Die Barolo von Elio Grasso: Auf leisen Sohlen nach oben

2008 Barolo von Elio Grasso
2008 Barolo von Elio Grasso
Im letzten Sommer war Jens Priewe im Piemont und hat mal wieder ein gutes Dutzend Weingüter abgeklappert. Ein Barolo war ihm dabei besonders aufgefallen. Ein paar Wochen später erschien der Barolo-Jahrgangsreport von Robert Parker. Priewe wischte sich die Augen: 98+ für eben diesen Wein.

Elio und Gian­lu­ca Grasso­Ein Dut­zend Wein­gü­ter hat­te ich schon abge­klap­pert. Elio Gras­so war der letz­te, den ich besu­chen woll­te. Er selbst war gar nicht da, als ich kam. Mari­na, sei­ne Frau, ent­schul­dig­te ihn, er sei im Wein­berg, müs­se Reben ent­lau­ben. Gian­lu­ca emp­fing mich statt­des­sen, der Sohn, was inso­fern nor­mal ist, als er längst die Zügel in der Hand hält und die Wei­ne verantwortet.

Gian­lu­ca ist Mit­te 40 und hat im Gegen­satz zu sei­nem Vater Wein­bau stu­diert: ein freund­li­cher, aber zurück­hal­ten­der Win­zer ohne Atti­tü­den, dem man schnell anmerkt, dass sei­ne Büh­ne eher Kel­ler und Wein­berg sind als Galas und Dinners.

Den Atem verschlagen

Was Gian­lu­ca mir an Wei­nen vor­setz­te, ver­schlug mir den Atem. So eine gran­dio­se Kol­lek­ti­on habe ich sel­ten ange­trof­fen, auf die­ser Rei­se gar nicht. Nicht nur, dass die drei Baro­lo eine Klas­se für sich waren und der Bar­be­ra Vigna Mar­ti­na in sei­ner Kate­go­rie eben­falls. Auch der Dol­cet­to erwies sich als gro­ßer Wurf.

2008 Baro­lo von Elio Gras­soIch bin zwar kein Dolcetto-Trinker. Aber wenn ich die­sen Wein blind ver­kos­tet hät­te, hät­te ich gesagt: ein klei­ner Bur­gun­der. Gian­lu­ca lächel­te mil­de: „Wenn der Dol­cet­to ein paar Mona­te auf der Fla­sche nach­ge­reift ist, erin­nert er manch­mal an einen klei­nen Gevrey-Chambertin.“ Ich prä­zi­sier­te: „Dein Dolcetto!“

Doch wer ins Pie­mont fährt, fährt wegen des Baro­lo. Wir pro­bier­ten die bei­den Lagen-Barolo, Jahr­gang 2008. Vigna Chi­nie­ra ist der schlan­ke­re der bei­den, extrem ele­gant, fein struk­tu­riert, durch­zo­gen von einem Geflecht von fri­schen, roten Früch­ten, Min­ze, süßem Rosen­duft und Bal­dri­an­wür­ze, aus­ge­stat­tet mit sei­di­gen Tan­ni­nen, was bei einem Baro­lo ja höchst sel­ten ist. Kurz: ein klas­si­scher Baro­lo, lan­ge im gro­ßen Holz­fass gereift (30 Mona­te), blitz­sauber, grad­li­nig und doch mit einem rie­si­gen Spannungsbogen.

Noch besser der Casa Matè

Einen Tick bes­ser noch die Lage Casa Maté. Doch was heißt hier bes­ser? Der Wein ist etwas kraft­vol­ler, struk­tu­rier­ter, dadurch nicht ganz so ele­gant und zugäng­lich wie der Chi­nie­ra, trotz­dem auch er aro­m­en­tief mit Anklän­gen von Lakritz und Teer auf der einen Sei­te, von fruch­ti­gen Aro­men auf der ande­ren. Damals – es war wie gesagt Som­mer – war der Wein rich­tig auf­ge­blüht. Inzwi­schen hat er sich wie­der in sich zurück­ge­zo­gen, wie ein Nach­test vor zwei Mona­ten zeig­te. Scha­de. Immer dann, wenn man einen Baro­lo am liebs­ten trinkt, im Win­ter näm­lich, macht er zu.

Bei­de Wei­ne brin­gen über 14 Vol.% auf die Waa­ge, wie es für einen guten Baro­lo uner­läss­lich ist. Aber sie sind nicht erschla­gend. Im Gegen­teil: Bei aller Kraft, die ihnen inne­wohnt, sind es zar­te Wei­ne, hoch­mi­ne­ra­lisch, mit rei­cher Frucht und pikan­ter Wür­ze, nicht Barrique-verseucht, von einem Tann­in­kor­sett zusam­men­ge­hal­ten, das weder den Wein ein­schnürt noch die Backen des Wein­trin­kers zusammenzieht.

Für Parker ist Elio Grasso in 2008 die Nummer 1

Der Kel­ler­Mit den tra­di­tio­nel­len Baro­lo von einst haben sie nichts zu tun, die über­la­den und oft schon in der Nase unsau­ber waren, denen es an Fri­sche fehl­te, die nur aus Tan­nin bestan­den, gro­bem oben­drein. Sie befan­den sich auch nach 20, 30 Jah­ren noch im Klam­mer­griff des Tannins, obwohl die Frucht längst ver­blüht war. Elio Gras­sos Baro­lo besit­zen dage­gen Balan­ce. Balan­ce ist die bes­te Garan­tie für Langlebigkeit.

Ein paar Wochen spä­ter erschien Robert Par­kers Wine Advo­ca­te mit einem Bericht über die Jahr­gän­ge 2008 und 2009. Es war der letz­te Barolo-Report von Anto­nio Gal­lo­ni, dem erfah­re­nen, aber inzwi­schen aus­ge­schie­de­nen Italien-Verkoster Par­kers. Die höchs­te Punkt­zahl aller 2008er Baro­lo gab er aus­ge­rech­net Elio Gras­sos Casa Maté: 98+. Cha­peau! So viel Punk­te hät­te ich mich in mei­ner nai­ven, som­mer­li­chen Begeis­te­rung nicht zu geben getraut. Aber ich wider­spre­che nicht. Der Wein ist groß­ar­tig. Und der Baro­lo Vigna Chi­nie­ra liegt mit 97+ Punk­te nicht sehr viel niedriger.

Früher nie zur Spitze gehört

Der Holz­fass­kel­ler­Si­cher, Elio Gras­so ist seit den acht­zi­ger Jah­ren bekannt. Er wur­de und wird von vie­len Fach­leu­ten hoch geschätzt. Sei­ne Wei­ne waren immer tadel­los. Aber zur abso­lu­ten Spit­ze wur­den sie nie gezählt. Die war ande­ren Wei­nen vor­be­hal­ten. Inso­fern ist es mutig, ihn jetzt ganz oben zu plat­zie­ren. Ohne Zwei­fel besitzt Elio Gras­so erst­klas­si­ge Lagen. Nur hat sich die Klas­se die­ser Lagen nicht immer in den Wei­nen wider­ge­spie­gelt. Und wenn die Mög­lich­kei­ten, die ein Wein­berg bie­tet, nicht hun­dert­pro­zen­tig aus­ge­reizt wer­den, kommt am Ende ein guter, aber kein gro­ßer Baro­lo raus.

Vor ein paar Jah­ren hat Elio Gras­so den Betrieb an Gian­lu­ca über­ge­ben. Aber er hat sich nicht zur Ruhe gesetzt. Er arbei­tet im Wein­berg, täg­lich, so wie er es frü­her nicht gekonnt hat­te. Und irgend­wo, glau­be ich, merkt man es den heu­ti­gen Wei­nen an. Frü­her waren sie sehr gut. Jetzt sind sie außerordentlich.

Quantensprung zwischen den Barolo von damals und heute

Unter die­sem Gesichts­punkt ent­schul­di­ge ich ger­ne, dass Elio mich bei mei­nem Besuch nicht per­sön­lich begrüßt hat. Wir ken­nen uns zwar seit den ers­ten Anfän­gen, als er noch in der Bank in Turin arbei­te­te und nur am Wochen­en­de Zeit hat­te, sich um den Wein zu küm­mern. Aber der Wein­berg hat heu­te Vor­rang, auch im Som­mer, auch wenn Jour­na­lis­ten kom­men. Da muss aus­ge­dünnt und ent­laubt wer­den – Ope­ra­tio­nen, die den Quan­ten­sprung aus­ma­chen, der zwi­schen einem Baro­lo der acht­zi­ger Jah­re und einem von heu­te besteht. Ent­lau­ben war damals gar nicht üblich, die Arbeit des Aus­dün­nens mach­ten sich nur weni­ge. Inzwi­schen tun es alle, die einen Spit­zen­wein anstreben.

Eben­so bemer­kens­wert wie die hohen Wer­tun­gen fand ich übri­gens das, was Gal­lo­ni über die bei­den 2008er schreibt: „Ich konn­te mein Herz rasen hören, als ich Gian­lu­cas 2008er ver­kos­te­te: hin­rei­ßend schö­ne Wei­ne, in denen sich die gan­ze Grö­ße der Lagen von Mon­for­te wider­spie­gelt…“ Und: „Bei­des sind Must have-Barolo. Sie gehö­ren zu den preis­lich mode­ra­tes­ten, lang­le­bigs­ten Wei­nen die­ses Pla­ne­ten“ (sie kos­ten um die 55 Euro).

Auch jetzt schon mit Genuss zu trinken

Das Fla­schen­la­ge­rIn einem Punkt bin ich frei­lich nicht Gal­lo­nis Mei­nung. Er schreibt, man sol­le die Wei­ne jetzt kau­fen und dann für zwei Jahr­zehn­te ver­ges­sen. Ich hal­te das für über­trie­ben. Vigna Chi­nie­ra und Casa Matè sind schon in den nächs­ten fünf Jah­ren ein gro­ßer Genuss, der Chi­nie­ra not­falls auch jetzt schon. Sicher­lich kön­nen die bei­den Wei­ne zwan­zig Jah­re alt wer­den. Aber Baro­lo ist nicht Bor­deaux. Baro­los ver­lie­ren schon nach zehn Jah­ren merk­lich an Fri­sche, und das Tan­nin ist längst nicht mehr so hart, wie es frü­her mal war. Es ver­langt kei­ne jahr­zehn­te­lan­ge Flaschenreife.

Nach den 2008ern pro­bier­te ich mit Gian­lu­ca die 2009er – ein war­mer Jahr­gang, der all­ge­mein üppi­ge, ins Süße ten­die­ren­de Wei­ne mit mil­der Säu­re her­vor­ge­bracht hat, die den Nebbiolo-Weinen viel von ihrer Här­te und Unnah­bar­keit nimmt. Auch Elio Gras­sos Wei­ne sind aus­ge­spro­chen weich, auf­fäl­lig frucht­be­tont, vol­ler Feu­er und höchst attrak­tiv zu trin­ken. Sie wer­den den meis­ten Wein­trin­kern ver­mut­lich bes­ser schme­cken als die Vor­gän­ger. Aber deren Klas­se besit­zen sie nicht. Bei Gal­lo­nis Nach­fol­ger, der Ame­ri­ka­ne­rin Moni­ca Lar­ner, notie­ren die 2009er zwei bzw. vier Punk­te tie­fer – was kor­rekt und immer noch ein Niveau ist, von dem ande­re träumen.

18 Hektar Weinberge

Das Wein­gut bei Mon­for­te d’AlbaDas Wein­gut liegt im hüge­li­gen Hin­ter­land von Mon­for­te d’Alba: ein statt­li­ches, aber kein prot­zi­ges Anwe­sen mit erha­be­nem Blick in die Hügel­welt der Lang­he. 18 Hekt­ar umfasst es mitt­ler­wei­le. Vier Hekt­ar waren es, als Elio Gras­sos Eltern es noch bewirt­schaf­te­ten, also in den fünf­zi­ger und sech­zi­ger Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts. Die Wein­wirt­schaft des Pie­mont lag damals am Boden. Nie­mand trank Baro­lo. Kaum einer kann­te den Wein. Eli­os Eltern waren froh, dass ihr Sohn die Höhe­re Schu­le besuch­te und spä­ter zur Uni­ver­si­tät ging. Wein bot kein Aus­kom­men mehr für die Familie.

Elio schaff­te es bis zum Bank­di­rek­tor in Turin, war aber, wie er zugibt, nie wirk­lich glück­lich in sei­nem Beruf. Ihn zog es zurück aufs Land. Irgend­wann nahm er sei­nen gan­zen Mut zusam­men, kün­dig­te und begann, das alte Wein­gut mit neu­en Ideen wie­der auf­zu­bau­en. Die ers­ten Wei­ne, die Anfang der acht­zi­ger Jah­re auf den Markt kamen, wur­den von der Kri­tik und von den Kun­den respekt­voll auf­ge­nom­men. Das zwei­te Leben des Elio Gras­so begann – das des Win­zers. Nun voll­endet es sich. Gian­lu­ca, der Sohn, ist nun dabei, die Hoff­nun­gen zu erfül­len, die sein Vater gehegt hat­te. 2008 war ein Anfang.

Die Weine


2008  Baro­lo Vigna Chi­nie­ra | Elio Gras­so, Mon­for­te d’Alba
Hell und trans­pa­rent in der Far­be, Duft von Him­bee­ren und Pflau­men, typi­sche Barolo-Würze mit Teer und Süß­holz, Tro­cken­früch­ten und Bal­dri­an, sei­di­ge Tan­ni­ne, fei­ne Säu­re: ein ele­gan­ter, geschlif­fe­ner Wein von natür­li­cher Schön­heit, per­fekt balan­ciert, im Gla­se schwebend.
Bewer­tung: 95/100 Punkte
2008 Baro­lo Vigna Casa Matè | Elio Gras­so, Mon­for­te d’Alba
Granat- bis rubin­ro­ter Wein mit rei­chem Bou­quet von roten Bee­ren, Lakritz, Rosen, Pfef­fer­minz, am Gau­men üppig, aber straff und fein zise­liert, zusam­men­ge­hal­ten durch ein kräf­ti­ges, fein­kör­ni­ges Tan­nin: dra­ma­ti­scher Wein mit rie­si­gem Span­nungs­bo­gen, enor­mer Aro­m­en­tie­fe, gro­ßer Ausgewogenheit.
Bewer­tung: 96/100 Punkte
2009 Baro­lo Vigna Chi­nie­ra | Elio Gras­so, Mon­for­te d’Alba
Deli­ka­ter, rela­tiv duf­ti­ger Wein mit üppi­gem Duft­strauß im Bou­quet, viel Veil­chen und Him­bee­ren, aber auch eine kräf­ti­ge, erdi­ge Wür­ze mit Noten von Gra­phit und nas­sem Herbst­laub, druck­voll am Gau­men, dabei weit gespannt, wei­ches, gut inte­grier­tes Tan­nin und mil­de Säu­re – zum Antrin­ken jetzt schon ein Genuss.
Bewer­tung: 94/100 Punkte
2009 Baro­lo Vigna Casa Matè | Elio Gras­so, Mon­for­te d’Alba
Opu­len­ter, weit aus­ho­len­der Baro­lo, der trotz­dem nicht nur mit Fül­le und Wucht, son­dern auch mit Fein­heit zu bril­lie­ren weiß: tief bee­ren­fruch­tig mit Leder- und Nel­ken­wür­ze, per­fekt inkor­po­rier­tes Tan­nin, geschlif­fen und süß, kla­rer Auf­bau, gute Balan­ce, mitt­le­re Lebens­dau­er, wobei es nicht falsch ist, auch jetzt schon eine Fla­sche zu öffnen.
Bewer­tung: 94/100 Punkte

Bezug: www.extraprima.com, www.gute-weine.de, www.vinexus.de, www.weinwelt.at , www.ps-wein.de, www.boller-weine.de, www.weinpalais.de und andere.
Prei­se: zwi­schen 55 und 65 Euro


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