit verzeiht. „Die Nebbiolo ist extrem sensibel. Sie reagiert auf alles, was um sie herum passiert. Du musst sie ständig umsorgen und fragen, ob es ihr gut geht. Sonst bestraft sie dich gnadenlos.“
Das Schlimme ist, dass Fissore von Nebbiolo-Reben umgeben ist. Schaut er morgens aus dem Schlafzimmerfenster, hat er sie bereits im Blick. Sieht er aus dem Küchenfenster, hat er ein ganzes Meer von Nebbiolo-Reben vor sich. Tritt er auf den Balkon, liegt ihm ein hügelübergreifender Fleckenteppich von Weinbergen zu Füßen, der aus Weinbergen zusammengefügt ist, die mit dieser Rebe bestockt sind. Und vom Hausflur aus, der kein Fenster hat, schaut er durch die offene Türe auf die großen Holzfässer im Keller, in denen der Nebbiolo-Wein seiner Reife entgegen dämmert.
„Anstrengend“ sei das Leben mit dieser Sorte schon, saqt Fissore, aber auch höchst kurzweilig. Das liegt nicht nur daran, dass er sich mit ihr gut versteht, sondern auch am Resultat seiner Arbeit, die bei Kennern hoch geschätzt wird: seine Barolo der Jahrgänge 2004, 2005 und 2006 gehören zu den besten des Anbaugebiets. Es fehlt nicht viel, um ganz oben mitzuspielen in der Liga der Top-Gewächse des Piemonts.
Nach zwei Jahrzehnten, die viele merkwürdig dunkle, manchmal gequälte, oft von Barriqueholz maskierte Barolo hervorgebracht haben, hat sich der Geschmack der Weintrinker geändert. Der klassische Barolo ist wieder gesucht – allerdings nicht in der ungehobelten, bäuerlichen Version von einst. Säure und Tannin müssen reif sein, die Frucht sauber, und der Wein muss trotz seiner Tanninschwere leichtfüßig über den Gaumen gleiten. Diesen Barolo-Typ strebt der 46jährige Fissore an.
Das Weingut heißt Elvio Cogno nach seinem Schwiegervater. Es liegt in der Gemeinde Novello, einem von elf Barolo-Dörfern, deren Nebbiolo-Weine das Recht haben sich Barolo zu nennen. Cogno ist eine Barolo-Legende. Er war Kellermeister und Teilhaber der Kellerei Marcarini in La Morra, aus der in den siebziger und achtziger Jahren einige der besten Barolo des ganzen Piemont kamen. „Mein Schwiegervater hat immer einen traditionellen Barolo gemacht“, sagt Fissore. „Von ihm habe ich alles gelernt.“
Auch wenn Nebbiolo heute sein Schicksal ist: in die Wiege gelegt war ihm der Barolo nicht. Fissore ist gelernter Industrietechniker, und die Arbeit mit Rohren, Leitungen, Schellen und Schrauben hat ihm früher viel Spaß gemacht. Um die Leidenschaft für den Wein bei ihm entflammen zu lassen, bedurfte es eines Zufalls. Der hieß Nadia. Sie ist die Tochter von Elvio Cogno.
Nadia und Valter heirateten. Als Cogno wenig später Marcarini verließ und das jetzige Weingut kaufte, kündigte Fissore seinen Job und wurde Winzer. Barolo braucht Familie. Ohne Onkel und Tante, ohne Bruder oder Schwiegersohn lässt sich kein Weingut bewirtschaften. Das gilt für Gaja, Altare, Bruno Giacosa, Giovanni Conterno und andere große Barolista ebenso – immer sind es Familien, die hinter erfolgreichen Weinen stehen.
1991 war der erste Jahrgang, den Fissore mit Elvio Cogno gemeinsam vinifizierte. Doch der Erfolg stellte sich nicht sofort ein. Eine traditionelle Ausrichtung allein garantiert keinen guten Barolo. Erst nach vielen Irrungen und Wirrungen und großen Investitionen kam das Weingut langsam in die Erfolgsspur. Wer die Cascina Nuova, das „neue Gut“, heute besucht, kommt in einen durchgeplanten Betrieb, der zwar äußerlich noch ein Bauernhaus ist, innen aber mit modernem italienischen Design und neuester Technik prunkt. Die großen Holzfässer, in denen der Wein reift, sind makellos gepflegt. Der Boden ist so sauber, dass man von ihm essen könnte. Stahltanks, Pressen, Pumpen, Computersteuerung sind vom Teuersten, was es gibt: So sieht Tradition aus, wenn sie erfolgreich sein will.
Seit einigen Jahren schon ist Fissore allein verantwortlich für den Wein. Nadia hilft ihm. Cogno, inzwischen über 80, probiert und begutachtet das Resultat. Im Weingut mitzuarbeiten fehlt ihm die Kraft. Seine Wertschätzung für die Arbeit des Schwiegersohns drückt er dadurch aus, dass er dessen Wein täglich trinkt: „Das größte Kompliment“, findet Fissore.
Vier Barolo erzeugt er, von denen drei mittlerweile zu den höchst bewerteten des Anbaugebiets gehören. Sie heißen Ravera, Vigna Elena und Bricco Pernice. Alles Lagenweine, gewachsen um den Hügel herum, auf dem das Weingut thront. Der Bricco Pernice ist der teuerste, der Vigna Elena der hellfarbigste, der Ravera der strengste. Wer der Beste ist, darüber streiten sich die Journalisten von Jahr zu Jahr neu.
Wer einen wohlschmeckenden Wein erwartet, ist vermutlich mit dem vierten Barolo am besten bedient. Er heißt Cascina Nuova und ist aus Trauben der jüngsten Rebstöcke des 13-Hektar-Weinguts komponiert: sicher kein großer Barolo, aber ein feiner, sich bereits frühzeitig öffnender Wein, der sein Tannin nicht versteckt und alle typischen Barolo-Aromen aufweist. Mit 21 Euro ist er unglaublich preiswert für diese Qualität.
Eine Stufe höher steht der Barolo Ravera. Diese Lage gehört zur Gemeinde Novello. Da die Winzer von Novello in der Vergangenheit ihre Trauben nicht selbst kelterten, sondern an große Kellereien verkauften, die den Wein dann dem der berühmteren Barolo-Dörfer La Morra, Monforte d’Alba, Castiglione Falletto, Serralunga oder Barolo selbst beimischten, blieb die Lage Ravera relativ unbekannt. Elvio Cogno war das erste, das einen eigenen Wein aus dieser hochwertigsten Lage Novellos abfüllte. Seitdem ist das Ansehen des Crus Ravera stark gestiegen.
Der Ravera-Barolo ist ein kräftiger, klassischer Barolo, der anfangs immer etwas streng und spröde ist und sich erst nach einigen Jahren öffnet, dann aber seine ganze Aromenfülle offenbart. Kein Wein für Ungeduldige, die einen Barolo nach dem Jetzt-Zustand beurteilen.
Ebenso große Probleme haben Barolo-unerfahrene Kritiker mit dem Vigna Elena, der wegen seiner hellen, granatroten Farbe oft für einen leichten Wein gehalten wird. Dabei ist dieser Lagen-Barolo, benannt nach Fissores Tochter, ausgesprochen üppig und genauso tannin- und alkoholreich wie die anderen Barolo. Er ist aus einem besonderen, inzwischen fast völlig verschwundenen Nebbiolo-Klon gewonnen, der nur wenig Farbpigmente in der Schale aufweist und deshalb von den Einheimischen seit jeher Rosé genannt wird.
Der Barolo Bricco Pernice ist der jüngste Lagen-Barolo des Weinguts: 2005 war der erste Jahrgang, der auf den Markt erschien. Die Trauben für ihn kommen aus dem besten Teil der Lage Ravera, werden ultrareif geerntet und sorgen so dafür, dass die Tannine besonders fein und weich sind.
Alle vier Barolo sind spontan vergoren und haben lange auf der Maische gestanden. Sogar nach Abschluss der alkoholischen Gärung belässt Fissore den Wein noch 30 Tage auf den Schalen in großen Fässern aus slawonischer Eiche. Dieses alte piemontesische Vinifikationsmethode, die tanninstarke Weine garantiert, nennt man cappello sommerso.
Vor zehn Jahren noch wurden alle Winzer verlacht, die den cappello sommerso praktizierten. En vogue waren die schmuseweichen Weine. Sie stehen oft nur zehn Tage auf der Maische. Inzwischen hat sich der Wind wieder gedreht. Angesichts der Fülle „weichgespülter“ Weine weltweit wird die Sehnsucht nach einem klassischen Barolo wieder lauter. Fissore hält unbeirrt an der traditionellen Vinifikation fest. Auch der Ausbau erfolgt ausschließlich in mittelgroßen Fässern aus der geschmacksneutralen slawonischen Eiche. Den Ausbau in Barriques hat er wieder aufgegeben. Nur sein Langhe Rosso „Montegrilli“ reift noch in den kleinen französischen Holzfässchen.
Übrigens: Ein Barolo-Weingut produziert nicht nur Barolo. Dolcetto, Barbera und ein einfacher, junger Nebbiolo-Wein, beziehungsweise eine Cuvée gehören immer zum Pflichtprogramm – auch bei Fissore. Bei ihm aber kommt überraschenderweise noch ein Weißwein hinzu. Er heißt Anas-Cetta und ist aus der alten, fast ausgestorbenen Rebsorte namens Nascetta gewonnen. Elvio Cogno hatte, nachdem er das Weingut gekauft hatte, noch ein paar alte Rebstöcke dieser Sorte in Novello vorgefunden, sie vermehrt und einen neuen Weinberg mit dieser Sorte angelegt.