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Der Ätna ist seit ein paar Jahren das Sehnsuchtsziel sizilianischer Weinmacher. Nahezu alle renommierten Weingüter der Insel haben sich dort niedergelassen, ein paar Hektar gekauft und mit Reben bepflanzt: Tasca d’Almerita, Firriato, Planeta, Cusumano, Gulfi, Feudo Maccari zum Beispiel. Weitere stehen in den Startlöchern. Ihre Hoffnung: den schwerblütigen Nero d’Avola-Weinen des heißen „Kontinents“ einen eleganten Wein entgegenzusetzen.
Auch Parker kriegt sich kaum noch ein vor Begeisterung
Noch mehr Konjunktur hat der Ätna in den Medien, besonders in den italienischen. Einheimische Weinschreiber haben die Hänge des Ätna schon mit der Côte de Nuits verglichen und attestieren den Weinen teilweise burgundische Qualitäten. Manch ausländischer Weinjournalist stimmt in den Chor der Begeisterung ein, zuletzt auch Monica Larner, die Italien-Verkosterin von Robert Parker. Freilich ist aus ihren Beschreibungen (und denen mancher ihrer Kollegen) leicht herauszulesen, dass nicht der Wein die Quelle der Begeisterung ist, sondern das Gesamtkunstwerk Ätna: der majestätische Anblick dieses regelmäßig Feuer spuckenden Vulkans ebenso wie die wilde Schönheit der ihn umgebenden Landschaft. Die patriotische Begeisterung der Menschen, die dort leben, für die Nerello Mascalese, die autochthone Sorte, aus denen die Rotweine gekeltert sind. Die Hoffnung, dass der Wein helfen könnte, die prekäre Lage vieler Menschen zu verbessern. Natürlich auch die Bewunderung für den Mut Ätna-fremder Winzer, in eine Terra Incognita zu investieren und dort einen Wein zu erzeugen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Alles nachvollziehbar. Aber muss man deshalb auch mäßig interessanten Weinen gleich 92 Punkte oder mehr geben?
Fünf Erkenntnisse
Ich habe im März zwei Dutzend Rotweine vom Ätna verkosten können und dabei fünf Erkenntnisse gewonnen. Die erste: Die Ätna-Weine haben zweifellos ein ganz eigenes „Karma“. Sie zeigen nicht nur die süßen, sirupartigen Fruchtnoten, wie man sie häufig in meridionalen Weinen findet. Sie haben auch unverwechselbare rauchig-mineralische Noten, die wahrscheinlich von dem schwarzen Lava-Gestein herrühren. Die Ätna-Weine sind also sehr speziell. Die zweite: Das Spektrum der Qualitäten ist riesig, sowohl zwischen den verschiedenen Produzenten, als auch zwischen den Jahrgängen ein und derselben Erzeuger. Die dritte: Es existiert noch kein klares Bild vom Ätna-Wein. Einige Weine ähneln eher einem Beaujolais, andere mehr einem Barolo – salopp gesprochen. Die vierte Erkenntnis: Relativ vielen Weinen fehlt die Balance. Die einen prunken mit reifer, süßer Frucht, haben aber gleichzeitig eine hohe Säure. Andere sind überextrahiert und tanninhart. Die fünfte, sehr persönliche Erkenntnis: Mit Burgund haben die Weine so viel gemein wie ein Schnitzel mit einen Wagyu Beef.
Über die Güte der Lagen am Ätna ist wenig bekannt
Die Ursachen der Inkonsistenz der Ätna-Produktion sind leicht zu erraten. Der Vulkan ist für die meisten Winzer Neuland. Sie haben wenig bis gar keine Erfahrung mit der Nerello Mascalese (beziehungsweise mit der weißen Carricante). Die Sorte wird in keinem anderen Teil Siziliens angebaut. Auch über die Güte der Lagen ist wenig bekannt. Es existieren zwar noch viele alte Weinberge, aber systematische Bodenuntersuchungen sind nie gemacht worden. Die meisten Neuwinzer haben sich an der kühleren Nordflanke des Ätna angesiedelt und ihre Weinberge in 600 bis 900 Meter Höhe angelegt. Einige Weingüter haben ihre Weinberge aber auch im heißeren Süden und Südosten des Berges in tieferen Lagen – und erzeugen dort ebenfalls respektable Weine.
Andrea Franchetti und seine Passopisciaro-Weine
Sicher, Wein wird schon seit Jahrhunderten am Ätna angebaut. Den qualitativ guten Wein gibt es aber erst seit höchstens zehn Jahren. Der Erste war Andrea Franchetti im Jahre 2000. Er kam aus der Toskana („Tenuta di Trinoro“) und gründete ein Weingut an der Nordflanke des Ätna: Passopisciaro. Bis heute sind seine vier Contrade-Weine (Lagenweine) unbestritten Spitze und sorgen regelmäßig für jene Schlagzeilen, die das Anbaugebiet braucht. Der Ex-Parker-Mitarbeiter Antonio Galloni, der heute die Websitze Vineous betreibt und der wohl beste Kenner italienischer Weine ist, zählt die Passopisciaro-Weine Franchettis zu den 9 Weinen, die Italien in den letzten 20 Jahren verändert haben. Auch Franchettis Weine haben übrigens das typische Ätna-„Karma“. Aber sie sind perfekt balanciert mit integrierter Säure und gut veschmolzenem Tannin. Randnotiz: Trotzdem bekommt Franchetti die höchsten Wertungen internationaler Kritiker für einen Wein, der aus Petit Verdot und Cesanese di Affile besteht – Ätna-fremden Rebsorten. Es zeigt, dass die autochthonen Rebsorten nicht die einzigen sind, die am Ätna gute Ergebnisse bringen – schon gar nicht automatisch die besten.
Nach Franchetti ging es Schlag auf Schlag
Nach Franchetti errichteten in kurzen Abständen fast alle renommierten sizilianischen Kellereien Dependancen am Ätna (siehe oben). Hinzu kamen Neugründungen von Festlands-Italienern wie Silvia Maestrelli mit ihrer Tenuta di Fessina (Maestrelli besitzt – ähnlich wie Franchetti – bereits ein Weingut in der Toskana) oder Marc de Grazia mit seinen beiden Weingütern Terre Nere und Le Vigne di Eli (de Grazia ist ebenfalls ein Toskaner und importiert einige der besten Etiketten Italiens und die USA und nach Asien).
Auch Quereinsteiger wie der Belgier Hans Cornelissen (ein Vertreter der nicht-interventionalistischen Richtung, heißt: Amphore, ungeschwefelt) und der Schweizer Peter Wiegner ließen sich am Ätna nieder. Dazu gesellten sich mehrere junge Neuwinzer, die aus dem Bankensektor und der Industrie kamen, ihre Bürojobs an den Nagel hingen und kleine, noch terrassierte und mit uralten Reben bestandene Parzellen kauften: Alberto Aiello Graci (Graci), Michele Faro (Pietradolce), Giuseppe Russo (Girolamo Russo), Mariangela und Francesco Cambria (Cottanera). Einige Weine dieser „Etna-Boys“ gehören heute zu den spannendsten des Anbaugebiets, andere weniger. Leider konnte ich nicht alle dieser Weine verkosten.
Die ersten 2014er sind schon auf dem Markt
Vom alten Weinadel am Ätna sind nur Benanti und Barone di Villagrande übrig geblieben. Und natürlich Salvo Foti, der wohl erfahrenste Önologe des Gebiets, der eben diese Weingüter jahrelang beraten hatte, bevor er ein eigenes Label gründete (I Vigneri). Er arbeitet mit einer Gruppe handverlesener Kleinwinzer zusammen, die ihm die Trauben liefern. Sie bauen ausschließlich die Traditionsreben an und erziehen diese im drahtlosen Alberello-System.
Die ersten Weine der neuen Generation von Winzern stammen – wenn ich mich nicht täusche – aus dem Jahr 2004. Seitdem hat sich viel getan. Die Jahrgänge 2012 und 2013, die jetzt zum Verkauf stehen, waren witterungsbedingt schwierig, weil sehr heiß und trocken. 2014 war dagegen ein grandioser Jahrgang für Sizilien, weil es kühler war (im Rest Italiens ist 2014 dagegen der bisher schwierigste Jahrgang dieses Jahrhunderts gewesen). Die jetzt bereits auf dem Markt befindlichen 2014er sind eher die Basis-Weine der Weingüter. Die hochwertigeren Selektionsweine werden erst später freigegeben.
Der Jahrgang 2014
Wein | Jahrgang | Beschreibung | Punkte |
---|---|---|---|
Graci | 2014 | Reich mit reifer, süßer Frucht, weichem Tannin, würziger Holznote: interessanter Wein. | 89 |
Tenuta di Fessina “Erse” | 2014 | Begeisternde Frucht, schöne Würze, etwas zu trockenes Tannin. | 89 |
Benanti | 2014 | Einer der besten unter den jungen Weinen, disziplinierte Fülle, nicht überladen, herzhafte Kirschfrucht. | 89 |
Tenuta di Fessina “Laeneo” | 2014 | Blaurote Farbe, kirschfruchtig, kräftiges Tanninrückgrat, ein wenig auf Schwere getrimmt: guter Wein aus der Spielart Nerello Capuccio, nur im Stahltank ausgebaut. | 88 |
Cusumano “Alta Mora” | 2014 | Viel Fruchtcocktail, ein Hauch von Lakritz, dabei straff gewoben, nicht überspannt: junger, aber differenzierter Wein. | 88 |
Tornatore | 2014 | Gut gemachter, aber unspektakulärer Mainstream-Wein. | 88 |
Girolamo Russo “A Rina” | 2014 | Dichter, dunkler Wein mit gesundem Tannin, leichten Röstnöten, frischer und kandierter Frucht. | 88 |
Tornatore “Trimarchisa” | 2014 | Rotfruchtig und mit viel Candy-Würze aufgepeppt, kräftig gebaut, etwas trockenes Tannin. | 87 |
Barone di Villagrande | 2014 | Röstiges Bouquet, satte Frucht, hartes Tannin: konstruierter Wein. | 87 |
Marchesi de Gregorio “Nerello del Marchese” | 2015 | Hellfarbig, ausdrucksvoll mit viel kandierter Frucht, leicht würzig, aber störend hoher Säure: unausgewogen. | 86 |
Tornatore “Pietrarizzo” | 2014 | Ziemlich rohe Frucht, stumpfes Tannin, ohne jeden Schliff. | 86 |
Le Casematte “Peloro Rosso” | 2014 | Schöne, von frischer Frucht (mit 30% Nocera-Trauben) und Neuholz geprägte Nase, am Gaumen aber völlig unausgewogen, zugesetzte Säure? | 86 |
Selektionsweine 2013, 2012, 2011, 2010
Wein | Jahrgang | Beschreibung | Punkte |
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Pietradolce “Vigna Barbagalli” | 2013 | Granatrote Farbe, eher mineralisch als fruchtig, Noten von geräucherten Salzmandeln, im Hintergrund ein feiner Mix aus frischen Früchten, kandierter Orangenschale und orientalischer Würze: rarer 70-Euro-Wein von hundertjährigen Pre-phylloxera-Rebstöcken. | 93 |
Pietradolce “Archineri” | 2013 | Nase unrund, am Gaumen aber sauber mit teils frischer Beerenfrucht, teils getrockneten Feigen und Pflaumen, dazu Noten von Rosen und Asche, sehr abgeklärt: begeisternder Wein von alten Pre-Phylloxera-Reben, in 900 Metern Höhe gewachsen. | 92 |
Benanti “Serra della Contessa” | 2012 | Farblich schon ins Orangene tendierend, am Gaumen aber aber sehr fest mit abgeklärter, reifer Frucht ohne Exzesse: jetzt wenig inspierierend, aber die Erfahrung sagt: Dieser Wein hat eine große Zukunft! | 91 |
Tenuta di Fessina “Il Musmeci” Riserva | 2011 | Schöner, burgundisch anmutender Wein mit viel Frische, meridionaler Würze und rauchiger Note: Da fängt der Spaß an! | 91 |
Tasca d’Almerita “Il Tascante” | 2013 | Duftet wie ein orientalische Gewürzbasaar, dahinter aber auch frische Frucht, kräftiges Tannin, süßliche Holznote: routinierter, durchaus spannender Wein von mittlerer Komplexität. | 89 |
Terrazze dell’Etna “Cratere” | 2011 | Üppig, reich, gut zusammengehalten von feinem, moderaten Tanni, viel Geleefrucht, aber auch frische Kirschfrucht. | 89 |
Duca di Salaparuta “Lavico” | 2012 | Satte Frucht mit exotischen Einschlägen, gut verschmolzenes Tannin, relativ komplex: gut gemacht. | 89 |
Cottanera | 2012 | Gut gebaut, ausbalanciert, süßer Rosenduft mit Trockenfrüchten, moderates Tannin, vielleicht ein Tick zu mager. | 88 |
Barone di Villagrande | 2012 | Geschmack von Himbeerdrops, parfümiert, trockenes Tannin: sehr konventionell. | 87 |
Firriato “”Rovo delle Coturnie” | 2012 | “Moderner”, neuholzlastiger Wein im Neue Welt-Stil: wenig animierend. | 87 |
Palmento Costanzo “Nero di Sei” | 2012 | Tief beerenfruchtig mit Nelken, Zimt, Kardamom, am Ende aber etwas beliebig: kein middle palate-Wein. | 87 |
Palmento Costanzo “Mofete” | 2012 | Viel kandierte, wenige frische Frucht, erst recht wenig wenig Ätna-Mineralität, dazu raues Tannin: passabel, aber nicht mehr. | 87 |
Terrazze dell’Etna “Carusu” | 2012 | Fruchtig wie ein Beaujolais, tanninhart wie ein Barolo. | 87 |
Feudo di Gulfa “Vacirca” | 2012 | Sprödes Tannin mit Bittermandel und Cocktailkirsche: aufgesetzter, anbiedernder Wein. | 86 |
Gulfi “Reseca” | 2010 | Der opulenteste aller Nerello-Weine, aber überextrahiert, alkoholisch und bereits etwas unfrisch in der Nase. | 86 |
Terrazze dell’Etna “Cirneco” | 2010 | Ungehobelt, stumpf, ohne jede Feinheit. | 85 |