Von der Arbeit im Weinberg
Der Weinberg ist die Keimzelle der Qualität. Nachdem es in den 1970er und 1980er Jahren dieses Jahrhunderts vielen Weingutbesitzern gefiel, in schicke Keller und moderne Kellertechnologie zu investieren, besinnen sie sich inzwischen wieder verstärkt auf die Wurzeln der Qualität: die Bearbeitung des Weinbergs.
Dabei – und nicht bei der Kellerarbeit – entscheidet sich, ob das Qualitätspotential, das im Boden steckt, ausgeschöpft wird oder nicht. Bei der Bodenpflege und der Rebenerziehung, beim Rebschnitt und bei der Schädlingsbekämpfung werden die Voraussetzungen dafür gelegt, daß aus mittelmäßigen Weinen gute Weine, aus guten sehr gute und aus sehr guten große Weine werden können. Die Lese ist dann der Höhepunkt des Weinjahres. Da entscheidet sich, ob es gelingt, die mühsam der Natur abgetrotzten Qualitäten unbeschadet in den Keller zu bringen. Je besser der Wein ist, desto weniger läßt sich die Weinbergarbeit mechanisieren. Der Schweiß auf der Stirn des Weinbauern, der die Lesebütten wegschleppt, und der dampfende Leib des Pferdes, das vor dem Pflug geht (hier: Château Magdelaine, St-Emilion) – sie sind es, die den Preis des Weins ausmachen.
Triumph der Intensivkulturen
Im modernen Weinberg herrscht Ordnung. Die Rebzeilen sind wie mit dem Kamm gezogen, die Menge der Blätter ist genau kalkuliert. Doch nicht alles, was modern aussieht, dient ausschließlich der Qualität. Ein Weinberg muß auch so angelegt sein, daß er kostengünstig bearbeitet werden kann. Sonst wird der Wein unbezahlbar.
Weinberge werden heute überall auf der Welt als Monokulturen angelegt. Rebe steht neben Rebe, andere Kulturpflanzen werden im Weinberg nicht geduldet. Solch ein Intensiv-Weinbau ist nicht unproblematisch. Er ist extrem krankheits- und schädlingsanfällig und verlangt einen umfassenden Pflanzenschutz. Es gibt ihn auch noch nicht sehr lange. Im Médoc standen bis ins 19. Jahrhundert hinein Getreidefelder neben Rebanlagen. An Rhône, Rhein und Etsch wuchsen Obstbäume zwischen den Rebzeilen. In der Steiermark und im Friaul liefen Hühner und Ziegen unter den Reben. In Mittelitalien, insbesondere in der Toskana, herrschten bis 1960 noch gemischte Rebkulturen vor: Zwischen den Rebzeilen wurde Hafer oder Weizen ausgesät, nach je fünf Rebstöcken ein Olivenbaum gepflanzt. Teilweise rankten sich die Reben an Maulbeerbäumen oder Ulmen empor.
Der moderne Weinberg
Seit die Arbeit knapp und teuer geworden ist, sind die Mischkulturen aus dem Bild der Weinanbaugebiete verschwunden. Die neuen Rebkulturen wurden maschinengerecht angelegt. Der Abstand der Rebzeilen entspricht der Spurweite des Traktors. Die Rebzeilen selbst verlaufen meist senkrecht zum Hang, damit die Wärme von unten nach oben steigen kann, oder quer zur Hauptwindrichtung, damit der Wind die gestaute Wärme nicht herausbläst. Die Anzahl der Drähte, an denen sich die Rebe hochranken soll, ist auf die gewünschte Größe der Laubwand zugeschnitten. Aus der Größe der Laubwand errechnet sich die maximale Anzahl der Trauben. Wie tief die Trauben schließlich hängen, ist ebenfalls genau vorausberechnet: so tief, daß das Laub keinen Schatten auf sie werfen kann, so hoch, daß die Bodenfeuchtigkeit nicht zu Schimmelbildung führt. Auch das Erziehungssystem, die Düngergaben, die Auswahl der Klone einer Sorte – alles ist mathematisch genau auf die quantitativen und qualitativen Vorgaben abgestimmt.
Die Bestockungsdichte
Die vielleicht wichtigste Frage eines qualitätsorientierten Weinbaus ist, wieviel Rebstöcke pro Hektar gepflanzt werden sollen. Wissenschaftler sind sich nämlich einig, daß die Qualität des Weins nicht primär von einem niedrigen Traubenertrag pro Hektar Weinberg, sondern von einem niedrigen Ertrag pro Rebstock abhängt. In den Grand-Cru-Lagen Bordeaux’, Burgunds und der Champagne tragen die Rebstöcke kaum mehr als ein halbes Kilo Fruchtgewicht. Das entspricht einer einzigen kleinen Traube. Der Minderertrag pro Stock wird durch eine entsprechend große Zahl von Rebstöcken kompensiert. Auf einem Hektar stehen dort oft 10000 Rebstöcke, bisweilen auch mehr. Die Bearbeitung eines solchen Weinbergs ist aufwendig. Für herkömmliche Traktoren sind die Rebzeilen zu eng. Ein großer Teil der Arbeit muß per Hand erfolgen. Die höheren Kosten werden allerdings durch bessere Qualität und höhere Preise wettgemacht. Nicht nur in Frankreich, sondern auch in einigen hochklassigen Weinanbaugebieten anderer Länder werden neue Weinberge heute wieder dichter bepflanzt als in der Vergangenheit. In den wärmeren Zonen des Mittelmeers geht man auf 4500 bis 6000 Stöcke, um qualitativ bessere Trauben zu bekommen. Einige alte Weinberge an Mosel und Saar, die aus der Zeit vor der Mechanisierung stammen, sind noch mit 8000 oder 12000 Rebstöcken pro Hektar bepflanzt. Denn Dichtstand hat Tradition. Im letzten Jahrhundert, als die Weinberge noch mit Pferden oder Maultieren bearbeitet wurden, standen oftmals 20 000 Reben auf einem Hektar. In der Antike pflanzten die Römer sogar bis zu 35 000 Stöcke.