Der Ort war der gleiche wie damals: Berlin. Der Winzer, der geladen hatte, war auch derselbe: Eduardo Chadwick, Besitzer von Errazuriz und zwei anderen Weingütern in Chile. Nur das Motto des neuen „Berlin Tasting“ lautete anders: „Nichts bleibt gleich, im günstigsten Fall kommt es besser.“
„Chile hat Weltklasseweine, aber niemand weiß es“
Eine kühne Ansage, die Chadwick, 64, Mitte Februar von 65 geladenen Gästen im Hotel Regency nahe des Gendarmenmarkts in jener Stadt formulierte, die vor 20 Jahren für ihn zum goldenen Pflaster geworden war. Er und seine engsten Mitarbeiter waren Mitte Februar nach Deutschland gekommen, um die besten Weine, die sie auf ihren chilenischen Besitztümern produzieren, vorzustellen. Weine, die 2004 in einer legendären Blindprobe europäische Spitzenweine wie Chateau Lafite-Rothschild, Chateau Margaux, Chateau Latour und den toskanischen Solaia nach Punkten aus dem Feld geschlagen hatten. Als „Berlin Tasting“ ist die Probe in die jüngeren Annalen des Weins eingegangen. Das Motto damals: „Chile hat Weltklasseweine, und niemand weiß es.“
Chadwick ruft – Europas Weinkoster-Elite kommt
Diesmal wussten es die Anwesenden. Schließlich waren sie alle vom Fach: Händler, Journalisten, Sommeliers aus Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien, Polen, Tschechien, Portugal und anderen europäischen Ländern, darunter mehrere Master of Wine. Tim Tiptree MW, Direktor des Wine Department bei Christie’s in London, war angereist, um von einem seit geraumer Zeit stark wachsenden Angebot überseeischer Weine auf internationalen Weinauktionen zu berichten, chilenische Gewächse eingeschlossen. Jamie Goode, bekannter englischer Kolumnist (Decanter) und Autor des Buches Wine Science, einer Pflichtlektüre für alle angehenden Master of Wine, berichtete über die Nachhaltigkeitsbestrebungen der chilenischen Weinindustrie. Caro Maurer MW, deutsches Aushängeschild mit internationaler Weinexpertise, moderierte das anschließende Tasting. Unter den Verkostern auch Stuart Pigott, Weintester für James Suckling, und Stephan Reinhardt, der für Parker degustiert und für die FAS schreibt.
Diesmal keine internationalen Referenzwein
Verkostet wurden diesmal nur Chadwick-Gewächse. Die internationalen Referenzweine, die vor 20 Jahren noch nötig waren, um eine Standortbestimmung vorzunehmen, braucht Chile heute nicht mehr. Seine Ultra Premium-Weine (wie diese Klasse von Spitzengewächsen genannt werden) sind bekannt und werden regelmäßig von der internationalen Weinkritik begutachtet: Pedro Parra, Almaviva, De Martino, Domus Aura, Casa Lapostole, Clos Apalta, Cono Sur Ocio, Concha y Toro Don Melchior, Matetic, Koyle Auma, Viu Manent zum Beispiel. Sie alle erhalten regelmäßig Scores zwischen 95 und 99 Punkten. Letztes Jahr haben wieder zwei chilenische Rotweine die 100 Punkte-Marke geknackt: 2021 Seña (bei James Suckling) und 2021 Viñedo Chadwick (bei Robert Parker). Beide Weine gehören zum Chadwick-Imperium.
Folgende Weine und Jahrgänge wurden in Berlin verkostet:
Don Maximiniano Founder‘s Reserve
Don Maximiniano Founder‘s Reserve ist der Flagship-Wein von Errazuriz. Er kommt von fünf planvoll angelegten Parzellen im Aconcagua Valley, teils von terrassierten Hanglagen, teils von alluvionalen Böden im Talgrund. Die Basis des Weins ist Cabernet Sauvignon. Allerdings ist ihr Anteil im Laufe der Jahrzehnte von 100 Prozent auf gut 60 Prozent geschrumpft zugunsten anderer Sorten. Die Don Maximiniano Founder’s Reserve (2001) landete bei ersten Berlin Tasting auf Platz 9 von insgesamt 11 Weinen. Sie ist in Europa der am weitesten verbreitete Chadwick-Wein. Preis: zwischen 60 und 90 Euro
1984 Don Maximiniano Founder‘s Reserve: der erste Jahrgang, der unter der Regie von Eduardo Chadwick erzeugt wurde, hat heute seinen Höhepunkt überschritten. Er lässt aber immer noch ein wenig von seiner einstigen Klasse aufblitzen. 87/100
2011 Don Maximiniano Founder‘s Reserve: ein kühler Jahrgang, der eine gute Struktur aufweist, aber etwas streng wirkt und wenig „Süße“ mitbringt. 94/100
2021 Don Maximiniano Founder‘s Reserve: großer Wein aus einem perfekten Jahrgang, Veilchen und Beeren im Aroma, softe Textur, dicht gewoben. Neben Cabernet Sauvignon enthält die Cuvée Malbec (22%), Carmenere (8%) und Petit Verdot (7%). 96/100
KAI Carmenere
KAI wurde 2004 zum ersten Mal erzeugt mit dem Ziel, der Carmenere einen hochklassigen Wein zu widmen. Er war beim ersten Berlin Tasting noch nicht dabei, landete aber bei einer vergleichbaren Degustation 2010 in New York auf Platz 1 vor Opus One und Haut-Brion. Auch er wächst im Aconcagua Valley, und zwar auf den (wärmeren) Flussterrassen. Die Carmenere-Trauben werden stets als letzte gelesen. Sie können und müssen voll ausreifen, um keine grünen Noten zu bilden. KAI ist bei mehreren Fachhändlern in Deutschland gelistet und kostet zwischen 60 und 80 Euro. Der Name des Weins stammt übrigens aus dem Sprachschatz der Mapuche-Ureinwohner und bedeutet „Pflanze“.
2013 KAI: In der ersten Reifestufe präsentiert sich der Wein nach gut zehn Jahren in blendender Verfassung: üppig (dank eines warmen Jahres), ausgewogen, mitreissend-würzig mit seidigem Tannin. Die leicht erhöhte Säure und die typisch vegetabilen Noten der Sorte erzeugen neben der süßen Beerenfrucht eine tolle Spannung. 99/100
2021 KAI: packender, noch junger Wein aus einem in Chile großen Jahrgang. Dunkle Beeren, eingerahmt von orientalischen Gewürzaromen sowie einem Hauch von grüner Oliven-Tapenade (mit Syrah (11%) und Malbec (4%). 98/100
Seña – erster Ultra Premium Wein Chiles
Seña war Chiles erster Ultra Premium Wein. Er entstand Mitte der 1990er Jahre aus einer Kooperation von Errazuriz und Robert Mondavi. Nach dem Notverkauf der Weinassets der Familie Mondavi 2004 übernahm Eduardo Chadwick den 50 Prozent-Anteil Mondavis an Seña und legte in den folgenden Jahren im großen Stil neue Weinberge am Fuße der Pazifik-nahen Küstenkordilleren an, die von Anfang an biodynamisch bewirtschaftet wurden. Seña ist ein klassischer Bordeaux-Blend, anfangs mit 90% Cabernet Sauvignon und je 5% Merlot und Petit Verdot, heute mit nur noch 50% Cabernet Sauvignon, dazu Malbec (27%) und Carmenere (17%), gelegentlich etwas Cabernet franc. Kein Merlot. Der Wein kostet im Fachhandel etwa 120 Euro.
1998 Seña: das kühle, regnerische El Niño-Jahr hat einen Wein von eher leichter Struktur hervorgebracht. Er ist etwas streng am Gaumen mit Resten von Cassis und Tabak, aber ohne die Fülle, die zum Beispiel seinen Vorgänger auszeichnet. 91/100
2008 Seña: ein anfangs kühles, später sehr trockenes Jahr in Chile, das am Ende jedoch gesunde Trauben mit reichem, vollen Geschmack und üppiger Würze hervorgebracht hat. Der Wein zeigt sich heute noch sehr frisch mit reifer, dunkler Frucht, malziger Süße und feiner Eukalyptus-Note. Hat in allen Tastings weltweit vordere Plätze belegt. 97/100
2015 Seña: ein typischer big structure wine, der zwar das ganze, für Chile typische Aromenspektrum mitbringt von Cassis, Blaubeeren, Tabak über Zedernholz bis zu Kakao und röstigen Kaffeebohnen, dem aber die Balance fehlt. Er ist überextrahiert mit trockenem Tannin am Gaumen und entbehrt jener Trinkeleganz, die andere Seña-Jahrgänge auszeichnet. 93/100
2021 Seña: Der aktuelle Jahrgang dieses Weins ist outstanding. Bei ihm passt einfach alles zusammen. Dabei ist er gar nicht opulent, sondern eher straff und vertikal. Die Aromentiefe blitzt in diesem jungen Stadium nur kurz auf. Die Textur zeigt aber, welche Feinheit in ihm schlummert. 98/100
Das i-Tüfelchen: Viñedo Chadwick
Viñedo Chadwick ist ein Einzellagenwein aus Puente Alto, gelegen an den südlichen Ausläufern der Hauptstadt Santiago. Dort besitzt die Familie Chadwick ein Landhaus inmitten eines großen Polofelds. Eduardos Vater Don Alfonso war ein begnadeter Polospieler und hat für Chile mehrere Mannschaftswettbewerbe als Capitano gewonnen. 1992 wurden 15 Hektar des Polofelds mit Cabernet Sauvignon bepflanzt mit dem Ziel, einen reinsortigen Wein mit maximaler chilenischer Ausdruckskraft zu erzeugen. Schon der zweite Jahrgang, der 2000er, war es dann, der bei dem Berlin Tasting vor 20 Jahren die Bordeaux-Elite hinter sich ließ. Die Jahrgänge 2014 und 2017 erhielten dann als erste Chilenen den maximalen Score von 100/100 (durch James Suckling beziehungsweise Robert Parker). Der Weinberg für den Viñedo Chadwick liegt 650 Meter hoch am Fuße der Anden. In Deutschland wird der Wein im Fachhandel zwischen 350 und 450 Euro angeboten.
2000 Viñedo Chadwick: Der Jahrgang selbst gehört nicht zu den ganz großen Chiles. Er war relativ kühl. Der Wein hat jedoch beim Berlin Tasting vor 20 Jahren thriumphiert. Auch heute noch überzeugt er auf der ganzen Linie: kühle Frucht, süße Beere, malziger Unterton, mittlere Struktur, extrem elegant und jetzt wohl auf seinem Höhepunkt. 96/100
2014 Viñedo Chadwick: ein schwieriger Jahrgang im Maipo Valley aufgrund eines verheerenden Spätfrosts. Die Trauben für diesen Wein stammen von den zweiten Augen, die nach der Kalamität aufgebrochen sind. Entstanden ist ein packender, konzentrierter Wein mit einem langen Finish, den James Suckling mit 100/100 honoriert hat. 98/100
2021 Viñedo Chadwick: Ein nahezu perfekter Cabernet Sauvignon mit allen Tributen, die Chile einem Wein mitgeben kann: glockenklare, komplexe Fruchtnoten, orientalische Gewürze mit zarten Minze- und Kakaonoten, hochkomplex und doch leicht antrinkbar, feinkörniges Tannin, seidige Textur. Ein Monument von Wein. 99/100