Spanien ist für viele das Rotweinland schlechthin. Tatsächlich aber sind 47 Prozent seiner Rebfläche mit weißen Sorten bestockt, und in einigen Regionen sind die Weißweine groß im Kommen. Auch wenn man vorsichtig sein sollte mit Begriffen wie Renaissance oder Revolution: Der Aufstieg und der Wandel der spanischen Weißweine in den letzten zehn Jahren ist bemerkenswert. Während der Rotweinkonsum auch in Spanien sinkt, feiern Weißweinregionen wie Rueda und Rias Baixas Erfolge. Doch spanische Weißweine sind mehr als Verdejo und Albariño. Derzeit besonders spannend ist die Entwicklung in den historisch bedeutendsten Weingebieten des Landes – Sherry, Rioja und Penedès – die sich mit Weißweinen zum Teil neu erfinden. Und selbst die oft geschmähte Sorte Airén setzt zu einem Höhenflug an.
UBE Miraflores, Vino de la Tierra Cadiz

In Sánlucar de Barrameda im Sherry-Gebiet gehört Ramiro Ibañez (oben im Foto zusammen mit Estefania) zu den Pionieren des sogenannten Vino de Pasto. „Der Vino de Pasto ist ein Mittelding zwischen einem Weißwein und einem Fino-Sherry“, erklärt der Winzer. Er heißt UBE Miraflores und wird aus der klassischen Sherry-Rebsorte Palomino gewonnen. Im Gegensatz zu einem Fino Sherry oder einem Manzanilla wird er nicht durch die Zugabe von Alkohol verstärkt. Daher weist er je nach Jahrgang nur 11 bis 12,5 Prozent Alkohol auf. Zudem reift der UBE Miraflores zwar wie ein Fino in alten Fässern unter einem Florhefeschleier, allerdings mit acht Monaten viel kürzer und, da Ibañez die Fässer stärker füllt, mit weniger Florhefekontakt. Dadurch ist der Wein am Gaumen überhaupt nicht scharf wie die Finos und hat dennoch eine unverwechselbare andalusische Identität. Neben einer hauchfeinen Sherry-Note und salziger Mineralität besticht er durch seidige Eleganz, frische Leichtigkeit und Trinkfluss pur.
Nicht-gespritete Weine – total angesagt
Der Name Vino de Pasto leitet sich vom Verb „pastar“ ab, was „auf der Weide grasen“ bedeutet. Eine freie Übersetzung wäre Wein zum Essen. Rund 30 Bodegas im Sherry-Gebiet erzeugen derzeit solche nicht-gespriteten Weißweine. In Spanien sind sie gerade total angesagt. Die Mengen, in denen sie produziert werden, sind klein, die Vorschusslorbeeren groß. Selbst die New York Times bezeichnete sie als „einige der aufregendsten Weine der Welt“.
2022 UBE Miraflores, Bodega Cota 45
Preis: 18,95 Euro
Bezug: www.Vinatero.de
Sierra de Toloño Blanco (DOCa Rioja)
Die zweite bedeutende Weinregion Spaniens ist die Rioja. Dort machten die weißen Sorten in den 1980er Jahren noch ein Viertel der Rebfläche aus. In der Folge wurden die weißen Riojas arg vernachlässigt. Ihr Anteil schrumpfte auf sechs Prozent. Seit etwa zehn Jahren geht es wieder aufwärts. Heute ergänzen immer mehr Weingüter ihr Portfolio um Weißweine, und man hört schon die ersten Winzer sagen, dass der wahre Schatz der Rioja nicht die Rot-, sondern die Weißweine sind.
Aus einer kühlen Hochlage kommend
In der baskischen Rioja keltert Sandra Bravo Demeter-zertifizierte Weine und setzt dabei auf kühle Hochlagen. Ihren Sierra de Toloño Blanco gewinnt sie aus 50 bis 100 Jahre alten Viura-Reben. Diese weiße Hauptsorte der Rioja heißt anderswo Macabeo. Die Winzerin erntet die Trauben aus verschiedenen kleinen Parzellen, vergärt den Wein spontan und baut ihn im Stahltank auf der Feinhefe ohne Batonnage aus. Mit 11,5% hat der Jahrgang 2023 erstaunlich wenig Alkohol. Er ist aber keinesfalls ein Leichtgewicht, sondern hat Power und Tiefe und einen animierenden salzigen Abgang. Wie so viele Weine des neuen Spaniens definiert sich dieses Gewächs nicht über die Fruchtigkeit, sondern über Frische, Textur und Mineralität. Bedenkt man den Kontext von alten Reben und biodynamischem Anbau, dann ist das Preis-Genuss-Verhältnis geradezu sensationell.
2023 Sierra de Toloño Blanco, Sandra Bravo
Preis: 12 Euro
Bezug: Weine-Feinkost.de
2023 Cantallops “Anima Mundi”, DO Penedès
Der Penedès im Hinterland von Barcelona ist als Ursprung und Herzkammer des Cava bekannt. In der Schaumweinregion lässt sich ebenfalls eine Bewegung hin zu weißen Stillweinen beobachten, bevorzugt aus der heimischen Rebsorte Xarel.lo, die trotz des ziemlich heißen Mittelmeerklimas frische und charaktervolle Weine mit toller Säure und moderaten Alkoholgraden hervorbringt. Körper, Struktur und Reifepotenzial sind weitere Eigenschaften der Traube.
Am Nordhang gewachsen
Zur jungen Winzergeneration im Penedès gehört Agusti Torelló Roca. Er stammt aus einer bekannten Cava-Familie und keltert in seinem persönlichen Projekt Anima Mundi Stillweine aus autochthonen Rebsorten wie Garnacha, Malvasia de Sitges und Xarel.lo. Dabei setzt er auf ökologischen Weinbau, alte Reben und Einzellagen. Sein reinsortiger Xarel.lo Cantallops stammt aus einem 1955 gepflanzten Nordhang mit einem hohen Anteil an Kalkstein. Spontanvergärung und Ausbau des Weins erfolgen je zur Hälfte in Eichenfässern und in Betontanks, ganz ohne Batonnage, wie Torelló Roca betont, denn er wolle nicht zu viel Volumen und Cremigkeit im Mund erhalten. Der Wein ist zitrisch-frisch und hat eine ausgeprägte Mineralität. Er fällt aber keineswegs karg oder streng aus, sondern ist saftig und bereitet Trinkfreude. Damit unterstreicht er seine mediterrane Herkunft. Typisch für Xarel.lo ist auch die Mischung aus Honig, Kräuterherbe und dezenter Bitterkeit im Abgang, die ungemein anregend ist und zur Komplexität beiträgt.
2023 Cantallops , AT Roca
Preis: 22 Euro
Bezug: www.WirWinzer.de
2023 Matas Altas Blanco, DOP Jumilla
Eigentlich war Spanien immer ein Land der weißen Sorten. Noch 1990 übertrafen sie die Rotweintrauben bei weitem und der weiße Airén war damals die am meisten angebaute Rebsorte der Welt. Seitdem hat der Airén in Spanien dramatisch an Fläche verloren, nimmt heute aber immer noch 186.000 Hektar ein – fast das Doppelte der Rebfläche Deutschlands. Gleichwohl ist die ertragreiche Sorte weitgehend unbekannt. Und bei jenen, die sie kennen, leidet sie unter ihrem miesen Ruf, da sie vor allem für die Produktion von Fassweinen und Destillaten oder in Tetrapacks als Kochwein verwendet wird.
Verlassene Weinberge rekultiviert
Nun aber widerfährt dem Airén Gerechtigkeit. So erhielten die Brüder Carlos und Juanjo Cerdán erst kürzlich 100 Punkte von Weinkritiker Tim Atkin für ihren reinsortigen Airén El Cerrico. Ihr Weingut, die Bodega Cerrón in der DO Jumilla, liegt auf einer Hochebene auf 900 Metern an der Grenze zu Murcia und Kastilien-La Mancha. Es ist ein dünn besiedeltes Land mit heißen Sommern, kalten Wintern und einem rauen Nordwind. Die Landflucht ist extrem. „In unserm Dorf sagen die Leute, dass du wegziehen musst, um etwas zu werden“, erzählt Juanjo Cerdán. Auch er ging weg, studierte BWL, kehrte jedoch zurück, um mit seinem Bruder das elterliche Weingut zu übernehmen. Heute rekultivieren sie verlassene Weinberge mit biodynamischem Anbau und erzeugen hochfeine Rotweine aus Monastrell und Weißweine auf der Basis von Airén. Ihr 2023er Matas Altas Blanco stammt aus einem Mischsatz mit rund 60 Prozent Airen, 30 Prozent Macabeo sowie 10 Prozent Tortosi, Merseguera und Pardilla. Die alten Buschreben, mehrheitlich wurzelechte Stöcke, werden nicht bewässert. In Kombination mit dem trockenen Klima und den kalkig-lehmig-sandigen Böden fallen die Erträge äußerst niedrig aus. Nur 6.000 Flaschen erhielten die Brüder im Jahrgang 2023 aus dem fünf Hektar großen Weinberg.
Trotz des heißen Jahrgangs nur moderater Alkoholgehalt
Es gehe ihnen um Frische und Knackigkeit, sagt Juanjo Cerdán. Die Eigenschaften des Airén passen dazu, denn die Sorte bringt Weißweine mit großartiger Säure hervor. So hat der Matas Altas Blanco trotz des überdurchschnittlich heißen Jahrgangs 2023 nur 12 Prozent Alkohol und fast 7 g/l Säure. Dazu hat das Gewächs aromatische Tiefe, ist präzise und geradlinig, mit einer leichten Schärfe und Salzigkeit im Abgang. Was die Bodega Cerrón generell aufzeigt: Bei reduzierten Erträgen, kargen Böden und mikrooxidativem Ausbau, in diesem Fall im 2.500-l-Fuder, entwickelt der Airén spannende Texturen am Gaumen und ergibt wundervolle, vielschichtige Weißweine.
2022 Matas Altas Blanco, Bodega Cerrón
Preis: 21,90 Euro
Bezug: www.pinard.de