Kontrollierter Luftzutritt
Nach dem Ende der Gärung ist der Wein fertig, aber noch nicht trinkbar. Er schmeckt roh, ist hart, muß reifen. Der Reifeprozeß ist nichts anderes als die Lagerung des Weins unter kontrollierter Zufuhr von Sauerstoff.
Sauerstoff gilt als Feind des Weins. Er läßt ihn rasch alt werden und verdirbt ihn am Ende. Ohne Sauerstoff geht es jedoch auch nicht. Der Ausbau des Weins erfordert zumindest ein geringes Quantum. Wie groß die Sauerstoffmenge sein darf, mit der der Wein reagiert, läßt sich nur allgemein sagen: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Rotweine benötigen zum Beispiel mehr Sauerstoff, Weißweine vertragen durchweg weniger.
Chemische Reaktionen
Der Wein enthält nach der Gärung viele Bestandteile, die auf Sauerstoff reagieren. Dazu gehören die Anthocyane, die für die Farbe des Weins verantwortlich sind. Sie verbinden sich, wie alle Phenole, sehr rasch mit Sauerstoff. So tendieren Weißweine vom anfänglichen Strohgelb ins Goldgelbe, während Rotwein seine dunkelrote Farbe verliert, sich aufhellt und am Ende purpurrote oder granatrote Töne annimmt. Auch der Duft des Weins ändert sich. Kohlenwasserstoffverbindungen – Träger der Primäraromen – verbinden sich mit Sauerstoffmolekülen, so daß sich komplexere Duftkombinationen ergeben. Sehr reaktionsfreudig sind auch die Tannine. Sie verschmelzen unter Luftzufuhr mit anderen phenolischen Verbindungen, so daß sich neben den rein fruchtigen Geschmackskomponenten auch neue Aromen entwickeln können: Es können etwa erdige oder würzige Töne zutage treten.
Die Polymerisation
Das Verschmelzen von phenolischen Verbindungen unter Sauerstoffeinfluß wird Polymerisation genannt. Das Wort klingt kompliziert, beschreibt aber einen einfachen Vorgang: Kleine, kurzkettige Phenolmoleküle verbinden sich zu größeren Molekülen. Auf diese Weise entstehen zum Beispiel Tannin-Polymere oder die noch komplexeren Tannin- Polysaccharide. Die Auswirkungen dieser Polymerisation auf das Aroma des Weins sind beträchtlich. Die größeren Molekülstrukturen lassen den Wein sanfter, abgeklärter, eleganter erscheinen. Sie nehmen ihm das Ungestüme und geben ihm Komplexität und Feinheit. Bei fortschreitender Reife verketten sich die Tanninmoleküle so lange, bis sie nicht mehr in Flüssigkeit löslich sind und als Bodensatz in der Flasche ausgefällt werden.
Reduktiver Ausbau
Die Lagerung des Weins unter weitgehendem Luftabschluß birgt allerdings eine andere Gefahr: die Gefahr der Reduktion. Reduktion bedeutet, daß der Wein mangels Sauerstoff nicht oder nur reduziert chemisch reagieren kann. Die Folge ist, daß übelriechende chemische Verbindungen, wie sie nach jeder Gärung im Wein enthalten sind (etwa Schwefelwasserstoff oder Mercaptane), nicht neutralisiert werden können. Wein, der unter zu starkem Luftabschluß lagert (egal, ob im Stahltank oder auf der Flasche), entwickelt daher leicht unangenehme Gerüche von faulen Eiern oder von Kuhstall. Der Kellermeister, der eine reduktive Ausbauweise praktiziert, vermeidet die Ausbreitung solcher Aromen im Wein, indem er den Wein nach dem Ende der Gärung und dem Abzug von der Maische lüftet.
Oxydierte Weine
Eine übermäßige Zufuhr von Sauerstoff hat jedoch negative Wirkungen auf den Wein. Beim Kontakt zwischen Alkohol und Sauerstoff entsteht nämlich Acetaldehyd, eine Substanz, die, wenn sie im Wein gelöst ist, fade und unfrisch riecht. Der Wein ist dann oxydiert: Er hat einen Sherry- oder Madeiraton – typisch für angebrochene und zu lange offen stehengelassene Flaschen. Ein Zahlenbeispiel mag verdeutlichen, wie schnell Wein oxydieren kann. Ist ein Faß nicht ganz gefüllt, und weist es eine Oberfläche von etwa einem Quadratmeter auf, die mit Luft Kontakt hat, so werden in ihm 150 Kubikzentimeter Sauerstoff pro Stunde gelöst. Das bedeutet: Innerhalb weniger Tage ist der Wein komplett oxydiert. Damit das nicht passiert, muß der Kellermeister seine Fässer stets „spundvoll“ halten, d.h. bis zum Spundloch füllen. Oder er muß Stickstoff in den Leerraum des Fasses pumpen – als Schutzgas gegen Sauerstoff. Baut er den Wein in Edelstahltanks aus, kann er im Inneren des Tanks einen luftdicht abschließenden Deckel von oben bis auf die Oberfläche des Weins absenken, um diesen vor Sauerstoffzutritt zu schützen.
Ester – Element der Reife
Es gibt wichtige Reifeprozesse des Weins, die sich auch unter Abschluß von Sauerstoff vollziehen. Der wichtigste ist die Veresterung. Ester sind organische Verbindungen, die entstehen, wenn Alkohol und Säure reagieren. Ester bilden sich bei der Gärung des Weins. Der am häufigsten vorkommende Ester ist das Äthylacetat, eine Verbindung von Essigsäure und Äthylalkohol. Von diesem Ester stammt das fruchtige Aroma des Weins. Ester bilden sich auch nach der Gärung, wenn Weinsäure, Bernsteinsäure und Apfelsäure mit dem Alkohol reagieren. Diese Ester „entschärfen“ die Säuren, so daß der Wein nach einigen Jahren oft milder schmeckt. Auf dem Höhepunkt ist der Wein, wenn er ein optimales Verhältnis von Säure, Estern und Alkohol aufweist.
Flasche statt Holzfass
Eine längere Lagerung im Holzfaß birgt die Gefahr, daß die Weine geschwächt und müde werden. Sie verlieren ihre Frische. Um dieser Gefahr aus dem Wege zu gehen, versuchen immer mehr Weinerzeuger, ihre Weine früher auf Flaschen zu füllen und sie dort verfeinern zu lassen, bevor sie zum Verkauf freigegeben werden. Die Bodegas Vega Sicilia, die ihre Weine früher bis zu sieben Jahren im Holzfaß ausbauten, füllen sie heute spätestens nach vier Jahren ab, lassen die Flaschen aber bis zu 20 Jahren im Keller. Sicher ein extremes Beispiel, das ohne die spanische Tradition, nur reife, trinkfertige Weine freizugeben, nicht verständlich wäre. Aber es illustriert eine überall auf der Welt zu beobachtende Tendenz, die Faßreifung zugunsten der Flaschenreifung zu verkürzen. Genaugenommen spricht man von der „Reifung” im Faß und von der „Verfeinerung” auf der Flasche. Der Luftzutritt in der Flasche ist wesentlich geringer als im Faß. Eine gewisse Periode der Flaschenlagerung ergibt mithin ausgeglichenere Weine mit einer besseren Verschmelzung der Aromen und der Integration von Tannin und Säure. Kurz: Die Weine werden harmonischer. Die Verfeinerung auf der Flasche ist nämlich in den ersten Jahren ein weitgehend reduktiver Prozeß. Das heißt: Er findet mehr oder minder unter Sauerstoffabschluß statt. In manchem Weinbaugebiet verhindert freilich die Gesetzgebung ein frühzeitiges Abfüllen auf die Flasche. Die Produktionsstatute, oft 20 oder mehr Jahre alt, legen nicht selten fest, daß ein bestimmter Wein mindestens ein oder zwei oder zweieinhalb Jahre im Holzfaß reifen muß, bis gefüllt werden darf. In vielen Gebieten Italiens, etwa beim Brunello di Montalcino, ist man erst in den letzten Jahren dazu übergegangen, die Statute zu modernisieren.
Gefahr zu großen Luftkontakts
Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten des Luftzutritts während der Ausbauphase: durch das poröse Holz des Fasses, durch die kleine Oberfläche des Faßspunds und beim notwendigen Umpumpen des Weins von einem zum anderen Faß. Beim Umpumpen von einem Faß ins andere oxydiert der Wein am stärksten, beim Ausbau im Holzfaß am wenigsten.
- Pro Liter Wein, der durch den Schlauch fließt, werden 3 bis 4 cm3 Sauerstoff gebunden. Bei viermaligem Umziehen im ersten Jahr bedeutet dies eine Sauerstoff- zufuhr von 12 bis 15 cm3.
- Durch den Luftkontakt über das Spund- loch nimmt der Wein 15 bis 20 cm3 Sauerstoff pro Jahr auf.
- Durch die Dauben des Holzfasses dringen 2 bis 5 cm3 Sauerstoff pro Jahr ins Faß ein und werden im Wein gelöst.
[…] hypnotisieren lassen können. Sehr beeindruckend ! ?Die Sanftheit des Weins würde ich der Polymerisation in die Schuhe schieben. Hätte vorher gedacht, dass er etwas mehr ‘Wums’, Kraft / Druck […]
[…] diesen Jahren fehlte ihm die Zeit, sich intensiv um den Verkauf seiner Weine zu kümmern. Und ein Rotwein mit Substanz reift problemlos zwei oder drei Jahre im Holz und in der Flasche. Außerdem schätzen Kunden bei Roten ein bisschen […]