Das war 2011: kesse Sprüche, doofe Kommentare, begeisternde Weine

Feuerwerk
Rückblicke auf das abgelaufene Jahr sind eine Pflicht - auch für weinkenner.de. Jens Priewe erinnert sich, was ihn im abgelaufenen Jahr gefreut und geärgert, gewundert und erschreckt hat. 15 Bekenntnisse eines Menschen, der versucht, die Welt des Weins zu verstehen.
Was mich gefreut hat…

…dass der Jahr­gang 2010 trotz des küh­len, feuch­ten Som­mers in Deutsch­land so gut gelun­gen ist. Unse­re Über­schrift „Nahe dran an der Per­fek­ti­on“ traf voll ins Schwar­ze: Ins­be­son­de­re von der Nahe kamen Wei­ne vol­ler Span­nung, Fein­heit, Fili­gra­ni­tät. Aber auch Win­zer Rhein­hes­sens und der Pfalz dür­fen sich auf die Schul­ter klop­fen: Der Mehr­auf­wand hat sich gelohnt.

Was mich begeistert hat…

…2004 Pinot Noir Brau­ne­ber­ger Klos­ter­gar­ten*** von Mar­kus Molitor…1985 Sassicaia…1996 Ribei­ra del Due­ro „Viña Pedro­sa“ von den Bode­gas Perez Pascu­as ….2002 Ornellaia,…2009 Kamp­ta­ler Ries­ling Gais­berg von Johan­nes Hirsch…1989 Ries­ling Spät­le­se tro­cken Brau­ne­ber­ger Juf­fer Son­nen­uhr aus dem Wein­gut Fritz Haag. Aus­ser­dem vie­le jun­ge Win­zer, Win­zer­söh­ne und -töch­ter in Deutsch­land, die sich mit einer Lei­den­schaft und einem Opti­mis­mus in den Beruf stür­zen, wie sie bei ihren Vätern nicht immer zu spü­ren waren (bezie­hungs­wei­se sind).

Was mich nachdenklich gemacht hat…

…dass es auch unter Jung­win­zern Exem­pla­re gibt, die ihren Job mit der Men­ta­li­tät von Kar­tof­fel­bau­ern betrei­ben, etwa jener würt­tem­ber­gi­sche Wein­gärt­ner, der die ihm von der Genos­sen­schaft auf­er­leg­ten Ertrags­be­gren­zun­gen heim­lich igno­rier­te, um sich vom Mehr­erlös end­lich einen iPod samt Ste­reo­kopf­hö­rer für den Trak­tor zu kaufen.

Was mir im Gedächtnis geblieben ist…

…der kes­se Satz der 31jährigen Weinevent-Managerin Julia Klüber: „Bou­quet erschnüf­feln, einen Schluck im Mund durch­kau­en, mit stren­ger Mie­ne aus­spu­cken – die­se Art der Wein­ver­kos­tung war gestern.“

Was mir Respekt eingeflösst hat…

…dass Pierre-Yves Colin-Morey, Win­zer aus Chassagne-Montrachet, nach eige­ner Aus­sa­ge Tag und Nacht grü­belt, war­um so viel Weiß­wei­ne von der Côte de Beau­ne oxy­da­tive Noten auf­wei­sen – ohne bis jetzt eine Erklä­rung gefun­den zu haben.

Was mich neugierig gemacht hat…

…die zahl­rei­chen Win­zer der zwei­ten und drit­ten Rei­he, die ohne gro­ße Publi­zi­tät, aber mit hohem Ein­satz arbei­ten und teil­wei­se begeis­tern­de Wei­ne erzeu­gen, von denen nur weni­ge Men­schen etwas wis­sen. Das gilt für Deutsch­land eben­so wie für ande­re Länder.

Was ich bemerkenswert fand…

…dass die neue Deut­sche Wein­kö­ni­gin und ihre Prin­zes­sin­nen sich statt im geschlos­se­nen Dirndl oben ohne foto­gra­fie­ren lie­ßen (ich mei­ne: schulterfrei).

Was mich gewundert hat…

…dass Dirk Würtz Wein im Lie­gen trinkt…dass Mario Scheu­er­mann sich schon län­ger nicht mehr als Gastro-Kritiker der Deut­schen Bahn betä­tigt hat…dass Stuart Pigott eine Web­site macht…dass die Lange-Brüder noch nicht für den Weinvideo-Bambi nomi­niert wurden…dass Joel Pay­ne noch mit mir redet…dass Andre­as März (Mer­um) immer noch mei­ne Kolum­ne druckt…

Was ich nicht erwartet hätte…

…dass die Saar, die vor 15 Jah­ren nur noch am Tropf von Egon Mül­ler zu hän­gen schien, heu­te dabei ist, sich zu einem auf­stre­ben­den, inter­na­tio­nal beach­te­ten Anbau­ge­biet zu mau­sern, in dem die Win­zer gemein­sam an einem Strang ziehen.

Was mich erschreckt hat…

…dass ich plötz­lich mehr Weiß­wein als Rot­wein trinke.

Was mich gelangweilt hat…

Viel. Zum Bei­spiel Wein­be­schrei­bun­gen aus Win­zer­mund. Spa­ni­sche Rot­wei­ne unter zehn Euro. Deut­sche Sec­cos. Die Debat­te über (zu) hohe Alko­hol­ge­hal­te. Puber­tä­re Kraft­aus­drü­cke à la Wahn­sinn! Geil! Super! für Weine.

Was mich enttäuscht hat…

…die meis­ten alten Jahr­gän­ge von Cha­teau La Mis­si­on Haut Brion…die Ent­wick­lung vie­ler Ries­lin­ge des Jahr­gangs 2007…viele teu­re 2008 Pinot Noirs von der Côte-de-Nuits…

Was ich doof fand…

…die popu­lis­ti­schen Kri­ti­ken der SPIEGEL online-Kolumnistin Sil­ke Bur­mes­ter, die mit ihrer Küchen­psy­cho­lo­gie nicht nur den Wulffs und Schuh­becks zu Lei­be rückt, son­dern auch den Wein und jene, die ihn ger­ne trin­ken, ihrer mes­ser­schar­fen Tri­vi­al­ana­ly­se unter­zieht : „Das Gere­de über Wein“, schrieb sie kürz­lich, ist „mei­ner Mei­nung nach der Fetisch der Bedeu­tungs­lo­sen…“ Ob man bes­ser ver­stün­de, was sie meint, wenn der Satz gram­ma­tisch rich­tig for­mu­liert wäre?

Was mich geärgert hat…

…dass die Sozia­li­sa­ti­on vie­ler jun­ger Som­me­liers und Som­me­liè­res fast aus­schliess­lich über deut­sche Wei­ne läuft. Weiß­wei­ne, etwa mit bio­lo­gi­schem Säu­re­ab­bau und im Holz­fass auf der Fein­he­fe aus­ge­baut, haben in ihrem Koor­di­na­ten­sys­tem kei­nen Platz. Damit fehlt ihnen der Zugang zu vie­len wei­ßen Bur­gun­dern, zu den neu­en Weiß­wei­nen des Rouss­il­lon, zu eini­gen der Top-Weinen Por­tu­gals, von den gro­ßen kali­for­ni­schen Char­don­nays ganz zu schweigen.

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