Wer in der Champagne ein Weingut gründet, muss erst mal drei Jahre warten. So lange dauert es mindestens, bis aus einer Traube nach Gärung und Hefelager ein verkaufsfertiger Champagner wird. Zum Vergleich: Wer Riesling keltert, kann seinen Wein schon ein paar Monate später im Frühjahr verkaufen. Das macht vieles einfacher. Die Geschwister Marie und Simon Normand haben sich von der langen Zeit der Vorbereitung aber nicht abschrecken lassen. Sie haben 2013 ihr eigenes Champagner-Weinguts 2013 gegründet. Zwar bewirtschaften die beiden Geschwister die Weinberge schon in sechster Generation. Bislang aber war die Familie lediglich Traubenproduzent. Sie lieferte ihre Trauben brav bei der Winzergenossenschaft ab. Jetzt sind die beiden Winzer frei und können machen, was sie wollen. Was dabei herausgekommen ist, ist gut. Oder besser gesagt: sehr gut. Hochfein mit druckvoller Mousse, fruchtigem Schmelz, feiner Mineralik und unglaublicher Cremigkeit und Frische, wie man sie selten bei anderen Marken findet. Champagner für Anspruchsvolle.
Das Phänomen Winzerchampagner
An dem Champagnergut La Borderie lassen sich zwei Trends ablesen. Einmal schreitet die Bewegung der Winzerchampagner weiter voran: also Champagner, die aus den eigenen Weinbergen kleiner Winzer kommen. Während große Häuser wie Moët & Chandon, Pommery, Lanson und andere ihre Champagner ganz überwiegend aus zugekauften Trauben oder aus Jungweinen der Genossenschaften produzieren, verabreiten der Hersteller von Winzer-Champagnern nur ihre eigenen Trauben. Wegbereiter hochqualitativer Winzerchampagner ist Anselme Selosse, der 1974 das Weingut seines Vater Jacques in Avize übernommen hatte und dessen Schäumer heute zu den gesuchtesten und teuersten in der ganzen Champagne gehören. Selosse hat den Winzerchampagner zwar nicht erfunden, er war aber doch einer der ersten, der in Sachen Qualität und Renommee zu den Prestige-Champagnern der großen Häuser aufschließen konnte. Manch Kenner ist sogar der Ansicht, dass die besten Winzerchampagner besser sind als die Top-Produkte der Grandes Marques. Alle paar Jahre tauchen neue Winzerchampagner auf, die die Fachwelt in Erstaunen versetzen, im Moment gerade Egly-Ouriet, Agrapart oder zuletzt Dhondt-Grellet. Ihre Weine sind dann sofort vergriffen und steigen massiv im Preis.
Côte des Bar: das (ehemals) ungeliebte Kind der Champagne
Der zweite Trend, für den La Borderie steht, ist die Herkunft: Côte des Bar. Dort liegen die Weinberge von Marie und Simon Normand. Die abgeschiedene Subregion im Südosten der Champagne – man ist schneller in Chablis als in Reims oder Epernay – galt lange als ungeliebtes Kind im Anbaugebiet. Als die Champagne 1908 ihre offizielle Ursprungsbezeichung bekam, gehört die Côte des Bar nicht dazu (obwohl die großen Champagnerhäuser dort regelmäßig Trauben zukauften). Erst 1911 wurde die Côte des Bar nach lautem Protest der Winzer offiziell Teil der Champagne, wenn auch nur unter der Bezeichnung „Champagne deuxième zone“ (bis 1927). Grand-Cru-Lagen gibt es an der Côte des Bar bis heute nicht. Der Erfolg von Häusern wie Drappier, Fleury oder Dosnon zeigt jedoch, dass der Süden dem Norden nicht nachstehen muss. Elf Hektar Rebfläche besitzen die Normands insgesamt an der Côte des Bar. Ein Teil ihrer Trauben geht auch heute noch an die örtliche Genossenschaft, ein anderer Teil als Jungwein an große Champagnerhäuser wie Veuve Clicquot oder Taittinger. Ihr eigener Champagner kommt von 2,5 Hektar Rebfläche, was rund 15.000 Flaschen ergibt.
Pinot Noir spielt die Hauptrolle
Der Stil, dem sich die Normands verschrieben haben, ist gradlinig, klar und von dezenter Fruchtigkeit geprägt. „Ich will frische Champagner keltern“, sagt Simon. Das trifft besonders auf den Einstiegs-Champagner mit seinen reintönigen Fruchtaromen zu. Gleichzeitig ist er dank der Pinot Noir, aus der er zu mehr als zwei Dritteln besteht, kräftig. An der Côte des Bar wächst überwiegend diese Rebsorte. Bei La Borderie sind 70 Prozent der Weinberge mit ihr bestockt, bei den Nachbarn sieht es meist ähnlich aus. Die restlichen 30 Prozent entfallen auf Chardonnay, Pinot Meunier und Pinot Blanc. Champagner, der von Pinot Noir geprägt ist, ist üppiger als die kargeren Blanc de Blancs, die mehr an der nördlicheren Côte des Blancs zu finden sind. Woher die Platzhirschrolle der Pinot Noir an der Côte des Bar kommt, ist nicht ganz klar. Mit Sicherheit hat der spät blühende Pinot Noir in der oft vom Spätfrost gebeutelten Subzone der Champagne einen Standortvorteil gegenüber der Chardonnay mit seinem früher einsetzenden Vegetationszyklus. Das soll aber nicht heißen, dass in den weniger frostigen Lagen der Côte des Bar kein guter Chardonnay wachsen kann. Immerhin werden die Terroirs häufig mit denen des naheliegenden Chablis verglichen, und dort wächst bekanntlich kein Pinot Noir.
Im Keller: Späte Füllung und niedrige Dosage
Von den fünf Champagnern, die von La Borderie derzeit auf dem Markt sind, ist einer reinsortig aus Chardonnay gekeltert, drei aus Pinot Noir. Nur der Basis-Champagner ist eine Assemblage aus 70 Prozent Pinot Noir, 25 Prozent Chardonnay und 5 Prozent Pinot Meunier. Alle fünf sind niedrig dosiert. Die Dosage reicht von 5,5 Gramm beim Non-Vintage bis hinunter zu einem Gramm bei den Spitzencuvées. Es handelt sich also um relativ trockene Champagner. Dafür werden sie erst spät zur zweiten Gärung auf der Flasche gefüllt, meist erst im Juli. „Wir wollen erwachsene Weine in die Flasche geben“, sagt Simon. Im Dezember und Januar sind die Moste zwar schon durchgegoren, die Weine schmeckten aber unrund und „nervös“.
Die La Borderie-Champagner liegen danach 24 bis 36 Monate auf der Hefe. Simon macht keinen Hehl daraus, dass er sie in Zukunft gerne länger sur lattes ausbauen würde: auf den Hefen. „Drei Jahre für den Non Vintage, vier bis fünf, am liebsten sogar sieben Jahre für die Millésimées“, so würde er seine Champagner in einer perfekten Welt auf den Markt bringen. Für ein junges Winzer-Weingut ohne Investor oder Mäzen, der die Kosten von jahrelang in Kellern gebundenem Kapital bereitwillig trägt, ist dieser Plan derzeit leider kaum umsetzbar.
Potential für die Zukunft
Um Missverständisse zu vermeiden: die Champagner von La Borderie sind auch jung schon mit großem Genuss zu trinken. Sie haben Kraft, Fülle und punkten mit klarer Frische. Am meisten von einem längeren Hefelager dürfte wohl der Rosé Douce Folie profitieren: ein selbstbewusster Einzellagen-Champagner aus Pinot Noir, der seine himbeerrote Farbe aus einer 48-stündigen Maischestandzeit mit Stielen generiert und viel Strenge sowie ein kraftvolles Tanningerüst mitbringt. In den kommenden Jahren mit mehr Hefelager wird er sich zum Charakter-Wein ausweiten.
Zugänglicher sind der blütig-klare Trois Contrées und der nussig-herbe De Quoi Te Mêles-Tu? Wie viel Größe in den Weinen der Domaine de La Borderie steckt, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen – wie so häufig in der Champagne. Das Erfreuliche: Jede Champagner-Charge, die Marie und Simon Normand seit 2013 gekeltert haben, ist noch als Reserve in Magnumflaschen im Keller eingelagert. Sie wird in den kommenden Jahren Stück für Stück nach langem Hefelager als Edition Oenothèque auf den Markt kommen.
Domaine La Borderie: Die Champagner im Überblick
Trois Contrées Brut
Pinot Noir (70 Prozent), Chardonnay (25 Prozent), Pinot Blanc (5 Prozent)
36 Monate Hefelager; 5,5 Gramm Dosage pro Liter
Der Einstiegschampagner aus Weinen des Jahrgangs 2016 mit 15 Prozent Reserveweinen ist frisch, sehr klar, hat reintönige Aromen von gelben Früchten: perfekt zum Aperitif.
Preis: 43,60 Euro
De Quoi Te Mêles-Tu? Blanc de Noirs Extra Brut
Ein reinsortiger Pinot Noir aus dem Jahrgang 2017 mit 24 Monate Hefelager, 3 Gramm Dosage pro Liter, dank biologischem Säureabbau mit weicher Textur, aber ohne buttrige Aromen: eher ein ruhiger als ein bissiger Champagner.
Preis: 49,70 Euro
Douce Folie Rosé Extra Brut
Ein Saignée-Rosé, der mit Stielen 48 Stunden auf der Maische steht und dementsprechend entschieden auf Strenge, Herbheit und Phenolik setzt: Trinkfluss, Eleganz und Finesse werden wohl erst in der geplanten später degorgierten Oenothèke-Variante mit längerem Hefelager als (derzeit) 36 Monate auftreten.
Preis: 45,20 Euro
Val Moré Blanc de Noirs Millésimé 2015
Dieser reinsortig aus Pinot Noir gewonnene Jahrgangs-Champagner präsentiert sich nach 55 Monaten auf der Hefe hochmineralisch, aber auch extrem cremig: ein Champagner für Fortgeschrittene.
Preis: 52,80 Euro
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