Die Physiologie des Riechens

Immer der Nase nach

Ein gro­ßer Teil des­sen, was der Mensch zu schme­cken glaubt, riecht er in Wirk­lich­keit. Das gilt auch für den Wein. Um sei­ne Geheim­nis­se zu ent­schlüs­seln, ist vor allem ein guter Geruchs­sinn nötig. Die Nase ist eines der ent­wi­ckelts­ten Sin­nes­or­ga­ne des Menschen.

Der Duft des Weins geht von den flüch­ti­gen Sub­stan­zen aus. Sie machen den größ­ten Teil sei­ner Aro­men aus. Che­misch sind die flüch­ti­gen Sub­stan­zen an Alko­ho­le, Alde­hyde, Ester, Säu­ren oder ande­re Koh­len­was­ser­stoff­ver­bin­dun­gen gebun­den. Je mehr Koh­len­stoff­ato­me sie ent­hal­ten, des­to inten­si­ver ist der Duft. Die stärks­ten Düf­te gehen von den Estern aus. Sie sind die flüch­tigs­ten aller Ver­bin­dun­gen, flüch­ti­ger noch als die Alde­hyde, die ihrer­seits aber stär­ker duf­ten als die Alko­ho­le. Am wenigs­ten flüch­tig sind die Säuren.

Das Riechorgan

Die Riech­zo­ne des Men­schen liegt in einer klei­nen Sei­ten­kam­mer der obe­ren Nasen­höh­le. Der Luft­strom beim Ein­at­men berührt die Riech­zo­ne nicht direkt. Aller­dings wer­den Luft­wir­bel in die­se Sei­ten­kam­mer getra­gen, die dann die Duft­emp­fin­dun­gen aus­lö­sen. Die Geruchs­re­zep­to­ren selbst befin­den sich auf einer Flä­che, die nicht grö­ßer als ein­ein­halb Qua­drat­zen­ti­me­ter ist, der Riech­schleim­haut. Sie ist mit einem feuch­ten Film über­zo­gen, so dass die Duft­mo­le­kü­le, die sie berüh­ren, auf ihr gelöst wer­den. Nur in flüs­si­gem Zustand kön­nen Gerü­che wahr­ge­nom­men wer­den. Die Nasen­lö­cher mit der eben­falls feuch­ten Nasen­schei­de­wand haben dage­gen kei­ne Riech­funk­ti­on. Sie die­nen ledig­lich dazu, die inha­lier­te Luft zu fil­tern, zu erwär­men und zu befeuch­ten. Da sich die Sei­ten­kam­mer mit der Riech­schleim­haut zum Rachen­raum hin öff­net, wer­den die Geruchs­re­zep­to­ren beim Aus­at­men stär­ker gereizt als beim Ein­at­men. Das ist der Grund, wes­halb ein Wein nach dem Schlu­cken oft so lan­ge nachklingt.

Die Geruchsneuronen

Auf der mensch­li­chen Riech­schleim­haut enden etwa 50 Mil­lio­nen Neu­ro­nen in Form von klei­nen Här­chen, die in der Schleim­haut schwim­men. Neu­ro­nen sind Ner­ven­lei­tun­gen, die direkt mit dem Gehirn ver­bun­den sind. Über die Riech­här­chen geben sie die emp­fan­ge­nen Rei­ze an das Riech­hirn wei­ter. Die­ses liegt gleich ober­halb der Nasen­höh­le. Die Wege sind also kurz – Indiz dafür, wie eng das gesam­te zen­tra­le Ner­ven­sys­tem des Men­schen an Geruchs­emp­fin­dun­gen gekop­pelt ist. Das Riech­hirn ent­zif­fert die Rei­ze und ord­net sie zu einem homo­ge­nen Geruchs­ein­druck, was not­wen­dig ist, weil Mil­lio­nen von Riech­fä­den gleich­zei­tig sti­mu­liert wer­den, wenn Geruchs­mo­le­kü­le auf sie tref­fen. Wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chun­gen haben erge­ben, dass das Riech­hirn des Men­schen bis zu 4000 Gerü­che unter­schei­den kann. Die Erin­ne­rung von Geruchs­ein­drü­cken – ein wich­ti­ger Fak­tor beim Wein­tes­ten – ist dage­gen eine intel­li­gen­te Leis­tung des Men­schen und unter­liegt dem Willen.

Die Riechschwellen

Es ist eher unwahr­schein­lich, dass es ein ange­bo­re­nes Talent zum Wein­ver­kos­ten gibt. Zwar ist die Grö­ße der Riech­schleim­haut nicht bei jedem Men­schen gleich. Doch kommt es gar nicht auf die Grö­ße, son­dern auf die Emp­find­lich­keit der Rezep­to­ren an. Eini­ge Men­schen reagie­ren bereits auf 100 Geruchs­mo­le­kü­le, ande­re erst ab 10000. Aller­dings wird ver­mu­tet, dass die Wahr­neh­mung stark vom Groß­hirn gesteu­ert wird. Das heißt: Die Fähig­keit, Gerü­che zu erken­nen, hängt stark von der Kennt­nis der Geruchs­kom­po­nen­ten und der Bereit­schaft ab, die­se zu unter­schei­den. Riech­schär­fe ist also, zumin­dest beim Wein, trai­nier­bar. Aller­dings gibt es Ein­schrän­kun­gen. Men­schen, die Dau­er­ge­rü­chen aus­ge­setzt sind (Tabak­qualm, Auto­ab­ga­se), neh­men die­se kaum mehr wahr. Ihre Geruchs­schwel­le steigt. Sie wer­den geruchs­un­emp­find­lich. Auch scheint die Riech­schär­fe mit zuneh­men­dem Alter nach­zu­las­sen. Ob dies mit der Abnut­zung der Rezep­to­ren zu tun hat oder eine Fol­ge nach­las­sen­der geis­ti­ger Kon­zen­tra­ti­on ist, darf als unge­klärt gel­ten. Sicher ist, dass die Riech­schär­fe im Tages­ver­lauf schwankt, und zwar sowohl bei jun­gen wie alten Men­schen. Nach Früh­stück, Mit­tag­essen und Abend­essen ist sie beson­ders nied­rig. Nüch­tern riecht der Mensch dage­gen am besten.