Die Ankermühle und ihr Orange-Weine: Riesling ohne Primäraromen

2011 Jesaja Riesling
2011 Jesaja Riesling
Ein paar Winzer versuchen nun auch in Deutschland, Weißweine mittels Maischegärung und mit minimalem Schwefel zu erzeugen. Orange-Weine heißen sie. Viele sind ungenießbar. Nicht so der Riesling der Ankermühle in Oestrich-Winkel. Er schmeckt anders, aber richtig gut.

Anfangs war es nur ein Bauch­ge­fühl. Aber es beschlich Jörn Goziew­ski so stark, dass er ihm irgend­wann nach­gab: „Wenn ein Weiß­wein­most auf den Scha­len gärt, müs­sen mehr Geschmacks­stof­fe in den Wein gelan­gen als ohne Scha­len. Wer also das Maxi­mum an Ter­ro­ir im Wein will, soll­te eine Mai­sche­gä­rung in Erwä­gung ziehen.“

Kellermeister Jörn Goziewski
Kel­ler­meis­ter Jörn Goziewski

Leicht gesagt. Gelernt hat­te der 32jährige Kel­ler­meis­ter des Wein­guts Anker­müh­le in Oestrich-Winkel das Gegen­teil. An der Hoch­schu­le für Wein­bau in Gei­sen­heim, wo er sich als Inge­nieur für Öno­lo­gie diplo­miert hat, sind Most­gä­rung und reduk­ti­ver Aus­bau obers­te Prin­zi­pi­en der Weißwein-Bereitung. Ein Ries­ling etwa soll mög­lichst weni­ge phe­n­o­li­sche Ele­men­te ent­hal­ten, soll mög­lichst hell in der Far­be sein, soll ordent­lich gefil­tert und so geschwe­felt wer­den, dass er lan­ge frisch bleibt. Und natür­lich soll er auch mög­lichst rein­tö­nig sein.

Ein Wein ohne Primäraromen

99 Pro­zent aller deut­schen Weiß­wei­ne wer­den so erzeugt. Wein­trin­ker wol­len Pri­mär­aro­men: Apfel, Pfir­sich, Zitrus­früch­te. Noten wie Koch­ap­fel, Kamil­le, Kara­mell, Petrol berei­ten ihnen Unbe­ha­gen, cre­mi­ge Noten erst recht, auch wenn in ihnen manch­mal die Beson­der­heit des Ter­ro­irs bes­ser zum Aus­druck kommt als die Reb­sor­te. Sie machen den Wein nach ihrer Mei­nung „unle­cker“. Ries­ling soll nach Ries­ling schme­cken, sagt der Mainstream.

„Unle­cker“ soll­te Goziew­skis Wein frei­lich nicht sein. Aber die Regeln gegen den Strich bürs­ten – das woll­te der aus Thü­rin­gen stam­men­de Kel­ler­meis­ter schon. So nahm er sei­ne bes­te Par­tie Ries­ling­trau­ben für ein heik­les Expe­ri­ment her, das ihm ver­mut­lich die Ver­ach­tung sei­ner frü­he­ren Pro­fes­so­ren ein­ge­tra­gen hät­te, wüss­ten sie von dem Experiment.

Spontan vergoren

Er quetsch­te die Trau­ben nur an, gera­de so, dass der Saft aus­lau­fen konn­te. Saft und Scha­len ließ er ein­fach im offe­nen Bot­tich ste­hen. Kein Ent­sch­lei­men, schon gar kein Zen­tri­fu­gie­ren, kein Schwe­feln der Mai­sche. Auch kei­ne Über­la­ge­rung mit Stick­stoff, um Oxy­da­ti­on zu ver­hin­dern. Ein­fach an der fri­schen Luft ste­hen­las­sen. Wahn­sinn, wür­den die Fach­leu­te sagen und die Hän­de über dem Kopf zusammenschlagen.

Nach eini­gen Tagen set­ze die Gärung ein. Spon­tan. Sie dau­er­te einen Monat. Durch den sich lang­sam bil­den­den Alko­hol wur­de alles, was in den Scha­len steckt, extra­hiert. Gutes und Schlech­tes: Geschmacks­stof­fe, Gerb­stof­fe, Farb­stof­fe. Am Ende sahen die aus­ge­laug­ten Spät­le­se­trau­ben fast hell-orange aus.

Mit den bloßen Händen gepresst

Aller­dings war die Men­ge zu klein, um die Trom­mel einer Pres­se zu fül­len. Goziew­ski ent­schied, die aus­ge­laug­ten Scha­len mit der Hand aus­zu­drü­cken: die müh­se­ligs­te, aber auch die schon­ends­te Art, einen Wein zu kel­tern. Fast einen gan­zen Tag brauch­te er dazu. Die Men­ge des Weins, die am Ende übrig blieb, reich­te gera­de, um ein Bar­ri­que von 225 Liter zu fül­len. Dar­in reif­te der Wein samt Frucht­fleisch­res­ten und abge­stor­be­nen Hefen fast zwei Jah­re lang.

Ein paar Mil­li­gramm Schwe­fel habe er hin­zu­fü­gen müs­sen, gibt Goziew­ski zu. Aber dass die „schmut­zi­ge Brü­he“ nicht oxy­dier­te, führt er weni­ger auf den Schwe­fel als auf das regel­mä­ßi­ge Auf­rüh­ren der Hefe zurück. Hefe hat eine auto­ly­ti­sche Wir­kung. Sie ver­hin­dert, dass der Wein mit Sau­er­stoff reagiert. Sie schützt ihn ähn­lich wie Schwefel.

Ungeschönt und unfiltriert auf die Flasche

Nach einem Jahr hat­ten sich Trub und Frucht­fleisch­res­te auf dem Boden des Fas­ses abge­setzt. Der rela­tiv kla­re Wein kam auf die Fla­sche – unge­schönt und unfil­triert. „Ich weiß nicht, was mit dem Wein wäh­rend des Aus­baus im Fass pas­siert ist“, sagt Goziew­ski. „Ich weiß nicht, ob er sich auf der Fla­sche wie­der ein­trü­ben wird. Aber ich weiß, dass es kei­ne natür­li­che­re Art gibt, um Wein zu erzeugen.“

Das Ergeb­nis: ein Ries­ling der ande­ren Art. Ohne Pri­mär­aro­men, ohne vibrie­ren­de Fri­sche, aber mit einem rei­chem Aro­men­spek­trum, das von Kräu­ter­wür­ze über Zitro­nen­ku­chen bis zu rei­fer Bana­ne reicht. Zu alle­dem gesellt sich ein fei­ner Vanil­le­ton: Den 24-monatigen Barrique-Ausbau kann der Wein nicht ganz ver­leug­nen, den bio­lo­gi­schen Säu­re­ab­bau auch nicht, den er in die­ser Zeit von selbst im Fass gemacht hat. Dadurch weist er zwar nicht den Span­nungs­bo­gen auf, der typisch für säu­re­fri­sche Ries­lin­ge ist. Aber er ist cre­mi­ger und hat eine mil­de­re Säu­re. Mit 28,80 Euro ist er preis­lich wie ein Gro­ßes Gewächs kalkuliert.

Zitronengelb statt Orange

Jesa­ja hat Goziew­ski den Wein genannt nach dem Pro­phe­ten im Alten Tes­ta­ment, der dem jüdi­schen Volk eine glück­li­che Zukunft vor­her­sag­te. Ob der Name ein gutes Omen für den Wein ist, ver­mag der jun­ge Kel­ler­meis­ter noch nicht zu sagen. 2011 war der ers­te Jahr­gang, den er erzeugt hat. Aber das Über­ra­schen­de ist: Der Jesa­ja trägt zwar ein oran­ge­far­be­nes Eti­kett, ist selbst aber eher von hel­lem Zitro­nen­gelb, besitzt sogar einen fri­schen, grün­li­chem Schim­mer. Also kei­ner jener man­da­ri­nen­far­be­nen, gar maha­go­ni­brau­nen Orange-Weine, die sonst so im Umlauf sind. Auch weist der Jesa­ja kei­ne Oxy­da­ti­ons­no­ten auf, nicht ein­mal klei­ne Unfri­schen oder Petrol­tö­ne. Man muss ihn also nicht aus Neu­gier pro­bie­ren, man kann ihn auch zum Essen trinken.

Die Anker­müh­le ist in ers­ter Linie ein Restau­rant, in dem eine geho­be­ne bür­ger­li­che Küche mit star­kem regio­na­len Touch gepflegt wird. Die eige­nen Wein­ber­ge wur­den 2008, als das Anwe­sen den Besit­zer wech­sel­te, ver­kauft. Lei­der, wie Goziew­ski und die heu­ti­gen Besit­zer sagen. So müs­sen jetzt Wein­ber­ge gepach­tet und Trau­ben zuge­kauft wer­den, um jene 30.000 Fla­schen abfül­len zu kön­nen, die die Pro­duk­ti­on der Anker­müh­le groß ist.

Jesaja macht ein Prozent der Produktion aus

Restaurant Ankermühle
Restau­rant Ankermühle

Der größ­te Teil besteht aus Geisenheim-konformem Ries­ling. Vom Jesa­ja gibt es nur knapp 300 Fla­schen. Er macht also gera­de mal ein Pro­zent der Pro­duk­ti­on aus. Den­noch wird über die­sen Wein mehr dis­ku­tiert und geschrie­ben als über die 99 Pro­zent ande­ren Wei­ne, die aus dem Gewöl­be­kel­ler der Anker­müh­le kom­men. Und er wird nicht nur im Rhein­gau getrun­ken, son­dern steht im Sterne-Restaurant des Columbia-Hotels in Bad Gries­bach auf der Kar­te und wird im Ber­li­ner Kult-Lokal Cor­do­bar ausgeschenkt.

Dass der Jesa­ja nach offi­zi­el­ler Dik­ti­on nur ein Land­wein ist, stört Goziew­ski nicht. Auf das Prä­di­kat Spät­le­se muss er zwar ver­zich­ten, auf die Anga­be der Lage auch: Hall­gar­te­ner Jung­fer (immer­hin eine Gro­ße Lage). Aber das stört ihn nicht. „Die­ser Wein ist ein Aben­teu­er“, sagt er. „Und das Aben­teu­er geht weiter.“

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