Elio und Gianluca GrassoEin Dutzend Weingüter hatte ich schon abgeklappert. Elio Grasso war der letzte, den ich besuchen wollte. Er selbst war gar nicht da, als ich kam. Marina, seine Frau, entschuldigte ihn, er sei im Weinberg, müsse Reben entlauben. Gianluca empfing mich stattdessen, der Sohn, was insofern normal ist, als er längst die Zügel in der Hand hält und die Weine verantwortet.
Gianluca ist Mitte 40 und hat im Gegensatz zu seinem Vater Weinbau studiert: ein freundlicher, aber zurückhaltender Winzer ohne Attitüden, dem man schnell anmerkt, dass seine Bühne eher Keller und Weinberg sind als Galas und Dinners.
Den Atem verschlagen
Was Gianluca mir an Weinen vorsetzte, verschlug mir den Atem. So eine grandiose Kollektion habe ich selten angetroffen, auf dieser Reise gar nicht. Nicht nur, dass die drei Barolo eine Klasse für sich waren und der Barbera Vigna Martina in seiner Kategorie ebenfalls. Auch der Dolcetto erwies sich als großer Wurf.
2008 Barolo von Elio GrassoIch bin zwar kein Dolcetto-Trinker. Aber wenn ich diesen Wein blind verkostet hätte, hätte ich gesagt: ein kleiner Burgunder. Gianluca lächelte milde: „Wenn der Dolcetto ein paar Monate auf der Flasche nachgereift ist, erinnert er manchmal an einen kleinen Gevrey-Chambertin.“ Ich präzisierte: „Dein Dolcetto!“
Doch wer ins Piemont fährt, fährt wegen des Barolo. Wir probierten die beiden Lagen-Barolo, Jahrgang 2008. Vigna Chiniera ist der schlankere der beiden, extrem elegant, fein strukturiert, durchzogen von einem Geflecht von frischen, roten Früchten, Minze, süßem Rosenduft und Baldrianwürze, ausgestattet mit seidigen Tanninen, was bei einem Barolo ja höchst selten ist. Kurz: ein klassischer Barolo, lange im großen Holzfass gereift (30 Monate), blitzsauber, gradlinig und doch mit einem riesigen Spannungsbogen.
Noch besser der Casa Matè
Einen Tick besser noch die Lage Casa Maté. Doch was heißt hier besser? Der Wein ist etwas kraftvoller, strukturierter, dadurch nicht ganz so elegant und zugänglich wie der Chiniera, trotzdem auch er aromentief mit Anklängen von Lakritz und Teer auf der einen Seite, von fruchtigen Aromen auf der anderen. Damals – es war wie gesagt Sommer – war der Wein richtig aufgeblüht. Inzwischen hat er sich wieder in sich zurückgezogen, wie ein Nachtest vor zwei Monaten zeigte. Schade. Immer dann, wenn man einen Barolo am liebsten trinkt, im Winter nämlich, macht er zu.
Beide Weine bringen über 14 Vol.% auf die Waage, wie es für einen guten Barolo unerlässlich ist. Aber sie sind nicht erschlagend. Im Gegenteil: Bei aller Kraft, die ihnen innewohnt, sind es zarte Weine, hochmineralisch, mit reicher Frucht und pikanter Würze, nicht Barrique-verseucht, von einem Tanninkorsett zusammengehalten, das weder den Wein einschnürt noch die Backen des Weintrinkers zusammenzieht.
Für Parker ist Elio Grasso in 2008 die Nummer 1
Der KellerMit den traditionellen Barolo von einst haben sie nichts zu tun, die überladen und oft schon in der Nase unsauber waren, denen es an Frische fehlte, die nur aus Tannin bestanden, grobem obendrein. Sie befanden sich auch nach 20, 30 Jahren noch im Klammergriff des Tannins, obwohl die Frucht längst verblüht war. Elio Grassos Barolo besitzen dagegen Balance. Balance ist die beste Garantie für Langlebigkeit.
Ein paar Wochen später erschien Robert Parkers Wine Advocate mit einem Bericht über die Jahrgänge 2008 und 2009. Es war der letzte Barolo-Report von Antonio Galloni, dem erfahrenen, aber inzwischen ausgeschiedenen Italien-Verkoster Parkers. Die höchste Punktzahl aller 2008er Barolo gab er ausgerechnet Elio Grassos Casa Maté: 98+. Chapeau! So viel Punkte hätte ich mich in meiner naiven, sommerlichen Begeisterung nicht zu geben getraut. Aber ich widerspreche nicht. Der Wein ist großartig. Und der Barolo Vigna Chiniera liegt mit 97+ Punkte nicht sehr viel niedriger.
Früher nie zur Spitze gehört
Der HolzfasskellerSicher, Elio Grasso ist seit den achtziger Jahren bekannt. Er wurde und wird von vielen Fachleuten hoch geschätzt. Seine Weine waren immer tadellos. Aber zur absoluten Spitze wurden sie nie gezählt. Die war anderen Weinen vorbehalten. Insofern ist es mutig, ihn jetzt ganz oben zu platzieren. Ohne Zweifel besitzt Elio Grasso erstklassige Lagen. Nur hat sich die Klasse dieser Lagen nicht immer in den Weinen widergespiegelt. Und wenn die Möglichkeiten, die ein Weinberg bietet, nicht hundertprozentig ausgereizt werden, kommt am Ende ein guter, aber kein großer Barolo raus.
Vor ein paar Jahren hat Elio Grasso den Betrieb an Gianluca übergeben. Aber er hat sich nicht zur Ruhe gesetzt. Er arbeitet im Weinberg, täglich, so wie er es früher nicht gekonnt hatte. Und irgendwo, glaube ich, merkt man es den heutigen Weinen an. Früher waren sie sehr gut. Jetzt sind sie außerordentlich.
Quantensprung zwischen den Barolo von damals und heute
Unter diesem Gesichtspunkt entschuldige ich gerne, dass Elio mich bei meinem Besuch nicht persönlich begrüßt hat. Wir kennen uns zwar seit den ersten Anfängen, als er noch in der Bank in Turin arbeitete und nur am Wochenende Zeit hatte, sich um den Wein zu kümmern. Aber der Weinberg hat heute Vorrang, auch im Sommer, auch wenn Journalisten kommen. Da muss ausgedünnt und entlaubt werden – Operationen, die den Quantensprung ausmachen, der zwischen einem Barolo der achtziger Jahre und einem von heute besteht. Entlauben war damals gar nicht üblich, die Arbeit des Ausdünnens machten sich nur wenige. Inzwischen tun es alle, die einen Spitzenwein anstreben.
Ebenso bemerkenswert wie die hohen Wertungen fand ich übrigens das, was Galloni über die beiden 2008er schreibt: „Ich konnte mein Herz rasen hören, als ich Gianlucas 2008er verkostete: hinreißend schöne Weine, in denen sich die ganze Größe der Lagen von Monforte widerspiegelt…“ Und: „Beides sind Must have-Barolo. Sie gehören zu den preislich moderatesten, langlebigsten Weinen dieses Planeten“ (sie kosten um die 55 Euro).
Auch jetzt schon mit Genuss zu trinken
Das FlaschenlagerIn einem Punkt bin ich freilich nicht Gallonis Meinung. Er schreibt, man solle die Weine jetzt kaufen und dann für zwei Jahrzehnte vergessen. Ich halte das für übertrieben. Vigna Chiniera und Casa Matè sind schon in den nächsten fünf Jahren ein großer Genuss, der Chiniera notfalls auch jetzt schon. Sicherlich können die beiden Weine zwanzig Jahre alt werden. Aber Barolo ist nicht Bordeaux. Barolos verlieren schon nach zehn Jahren merklich an Frische, und das Tannin ist längst nicht mehr so hart, wie es früher mal war. Es verlangt keine jahrzehntelange Flaschenreife.
Nach den 2008ern probierte ich mit Gianluca die 2009er – ein warmer Jahrgang, der allgemein üppige, ins Süße tendierende Weine mit milder Säure hervorgebracht hat, die den Nebbiolo-Weinen viel von ihrer Härte und Unnahbarkeit nimmt. Auch Elio Grassos Weine sind ausgesprochen weich, auffällig fruchtbetont, voller Feuer und höchst attraktiv zu trinken. Sie werden den meisten Weintrinkern vermutlich besser schmecken als die Vorgänger. Aber deren Klasse besitzen sie nicht. Bei Gallonis Nachfolger, der Amerikanerin Monica Larner, notieren die 2009er zwei bzw. vier Punkte tiefer – was korrekt und immer noch ein Niveau ist, von dem andere träumen.
18 Hektar Weinberge
Das Weingut bei Monforte d’AlbaDas Weingut liegt im hügeligen Hinterland von Monforte d’Alba: ein stattliches, aber kein protziges Anwesen mit erhabenem Blick in die Hügelwelt der Langhe. 18 Hektar umfasst es mittlerweile. Vier Hektar waren es, als Elio Grassos Eltern es noch bewirtschafteten, also in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Weinwirtschaft des Piemont lag damals am Boden. Niemand trank Barolo. Kaum einer kannte den Wein. Elios Eltern waren froh, dass ihr Sohn die Höhere Schule besuchte und später zur Universität ging. Wein bot kein Auskommen mehr für die Familie.
Elio schaffte es bis zum Bankdirektor in Turin, war aber, wie er zugibt, nie wirklich glücklich in seinem Beruf. Ihn zog es zurück aufs Land. Irgendwann nahm er seinen ganzen Mut zusammen, kündigte und begann, das alte Weingut mit neuen Ideen wieder aufzubauen. Die ersten Weine, die Anfang der achtziger Jahre auf den Markt kamen, wurden von der Kritik und von den Kunden respektvoll aufgenommen. Das zweite Leben des Elio Grasso begann – das des Winzers. Nun vollendet es sich. Gianluca, der Sohn, ist nun dabei, die Hoffnungen zu erfüllen, die sein Vater gehegt hatte. 2008 war ein Anfang.
Die Weine
2008 Barolo Vigna Chiniera | Elio Grasso, Monforte d’Alba
Hell und transparent in der Farbe, Duft von Himbeeren und Pflaumen, typische Barolo-Würze mit Teer und Süßholz, Trockenfrüchten und Baldrian, seidige Tannine, feine Säure: ein eleganter, geschliffener Wein von natürlicher Schönheit, perfekt balanciert, im Glase schwebend.
Bewertung: 95/100 Punkte
2008 Barolo Vigna Casa Matè | Elio Grasso, Monforte d’Alba
Granat- bis rubinroter Wein mit reichem Bouquet von roten Beeren, Lakritz, Rosen, Pfefferminz, am Gaumen üppig, aber straff und fein ziseliert, zusammengehalten durch ein kräftiges, feinkörniges Tannin: dramatischer Wein mit riesigem Spannungsbogen, enormer Aromentiefe, großer Ausgewogenheit.
Bewertung: 96/100 Punkte
2009 Barolo Vigna Chiniera | Elio Grasso, Monforte d’Alba
Delikater, relativ duftiger Wein mit üppigem Duftstrauß im Bouquet, viel Veilchen und Himbeeren, aber auch eine kräftige, erdige Würze mit Noten von Graphit und nassem Herbstlaub, druckvoll am Gaumen, dabei weit gespannt, weiches, gut integriertes Tannin und milde Säure – zum Antrinken jetzt schon ein Genuss.
Bewertung: 94/100 Punkte
2009 Barolo Vigna Casa Matè | Elio Grasso, Monforte d’Alba
Opulenter, weit ausholender Barolo, der trotzdem nicht nur mit Fülle und Wucht, sondern auch mit Feinheit zu brillieren weiß: tief beerenfruchtig mit Leder- und Nelkenwürze, perfekt inkorporiertes Tannin, geschliffen und süß, klarer Aufbau, gute Balance, mittlere Lebensdauer, wobei es nicht falsch ist, auch jetzt schon eine Flasche zu öffnen.
Bewertung: 94/100 Punkte
Bezug: www.extraprima.com, www.gute-weine.de, www.vinexus.de, www.weinwelt.at , www.ps-wein.de, www.boller-weine.de, www.weinpalais.de und andere.
Preise: zwischen 55 und 65 Euro