Die ersten sechs Weine meines Kurztrips in den Norden Griechenlands trank ich gleich zum Mittagessen in einem kleinen Lokal in Thessaloniki. Alle rot. Ein halbes Dutzend Winzer war zugegen. Es waren keine denkwürdigen Weine, die sie mitgebracht hatten.
Zwei wirkten etwas unbeholfen. Die anderen waren ordentlich. Der sechste gefiel mir besonders gut. Er bot das, was ich suche, wenn ich nach Griechenland komme: einen speziellen Duft, einen besonderen Geschmack, eine eigene Stilistik.
Die Suche nach den besonderen Weinen
Der Wein war nicht übermäßig dunkel in der Farbe, nicht übermäßig dick. Aber er bot mehr als die übliche Rote-Früchte-Mixtur und die unvermeidlichen Tabak- und Schokonoten, die mittlerweile alle besseren Rotweine zwischen Moldavien und Gibraltar aufweisen. Stattdessen Jod, rosa Pfeffer, verblühte Rosen. Ungewohnte, ja komische Noten, die sich aber gut in die Frucht einfügten. Leider räumte, bevor ich mir den Namen des Weins notieren konnte, der Kellner die Flasche wieder ab. Und dann war das Mittagessen auch schon beendet. Die Winzer verabschiedeten sich, auch jener ältere Herr in dem altmodischen Anzug und Krawatte, der mir höflich seine Visitenkarte in die Hand gedrückt hatte. „Auf Wiedersehen“ sagte er in akzentfreiem Deutsch. Und: „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.“
Die Sorte mit dem X
Ich schaute auf die Visitenkarte. Dr. Georg Tsantalis stand darauf. Tsantalis, so viel wusste ich, ist eine berühmte griechische Kellerei. Aber Georg? Der Herr merkte, dass ich stutzte, und so kamen wir in letzter Minute doch noch ins Gespräch. Er hat in Karlsruhe studiert und in der Staatlichen Versuchsanstalt im pfälzischen Geilweilerhof gearbeitet. Daher sein gutes Deutsch. Außerdem kenne er meine Weinbücher. Sie ständen bei ihm zu Hause im Schrank, und er habe sie alle gelesen – auf Deutsch selbstverständlich.
Ich fühlte mich geschmeichelt. Wie mir die Weine geschmeckt hätten, wollte er wissen. Gut, antwortete ich, besonders der letzte. „Das war unsere Rapsani Reserve“, sagte Herr Tsantilis und erklärte, dass die Trauben für diesen Wein vom Olymp kommen, dem höchsten Berg Griechenlands, der als Sitz der Götter galt. Bis zu 750 Meter hoch reichten die Weinberge, und die Sorten hätten Namen, die ich wahrscheinlich noch nie gehört hätte. Sie heißen Xinomavro, Krasato und Stavroto (11,80 Euro, www.griechischer-weinversand.de). „Die Sorte mit dem X kenne ich schon“, sagte ich. „Ich weiß nur nicht, wie man sie ausspricht.“ Herr Tsantalis half mir: „Ksinoooh-mavro“. Dann fügte er hinzu: „Ich glaube, dass die alten Sorten ein großes Kapital für Griechenland darstellen.“
Kann Wein helfen, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt?
Dieser Satz sollte mir noch eine Zeit lang im Gedächtnis bleiben. Denn Griechenland ist politisch wieder mal in den Schlagzeilen. Das Land gibt, salopp formuliert, zu viel aus und nimmt immer noch zu wenig ein – so wenig, dass es selbst die Zinsen für seine Schulden über Kredit finanzieren muss. Das ist gefährlich, wie jeder Häuslebauer weiß. Es stellt sich also die Frage, wie Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen will. Mit weißen Stränden und blauem Meer allein dürfte das schwierig werden. Mit Schafskäse, Olivenöl, Tomaten, Äpfeln, Pfirsichen und anderem Gemüse auch. Zusammen mit dem Wein aber könnte vielleicht ein kleines Lichtlein am Ende des Tunnels aufgehen, vorausgesetzt der Wein ist gut und hat etwas, das andere Weine nicht haben. Wie ein Champagner sozusagen, der Frankreichs Außenhandelsbilanz jedes Jahr ordentlich aufhübscht. Pardon, dieser Vergleich verbietet sich eigentlich. Überhaupt bitte ich Sie, lieber Leser, für das Politisieren um Entschuldigung. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass die Reserve vom Berg der Götter interessanter ist als viele qualitativ korrekte, aber seelenlose Rioja, Chianti, Vin de Pays d’Oc und sonstige Weine.
Der Norden: Kühl und dünn besiedelt
Auf das Mittagessen folgte eine längere Autofahrt raus aus Thessaloniki, vorbei an riesigen Feldern mit Tomaten, Zucchini, Gurken, Paprika. Nach einer Stunde bogen wir nach Norden ab, nach einer weiteren waren wir kurz vor der mazedonischen Grenze. Eine wenig romantische, nur spärlich besiedelte Gegend, ungefähr so einladend wie eine Skipiste im Sommer.
Links und rechts der Straße mehrere Monsterkraftwerke, die Kohle verstromen, im Hintergrund Gebirgszüge mit Flanken aus blankem Balkanfels. Dazwischen grobe Scholle oder verkarstetes Land und ein paar größere, aber irgendwie sinnlose Seen.
Die Reise nach Amyndeon
Amyndeon heißt die Gegend. Sie ist das kühlste unter Griechenlands 33 Weinanbaugebieten und unter der neuen Generation griechischer Winzer eine Art Geheimtipp. Erstens kann man dort seine Trauben reif kriegen, ohne dass die Alkoholgehalte obszön in die Höhe schnellen. Zweitens weht immer leichter Wind, der Rebkrankheiten vorbeugt und Spritzungen gegen Pilzbefall nahezu überflüssig macht. Drittens findet man in Amyndeon (auch Amynteo geschrieben) noch viele uralte Reben, die vor drei, vier oder fünf Generationen gepflanzt wurden und die heute einen Schatz von unermesslichem Wert darstellen, schon deshalb, weil sie unveredelt sind. Viertens ist genügend Platz vorhanden für neue Rebpflanzungen. Und fünftens gibt es einen Winzer namens Laurens Hartman, der zeigt, zu was alle diese Faktoren zusammen führen können: zu hochinteressanten, ja spannenden Weinen, wie man sie in Griechenland so nicht noch einmal findet, überhaupt an der südlichen Peripherie Europas nicht.
Ein Holländer auf der Suche nach dem richtigen Wein
Laurens Hartman, Mittvierziger, ist Niederländer mit griechischem Blut mütterlicherseits. Er habe jahrelang im Verlagsgewerbe gearbeitet, erzählt er, bis er eines Tages fühlte, dass Wein spannender ist als Druckerzeugnisse. Er ging noch mal zur Uni, studierte im kalifornischen Davis Önologie, arbeitete auf mehreren Weingütern, um sich dann eigenverantwortlich in das Abenteuer Wein zu stürzen. „Ich wusste anfangs nicht, wo ich Wein auf der Welt machen sollte“, erzählt er.
Laurens Hartman„Ich wusste nur, dass ich keinen der dunklen, schweren, säurearmen Rotweine produzieren wollte, wie sie die internationalen Märkte überschwemmen. Und ich wollte im Weinberg nicht mit Chemie arbeiten müssen.“
Anfangs suchte Hartman in Frankreich nach geeigneten Rebflächen, um schließlich im Nordwesten Griechenlands fündig zu werden. „In dem kontinental-kühlen Klima von Amyndeon kann man die Weine erzeugen, wie ich sie mir vorstelle. Und man kann biodynamisch arbeiten, ohne Ernteausfälle zu riskieren.“
Die Weine von Karanika
Seit ein paar Jahren betreibt Hartman nun zusammen mit seiner Frau das kleine Weingut Karanika, benannt nach seiner Mutter. Sieben Hektar Reben, ein Gravity-Flow-Keller und ein kleines Sortiment von ausdrucksvollen, fruchtigen Weiß- und Rotweinen, die überwiegend exportiert werden. Dazu zwei flaschenvergorene Sekte, die sich in Athen und Thessaloniki großer Beliebtheit erfreuen, wenn die Hitze mal wieder unerträglich ist.
Allerdings ist der Konsum dieser Sekte eine ziemlich luxuriöse Art, sich Kühlung zu verschaffen. Denn sie sind anspruchsvoll und keine billigen Prickler: „Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht betragen in Amyndeon vor der Lese ungefähr 14 Grad“, erklärt Hartmann die feine Säure und die würzige Frucht. „In der Champagne beträgt der Unterschied nur 4 Grad.“ Womit wir wieder beim Champagner wären, diesmal ungewollt.
Alte Rebstöcke
Ein Wein aus dem Karanika-Sortiment ist allerdings sensationell. Ein dunkelroter, konzentrierter Tropfen aus Xinomavro-Trauben, der sich allen herkömmlichen önologischen Ordnungssystemen entzieht: vom Alkoholgehalt eher leicht (um 12 Vol.%), aber mit reifer Frucht, die mehr an Lakritz, Leder, Graphit erinnert als an Brombeeren oder ähnliche Aromen. Sein Tannin ist so fein, dass man sein Auto damit polieren könnte, ohne Kratzer zu hinterlassen. Kein Wunder: Die Rebstöcke sind zwischen 60 und 100 Jahre alt. So einen Wein findet man selten in Europa. Leider werden nur 800 Flaschen von diesem Xinomavro Old Vines erzeugt (19,95 Euro, wein-shop.wineandnature.com). Sein Beitrag zur Gesundung der griechischen Ökonomie ist also begrenzt.
Der Fokus liegt heute auf den Weiß- und Schaumweinen
Natürlich habe ich auch noch ein paar andere Xinomavro-Weine in Amyndeon probiert. Etwa den Kali Riza aus dem Weingut Kir Yianni. Dieser Wein ist vergleichsweise rustikal und wenig komplex. Auch Tsantali hat inzwischen eine Filiale in Amyndeon errichtet. Allerdings werden die Trauben zugekauft. Das Resultat: ein einfacher, um nicht zu sagen: sehr schlichter Ximomavro. Die Götter können ihre Hände bei ihm jedenfalls nicht im Spiel gehabt haben. Rotweine, allen voran die Ximomavro, machen zwar mehr als die Hälfte der Produktion von Amyndeon aus. Aber der Fokus der meisten Winzer liegt auf den Weiß- und Schaumweinen – wegen der kühlen Temperaturen. Sorten wie Roditis, Malagousia, Assyrtiko werden gezielt angebaut, obwohl letztere eigentlich auf der heißen Insel Santorin zu Hause ist. Hoch im Kurs stehen vor allem Chardonnay und Sauvignon. Im Mittelmeerraum sind gute Weißweine selten, und Amyndeon kann sie liefern. Die Gegend gilt inzwischen als beste Sauvignon-Appellation Griechenlands.
Die Weine von Alpha Estate
Das bekannteste Weingut in Amyndeon ist Alpha Estate. Seine Weine sind fast überall auf der Welt vertreten, was damit zu tun hat, dass sie gut und im internationalen Stil gehalten sind: die weißen intensiv fruchtig und frisch (teilweise im kleinen Holzfass vergoren), die roten konzentriert mit süßem Tannin und moderater Säure (immer im Holzfass ausgebaut). Sie bestehen meist aus einem Mix von Xinomavro. Syrah, Merlot, Tannat, Montepulciano, Pinot Noir und anderen internationalen Rebsorten.
Nur zwei sind sind reinsortig aus X-Trauben gewonnen. Sie kommen aus zwei Parzellen, in denen, wie bei Karanike, alte, unveredelte Reben stehen. Der eine heißt Hedgehog, der andere überragende Wein ist die Reserve Vieilles Vignes von 90-jährigen Reben: bei aller Fülle diszipliniert, abgeklärt, aromentief und keine Kopie irgendeines anderen auf der Welt existierenden Weins. Parker hat ihm 92 Punkte gegeben. Das Paradoxe ist: Alphas Vieilles Vignes kostet weniger als seine internationalen Superpremium-Cuvées, nämlich nur 15,90 Euro (www.atlas-feinkost.de).
Gut essen kann man auch in Amyndeon
Abends waren wir dann noch in einem dieser grauen Dörfer um Amyndeon herum, die tagsüber menschenleer sind und in denen sich erst nach Feierabend Leben zu regen beginnt. Zum Beispiel im Restaurant von Nikolaos Kontosoros, dessen Ruf als Koch so gut ist, dass die griechische Feinschmecker von weit her kommen, um bei ihm zu speisen. Da tranken wir dann zu einer Velouté von grünem Spargel Kir Yiannis weiße Roditis/Sauvignon-Cuvée, bei der ich sofort verstand, weshalb es viele griechische Weinmacher nach Amyndeon zieht. Ich verstehe auch die Feinschmecker. Den Halsgrat vom Schwein, sanft gegart, konnte man mit der Gabel essen, und beim Kastanienpüree habe ich um einen Nachschlag gebeten. Übrigens tranken wir dazu den Flagship-Wein von Alpha Estate. SMX heißt er. S steht für Syrah, M für Merlot, X für… – Sie wissen schon. Der Wein war gut. Aber ich hätte einen XXXL vorgezogen, wenn es ihn gäbe. Das L stände bei mir für Lust.
Am nächsten Tag ging es weiter in eine reine Rotwein-Appellation, nach Naousa. Davon und wie ich plötzlich neben dem Bürgermeister von Thessaloniki saß in drei Wochen auf weinkenner.de.