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Das Universum schlägt zurück – mit restsüßen Premium-Rotweinen

Die Weine haben klangvolle Namen. Sie heißen „Apothic“, „14 Hands“, „Extravaganza“, „Cupcake Red Velvet“, „Menage à Trois“. Sie sind zumeist in schwere Bordeaux Classica-Flaschen gefüllt, wie sie gelegentlich Spitzengüter für ihre besten Weine benutzen, um Wertigkeit zu demonstrieren. Leer wiegen diese Flaschen knapp 1.000 Gramm – deutlich mehr als der Inhalt.

Sie tragen fetzige Designer-Etiketten und kosten zwischen neun und 16 Euro – Premium-Weine nach der Nomenklatur des Supermarkt-Weinhandels.

Maßgeschneidert für die Nutella-Generation

Apothic RedWährend in europäischen Weinzirkeln akademisch über Terroir, Spontanvergärung, und Nachhaltigkeit diskutiert wird, rüsten die Weinmultis auf. Sie kaufen ihre Trauben oft in der ganzen Welt ein, mixen sie zu einer Cuvée zusammen und runden sie geschickt mit Süße ab: maßgeschneidert für jene inzwischen erwachsene Nutella-Generation, für die feste wie flüssige Nahrung süß sein muss, um durch den Schlund zu passen. Auch Wein.

Natürlich schmecken die fünf Weine nicht gleich. Sie kommen von fünf verschiedenen Herstellern. Jeder hat eine eigene Rezeptur für seine Cuvée. Gemeinsam sind ihnen die schokoladigen und Mokka-Aromen, die marmeladige Beerenfrucht, die Minze-Noten, die milde Säure, das schmuseweiche Tannin, der subtile Neuholzton. Die Kellereien, die sie herstellen, wissen genau, was die kaufkräftigeren Kunden der Supermärkte mögen.

Luxuriöse Verpackung

Ebenso wichtig aber sind die luxuriöse Verpackung und der gehobene Preis. Beides suggeriert Wertigkeit. Genau richtig für Leute, die keine Weinnamen kennen und null Weinwissen besitzen, die aber bereit sind, für das, was Werbung und Presse ihnen als Lifestyle vorgaukeln, ein paar Euro mehr auszugeben.

14 Hands Red BlendDrei der Hersteller dieser Weine kommen aus Kalifornien, einer aus Washington State und einer aus Argentinien: alles internationale Weinkonzerne, die die Märkte jetzt schon mit Millionen von Flaschen überschwemmen und für die Wein zwar ein Getränk ist, das aus Trauben gemacht wird, das aber vor allem so zu schmecken hat, dass möglichst viele Menschen es mögen.

Qualität ist, was der Zielgruppe schmeckt

Langwierige Tests mit über tausend Versuchspersonen sind vorausgegangen, um die Geschmacksparameter für die Weine festzulegen. Der Rest ist Verschnitttechnik. Das Resultat: Designerdrogen mit Alkoholzusatz, gemacht um den Massengeschmack zu bedienen nach dem Motto: Qualität ist, was der Zielgruppe schmeckt.

Nach diesem Motto sind die neuen Markenweine designed:

Der „Apothic Red“, ein halbtrockener Rotweinblend von Ernest & Julio Gallo mit 16 Gramm Restzucker, gekeltert aus Syrah, Cabernet Sauvignon, Merlot: ein schwerer, Etravaganza Blendstark fruchtbetonter Wein mit vielen Schokoladen- und Neuholznoten.

Der Red Blend aus der „14 Hands“ Winery, die zum Weingiganten Chateau Ste Michelle in Washington State gehört: gewonnen aus Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon und Mourvedre, deutlich schmeckbare Restsüße.

Der „Cupcake Red Velvet“ aus der Cupcake Winery in Kalifornien, die Shiraz-, Zinfandel- und Merlottrauben aus aller Welt zusammenführt zu einem restsüßen 10-Euro-Blend (umgerechnet). Werbeslogan: „Der Himmel in der Flasche“.

Der „Menage a Trois Red“ aus der gleichnamigen Kellerei im kalifornischen Napa Valley, die zum Imperium der Trinchero Winery gehört: ein dicker, alkoholreicher Rotwein mit 12 Gramm Restzucker aus Zinfandel, Cabernet Sauvignon und Merlot, eher zum Kauen als zum Trinken geeignet.

Der „Extravaganza“-Blend aus der größten argentinischen Kellerei Trapiche, eine säurearme Fruchtbombe aus Malbec, Bonarda, Syrah, schokoladig-süß, dick, halbtrocken, mit (umgerechnet) 14 Euro einer der teureren Vertreter seiner Art.

Coca Cola aus Trauben

Cupcake Red VelvetWas so schlimm daran ist? Tim Atkin, englischer Master of Wine, hat die Weine probiert und auf Twitter die Antwort gegeben: dass sie nichts anderes sind als Coca Cola aus Trauben. Sie nennen sich zwar Wein, haben aber nichts mit dem tun, was Wein der Idee nach ist und was bis heute seine Magie ausmacht: dass sie natürliche Gärprodukte sind, die Boden, Rebsorte, Klima möglichst authentisch widerspiegeln und sich deshalb nicht nur von Jahrgang zu Jahrgang, sondern auch mehr oder minder deutlich voneinander unterscheiden.

Ahnungslose Weintrinker an der Nase herumgeführt

Schlimmer noch ist, dass die neuen Markenweine nicht irgendwelche Versuchsballons sind, die Marketing-geleitete Großkellereien aufsteigen lassen, um neuen Kundenpotenziale auszuschöpfen. „Apothic“, „14 Hands“, „Extravaganza“, „Cupcake Red Velvet“ und „Menage à Trois“ sind Weine, die die Weltmärkte erobern sollen. Die werblich gepusht zu brands aufgebaut und millionenfach produziert werden sollen, um ahnungslose Weintrinker an der Nase herumzuführen und ihnen weiszumachen, sie tränken etwas, dem das Prädikat „besonders wertvoll“ anhafte.

Menage a TroisDie Weine würden „ein Erdbeben in der Weinwelt“ auslösen, wenn den Konzernen ihr Vorhaben gelinge, hat Englands führender Weinkritiker Robert Joseph in der jüngsten Ausgabe von Meininger’s Wine Business International gewarnt. Unbegründet ist diese Furcht nicht.

Auch der Fachhandel erliegt dem Druck der Multis

Denn auch der Fachhandel scheint dem Druck der überseeischen Weinmultis nicht zu widerstehen. Im Billigweinland Großbritannien haben sich renommierte Liquor Stores die neuen Marken bereits aus Angst, einen Trend zu verpassen, ins Regal gestellt. Und auch in Deutschland wird die Trennlinie zwischen Supermarkt und Fachhandel immer löchriger. Der „14 Hands“ wird bereits bei Mövenpick für 16 Euro angeboten, der „Apothic Red“ (importiert von Mack & Schühle) ist bei Amazon für knapp 10 Euro erhältlich.

An die Stirn fassen sollten sich freilich auch jene Sommeliers, Weinakademiker und Blogger, die seit Jahren ihr Publikum mit der schlichten Botschaft beglücken, Wein müsse „lecker sein“ und „schmecken“ und „Spaß machen“. Weintrinker, die mit Gummibärchen, Kinderschokolade und Nutella-Flakes sozialisiert worden sind und ihren infantilen Geschmack ins Erwachsenenalter gerettet haben, werden sich beim nächsten Glas Apothic Red & Co. bestätigt fühlen.

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6 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Klarstellung. Ich zweifelte ein wenig, weil ich eine Reihe von Weinen von Chateau Ste. Michelle kenne. Einige Weine im Bereich 10-15 $ fand ich sehr gut, die Spitzenweine z.T. sogar groß. Bob Bertheau, den Head-Winemaker lernte ich mal kennen und fand ihn sehr seriös. Außerdem macht Ernst Loosen vom Weingut Dr. Loosen für die einige Rieslingen. Und die sind z.T hervorragend – so zumindest einige jüngere Jahrgänge. Deshalb meine Frage.

  2. Der Artikel ist – wie bei diesem Autor nicht anders zu erwarten – absolut seriös. Mir verursachen solche Wuchtbrummen schon beim Gedanken Kopfschmerzen, die muss man nicht probieren. Die schmecken genauso, wie der Hersteller auf dem Etikett suggeriert – hoffen wir mal, dass es eine Nische bleibt oder die Asiaten uns alles wegtrinken …
    Ein interessantes Naturprodukt, das es zu diskutieren gilt, ist das jedenfalls nicht.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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