Die Großen Gewächse 2019 sind da: Erste Eindrücke

© Peter Bender
In Wiesbaden wurden letzte Woche die 2019er Großen Gewächse vorgestellt. Die Meinungen über sie gehen weit auseinander. Jens Priewe berichtet.

Soviel vor­weg: 2019 war ein sehr guter Wein­jahr­gang. Er hat exzel­len­te Wei­ne her­vor­ge­bracht, die – sum­ma sum­ma­rum – einen Ver­gleich mit den 2018ern nicht zu scheu­en brau­chen. Das heißt nicht, dass jeder Win­zer und jede Regi­on ein gleich hohes Niveau erreicht haben wie der Vor­gän­ger­jahr­gang. Der größ­te Unter­schied: 2019 war ein Jahr­gang, der die Win­zer her­aus­ge­for­dert hat.

Hitze, Trockenheit und Verrieselungsschäden

Ers­tens waren die Tem­pe­ra­tu­ren wochen­lang sehr hoch, was den Rei­fe­pro­zess enorm beschleu­nigt hat, aber auch viel­fach zu Son­nen­brand der Trau­ben geführt hat. Baden ver­zeich­ne­te Tem­pe­ra­tu­ren von über 40° Cel­si­us. Ein Teil der roten Trau­ben ent­wi­ckel­te Koch­aro­men und muss­te aus­ge­son­dert wer­den. Zwei­tens die Tro­cken­heit. Sie hat zwar dazu geführt, dass die Bee­ren klein blie­ben. Aber vie­le Reben haben gelit­ten, vor allem sol­che in ske­lett­rei­chen, gut drai­nier­ten Böden. Am bes­ten über­stan­den haben die Tro­cken­heit alte Reb­stö­cke und sol­che, die auf was­ser­spei­chern­den Böden ste­hen. Im Rhein­gau been­de­te Stark­re­gen die Tro­cken­heit, was eben­falls Pro­ble­me ver­ur­sach­te. In ande­ren Gegen­den wur­de die Tro­cken­pha­se von mode­ra­ten Regen­fäl­len gemil­dert. Drit­tens: Regen – zu viel Regen – gab es dann in der letz­ten Rei­fe­pha­se, in der teil­wei­se schon gele­sen wur­de. Das bedeu­te­te, dass die Trau­ben inner­halb sehr kur­zer Zeit ein­ge­bracht wer­den muss­ten. Mehr noch: nass­fau­les Lese­gut muss­te auf­wen­dig aus­sor­tiert wer­den. Lese­stress pur. Vier­tens: Das feucht-kalte Kli­ma wäh­rend der Blü­te hat­te im Früh­jahr schon zu erheb­li­chen Ver­rie­se­lungs­schä­den geführt. Zusam­men mit den Ver­lus­ten bei der Lese ver­zeich­net der Jahr­gang dann eine um 25 bis 30 Pro­zent gerin­ge­re Ern­te­men­ge im Ver­gleich zum Vor­jahr, was die Win­zer ent­spre­chend bekla­gen. Aber es ist ein Jam­mern auf hohem Niveau. In 2018 lagen die Men­gen weit über dem Durchschnitt.

14 Prozent höherer Konsum an deutschem Wein

Da die 2019er Wei­ne bereits seit einem hal­ben Jahr auf dem Markt sind und die meis­ten Wein­trin­ker sie  längst pro­biert haben, spa­re ich mir wei­te­re Kom­men­ta­re zu den Wet­ter­ka­prio­len. Den Kon­su­men­ten schei­nen die Wei­ne zu schme­cken. Der Niel­sen Home­scan Panel hat einen um 14 Pro­zent höhe­ren Absatz an deut­schem Wein in der Zeit­span­ne von April bis Juni im Ver­gleich zum Vor­jahr regis­triert. Wenn die 2019er Wei­ne unge­nieß­bar wären, hät­ten die Men­schen ihnen nicht so aus­gie­big zuge­spro­chen. Der Anstieg geht natür­lich nicht nur auf den Jahr­gang 2019 zurück, aber er dürf­te eine ent­schei­den­de Rol­le gespielt haben. Rosé­wei­ne, die in aller Regel jung getrun­ken wer­den und des­halb ver­mut­lich aus 2019 stam­men, nah­men um 29 Pro­zent zu.

Die Großen Gewächse sind das i-Tüpfelchen eines jeden Jahrgangs

Nicht ein­be­zo­gen sind in die­ser Sta­tis­tik mit Sicher­heit die Gro­ßen Gewäch­se (GG) des neu­en Jahr­gangs. Sie dür­fen näm­lich erst ab 1. Sep­tem­ber ver­kauft wer­den. Vor­her hat sie nie­mand pro­biert außer den Win­zern – und außer rund 150 aus­ge­such­ten Wein­händ­lern, Som­me­liers und Jour­na­lis­ten, die sie in einer Art „Vor­pre­mie­re“ schon in der letz­ten August­wo­che degus­tie­ren durf­ten. Dazu läd der Ver­band Deut­scher Prä­di­kats­wein­gü­ter (VDP) jedes Jahr nach Wies­ba­den in die Kur­ko­lo­na­den ein. Da ich zu den Aus­er­wähl­ten gehö­re, möch­te ich Ihnen, lie­be Wein­ken­ner, hier über mei­ne Ein­drü­cke von den GG des Jahr­gangs 2019 berichten.

Die GG sind das i-Tüpfelchen im Sor­ti­ment jedes VDP-Winzers: das Bes­te vom Bes­ten eines Wein­jahr­gangs (soll­te es zumin­dest sein). Tat­säch­lich sind es sehr gute, manch­mal auch gran­dio­se Wei­ne, die die Win­zer 2019 auf die Fla­sche gebracht haben. Aber sie sind ganz anders als der hei­ße Jahr­gang es ver­mu­ten lässt. Sie besit­zen näm­lich erstaun­lich hohe Säu­ren. „Trotz des rei­fen Lese­guts waren die Säu­re­wer­te erfreu­lich ras­sig“, berich­tet Carl von Schu­bert vom Wein­gut Maxi­min Grün­häu­ser an der Mosel. Wie war das mög­lich ange­sichts der hohen Tem­pe­ra­tu­ren? Cor­ne­li­us Dönn­hoff von der Nahe sagt: „Es waren die küh­len Näch­te, die ver­hin­dert haben, dass die Säu­re absinkt.“  Ein ähn­li­ches Resu­mé kommt aus Fran­ken: „Durch die küh­le­ren Näch­te im Spät­som­mer sind die Wei­ne dicht und die Säu­re­struk­tur gut“, kom­men­tiert Robert Hal­ler vom Bür­ger­spi­tal in Würz­burg den Jahr­gang. Ein gro­ßer Jahr­gang? „Abso­lut“ glaubt Hal­ler. Tat­säch­lich wir­ken vie­le frän­ki­schen Sil­va­ner so, als hät­ten sie die Säu­re eines Ries­lings. Mögen die frän­ki­schen Sil­va­ner im Moment auch schwie­rig zu trin­ken sein, so wer­den sie eines Tages – da bin ich mir sicher – min­des­tens so gut sein wie die 2010er heu­te. Ich wer­de in den nächs­ten Wochen an die­ser Stel­le noch detail­liert auf die GG aus Fran­ken eingehen.

© VDP Peter Bender

Pikante Säuren, gut abgepuffert

Für die Wein­ge­nie­ßer kommt es, genau genom­men, gar nicht so sehr auf die Höhe der Säu­re an, son­dern auf ihre Zusam­men­set­zung. Wich­tig ist ein hoher Anteil an rei­fer Wein­säu­re. Klaus-Peter Kel­ler aus Rhein­hes­sen schrieb mir zum Jahr­gang 2019: „Die Kom­bi­na­ti­on aus klei­nen Erträ­gen, hoher, aber rei­fer Säu­re und hohem Extrakt gibt es nicht all­zu häu­fig.“ Der Extrakt, bedingt durch die gerin­gen Erträ­ge und die hohe Rei­fe, hat sei­ne Wei­ne (eben­so die sei­nes Nach­barn Witt­mann aus West­ho­fen, des­sen Wei­ne in Rhein­hes­sen eben­falls “Leucht­tü­me” sind) wir­kungs­voll abge­puf­fert. Sie sind per­fekt balan­ciert. Das gilt für Kel­lers Mor­stein, sei­nem ein­zi­gen Ries­ling GG, das bei der “Vor­pre­mie­re” prä­sen­tiert wur­de. Obwohl in Wies­ba­den nicht ange­stellt, hat­te ich Gele­gen­heit, drei wei­te­re sei­ner 2019er GG vom Ries­ling zu pro­bie­ren (die bei Kel­ler tra­di­tio­nell erst im nächs­ten Früh­jahr frei­ge­ge­ben wer­den). Der Hub­ack­er aus Dals­heim ist extrem eng­ma­schig, kom­pakt, von gelb­flei­schi­gen Aro­men und rau­chi­ger Mine­ra­li­tät geprägt sowie von einer pikan­ten Säu­re durch­zo­gen, die in süßen, leicht ins Exo­ti­sche gehen­den Frucht­schmelz ein­ge­hüllt ist, so dass der Wein nie herb schmeckt, son­dern eher weich über den Gau­men läuft: Hohe Schu­le 2019. Etwas anders der Abts E vom Kalk­stein­riff in West­ho­fen, eine Lage, in der die Reben dank unter­ir­di­scher Was­ser­spei­cher die Hit­ze gut über­stan­den haben: eben­falls sehr dicht gewo­ben, aber ele­gan­ter, gleich­zei­tig hoch­mi­ne­ra­lisch mit dezen­ten Spon­tan­gä­rungs­no­ten und küh­ler, intel­lek­tu­el­ler Frucht – ein ganz gro­ßer Wurf in 2019.

„Der Boden wichtiger als Licht und Wärme“

Das Sah­ne­häub­chen des Keller’schen Sor­ti­ments – viel­leicht auch das Sah­ne­häub­chen auf der gesam­ten deut­schen Ries­ling­pro­duk­ti­on – ist der G-Max: ein rarer Wein von ältes­ten Reben, deren genau­en Stand­ort die Kel­lers nicht preis­ge­ben, weil sie fürch­ten, dass die Trau­ben sonst bei Nacht und Nebel geklaut wer­den könn­ten. Der 2019er G-Max ist, wie sein Preis sug­ge­rie­ren könn­te (aktu­ell zwi­schen 1000 und 2000 Euro pro Fla­sche gehan­delt), kein Block­bus­ter, kein Ries­ling mit brei­ten Schul­tern, son­dern ein geschmei­di­ger, seh­ni­ger Wein mit nur wenig mehr Kör­per als der Abts E, aber extre­mer Fines­se und einer ganz natür­li­chen, fast sei­di­gen Säu­re. Der 2019er wird als ganz gros­ser Wein in die Anna­len ein­ge­hen. Lei­der ist er in die­sem Jahr noch rarer als sonst. In sei­ner Mail schrieb Klaus-Peter Kel­ler: „Man schmeckt mehr das, was durch die tie­fen Wur­zeln auf­ge­nom­men wird, als das Licht und die Wär­me des Jahr­gangs. Es wird rau­chi­ger und viel­schich­ti­ger.“ Ich ver­zich­te hier auf die Punkt-Bewertung der drei Wei­ne, weil sie außer­halb der Wies­ba­de­ner „Vor­pre­mie­re“ ver­kos­tet wur­den und noch nicht offi­zi­ell im Han­del sind. Aber wenn ich eine Bewer­tung abge­ben müss­te, wür­de sie mit Sicher­heit nicht nied­rig ausfallen.

Ein GG mit 11,5 Vol.% Alkohol – gibt’s das?

Ein ande­rer Ries­ling, der mich sehr beein­druckt hat, ist Gun­der­lochs GG vom Rothen­berg. Das Beson­de­re an die­sem Wein ist, dass er nur 11,5 Vol.% Alko­hol auf­weist – für ein GG unge­wöhn­lich nied­rig, eigent­lich unmög­lich. Fast alle ande­ren GG vom Roten Hang haben 13 Vol.%.  Johan­nes Has­sel­bach, der Win­zer, berich­tet, dass er einen Teil sei­ner Trau­ben früh geern­tet, den ande­ren län­ger hän­gen gelas­sen und am Ende bei­de Par­tien spä­ter mit­ein­an­der ver­schnit­ten hat. So fin­det man in die­sem Wein einer­seits die pral­len Ries­lin­ga­ro­men wie­der, wie man sie von einem GG erwar­ten kann, ande­rer­seits grü­ne, apfel­i­ge Noten mit einer mar­kan­ten Säu­re. Das Ver­wun­der­li­che ist, dass die Zucker­wer­te wäh­rend der län­ge­ren Hän­ge­zeit nicht gestie­gen sind. Resul­tat: ein Alko­hol­ge­halt so nied­rig wie ein tro­cke­ner Kabi­nett von der Mosel. Has­sel­bach ist selbst erstaunt, dass die Sche­re zwi­schen Zucker­rei­fe und phy­sio­lo­gi­scher Rei­fe in 2019 nicht wei­ter auf­ge­gan­gen ist. Natür­lich, der nied­ri­ge Alko­hol­ge­halt allein macht nicht die Qua­li­tät eines GG aus. Es sind viel­mehr der Span­nungs­bo­gen und der Facet­ten­reich­tum, die die­ses Leicht­ge­wicht unter den GG aus­zeich­nen. Die geschmack­li­che Kom­ple­xi­tät för­dert beim Rothen­berg auch die beson­de­re Vini­fi­ka­ti­ons­me­tho­de, die Has­sel­bach seit eini­gen Jah­ren prak­ti­ziert. Er ver­gärt einen klei­nen Teil des Mos­tes nicht im Kel­ler, son­dern direkt im Wein­berg. Die Idee: mehr Wein­bergs­he­fen für die Fer­men­ta­ti­ons­pro­zess zu nut­zen und so einen noch indi­vi­du­el­le­ren, authen­ti­sche­ren Wein zu bekom­men. Einen zusam­men­fas­sen­den Bericht der rhein­hes­si­schen GG wird in den nächs­ten Wochen an die­ser Stel­le von Sebas­ti­an Bord­thäu­ser erscheinen.

Umstrittener Heymann-Löwenstein

Tol­le Qua­li­tä­ten habe ich in 2019 auch an der Mit­tel­mo­sel gefun­den, allen vor­an bei Fritz Haag und Schloss Lie­ser. Etwas weni­ger begeis­tert war ich dafür von den Saar-Rieslingen. Die Wei­ne haben nach mei­nem Emp­fin­den nicht ganz das mit­rei­ßen­de Tem­pe­ra­ment der 2018er, von Aus­nah­men abge­se­hen. Ich erwäh­ne hier mal eine: von Othe­gra­ven mit sei­nem GG vom Alten­berg. Für Dis­kus­sio­nen unter den Ver­kos­tern sorg­ten die GG Heymann-Löwensteins von der Ter­ras­sen­mo­sel. Die einen bezeich­ne­ten sie als geni­al, die ande­ren als Kata­stro­phe. Sei­ne GG vom Blau­füs­ser Lay und vom Lau­bach sind so gold­gelb wie das Herbst­laub auf luf­ti­gen Ter­ras­sen hoch über der Mosel, stark ger­big, teil­wei­se etwas unfrisch. Sie wei­sen – bedingt durch die lang­sa­me, vie­le Mona­te dau­ern­de Gärung mit­tels wein­bergs­ei­ge­ner Hefen – zahl­rei­che schrä­ge Neben­tö­ne auf. Untrink­bar, wür­de ich sagen. Doch sei­nen Spit­zen­wein, den Roth Lay, prä­sen­tier­te Rein­hard Löwen­stein eben­falls, und zwar den 2018er, der jetzt erst frei­ge­ge­ben wird. Bei die­sem GG blitzt schon ein biss­chen von der Klas­se der Heymann’schen Kres­zen­zen auf: die Fül­le, die Exo­tik, die Ras­se. Schon ein Jahr mehr Rei­fe macht einen rie­si­gen Unter­schied aus. Wer einen Mon­tra­chet, einen der teu­ers­ten Weiß­wei­ne der Welt, jung trinkt, erschrickt zunächst auch. Gemes­sen an dem, wie sich die­ser Wein nach fünf, zehn  oder mehr Jah­ren prä­sen­tiert, wirkt er anfangs gera­de­zu banal. Ich stel­le den Roth Lay nicht auf eine Stu­fe mit einem Mon­tra­chet. Aber Wein­trin­ker, die Spek­ta­ku­lä­res wol­len, müs­sen Geduld auf­brin­gen. „Mos­el­ty­pisch“ sind die Wei­ne von Heymann-Löwenstein sicher nicht, wie man­che Ver­kos­ter bemän­gel­ten. Aber ist das ein Nach­teil? Seit die Römer vor 2000 Jah­ren die ers­ten Reben an die Mosel brach­ten, hat es nie­mand geschafft, sol­che Wei­ne wie Rein­hard Löwen­stein zu erzeugen.

Es lie­ße sich noch viel über die Nahe sagen, wo das Schloß­gut Diel dies­mal mit groß­ar­ti­gen GG über­rascht. Über den Rhein­gau (nicht son­der­lich inspi­rie­rend), über die (hete­ro­ge­ne) Pfalz und über eini­ge gran­dio­se Char­don­nays aus Baden. Wir wer­den in der nächs­ten Zeit über alle die­se Gebie­te auf weinkenner.de berich­ten. Und über die GG vom Spät­bur­gun­der, die zwar nicht aus dem Jahr­gang 2019, son­dern aus 2018, 2017 oder 2016 stam­men, aber teil­wei­se mit Qua­li­tä­ten auf­war­ten, wie es sie in Deutsch­land bis­her noch nicht gege­ben hat.

1 Kommentar

  • Der teu­ers­te Ries­ling ist gleich­zei­tig auch der Bes­te. So ein Zufall. Ver­misst habe ich in den gene­rel­len Anmer­kun­gen zu den GG ein Wort zu der unsäg­li­chen Flut neu­er GG-Lagen. Heu­te scheint ja nahe­zu jeder Wein­berg GG-tauglich zu sein. Oder geht es nur um Absatz?

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