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Das war 2013: Glückliche Momente, Merkwürdigkeiten, Fragezeichen

Der Weinkonsum stagniert in Deutschland seit Jahren bei knapp 25 Liter pro Person und Jahr (inkl. Schaumwein). Wenn ein Getränkesieger gekürt werden müsste, hieße er also nicht Wein. Er hieße Kaffee. Mit 149 Litern pro Person liegt Deutschland einsam an der Spitze aller EU-Länder. Die meisten Kaffee-Automaten stehen übrigens im Weinland Baden-Württemberg. Reiner Zufall natürlich.

Wein gehört zum Getränkemix dazu

Trotzdem behaupte ich: Wein ist trendy. Junge Leute finden Wein gut (und die nicht mehr ganz jungen auch). Sie trinken ihn (gefühlt) immer häufiger, auch wenn sich das in den Statistiken nicht niederschlägt. Sie mögen keine Kenner sein und wollen es auch nicht werden, die meisten jedenfalls nicht. Sie wollen weiterhin ihren Eistee, ihre Apfelschorle, ihre Energy Drinks, ihr Bier, in den Großraumdiscos auf dem Land auch ihre süßen Alkopops trinken. Aber Wein wird immer mehr zum Bestandteil dieses Getränkemix. Das gab es vorher nicht. Jedenfalls nicht in dem Maße wie heute. Insofern war 2013 ein gutes Jahr für den Wein.

Deutsche Weißweine sind Schuld

Schuld an dieser positiven Entwicklung dürften vor allem die deutschen Weine sein. Mit ihrer Frische und Fruchtigkeit sind zumindest die Weißweine leicht verständlich – jedenfalls die einfachen Qualitäten. Um sie genießen zu können, muss man keine Bücher lesen und  keinen Volkshochschulkursus belegen. Fetzige Etiketten und quietschbunte Kapseln sagen mehr als viele Worte. Erfahrenere Weintrinker zucken im Angesicht manch schrillen Etiketts manchmal zusammen. Aber das Lesen von Etiketten ist nun einmal nicht das Ding der 25- bis 30-Jährigen. Das Verstehen schon gar nicht.

Bunte Etikettensprache

So leicht verständlich deutscher Wein per se ist, so rabulistisch ist die Etikettensprache immer noch, selbst die neue. Ortswein zum Beispiel. Klingt nach Ortsamt und nach Mief. Oder Erste Lage. Versteht einer, der einfach nur gerne Wein trinken möchte, den Unterschied zu einem Großen Gewächs? Ein diplomierter Sommelier könnte den Unterschied vielleicht erklären. Aber will man sich im Restaurant einen Vortrag anhören? Ein Etikett ist bedrucktes Papier. Es sagt zwar etwas aus. Nur leider nicht immer das, was man glaubt.

Deutschland bewegt sich beim Wein

Vor 30 Jahren lebte ich in Hamburg. Da galt es als unhanseatisch, einen Weinkeller zu besitzen (oder besser gesagt: darüber zu reden). Vor 20 Jahren hatte ich viel mit Vorständen und Managern zu tun. Sich in ihrer Gegenwart als Weintrinker zu outen, wirkte sich in bestimmten Unternehmen als Karrierebremse aus. Vor zehn Jahren wurde ich zum ersten Mal von einer Unternehmensberatung zu einem Weingespräch eingeladen. Heute heuern Vorstände Sommeliers und Sommelières an, um Weinproben für die Mitarbeiter zu organisieren. Es hat sich also etwas verändert im kühlen, arbeitsorientierten Deutschland.

Ahnung von Wein zu haben, mitreden zu können, vielleicht sogar ein Urteil abgeben zu können, gehört zu den soft skills der Leistungseliten wie Allgemeinbildung oder Kommunikationsfähigkeit. Der Geist des Kapitalismus und die italienisch-französische Genussphilosophie haben sich versöhnt. Das sind gute Aussichten für 2014 und die folgenden Jahre.

Auf der folgenden Seite habe ich ein paar Einträge aus meinem persönlichen Tagebuch aufgeführt – Einträge über gute und schlechte Weine, über glückliche Momente, über Merkwürdigkeiten.

Der beste Wein des Jahres 2013
… den gab und gibt es auch diesmal nicht. Aber es gab Weine, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Aus Deutschland Maximin Grünhäusers 2012 Riesling Alte Reben trocken, Wirschings 1983 Silvaner Spätlese trocken vom Iphöfer Kronsberg, 1964 Riesling Rosalack von Schloss Johannisberg (Flasche war halbleer). Aus Frankreich: 1989 Y von Château d’Yquem, 2005 Gevrey-Chambertin Vieilles Vignes von Denis Mortet. Aus Portugal: 1937 Colheita von Niepoort. Italien: 1991 Barolo Arborina von Elio Altare, 2009 Barolo Chiniera von Elio Grasso, 2010 Colonia von Fattoria Felsina. Aus Spanien: 2010 Rioja „Malpuesto“ von Bodegas Orben. Aus Österreich: 2012 Sauvignon blanc „Flamberg“ von Lackner-Tinnacher, 2009 Riesling „Alte Reben“ von Ebner-Ebenauer.

Der schlechteste Wein des Jahres 2013
… war ein Chenin Blanc. Er kam aus dem spanischen Weingut Els Bassots: ein maischevergorener Weißwein. Trüb und unfiltriert, das geht ja noch. Aber auch ungeschwefelt – da wird es bei mir schwierig. Als müde, fad und mit viel Acetaldehyd ausgestattet, so empfand ich das Bouquet. Ein sicherlich gut gemeinter, aber ziemlich missratener Vin Naturel aus Conca Barbera. Es gab noch einige andere heiße Kandidaten für den Titel des schlechtesten Weins, etwa jener mild-süße Rosé aus Brasilien, der auf den schönen Namen „Let’s Dance“ hört und dazu ausersehen ist, junge Leute beiderlei Geschlechts einander näher zu bringen. Aber richtig schlechte Weine sind mir in 2013 erstaunlich wenig untergekommen. Dafür umso mehr freche. Der Piccini-Barolo bei Lidl und Edeka steht da ganz oben. Ich mag nicht, wenn stolze Weinnamen in den Dreck gezogen werden.

Das Unwort des Jahres
… ist das Adjektiv burgundisch. Alles was leicht, hell in der Farbe, tanninarm und dünn ist, wird mit diesem Eigenschaftswort aufgehübscht.

Die wichtigste Erkenntnis
… des Jahres verdanke ich einem älteren Herren, der mich anlässlich eines Diners mit italienischen Weinen ansprach und mit einer Erkenntnis konfrontierte, die mir bis dahin unbekannt war: „Wir Deutschen trinken Wein zum Genuss, die Italiener zu Essen.“

Die lustigste Weinprobe
… erlebte ich im Oktober im Bayerischen Hof in München. Das Thema war Champagner und bayerische Küche. Geladen hatte das Champagnerhaus Roederer. Erster Versuch: Roederers Brut Premier zu Weißwurst – Hund und Katze passen besser zusammen. Zweiter Versuch: Blanc de Blancs zu Kraut mit Rostbratwürsten und süßem Senf – eine Tragödie. Dritter Versuch: Rosé Vintage zu Bauernente mit Semmelknödel – wurde von den Teilnehmern als stimmig empfunden. Einen vierten Versuch gab es nicht mehr, obwohl noch Dampfnudel mit Vanillesauce oder … als Gerichte zur Verfügung gestanden hätten. Die einzige bayerische Spezialität, die ich persönlich für champagnertauglich hielt, war die Laugenbrezel. Sie aß ich zu Roederers Cristal. Aber ehrlich gesagt: Ohne Brezel hätte der Cristal besser geschmeckt.

Die zeitgeistigste Gemütsbeschreibung
… kam von einem mir nicht näher bekannten, weinvernarrten Menschen, den ich nach einem langen, durchzechten Abend am nächsten Morgen zum Frühstück in einem Pfälzer Hotel wiedertraf. Auf die Frage, wie es ihm gehe, anwortete er: „Vorwiegend Pinot Noir, ansonsten heiter…“

Das größte Mitgefühl
… empfand ich im vergangenen Jahr für die Marchioness Alison Townshent, neben der zu sitzen ich anlässlich eines Galadiners im Londoner Covent Garden Theatre das Vergnügen hatte. Sie ist gegen Rotwein allergisch und flüsterte mir zu: „Das ist für eine Frau tragisch.“

Die lustigste Zeitungsmeldung
… las ich in dem englischen Revolverblatt Sun. In einer Winebar in Manchester hatte ein Mann die Notrufnummer 999 gewählt. Sein Wein hatte Kork.

Pink Moscato
Pink Moscato

Die verwirrendste Meldung
… kam aus Amerika. Stephanie Gallo, Vice President des Weinriesen Gallo, teilte mit, dass ihre Kellerei riesige Marktchancen für Pink Moscato sähe. Der liebliche, lachsrote Prickler würde nach den USA nun auch in England die Regale der Supermärkte erobern. Pink Moscato? Ich weiß, dass man aus roten Trauben weißen Wein machen kann. Aber wie macht man aus weißen Trauben einen pinkfarbenen Wein?

Der überflüssigste Wein
… ist für mich der Solaris aus dem Weingut Ress in Morsum auf Sylt. Der Versuch, an den Gestaden des Wattenmeers Wein zu keltern, bereichert die Weinwelt höchstens um eine neue Verrücktheit. Ich habe den Wein nicht getrunken. Aber ich kenne Sylt. Ich habe im Weingarten gestanden. Und ich weiß, welch großartige Tropfen es für 69 Euro gibt. Soviel Geld für einen sturmgestreichelten, regenverwöhnten und sonnenvernachlässigten Wein zu zahlen – dazu muss man schon einen Sylt-Fimmel haben.

Die nobelste Geste
… kam von der renommierten Maison Joseph Drouhin aus Beaune. Nach der weinkenner.de-Kritik an ihrem Bourgogne Pinot Noir schrieb Frédéric Drouhin zurück: „Wir haben hart an diesem Wein gearbeitet, aber wir merken, dass wir noch härter arbeiten müssen.“ Chapeau!

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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