Der 2022er Château Figeac ist aus mehreren Gründen ein historischer Jahrgang. Klima, Terroir und der Wille, das Äußerste zu wagen, spielen hier zusammen.
Die Négoçiants von Bordeaux, der selbst ernannten Weinhauptstadt der Welt, haben für alles einen flotten Spruch parat. Einer lautet: In Bordeaux werden keine Weine verkauft, sondern Jahrgänge. Wenn es soseon sollte, dann war 2022 ein furchtbarer Jahrgang. Furchtbar heiß, furchtbar trocken, furchtbar frühe Lese, furchtbar knapp – also furchtbar insgesamt. Allerdings gilt das nicht für alle Châteaux, sondern nur für jene, die über keine besonderen Terroirs verfügen, also über keine wasserspeichenden Böden und keine alten Reben mit tiefen Wurzeln. Das dürfte die grosse Masse der Weinerzeuger sein. Für die klassifizierten Châteaux mit den guten Terroirs hingegen war 2022 ein Hammerjahrgang. Und für ein Château ganz besonders: Figeac. Figeac ist mit dem Jahrgang 2022 erstmals zu einem Premier Grand Cru Classé der Klasse „A“ aufgestiegen, in der offiziell nur noch Château Pavie ist, nachdem Cheval Blanc, Ausone und Angélus, die früheren „A“-Châteaux, freiwillig aus der Klassifikation ausgetreten waren. Für die Familie Manoncourt, die Besitzer, ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen, für deren Realisierung sie seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten kämpfen.
Aufstieg in den Olymp von Saint-Emilion
Wenn man die letzten fünf Jahrgänge Figeac zugrunde legt, ist der Aufstieg in den Olymp von Saint-Emilion gerechtfertigt. Der 2022er Figeac ist ein Wein, wie es ihn schon lange nicht mehr gab. Vielleicht noch nie. Frischer als der 2015er, konzentrierter als der 2018er, mächtiger als der 2019er, spannungsreicher als 2020er, pikanter als der 2021er – um die letzten großen Jahrgänge zum Vergleich heranzuziehen. Manche sehen Parallelen zum 1949er, was der Verfasser dieser Zeilen nicht beurteilen kann, da er den Figeac dieses Jahrgangs nie getrunken hat. Aber ein historischer Jahrgang ist der 2022er wohl jetzt schon. So elegant, so ausbalanciert, so präzise sind nur ganz wenige Saint-Emilions der letzten Jahre gewesen. Wer noch ein bisschen Geld in der Portokasse hat und gern auf hohem Niveau trinken will, sollte ernsthaft ins Auge fassen, sich ein paar Fläschchen hinzulegen.
Überraschend zugänglich
Mir hatte Blandine de Brier, die Tochter von Marie-France Manoncourt, der Grande Dame der Besitzerfamilie, eine Flasche dieses gerade freigegebenen Jahrgangs zur Probe zugeschickt. Die Massgabe lautete, mindestens zehn Tage nach Zustellung warten, bis der Wein den Transportschock überwunden hat, dann die Flasche öffnen, den Inhalt bis zur unteren Schulter abkippen und nach eineinhalb Stunden Sauerstoffkontakt mit der Verkostung beginnen. So geschah es. Im Glas erwies sich der Wein dann als überraschend zugänglich, obwohl powerful und von großer Spannweite. Das liegt daran, dass das Tannin ultrafein und perfekt verschmolzen ist. Eine Rolle spielt aber auch, dass der Wein so erstaunlich frisch ist – dem heißen Jahrgang zum Trotz. Er badet nicht in süßem Extrakt, sondern ist von einer feinen, fruchtigen Säure durchzogen, die ihn auch im jungen Stadium schon so außerordentlich delikat macht. Im Bouquet deutet sich an, was in diesem Figeac alles steckt: Veilchen, Rosen, schwarze Trüffel, dazu Crème de Cassis mit einem Hauch von Minze und warmer, duftiger Erdkrume – ein Aromenfeuerwerk der Extraklasse. Fast mehr noch fasziniert er jedoch mit seiner Textur. Kaschmirweich, fast sanft läuft er über den Gaumen, im Finale dann mit einer subtil süßen, vanillig-tabakigen Note.
Skrupulöse Selektion der Trauben
Wie immer besteht der Wein zu ungefähr je einem Drittel aus Merlot, Cabernet franc und – Besonderheit von Figeac – Cabernet Sauvignon. In 2022 dürfte es vor allem letztere Sorte sein, die dem Wein seine außerordentliche Festigkeit gegeben hat. Mit 14,5 Vol.% ist er sicher kein Leichtgewicht. Aber mit seiner Frische und Pikanz wirkt er eher wie ein Wein mit normalen 13 Vol.%. Die besondere Eleganz des 2022ers ist auch ein Resultat eines skrupulösen Selektionsprozesses, der schon vor sieben Jahren begann, als die einzelnen Parzellen der Weinberge noch einmal in kleine Raster aufgeteilt und bodenmäßig genau untersucht worden waren. Der neue Keller, der mit dem vorhergehenden Jahrgang 2021 eingeweiht worden war, ermöglichte es, auch in 2022 die einzelnen Plots separat zu erfassen und zu vergären, um am Ende eine strenge Selektion der besten Partien für die finale Assemblage vorzunehmen.
Geändert hat sich auch der Preis
Wie zu erwarten war, hat sich auch der Preis des neuen Figeac geändert. Er ist nach oben geschossen und liegt jetzt zwischen 350 und 400 Euro – gut halb so teuer wie der der gleiche Jahrgang Cheval Blanc. Wessen Budget das übersteigt, derkann als Trost auf den Petit Figeac (für 60 bis 90 Euro), der alles andere als „petit“ ist. Er läßt wenigstens erahnen, was in dem Grand Vin steckt. In großen Jahren soll man die kleinen Weine kaufen, lautet ein anderer Spruch der Négoçiants von Bordeaux.
Bezugsquellen
www.bacchus-vinothek.de, www.silkes-weinkeller.de, www.ludwig-von-kapff.de, www.Aux-fins-Gourmets.de, www.wein-bastion.de, www.gute-weine.de, www.millesima.de, www.ungerweine.de, www.schreiblehner.com, www.alpinawein.de, www.selteneweine.de, www.cb-weinhandel.de, www.gerstl.ch, www.weinco.at