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Die gesammelten Vorhersagen und Ratschläge des Robert Parker

Der amerikanische Weinkritiker Robert Parker hat vor ein paar Wochen seine Follower in 15 Tweets über Entwicklungen und Trends im Weinsektor informiert und entsprechende Ratschläge dazu gegeben.

Die Tweets offenbaren einen starken US-Zentrismus und eine teilweise erhebliche Unkenntnis dessen, was in Europa vor sich geht.

Tweet 1
Mehr Zurückhaltung gegenüber sehr teuren Weinen aus mittelmäßigen Jahrgängen. Man denke etwa an die Jahrgänge 2011, 2012, 2013 in Europa.

In Deutschland und Österreich haben alle drei Jahrgänge hervorragende Qualitäten ergeben. In Italien waren 2011 und 2012 in vielen Anbaugebieten großartige Jahrgänge. In Spanien sind die 2011er durchweg sehr gut. Selbst im Südwesten Frankreichs sind in 2011 mehr als solide Weine geerntet worden. Mittelmaß? Parker reduziert Europa auf Bordeaux und Burgund. Als angesehener Weinkritiker muss er vorsichtiger formulieren. Für Bordeaux und Burgund hat seine Aussage allerdings Gültigkeit.

Tweet 2
Kalifornien profitiert von zwei in qualitativer und quantitativer Hinsicht glorreichen Jahren.

Parker meint 2012 und 2013. Vielleicht werden die europäischen Bordeaux- und Burgunderliebhaber mal Kalifornien ins Visier nehmen. Warum nicht? So auf Frankreich fixiert, wie Parker glaubt, sind europäische Fine Wine-Trinker jedoch schon lange nicht mehr.

Tweet 3
Die anmaßende Bezeichnung natural oder authentic wines wird als Betrug entlarvt werden (alle seriösen Weine haben keine Zusätze).

Orange-WeinDa wirft Parker einiges durcheinander. Es gibt selbstverständlich Riesenunterschiede zwischen natural wines und dem, was er seriöse Weine nennt. Letztere werden ganz konventionell geschwefelt, geschönt, filtriert (zumindest Weißweine), in Stahltanks ausgebaut etc. natural wines werden dagegen spontan vergoren, Weißweine sogar oft auf der Maische. Sie werden in Amphoren unter Sauerstoffzutritt ausgebaut oder liegen manchmal jahrelang in Holzfässern auf der Feinhefe. Von alledem scheint Parker wenig zu wissen. Seine Vorhersage stimmt einzig für die Weinbergspflege: Da arbeiten Spitzenwinzer bisweilen genauso chemielos wie Bio-Winzer. Aber natural wine-Produzenten sind mehr als nur Bio-Winzer. Bei ihnen folgt auch die Kellerarbeiten anderen Grundsätzen.

Ich glaube, dass es schlussendlich die Konsumenten sein werden, die den natural wines  eine Absage erteilen – die meisten High-End-Trinker eingeschlossen. Außer ein paar Sommeliers wird diesen Weinen niemand das Wort reden wollen. Was schade ist: Etwas weniger High-Tech und etwas mehr Rückbesinnung auf die Vergangenheit würde zumindest den Topweinen helfen, mehr eigene „Identität“ zu bekommen. Das größte Problem ist heute nicht die mangelnde Qualität, sondern die Uniformität vieler Weine – auch der auf hohem Niveau.


Tweet 4
Argentinien wird mit seinen Malbecs und den knackigen Torrontes-Weißweinen weiterhin große Erfolge feiern.

Malbec
Malbec

Auf jeden Fall in den USA. Obwohl viele Malbecs grottenschlecht sind, liebt sie der Durchschnittsamerikaner wie wir unseren Pinot Grigio. Bei Torrontes fehlt mir die Erfahrung.

Tweet 5
Spanien, Süditalien und Frankreich werden, wenn es um hochqualitative Weine für unter 20 Dollar geht, die Märkte beherrschen.

Beherrschen sie schon jetzt, zumindest in Europa, wobei Frankreich in Zukunft wahrscheinlich die größten Überraschungen bereithält.

Tweet 6
Pinot-Liebhaber werden lechzen nach den 2012er und 2013er Pinots Noirs aus Oregon und Kalifornien.

Wenn dadurch die US-Nachfrage nach französischen Burgundern sinkt und die Preise sich dadurch wieder auf früheres Niveau einpendeln sollten, ist das okay.

Tweet 7
Wein wird weniger elitär. Mainstream-Trinker werden die unverbesserlichen Snobs von der Bühne drängen.

Ist längst schon Realität. Das Problem ist vielmehr, dass Mainstream-Trinker sich für anspruchsvolle Zungen halten und banale Weine zu Hochgewächsen stilisieren. Genau das passiert nämlich ständig in sogenannten Weinfachzeitschriften, vielen Blogs und bei Weintestern, Parkers Wine Advocate teilweise auch: 92 Punkte für irgendeine stinknormale Crianza – das ist so ähnlich wie der ADAC und sein Gelber Engel. Nur habe ich noch kein Weingut erlebt, dass eine schmeichelhafte Parker-Wertung zurückgibt, wie die Autohersteller es getan haben. Ich selbst bleibe lieber Snob, ob mit oder ohne Bühne.



Tweet 8
Weinbetrug wird die Grundlage vieler Auktionshäuser erschüttern, weil sich herausstellt, dass sie die Alarmlichter ignoriert haben.

Habe mich schon immer gewundert, wo all die Magnums und Doppelmagnums 1947er Cheval Blanc herkommen, die in Auktionskatalogen aufgeführt sind.

Tweet 9
Das Coravin Wein-Konservierungssystem wird die Art, wie wir Weinraritäten trinken, grundlegend verändern.

Coravin ist in den USA entwickeltes High-Tech-Gerät, mit dessen Hilfe man Wein aus einer Flasche entnehmen kann, ohne sie zu entkorken. Dabei wird eine dünne Nadel mit einer doppelten Kanüle durch den Korken gebohrt. Durch den einen Kanal wird inertes Argon-Gas in die Flasche gepresst, durch die andere fließt bei entsprechender Schräghaltung Wein aus der Flasche ins Glas. Das System baut darauf, dass sich der Korken aufgrund seiner natürlichen Elastizität wieder komplett verschließt, wenn die Nadel herausgezogen wird. Auf diese Weise könne man, so der Hersteller, in Tages-, Wochen- oder auch Monatsabständen jeweils eine kleine Menge Wein „abzapfen“ und die Flasche danach wieder zurück in den Keller legen.

Coravin
Coravin

Ich frage mich: Wie viele Menschen gibt es, die von einem Wein jeweils nur ein oder zwei Glas trinken? Wenige. Und wie viele Weine gibt es, die, nachdem man sie entkorkt hat, nicht auch am nächsten Tag noch gut sind, so dass man sie beruhigt weitertrinken kann? Viele. Zahlreiche Rotweine schmecken am zweiten oder dritten Tag sogar besser als gleich nach dem Öffnen der Flasche. Oder meint Parker mit „grundlegender Veränderung“, dass die Weintrinker künftig zwei oder drei Flaschen parallel „anzapfen“, um ihnen jeweils eine kleine Menge Wein zu entnehmen? Wenn ja, möchte ich nicht mit am Tisch sitzen und zusehen, wie mein Gegenüber mit diesem Monstrum von Gerät herumhantiert. Da vergeht die Lust am Weintrinken. Im Restaurant würden die Gäste, glaube ich, fluchtartig den Speiseraum verlassen, wenn der Sommelier mit einem Coravin an den Tisch kommt.



Tweet 10
Die Regierung wird eine Kalorien- und eine Inhaltsstoffangabe für alle Weine beschließen.

Dickmacher
Dickmacher

Amerikaner wollen immer alles ganz genau wissen – auch wenn es ihnen nichts nützt. So ist eine vollständige Angabe der Inhaltsstoffe für Weintrinker so spannend zu lesen wie die Nummer des eigenen Personalausweises. Interessanter wären Kalorienangaben zum Wein auf dem Etikett.

Für die zahlreichen BA’s und TBA’s aus Deutschland und für die Alkoholmonster u.a. aus Kalifornien wäre eine solche Angabe vermutlich kontraproduktiv. Aber wenn jeder Joghurtbecher eine Kalorienangabe tragen muss – warum dann nicht auch der Wein? Bei weinkenner.de gehört der Report über den Kaloriengehalt von Wein jedenfalls zu den am häufigsten angeklickten Artikeln.

Tweet 11
Weinblogger werden weiterhin darüber jammern, dass sie nicht respektiert werden und dass sie es nicht fertigbringen, ihre Sites zu monetarisieren.

In der analogen Welt heißt Schrott inzwischen „Wertstoff“ und erzielt hohe Preise. In der digitalen Welt ist Info-Schrott dagegen wertlos. Websites, in denen Weinlieber den Rest der Welt wissen lassen, was sie gestern getrunken haben und wie es ihnen geschmeckt hat, sind zu Recht nicht monetarisierbar. Gute Info-Portale – und davon gibt es mehrere in deutscher Sprache – erwirtschaften inzwischen zumindest Deckungsbeiträge. Einige ernähren sich und ihre Macher auch selbst.

Tweet 12
Ostküstenweine und Weine von der mittleren Atlantiküste werden neue Konsumentenschichten erschließen auf der Basis der großartigen Jahrgänge 2012 und 2013. Außerdem suchen die Konsumenten nach neuen Erfahrungen.

Auf an die Ostküste!



Tweet 13
Überall werden hochklassige BYO-Bistros aus dem Boden schießen als Reaktion auf überteuerte Weinpreise in Restaurants und zu hohe Margen.

Die Margen in Europa sind nicht viel niedriger als in den USA. Deshalb hat sich der Konsum von Qualitätsweinen in Deutschland (weniger in Österreich und der Schweiz) auf die häusliche Sphäre verlagert. Schade. Die BYO-Idee finde ich aus Konsumentensicht genial. Statt das tausendeinte italienische oder sonstige Restaurant zu eröffnen – warum nicht ein hochwertiges Bistro-Restaurant, in dem man auch seinen eigenen Wein mitbringen kann? Bei einem Crowdfunding für so ein Start-Up wäre ich dabei!

Tweet 14
Es wird mehr mobile Foodtrucks geben, die koreanische, mexikanische, südamerikanische und asiatische Fusion-Küche anbieten.

Die US-Foodtrucks entsprächen bei uns den Döner-Buden. Gott bewahre!

Tweet 15
Prosecco und Cava dürfen nicht unterschätzt werden: Sie werden die Margen und das Renommé des Champagner langfristig erodieren lassen.

ChampagnerDie Margen sind schon erodiert. Die Masse der Champagner wird jetzt schon um 20 Euro im Regal angeboten (ein paar bekannte Marken-Champagner ausgenommen). Und die Zahl der Champagner, die preislich sogar noch darunter liegt, nimmt rasant zu (auch wenn viele Niedrigpreise nur Aktionspreise sind). Aber das liegt weniger an Prosecco und Cava, sondern an der kontinuierlich steigenden Champagner-Produktion. Ich bin überzeugt: Cava und Prosecco werden, von ein paar Etiketten ausgenommen, nie dem Champagner die Margen und das Renommée streitig machen. Eher schon die italienischen Franciacorta und Trento-DOC-Schaumweine, wenn die Italiener in den nächsten Jahren doch noch lernen sollten, Marketing zu betreiben (was eher unwahrscheinlich ist). Gefährlicher wird dem Champagner nach meiner Meinung die steigende Zahl hochklassiger, flaschenvergorener Winzersekte aus Deutschland, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind und in den nächsten Jahren noch kommen werden.



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1 Kommentar

  1. Zu Tweed 1: Das sieht nicht nur Parker so, sondern die fast gesamte Weinliteratur. Wenn man die verschiedenen Weinhandlungen im Netz durchforstet, hat man wirklich das Gefühl, dass es nur Bordeaux und Burgund gibt. Das gilt allerdings weniger für die deutschsprachige Presse.
    Zu Tweed 2: Wäre es nicht viel vernünftiger, Weine aus Europa auch in Europa zu trinken und nicht aus aller Welt herum zu karren. Hier z.B. in Frankreich gibt es so viele Weine in grossartiger Qualität und Preisen (auch die verschiedenen Traubensorten nicht vergessen) die sich wirklich jederman leisten kann. Ist es nicht so, dass es halt zum bessern Stil gehört einen Kalifornier oder Australier auf dem Tisch zu haben, wenn man den Latour nicht vermag? (siehe nur was in China mit Bordeaux-Weine abgeht)
    Tweed 3: Ich weiss nicht, ob ich sie recht verstanden habe! Als ich vor 15 Jahren anfing mich für Weine zu interessieren, kaufte ich mal in der CH die Parkerbücher Bordeaux 1998 und Rhônetal 1997. Ich las diese 1000-Seitenbücher und fand, genau diese Philosophie entspricht mir, alles möglichst der Natur zu überlassen. Daher habe ich auch fast nur Weine, die weder geschönt, noch gefiltert sind. Das Ausbauen in Stahl, Beton, Inox u.s.w. und dann in Foudres, Barriques u.s.w. liegt doch im Ermessen des Weinmachers? Die Aussage von z.B. Faurie in Tournon passt genau zu mir: “Ich mache Wein der mir schmeckt und für die, die meine Art mögen”! Natürlich gibt es Weine die bei Parker hohe Punkte aufweisen und mir gar nicht schmecken. (vorallem Rotweine, die bei hoher Temperatur vergärt werden).Auch die, die ich aus Bordeaux habe sind die auf diese Art vinifiziert. Weine die nach 10 Jahren kein Depot haben sind mir etwas suspekt.(ist aber sicher eine Marotte von mir).
    Ich glaube aber kaum, dass der Konsument hier was ändern wird. Der grosse Haufen will, dass derselbe Wein alle Jahre gleich schmeckt, gleiche Farbe hat, zum gleich kleinen Preis im Regal steht. Klimaunterschiede und Wetter dürfen da keine Rolle spielen. Von den “Wenigen”, die das Alles so sehen wie ich, könnte diese Branche wohl kaum überleben bei diesen Unmengen die da teilweise erarbeitet werden.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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