Der Weindoktor übernimmt… – Was die Gäste des „Tantris“ trinken

Justin Leone
Auf Facebook hatten die weinkenner.de-Fans Gelegenheit, eine Frage an den Weinexperten und „Tantris“-Sommelier Justin Leone stellen. Welchen Wein trinken die Gäste im „Tantris“ am liebsten?, wollten sie von ihm wissen. Und das hat der Weindoktor Ihnen geantwortet …

Meine Verordnung: Was auch immer ich ihnen empfehle.

Nur ein klei­ner Scherz! Natür­lich träumt jeder Som­me­lier davon, wie ein Jedi die Gedan­ken sei­ner Gäs­te beein­flus­sen und über jede Situa­ti­on abso­lu­te Kon­trol­le aus­üben zu kön­nen. Das nach­fol­gen­de Rezept wird lei­der all­zu oft angewendet:

–    1 Teil völ­li­ge Realitätsferne
–    3 Tei­le unver­fro­re­ne Arroganz
–    1 Schuss Irrsinn
–    Ver­mi­sche alle Zuta­ten und ser­vie­re sie eiskalt.

Die Not­wen­dig­kei­ten des Geschäfts im Auge zu behal­ten (sie­he auch: Bestands­ma­nage­ment), wäh­rend man den rein emo­tio­na­len Aspekt erfüllt, jedem Gast ein unver­gess­li­ches Erleb­nis zu berei­ten – das sind zwei­fel­los die obers­ten Prio­ri­tä­ten. Zwi­schen­durch gibt man den mehr künst­le­ri­schen Nei­gun­gen nach, indem man die bereit­wil­li­gen (und hof­fent­lich dank­ba­ren) Gäs­te durch schö­ne neue Geschmacks­wel­ten führt; vie­les davon hät­te der Gast wahr­schein­lich nie­mals auf eige­ne Faust ent­deckt. Es ist eine kom­pli­zier­te Jon­glier­num­mer für den Som­me­lier, alle drei Erfor­der­nis­se mit­ein­an­der in Ein­klang zu brin­gen und die „Gol­de­ne Mit­te“ zu finden.

Im „Tan­tris“ und auch in ande­ren Restau­rants gibt es ver­schie­de­ne Wege, wie sich der abend­li­che Alko­hol­ge­nuss ange­hen lässt. Wir bie­ten ein umfang­rei­ches Degus­ta­ti­ons­me­nü mit meh­re­ren Gän­gen an, von denen jeder ein­zel­ne ein ein­zig­ar­ti­ges  Geschmacks­pro­fil besitzt. Vie­le unse­rer Gäs­te erach­ten dazu eine „Wein­be­glei­tung“ als ide­al. Sie schät­zen die Mög­lich­keit, Wei­ne zu trin­ken, die nor­ma­ler­wei­se nicht glas­wei­se aus­ge­schenkt wer­den, dar­un­ter oft­mals Rari­tä­ten oder älte­re Jahr­gän­ge. Doch die Gäs­te kön­nen sich nicht nur auf erle­se­ne, sel­te­ne und inter­es­san­te Wei­ne ein­stel­len, son­dern auch dar­auf, dass die­se exakt mit den von ihnen gewähl­ten Gän­gen har­mo­nie­ren. Ganz abge­se­hen von den per­sön­li­chen Gesprä­chen mit dem Sommelier-Team und der Gele­gen­heit für den Mit­ar­bei­ter­stab, für den Gast eine wirk­lich inter­ak­ti­ve Situa­ti­on zu schaf­fen, in deren Ver­lauf her­um­ge­scherzt, dis­ku­tiert und Neu­es ver­mit­telt wer­den kann. Dies ermög­licht nicht nur einen voy­eu­ris­ti­schen Blick in die unver­stell­te Wesens­art der Ser­vice­mit­ar­bei­ter, son­dern erlaubt dem Som­me­lier, ein­fach er selbst zu sein, viel­leicht sogar ein biss­chen anzu­ge­ben und nicht zuletzt Spaß an den von ihm betreu­ten Tischen zu haben.

Mehr als zwei mei­ner prä­gen­den Anfangs­jah­re als Som­me­lier habe ich im „Ali­nea“ in Chi­ca­go ver­bracht – ich hat­te also das Glück, mein Talent, Wein und Essen kunst­voll zusam­men­zu­brin­gen, in einem der bes­ten und inno­va­tivs­ten 3-Sterne-Restaurants der Welt ver­fei­nern zu dür­fen. Auf­grund sol­cher Refe­ren­zen haben vie­le unse­rer Gäs­te Ver­trau­en in unse­re Arbeit und über­las­sen uns die Füh­rung – durch­aus zufrie­den damit, sich ein­fach mal zurück­zu­leh­nen, sich zu ent­span­nen und die „Show“ zu genießen.

Für die­je­ni­gen, die ger­ne eine oder auch drei Fla­schen Wein wäh­rend ihres Menüs pro­bie­ren möch­ten, gibt es eine Viel­zahl von Optio­nen. Eine gene­rel­le Emp­feh­lung: Ich fin­de, dass Weiß­wei­ne von der Loire wun­der­bar zur Küche von Chef­koch Hans Haas pas­sen. Die Chen­in Blancs aus Anjou, Saven­nie­res und Montlouis-sur-Loire besit­zen einen ähn­li­chen und doch völ­lig indi­vi­du­el­len mine­ra­li­schen Cha­rak­ter und eine Säu­re­struk­tur, wie sie unse­re Gäs­te bei ihren Lieb­lings­ries­lin­gen schät­zen. Pithon-Paillé, Marc Ange­li und Xavier Weiss­kopf  kom­men sehr gut an – um eini­ge zu nennen.

Für etwas schwe­re­re Spei­sen sind mei­ner Ansicht nach die Wei­ßen aus Nord­ita­li­en und Nordwest-Spanien die span­nends­te Wahl – unse­re Kund­schaft scheint dem eben­falls zuzu­stim­men. Es ist ziem­lich ein­fach, etwas zu über­se­hen – auch  wenn es sich direkt unter der eige­nen Nase befin­det. Und genau das ist das Pro­blem mit nord­ita­lie­ni­schen Weiß­wei­nen in Mün­chen. Zu den reich­hal­ti­ge­ren Fisch­ge­rich­ten aus unse­rer Küche sind Weiß­wei­ne wie Pieropan’s Soave “La Roc­ca” ein­fach atem­be­rau­bend. Köst­lich und kraft­voll, ohne dabei Ele­ganz zu opfern. Doch auch ande­re Wei­ße aus Fri­aul sind nicht nur hoch­wer­tig, son­dern bie­ten zudem Aro­men wie nir­gends sonst auf der Welt. Die fas­zi­nie­ren­de Ver­flech­tung von Kul­tu­ren – von Slo­we­ni­en bis Geor­gi­en – sowie die Ver­mi­schung von Tra­di­tio­nen – von ultra-modernen bis zu fast ver­ges­se­nen Prak­ti­ken der Wein­her­stel­lung in Lehm­am­pho­ren – lie­fern eine wah­re Fund­gru­be an ver­steck­ten Aro­men, die ent­deckt wer­den wol­len. Von eher radi­ka­len Ver­tre­tern der „alten Schu­le“ wie Grav­ner und Vod­o­pe­vic über gemä­ßig­te Pro­du­zen­ten wie Meani bis hin zu grund­ver­schie­de­nen, moder­nen Wein­ma­chern wie Bas­tia­nich – fast alles ist mög­lich in Friaul.

Wenn ein Gast nach Grü­nem Velt­li­ner fragt, er sich aber in der Stim­mung befin­det, etwas Neu­es aus­zu­pro­bie­ren, emp­feh­le ich ihm augen­blick­lich Gali­ci­en. Alb­ari­no ist eine abso­lut fas­zi­nie­ren­de Reb­sor­te. Wenn sie im fri­schen Stil vini­fi­ziert wird, ähnelt sie fast einem Sau­vi­gnon Blanc mit sei­ner bis­si­gen Säu­re und sei­nem saf­ti­gen Zitrus­frucht­cha­rak­ter. Wächst sie an zwei­hun­dert Jah­re alten Reb­stö­cken in bestimm­ten Regio­nen von Rias Baix­as, so erin­nert die­se Trau­ben­sor­te an die bes­ten Smaragd-Veltliner aus der Wach­au: voll mine­ra­li­schem Cha­rak­ter, anmu­tig, aber dezen­ter; dunk­le­re Obst­qua­li­tä­ten und ein dich­te­rer, tie­fe­rer Ton mit öli­ge­rer Kon­sis­tenz. Die bes­ten und sprit­zigs­ten Bei­spie­le habe ich bei Fefi­ña­nes gefun­den, auch eine etwas cre­mi­ge­re „Hefeabzug“-Variante („finas lias“ oder „sob­re lias“). In Bezug auf den erst­ge­nann­ten Stil hal­te ich Pazo de Señorans “Sélección de Aña­da” für ziem­lich unvergleichlich.

Wie mir jetzt beim Nie­der­schrei­ben auf­fällt, han­delt es sich bei vie­len der Wei­ne nicht gera­de um die „übli­chen Ver­däch­ti­gen“. Aber sei’s drum. Wenn irgend­je­mand Wert auf eine Plau­de­rei über Vor­her­seh­bar­keit und mehr mit dem unra­sier­ten, ver­wu­schel­ten, ver­rückt ange­zo­ge­nen, halbitalienischen/halbenglischen, in Kana­da gebo­re­nen, in Chi­ca­go auf­ge­wach­se­nen, per­fekt „Ding­lisch“ spre­chen­den, rock’n’rollenden Som­me­lier des „Tan­tris“ legt – dann nur zu! Rufen Sie mich ein­fach mor­gens mal an.

Den eng­li­schen Ori­gi­nal­text lesen Sie hier:

The Wine Doctor Is In

What the Tan­tris Guests Nor­mal­ly Drink …

My Pre­scrip­ti­on: Wha­te­ver I tell them to.

Just kid­ding. Of cour­se, every som­me­lier dreams of having this “Jedi Mind Trick” effect on their cli­ente­le; wiel­ding abso­lu­te con­trol over every situa­ti­on, howe­ver this is one reci­pe which is, unfort­u­na­te­ly, all too often followed:

–    1 part, com­ple­te detach­ment from reality
–    3 parts, una­b­as­hed arrogance
–    1 dash lunacy.
–    Com­bi­ne all ingre­di­ents, ser­ve ice cold.

Balan­cing the neces­sa­ry trap­pings of busi­ness (see: inven­to­ry manage­ment) while ful­fil­ling the purely emo­tio­nal aspect of buil­ding unfor­gettable expe­ri­en­ces for each and every guest, are cer­tain­ly top prio­ri­ties. Mean­while, indul­ging one’s more artis­tic incli­na­ti­ons by lea­ding the wil­ling (and hop­eful­ly gra­teful) guests, through bra­ve new worlds of tas­te. Many of which, the guest may other­wi­se never dis­co­ver when left to their own devices. It’s an ela­bo­ra­te jugg­ling act, of sorts, to main­tain the con­stant cour­se of the­se three neces­si­ties wit­hout col­li­si­on, howe­ver some­whe­re in the tan­gent of the­se three impe­tus lies the “Gol­den Mean” of a sommelier’s sum-total purpose.

At Tan­tris, and any restau­rant for that mat­ter, the­re are seve­ral ways with which to approach the evening’s imbib­ing. With our lar­ge tasting menu, with seve­ral dif­fe­rent cour­ses, each with uni­que and dif­fe­rent fla­vor pro­files, tex­tures, etc, many guests find a wine beglei­tung the ide­al situa­ti­on. The abili­ty to tas­te wines which are not nor­mal­ly open by the glass, often rari­ties, of older vin­ta­ges, etc. Not only does it give the oppor­tu­ni­ty to tas­te fine, rare, or just frank­ly inte­res­t­ing wines, the guest is ensu­red a per­fect­ly matched drin­king expe­ri­ence with every cour­se. Not to men­ti­on, ple­nty of face time with the som­me­lier team, and the oppor­tu­ni­ty for the staff to build a tru­ly inter­ac­ti­ve expe­ri­ence for the guest; joking, dis­cus­sing, and per­haps even tea­ching, in the pro­cess. This pro­vi­des the most voy­eu­ristic glim­pse into the purest spi­rit of the restaurant’s ser­vice, while allo­wing the  som­me­lier to tru­ly be them­sel­ves, per­haps even show off a litt­le, and ulti­m­ate­ly, have fun with their tables.

Having spent over two of the most cru­cial years of my young care­er at Ali­nea restau­rant in Chi­ca­go, I was for­t­u­na­te to have honed my wine-pairing talents in what is con­side­red one of the abso­lu­te pre­mier wine pai­ring restau­rants world­wi­de. With tho­se cre­den­ti­als on my slee­ve, many of our cli­ents have the con­fi­dence in our work to sur­ren­der them­sel­ves com­ple­te­ly; quite con­tent to sim­ply sit back, relax, and enjoy the show.

For tho­se who pre­fer to tuck in to a bot­t­le or three during their meal, the­re are a multi­tu­de of opti­ons. As a gene­ral recom­men­da­ti­on, I find the white wines of the Loire quite com­pli­men­ta­ry to the cui­sine of Chef Hans Haas, while also being clo­se to the more obvious local pre­fe­ren­ces toward all things Ger­man and white. The Chen­in Blancs of Anjou, Saven­nie­res, and Montlouis-sur-Loire, I find, have a very simi­lar, yet cer­tain­ly indi­vi­du­al, mine­ral cha­rac­ter and acid struc­tu­re to what our cus­to­mers alre­a­dy love about their favo­ri­te Ries­lings. Pithon-Paillé, Marc Ange­li, and Xavier Weiss­kopf, are just a few of the best, and most well recei­ved, examples.

For some­thing a litt­le richer, I find that the whites of Nor­t­hern Ita­ly and North-West Spain to be some of the most exci­ting, and our cus­to­mers seem to agree. It’s quite easy to over­look some­thing when it’s right under one’s nose, and this is pre­cis­e­ly the pro­blem with Nor­t­hern Ita­li­an whites in Munich. For the richer fish cour­ses from our kit­chen, whites such as Pieropan’s sin­gle viney­ard Soave “La Roc­ca” are sim­ply stun­ning. Rich and powerful, wit­hout sacri­fi­ci­ng ele­gan­ce. Yet others, from Friu­li, offer fan­ta­stic value, and often, com­ple­te­ly dif­fe­rent fla­vors than one would find any­whe­re else in the world. The fasci­na­ting inte­gra­ti­on of cul­tures, from Slove­ni­en to Geor­gi­an, and mix­tu­re of tra­di­ti­ons from ultra-modern to almost for­got­ten prac­ti­ces of wine­ma­king in Clay Ampho­rae, pro­vi­de a veri­ta­ble tre­asu­re tro­ve of hid­den fla­vors to dis­co­ver. From more radi­cal old-schoolers like Grav­ner and Vod­o­pe­vic, to more mode­ra­te pro­du­cers such as Meani, and on to much more radi­cal­ly modern wine­ma­kers such as Bas­tia­nich, almost ever­y­thing is pos­si­ble in Fruili.

When a cus­to­mer inqui­res about Gru­ner Velt­li­ner, howe­ver fin­ding them­sel­ves in the mood for some­thing new, I imme­dia­te­ly bring them to Gali­cia. Alb­ari­ño is an utter­ly fasci­na­ting gra­pe; when made in a fresh style, it almost resem­bles Sau­vi­gnon Blanc in its snap­py aci­di­ty and jui­cy citrus fruit cha­rac­ter. When made from two-hundred year old vines, in cer­tain parts of Rias Baix­as, this gra­pe can behave almost exact­ly like a top Sma­ragd Gru­ner Velt­li­ner from the Wach­au; loa­ded with mine­ral cha­rac­ter, love­ly but more sub­dued, dar­ker orchard fruit qua­li­ties, and a den­ser, deeper hue with oiler con­sis­ten­cy. I find the best fresh examp­les from Fefi­ña­nes, which also includes a slight­ly cre­a­mier “hefe­ab­zug” ver­si­on (‘finas lias,’ or ‘Sob­re Lias,’ in Spa­nish) and from the for­mer style, I find Pazo de Señorans ‘Sélección de Aña­da’ to be fair­ly incomparable.

Now, I rea­li­ze that many of the­se wines may not be the ‘usu­al suspects,’ but then again, if anyo­ne would care to have a chat regar­ding mat­ters of pre­dic­ta­bi­li­ty with the uns­ha­ven, scruffy-haired, crazy-suited, half Italian/half Eng­lish, Canadian-born/Chicago-bred, perfect-‘Dinglish’-speaking, rock ‘n’ rol­ling, Som­me­lier of Tantris……..well, just take two, and call me in the morning.

Kommentar hinzufügen

Antwort schreiben