Statistisch spielt der Export deutschen Weins in die USA keine große Rolle. Er macht gerade mal 14 Prozent aller Weinexporte aus, und die Exportquote deutschen Weins liegt bei 11 Prozent. Das entspricht etwa 1,2 Prozent der nationalen Weinproduktion. Anders als bei der Landesverteidigung ist Deutschland beim Wein also nicht von den Amerikanern abhängig. Den allergrößten Teil unseres Wein trinken wir nämlich selbst.
Die Mosel wird von den Zöllen hart getroffen
Aber Statistiken können die Realität auch vernebeln. Erstens erlöst die deutsche Weinwirtschaft die höchsten Preise auf dem amerikanischen Markt, was die USA für die großen Handelskellereien, die einen nicht geringen Teil des hiesigen Weins, der ansonsten unvermarktbar wäre, zu einem attraktiven Zielmarkt macht. Zweitens sind die deutschen Anbaugebiete im Amerika-Export ganz unterschiedlich aufgestellt. Die Mosel exportiert beispielsweise 5 Prozent in die USA. Das ist zwar wenig im Vergleich zu manch ausländischem Weinanbaugebiet. Aber einzelne Winzer trifft der Furor des amerikanischen Präsidenten hart. Ein Markus Molitor verkauft die Hälfte seiner Weine nach Amerika, Ernst Loosen rund 30 Prozent.
Für Frankreich kommen die Zölle einer Katastrophe gleich
Am meisten betroffen von den Zöllen aber sind die großen Weinbaunationen Frankreich und Italien. Für beide Länder sind die USA der mit Abstand wichtigste Exportmarkt. Die Franzosen exportierten zuletzt rund 26 Prozent ihres Weins, ein Fünftel davon in die USA. Die neuen Zölle sind für sie dramatisch. Sie beschleunigen den schleichenden Rückgang der Ausfuhrmengen über den Atlantik weiter, insbesondere den von Champagnern, Bordeaux und Burgundern, die schon länger schwächeln. Vielleicht werden die Käufer teurer Luxusweine in Amerika die erhöhten Preise schlucken. Aber für das Gros der französischen Weine kommen die Zollbarrieren einer Katastrophe gleich. Wenn sich nicht schnell etwas ändert, werden Tausende von vignerons in dem von Überproduktion und Nachfragerückgang geprägten Markt die weiße Fahne hissen müssen: aufgeben. Trump, der selbst keinen Alkohol trinkt, ist das egal. Er glaubt nicht, dass seine Landsleute deswegen verdursten werden. „Unser Wein ist sowieso besser als der französische“, hatte er bereits in seiner ersten Amtszeit getönt.
Italien ist abhängig vom amerikanischen Markt
Noch stärker leiden die Italiener unter den Zöllen. Sie exportieren fast die Hälfte ihres Weins, davon 25 Prozent in die USA. Das Geschäftsmodell von Zehntausenden italienischer Restaurants zwischen Boston und San Francisco basiert auf Weinen aus dem Belpaese. Auch die Republikaner trinken zu Pizza, Pasta und Parmigiano gern einen funkelnden Barbera oder einen vollmundigen Nero d’Avola. Als Trump in seiner ersten Amtsperiode Zölle auf europäische Weine erhob, schaffte es die einflussreiche italienische Lobby in den USA noch, eine Ausnahme für Weine aus ihrer Heimat zu erwirken. Diesmal gelang das Kunststück nicht. Am schlimmsten trifft es den Moscato d’Asti und den Pinot Grigio, die zu 60 beziehungsweise 48 Prozent nach Amerika gehen, und zwar auf die preissensiblen Massenmärkte. Extrem stark abhängig von Amerika sind aber auch der Chianti Classico (46 Prozent), die toskanischen DOC-Weine (35 Prozent), Barolo, Barbaresco und die anderen piemontesischen Rotweine (31 Prozent), der Brunello di Montalcino (30 Prozent) und der Prosecco (27 Prozent).
Tiefschlag für die dauerklamme Staatskasse Italiens
Äußerlich mahnen Politiker und Funktionäre aller Länder, einen kühlen Kopf zu bewahren. Innerlich befinden sich alle in heller Aufregung. Acht Milliarden Euro macht allein der Umsatz italienischer Weinexporte aus, dazu kommen Nudeln, Käse, Tomaten, Olivenöle, Schinken, Salami, Dolci aus Italien, die längst zu den Grundnahrungsmitteln der Amerikaner gehören und ebenfalls 20 Prozent teurer werden. Ändert sich nichts, müsste die dauerklamme Staatskasse Italiens bald den Offenbarungseid leisten.
Wenn die Kunden in Amerika zu den erhöhten Preisen nicht kaufen, sind bald auch die US-Importeure pleite
Wie also reagieren? Der erste Reflex sagt, dass die Preise für Wein gesenkt und so die Zölle aufgefangen werden. Eine entsprechende Forderung haben schon mehrere amerikanische Importeure in Richtung Europa erhoben. Anderenfalls müssten sie die Preiserhöhungen an ihre Kunden weitergeben. Doch so einfach ist es nicht. Einen großen Teil des Preises machen in allen Ländern bürokratische Schikanen und die Investitionen in die ausländischen Märkte aus. Und wenn die Kunden zu den erhöhten Preisen nicht kaufen, was derzeit niemand weiß, müssten auch die Lieferanten ihre Läden dicht machen, sobald die (derzeit noch vollen) Läger leer sind. Die Weingüter und Winzer lassen sich deshalb von der Drohung des Handels nicht einschüchtern – jedenfalls noch nicht.
Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber nur, weil die Verzweiflung so groß ist
Was denken die europäischen Weinerzeuger? Die Selbstbewussten sind überzeugt, dass ihre Weine – egal ob Champagner, Brunello, Riesling Auslese – unersetzlich sind und die Konsumenten notfalls mit zusammengebissenen Zähnen die höheren Preise akzeptieren: ein optimistisches Szenario, das möglicherweise für einige, aber sicher nicht für alle zutrifft. Die Verzweifelten hoffen, dass Trump die Zölle bald zurücknimmt. Sie verlangen von ihren Regierungen, sofort Verhandlungen mit Washington aufzunehmen, um eine Lösung des Konflikts zu suchen. Aber wie soll die aussehen, solange ein narzistischer Präsident glaubt, von den Europäern über den Tisch gezogen zu werden? Die Dreisten erwarten, dass die Mindererlöse vom Staat ersetzt werden. In der Vergangenheit war sowas möglich. Leider. Die Vernünftigen plädieren dafür, dass alle Teile der Lieferkette auf einen Teil ihrer Margen verzichten, um die Preise stabil zu halten: Erzeuger, Agenten, Importeure, Distributeure, Ladenbesitzer. Wahrscheinlichkeit: gering. Keiner will seine Margen freiwillig beschneiden.
Das Ziel muss sein, neue Exportmärkte zu erschliessen
Und dann gibt es noch die Weitsichtigen, die begreifen, wie wichtig es für Europa ist, die Abhängigkeit von den USA zu lockern und Anstrengungen zu unternehmen, die Märkte außerhalb Amerikas verstärkt für seine Weine zu begeistern. Noch sind die Weitsichtigen in der Minderheit – vielleicht auch, weil es noch nicht so weit ist, den wichtigsten Weinmarkt der Welt wegen eines ver(w)irrten Präsidenten und seiner schillernden Berater aufzugeben beziehungsweise die Bande zu Amerika zu lockern. Aber ihre Zahl wächst – glücklicherweise auch in Brüssel. Denn ein Ende des Zollchaos ist nicht in Sicht, auch wenn Trump die pauschalen 20 Prozent-Zölle erstmal für 90 Tage ausgesetzt hat. Kurzfristiges Aufatmen. Aber was ist im Juli, wenn die 90 Tage rum sind? Niemand weiß es. Ist der Präsident dann geläutert? Oder noch wilder entschlossen, Amerika „great again“ zu machen? Viel hängt davon ab, wie Europa verhandelt und ob die EU mit Gegenzöllen reagiert – wie ursprünglich vorgesehen. Schließlich steht noch Trumps Drohung von 200 Prozent-Zöllen auf Wein und Spirituosen im Raum.