Das Jahr 2014 ist noch nicht ganz zu Ende. Doch schon jetzt lässt sich sagen: Es war für den Weinhandel ein Jahr der Superlative. Die Tendenz, weniger (oder wenigstens gleich viel), aber besser zu trinken, setzt sich weiter fort. Das spüren auch die Weinauktionshäuser. Sie, die vorwiegend mit Edelstoff handeln, registrieren eine steigende Nachfrage gerade bei teuren und teuersten Weinen, Champagnern, Spirituosen. Das Motto der Bieter heißt: „Don’t waste your time, drink Whisky and Wine…“.
Stefan Sedlmeyr, 47, ist Diplom-Sommelier, zugelassener Auktionator und zusammen mit Hans Friedrich Inhaber der Munich Wine Company, einer beiden großen Wein-Auktionshäuser in Deutschland. Er fasst das abgelaufene Jahr zusammen.
Stefan Sedlmeyr und Hans Friedrichweinkenner.de: Wein gehört mittlerweile zum Lebensstil vieler Deutscher dazu. Hat sich 2014 daran etwas geändert?
Sedlmeyr: Ich glaube nicht. Aber die Munich Wine Company ist ein Auktionshaus. Wir bieten überwiegend High-End-Weine an. Supermarktweine finden Sie auf unseren Auktionen nicht. Ein großer Teil unserer Bieter sind internationale Sammler oder Wiederverkäufer. Was sie kaufen, ist repräsentativ für das, was in der Welt derzeit einen hohen Stellenwert hat, aber nicht unbedingt für das, was der durchschnittliche Deutsche trinkt. Aber es bieten bei uns natürlich auch viele private Weinliebhaber, die einfach gut trinken und sich mit Weinen eindecken wollen, die es im Handel nicht mehr gibt.
weinkenner.de: Welche Präferenzen haben diese Weinliebhaber?
Sedlmeyr: Der deutsche Weinliebhaber interessiert sich für alles, was gut und lecker ist. Auf Auktionen wird ihm die ganze Bandbreite geboten, von 10-Euro- bis 5.000-Euro-Wein.
weinkenner.de: Gab es 2014 im High-End-Bereich auffällige Verschiebungen?
Sedlmeyr: Bordeaux macht nach wie vor den größten Teil unseres Angebots aus. Gesunken ist der Anteil der Premiers. Lafite, Latour, Cheval Blanc & Co. sind seit 2003 immer teurer geworden, die Bordeauxtrinker haben weniger subskribiert. Folglich werden jetzt weniger Premiers eingeliefert.
weinkenner.de: Man liest, Bordeaux sei out?
Sedlmeyr: Das ist Unsinn. Für Sammler ist Bordeaux nach wie vor die erste Adresse. Nur werden nicht mehr absurde Preise für Bordeaux-Weine gezahlt. Der Lafite-Hype ist vorbei. Dafür sind Latour und Mouton-Rothschild jetzt stärker gefragt. Figeac, Pichon Baron, Pichon Lalande, Léoville Barton sowie Pavie und L’Angelus, die beiden neuen Premiers aus St. Emilion, erfreuen sich ebenfalls großer Nachfrage. Überhaupt sind die klassifizierten Châteaux nach wie vor gefragt.
weinkenner.de: Sind die Chinesen immer noch stark im Markt vertreten? Das Wirtschaftswachstum Chinas geht zurück. Die Schwellenländer stehen am Rande der Rezession. Schmiergelder fließen nicht mehr so üppig wie früher.
Sedlmeyr: Die Asiaten kaufen, aber vorsichtiger. Sie zahlen nicht mehr jeden x-beliebigen Preis. Das ist der Grund, weshalb die Preise nach 2012 so stark zurückgegangen sind. Zurückgegangen heißt aber, dass sie immer noch um 100 Prozent über dem Niveau des Jahrgangs 2008 liegen.
weinkenner.de: …also noch sehr hoch sind. Gibt es im High-End-Bereich überhaupt noch günstige Qualitäten?
Sedlmeyr: Wenn es einen großen Wein gibt, der unterbewertet ist, würde ich Léoville-Las-Cases nennen.
weinkenner.de: Wie hoch ist der Anteil der Asiaten an den Bordeaux-Bietern?
Sedlmeyr: Bei uns etwa 40 Prozent.
weinkenner.de: Gibt es bei den Chinesen eine starke Nachfrage nach alten Jahrgängen?
Sedlmeyr: Nicht nur bei Chinesen. Wir haben derzeit ja die skurile Situation, dass alte, trinkreife Bordeaux preiswerter sind als junge Bordeaux. Das macht alte Jahrgänge für Weinliebhaber interessant. Insbesondere 1982 steht bei internationalen Bietern hoch im Kurs. Aber auch 1986 ist gefragt.
weinkenner.de: …alles Jahrgänge, die von Parker hoch bewertet wurden.
Sedlmeyr: An der Rolle der Robert Parkers hat sich nichts geändert, für Asiaten nicht, und für westliche Weinhändler auch nicht. Zwar gewinnen andere Kritiker langsam an Bedeutung, etwa Antonio Galloni. Aber was letztlich zählt, sind die Parker-Punkte, auch in Bezug auf die Jahrgangs-Einschätzung.
Kiste Romanée-Contiweinkenner.de: Sind die Asiaten unkritischer als europäische oder amerikanische Weintrinker?
Sedlmeyr: Oh nein. Sie schauen zum Beispiel sehr genau auf den Füllstand der Flasche. Bei einem mid shoulder-Wein sind sie vorsichtig. Ansonsten legen sie teilweise andere Kriterien an als westliche Bieter. Der optische Zustand alter Flaschen ist für sie besonders wichtig. Die Kapsel sollte möglichst nicht korrodiert sein. Das Etikett darf nicht stockfleckig und oder kellergrau sein. Selbst minimale Beschädigungen des Etiketts führen zu Abschlägen, auch wenn es völlig normal ist, dass Flaschen nach 20, 30 Jahren eine gewisse Patina aufweisen. Ein Asiate hat mir mal gesagt: Wenn Sie ihren Freunden eine alte Statue schenken, darf sie auch keinen Sprung haben. Ein Sprung würde als mangelnde Wertschätzung des Beschenkten beziehungsweise des Gastes empfunden werden. Daneben gibt es ein paar spezifisch chinesische Kriterien. So gilt die goldene Glocke, die Angélus auf dem Etikett hat, in China als Glückssymbol. Das macht diesen Wein für Chinesen besonders interessant. Und wenn Haut-Brion in eine Bordeauxflasche statt in eine Schlegelflasche abgefüllt würde, würde er zumindest in China die gleichen Preise erzielen wie ein Mouton-Rothschild.
weinkenner.de: Wenn Sie an die letzten 12 Monate denken, welche Weine haben die größten Preissprünge gemacht?
Sedlmeyr: Die Burgunder. Das ist schon extrem, was da passiert, und ich rede nicht von den DRC-Weinen. Die sind sowieso eine Liga für sich sich. Comte de Vogüé, Armand Rousseau, Leroy und so weiter waren ja schon immer teuer. Aber jetzt liegen die Grands Crus locker bei 800 Euro pro Flasche…
weinkenner.de: …vor zwei, drei Jahren bekam man deren Grands Crus noch für 350 Euro.
Sedlmeyr: Und auch die Weine von Eric Roumier, Denis Mortet und Sylvain Cathiard sind im Preis wahnsinnig gestiegen. Die Nachfrage wird größer, die Mengen sind nach wie vor gering.
weinkenner.de: Gibt es in Übersee Alternativen zu den französischen Burgundern?
Sedlmeyr: In Kalifornien gibt es viel Pinot Noir, der preislich zwischen 80 und 200 Dollar liegt und dessen Bewertungen von 90 bis 95 Punkten reichen, im Einzelfall auch 99 Punkte. Wenn wir mehr davon bekämen, könnten wir von diesen Weinen sicher mehr verkaufen.
weinkenner.de: Haben Sie Beispiele?
Sedlmeyr: Die Single Vineyard-Pinots Noirs von Josh Jensen (Calera) aus Monterey zum Beispiel. Sie kommen stilistisch den französischen Burgundern nahe, kosten aber nur einen Bruchteil. Oder exklusiver: den Marcassin Pinot Noir von Helen Turley aus Sonoma Coast, der mit dem La Tâche von DRC auf Augenhöhe ist. Während dieser je nach Jahrgang zwischen 800 und 1.500 Euro pro Flasche kostet, liegt der Marcassin bei 500 bis 600 Euro. Leider ist er noch rarer als die Top-Burgunder aus Frankreich.
weinkenner.de: Wie gefragt sind Übersee-Weine allgemein auf Weinauktionen?
Sedlmeyr: Unter den überseeischen Erzeuger-Nationen ist bei uns eigentlich nur Kalifornien gefragt. Opus One, Camus, Harlan, Shafer, Dominus, Colgin, Bond, Insignia von Phelps – sie alle laufen bestens. Die Weingüter, aus denen sie kommen, arbeiten mit dem gleichen Anspruch wie die Premiers aus Bordeaux. Als Newcomer könnte man inzwischen auch Schrader und Maybach dazu zählen. Und nicht zu vergessen: den Cabernet Sauvignon von Quilceda Creek aus Washington State.
weinkenner.de: Und Südafrika, Chile, Argentinien, Australien?
Sedlmeyr: Bei Australien hat es schon vor zehn Jahren einen Knick gegeben. Da kam einfach zu viel Ware auf den Markt, vor allem zu viel mittelmässiger Shiraz. Heute sind nur wenige Namen übrig geblieben, die für anspruchsvolle Weintrinker interessant sind: zum Beispiel der Astralis von Clarendon Hills und natürlich Penfold’s Grange. Mit den anderen Übersee-Nationen lässt sich auf Auktionen wenig Geschäft machen.
weinkenner.de: Zurück nach Europa. Im vergangenen Jahr waren unter den zehn am höchsten gerateten Weinen der maßgeblichen Kritiker drei Italiener: Masseto, Giacomo Conterno, Ornellaia. Spiegelt sich das in der Nachfrage wider?
Sedlmeyr: Natürlich. Aber auch für Solaia, Sassicaia sowie für die Barolo von Bruno Giacosa und Roberto Voerzio verzeichnen wir eine anhaltend starke Nachfrage. Doch Newcomer aus Italien tun sich schwer. In der letzten Zeit hat sich Vietti mit seinen hoch gelobten Barolo einen Namen gemacht. Ansonsten hat, was ganz alte Jahrgänge beim Barolo wie den 1947er angeht, immer noch Borgogno die Nase vorn. Auch beim 1967er: Er wird bei uns für 100 bis 150 Euro zugeschlagen. Allerdings haben wir gehört, das die Ab-Keller-Preise nach dem Besitzerwechsel von der Familie Boschis zum Eataly-Gründer Oscar Farinetti massiv angehoben wurden. So soll der 1967er jetzt ab Keller für 380 Euro verkauft werden. Das gibt der Markt bei uns nicht her.
weinkenner.de: Und was ist mit alten deutschen Weinen? Wir bei weinkenner.de haben den Eindruck, dass das Angebot die Nachfrage deutlich übersteigt. Wir bekommen jede Woche Anfragen von Leuten, die irgendwelche verstaubten Flaschen im Keller ihrer Oma gefunden haben und nun glauben, sie hätten ein Vermögen in den Händen.
Sedlmeyr: Von derartigen Anfragen kriege ich 20 am Tag. Nein, solch obskure Kellerfunde nehmen wir gar nicht an. Aber hochkarätiger deutscher Wein von erstklassigen Erzeugern ist gefragt, auch ältere Jahrgänge.
weinkenner.de: Auffällig ist, dass viele Auslesen, Eisweine und Trockenbeerenauslesen zur Versteigerung kommen. Schmeckt edelsüßer Wein den Weintrinkern nicht mehr? Wollen sie ihn loswerden?
Sedlmeyr: Sie müssen ihn loswerden. Viele Menschen erkranken im Alter an Diabetes. Sie sind dann gewungen, sich von ihren geliebten edelsüßen Spezialitäten zu trennen. Diabetes Mellitus ist also einer unserer besten Kunden. Wenn etwa 80 Prozent der deutschen Weine, die wir anbieten, Auslesen und ihre Steigerungsformen sind, dann hat das nichts damit zu tun, dass diese Weine den Menschen nicht mehr schmecken. Im Gegenteil: Edelsüßes ist sehr gefragt.
weinkenner.de: Und trockener deutscher Riesling?
Sedlmeyr: Eignet sich weniger für eine Auktion, weil trockene Rieslinge im Alter relativ schnell ihre Frische verlieren.
weinkenner.de: Wenn Sie auf das Auktionsjahr 2014 zurückblicken: Welchen Wein würden Sie als Aufsteiger des Jahres bezeichnen?
Sedlmeyr: Gar keinen Wein, sondern Whisky. Whisky hat in 2014 den größten Zuwachs an Einlieferungen, an Nachfrage und an Preis erfahren.